Young Adam

 
  • Deutscher Titel: Young Adam
  • Original-Titel: Young Adam
  •  
  • Regie: David MacKenzie
  • Land: Großbritannien/Frankreich
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Ewan McGregor (Joe), Tilda Swinton (Ella), Peter Mullan (Les), Emily Mortimer (Cathie), Jack McElhone (Jim), Therese Bradley (Gwen), Ewan Stewart (Daniel Gordon), Stuart McQuarrie (Bill), Pauline Turner (Connie), Alan Cook (Bob), Rory McCann (Sam)


Vorwort

Schottland, nach dem 2. Weltkrieg – die Flussschiffer Joe und Les fischen eine halbnackte Frauenleiche aus dem Clyde. Für den alten Les ist das ein ziemliches Ereignis, seine etwas verhärmte, aber nicht unattraktive Frau Ella lässt der Fund dagegen verhältnismässig kalt. Man hat an Bord auch andere Probleme – Les ist durch übermäßigen Alkoholzuspruch impotent geworden und Joe übernimmt nur zu gerne die vakante Position als Befriediger ihrer Triebe. Eine solche Affäre an Bord eines kleinen Flusskahns kann natürlich auf Dauer nicht unentdeckt bleiben. Als Les herausfindet, was gespielt wird, verlässt * er * das Schiff – es gehört nämlich Ella. Dieweil reflektiert Joe über seine Vergangenheit – nicht nur, dass er mehr über die Tote aus dem Fluss weiß, als es den Anschein hat, nein, er weiß sogar, wer die Tote ist – nämlich seine Ex-Freundin Cathie – und wie es zu dem Todesfall kam, denn er war dabei… Ella hofft indes auf eine glückliche gemeinsame Zukunft mit Joe, doch der denkt natürlich gar nicht daran und eine Gelegenheit, seine immer noch unterforderte Libido auszuspielen, bietet sich, als Ella nichtsahnend ihre verwitwete Schwester Gwen an Bord nimmt, mit vorhersehbaren Folgen. Zudem plagen Joe zunehmend Gewissensbisse, denn dem vermeintlichen Mörder Cathies wird der Prozess gemacht…


Inhalt

Aus dem Vereinten Königreich kommen eigentlich nur zwei Arten von Filmen (zumindest solche, die international auffallen): großartige Komödien oder Depri-Kino (wen man an die moralinsauren Arbeiterdramen eines Ken Loach o.ä. denkt). „Young Adam“ gehört zwar inhaltlich eher in die zweite Kategorie, verweigert sich aber zumindest nicht prinzipiell der Konsumierbarkeit. Jungregisseur David MacKenzie (mit 39 ist man ja noch Jungregisseur) legt mit der Adaption eines mir völlig unbekannten Romans eines mir völlig unbekannten Autors (Alexander Trocchi, den man wohl unter der Schublade Beat-Literatur ablegen muss, wenn ich das anhand des Bonusmaterials der Disc und meiner fünfsekündigen Recherche richtig beurteile) einen Film vor, dem man mit der Bezeichnung „Thriller“ (mit der auch der deutsche Vertrieb punkten möchte) keinen Gefallen tut.

„Young Adam“ ist kein Spannungsfilm, in der es um die Aufklärung des Todesfalls geht, sondern ein Psychodrama. Im Mittelpunkt steht nicht das (vermeintliche) Verbrechen, sondern der Charakter Joe – der ist allerdings durchaus interessant, speziell, wenn man den Hintergrund Trocchis als Beat-Schriftsteller (und zeitweisen William S. Burroughs-Freund) ins Kalkül zieht. Joe ist, wie sich durch eine in Rückblenden vollzogene Parallelhandlung ergibt, ein linker (Möchtegern-?) Intellektueller – ein Schriftsteller mit Weltverbesserungsgedanken, der aber nichts zuwege bringt und – selbstverständlich – sich selbst nicht als Teil des Problems begreift. Er sieht sich selbst außerhalb der Gesellschaft, unterwirft sich nicht ihren moralischen Prinzipien. Ihn stört es nicht, dass er durch seine Verhaltensweisen (vor allen Dingen diejenige, alles bespringen zu wollen, was einen Rock trägt) Menschen verletzt und Leben zerstört. Er ist ein Egoist, gefühlskalt, auf der Suche nach etwas, das ihn innerlich erfüllt, nur um stets, wenn er glaubt, dieses Ziel zu erreichen, festzustellen, dass es ihn doch nicht befriedigt (sobald er z.B. den lästigen Rivalen Les verscheucht hat, wird ihm Ella langweilig). Die entscheidende Frage, die das Script durchaus psychologisch stimmig und formal schlüssig formuliert, ist daher – wird Joe, der aus eigener Anschauung weiß, was in Cathies Todesnacht geschehen ist, über seinen Schatten springen, seinen Egoismus EINMAL hintanstellen? Trotz dieser Konzentration des Scripts auf Joe werden die anderen Charaktere nicht zu Randfiguren degradiert, sie haben ebenfalls ihre Ecken, Kanten, Facetten, so dass quasi nebenher ein, schön ist das falsche Wort, ein glaubhaftes Portrait der unmittelbaren schottischen Nachkriegsgesellschaft (soweit es sich um die sozial Schwachen handelt) entsteht.

David MacKenzie erzählt die Geschichte in einem fast schon quälend langsamen Tempo, wobei ich davon ausgehe, dass dies durchaus bewusst im Rahmen eines künstlerischen Konzepts geschieht – das langatmige Erzähltempo passt zu den lakonischen, knappen Dialogen, den statischen Kameraeinstellungen, den kalten, düsteren Farben der unauffälligen, repetetiven Musik – definitiv kein Gute-Laune-Halligalli-Film, sondern eine trübsinnige Charakterstudie. Dabei gelingen Kameramann Giles Nuttgens (der entsetzlicherweise auch die John-Travolta-Scientology-Graupe „Battlefield Earth“ fotografierte, aber auch an der „neuen“ „Star Wars“-Trilogie mitfilmte) einige herausragende, symbolbeladene Shots (begleitendes Bildmaterial wird von mir geliefert, kann die Wirkung im Film aber selbstverständlich nicht ausreichend wiedergeben). „Young Adam“ ist sperrig, aber nicht auf diese intellektuell-arrogante „ich-mach-das-absichtlich-so-grobkörnig-weil-das-ein-Teil-der-Aussage-ist-du-