- Deutscher Titel: Zug des Lebens
- Original-Titel: Train de vie
- Regie: Radu Mihaileanu
- Land: Frankreich/Belgien/Niederlande/Rumänien/Israel
- Jahr: 1998
- Darsteller:
Lionel Abelanski (Shlomo), Rufus (Mordechai Schwartz), Clement Harari (Rabbi), Michel Muller (Jossi), Agathe de La Fontaine (Esther)
Vorwort
Die rumänische Provinz, 1941 – noch lebt die jüdische Bevölkerung vergleichsweise unbeschwert in ihrem „Shtetl“, bis eines Tages Dorftrottel Shlomo dem Rat der Weisen die schreckliche Nachricht überbring: in den Nachbargemeinden beginnen die Nazis mit Deportationen. Dem Rabbi und den Dorfältsten ist klar, was das bedeutet – was kann man tun? Shlomo hat eine verrückte Idee – die Gemeinde soll sich selbst deportieren! Man müsse sich nur einen Zug beschaffen, sich in Deportierte und „Deutsche“ aufteilen und könnte versuchen, so nach Rußland und von dort ins Heilige Land, nach Palästina, durchzudringen. Der Gedanke ist so abstrus, dass er funktionieren könnte – sofort beginnen die Planungen. Stückweise wird ein Zug nebst Dampflok eingekauft (was Buchhalter Jankeles Magengeschwür beinahe zum explodieren bringt), Naziuniformen geschneidert und falsche Papiere besorgt. Die Abreise erfolgt überstürzt, als sich die Dorfkinder bei ihren rumänischen Spielkameraden verplappern, doch die Fahrt bleibt alles andere als unproblematisch. Des Rabbis Gehilfe Jossi ist seit einem Besuch in der „Stadt“ vom Kommunismus infiziert, agitiert in der Gemeinde und ruft Zug-Sowjets aus, der ein oder andere Dörfler vermutet, dass Mordechai, wegen seines halbwegs akzentfreien Deutsch zum „Oberbefehlshaber“ des Zugs ernannt, seine Rolle als Bilderbuch-Nazi ein wenig zu ernst nimmt und Dorfschönheit Esther verliebt sich in Mordechais Sohn Sami, einen Kommunisten. Außerdem wird der Zug von rumänischen Partisanen verfolgt, die den vermeintlichen Nazi-Transport zerstören von den unvorhergesehenen Aktionen und Kurswechseln mächtig aus der Fassung gebracht werden. Und allzeit im Raum schwebt die Gefahr der Entdeckung durch die echten Nazis…
Inhalt
Eigentlich bin ich kein großer Fan von (Spiel-) Filmen über die Nazizeit – gemeinhin bin ich der Ansicht, dass Dokumentationen besser dazu geeignet sind, den Terror und Wahnsinn des Hitler-Regimes zu vermitteln. Andererseits halte ich das Thema als genauso legitim für Filmemacher wie jede andere Epoche der menschlichen Geschichte auch – oft stört mich bei Holocaust-Filmen melodramatische Verkitschung einerseits und Eindimensionalität andererseits sowie das oft auch das begleitende Mediengedöns – vor einigen Jahren mußte man sich ja mehr oder weniger ungestraft anhören, ein schlechter Mensch zu sein, wenn man „Schindlers Liste“ nicht gesehen hatte (ich hab den Film gesehen und halte ihn für eine von Spielbergs besten Arbeiten, aber dieses gebetsmühlenartige „man MUSS diesen Film gesehen haben“, ging und geht mir mächtig auf die Nerven. Nun ist „Zug des Lebens“ nicht nur ein Film über den Holocaust, sondern auch noch – gasp! – eine Komödie (was nach Benignis „Das Leben ist schön“ nun auch kein absolute Neuheit, aber immer noch eine Art Tabubruch darzustellen scheint). Mit dementsprechend gemischten Gefühlen ging ich an diesen Film ran und, surprise-surprise, der Streifen schaffte es, mich hundertprozentig zu überzeugen. Natürlich mögen böswillige Kritiker lästern, dass der Streifen sein tragisches Thema süßlich überzuckert, aber die absurde, surreale Komik des Films ist vielleicht genau der richtige Weg, sich der Thematik anzunähern.
Regisseur und Drehbuchautor Radu Mihaileanu arbeitet fast ausschließlich auf der komischen Ebene und spart den realen Schrecken des Holocaust weitgehend aus (es gibt nur einige Anspielungen) – böse Zungen könnten das heillose Beschönigung nennen, aber das Thema des Filmes ist schließlich nicht die Aufarbeitung der realen Geschehnisse, es handelt sich vielmehr um eine fantastische Farce, ein surreales Setting, und in diesem Rahmen funktioniert das Drehbuch großartig. Alle Charaktere sind glaubhaft und witzig, und wer nicht lacht, wenn Neukommunist Jossi versucht, die Dörfler für den Marxismus-Leninismus zu missionieren, auch wenn er vom Kommunismus kaum mehr weiß als den Leitspruch „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“, oder wenn die Partisanen ratlos ein halbes Batallion vermeintlicher Nazi-Soldaten beim Sabbath-Gebet beobachtet, sollte dringend mal überprüfen, ob er nicht rein grundsätzlich merkbefreit ist. Mehr zu verraten wäre angesichts der vielen Überraschungen, die das Script bereit hält, unfair – jedoch sei gesagt, dass jiddischer Witz und Musikalität, großartige Situationskomik und ein Hauch human-interest-Melodram (auf dieser Ebene funktioniert der Film vielleicht sogar noch am wenigsten, was aber nur zarteste Kritik andeuten soll) die Marschrichtung vorgeben. Einzig ein paar kleine, etwas aufgesetzt und unnötig wirkende Nacktszenen wollen sich irgendwie nicht ganz ins Gesamtbild einfügen (oh vey, und das schreibe ich, der Welt größter gratitious-nudity-Fan!).
Mihaileanu inszeniert den Streifen flott in einem durchgängig hohen, turbulenten Tempo, vergisst aber dennoch nicht, einige ruhigere, poetische Momente einzuarbeiten. Die Kameraarbeit bewegt sich auf hohem Niveau, was es um so bedauerlicher macht, dass die DVD von Sunfilm im falschen Bildformat vorliegt (dazu siehe unten). Zum Finale hin gibt’s einige digitale Spezialeffekte, die aber nicht wirklich gelungen wirken, aber die B-Note nur eingeschränkt trüben. Bezaubernd ist die großartige musikalische Untermalung von „Time of the Gypsies“-Komponist Goran Bregovic.
Die Schauspieler liefern ebenfalls großes ab – Lionel Abelanski überzeugt als „Dorfnarr“ mit einigen großartigen Dialogen und grotesker, völlig zügelloser Körpersprache, wenn’s gefordert wird, Rufus („Die fabelhafte Welt der Amelie“) ist ausgezeichnet als Zug-Befehlshaber Mordechai, den seine aufgezwungene Nazi-Rolle zum Außenseiter in der Gemeinde stempelt, Clement Harari (ein Veteran des europäischen Kinos) sorgt als Rabbi für die komödiantischen Glanzlichter, aber auch Michel Muller („Asterix und Obelix gegen Caesar“) als Behelfsmarxist Jossi und Agathe de la Fontaine („Fantaghiro“) liefern hochklassige Leistungen ab.
Bildqualität: Sunfilm bürgt mittlerweile für ansprechende Qualität und grundsätzlich macht auch „Zug des Lebens“ keine Ausnahme. Das störungsfreie Bild kann von den Farben und vom Kontrast her absolut überzeugen, wirkt vielleicht insgesamt ein wenig weich, was aber durchaus auch ein bewusst eingesetztes Stilmittel sein kann, ein wenig mehr Kantenschärfe hätte dennoch nicht geschadet. Die Kompression ist ansprechend, selbst Vierfachzoom bringt noch ein befriedigendes Ergebnis, allerdings scheint der Layerwechsel etwas kitzlig zu sein, mein Player hängte sich da sicherheitshalber erst mal auf. Was allerdings gravierende Abzüge in der Bild-Note bedeutet, ist das falsche Bildformat – anstelle des korrekten Ratios 2.35:1 liegt der Film bedauerlicherweise nur in einem gecroppten 1.85:1-Format vor, was an einigen Stellen, wenn handelnde, sprechende Protagonisten nur mehr halb im Bild sind, schmerzhaft deutlich wird. Es ist mir ein wenig schleierhaft, warum eine insgesamt hochwertige Edition durch einen solchen, soll man es Flüchtigkeitsfehler nennen, „versaut“ wird.
Tonqualität: Vier Tonspuren stehen zur Auswahl, wobei jeweils deutscher und französischer Ton in Dolby 5.1 bzw. 2.0 angeboten wird. Alle vier Spuren sind rauschfrei, wobei der 5.1-Mix insgesamt zwar ein wenig differenzierter, aber auch ein wenig dumpfer wirkt. Großartige Surround-Effekte sind bei einem insgesamt eher ruhigen Film wie diesem nicht zu erwarten.
Extras: Die erste Auflage des Streifens wurde kritikerseits wegen einer recht lieblosen Ausstattung in die Mangel genommen – nun legt Sunfilm eine „Collectors Edition“-Doppel-DVD nach, wobei Disc 1 mit dem Film an sich und einer überflüssigen Fotogalerie (die 20 Standfotos sind erstens viel zu klein, um praktischen Nutzwert zu haben und von eher minderwertiger Bildqualität) identisch mit der bisherigen Standalone-Veröffentlichung zu sein scheint. Auf Disc 2 findet sich das neue Bonusmaterial. Herzstück ist ein gut 80-minütiges Gespräch, das Regisseur Radu Mihaileanu mit seinem Vater, einem Holocaust-Überlebenden führt, und in dem sich beide quasi gegenseitig über den Film, Reaktionen hierauf und Erinnerungen befragen. Interessanter Stoff, aber oft auch etwas anstrengend zu verfolgen (französisch mit festen Untertiteln). Bemerkenswert allerdings der Fakt, dass der Regisseur die gelungene deutsche Synchronisation aufgrund des verwendeten jiddischen Akzents für die „Originalversion“ hält. Es folgt ein zwölfminütiges Promo-Making-of, das leider nur einmal etwas in die Tiefe geht, wenn Nebendarsteller Zvi Kanar, ebenfalls ein Holocaust-Überlebender, kurz auf seine persönlichen Erinnerungen eingeht. Dazu gesellt sich noch der Originaltrailer, summa summarum etwa 95 Minuten Bonusmaterial. Ergänzt wird dies durch ein schön gestaltetes 28-seitiges Booklet, das sowohl über den Film als auch den kulturellen Hintergrund der jüdischen shtetl-Gemeinden informiert (man kann darüber streiten, ob es wirklich glücklich ist, das Booklet allerdings fest mit dem Hardcover-Digipak zu verbinden – andererseits kann’s so nicht verloren gehen). Deutsche Untertitel, die aber teilweise heftig von der deutschen Synchronfassung differieren, sind selbstverständlich.
Fazit: „Zug des Lebens“ ist nicht der definitive Film über die Judenverfolgung und den Holocaust, aber den Anspruch hat er nicht – es ist ein Film über Hoffnung, Träume und die Macht der Fantasie und nicht einer über Leid und Schmerz. Das kann man romantische Verklärung nennen, wenn man will, ändert aber nichts an der Tatsache, dass Radu Mihaileanu ein tiefgründiger Unterhaltungsfilm über die Hoffnung und den Freiheitswillen gelungen ist, der darüber hinaus streckenweise einfach zum Brüllen komisch ist. Kein moralinsaures Drama, sondern eine schön gefilmte, witzige, liebevolle Komödie. Schade nur, dass das ansonsten so qualitätsbewußte Label Sunfilm seine schön aufgemachte Sammler-Edition durch das falsche Bildformat abwertet.
4/5
(c) 2003 Dr. Acula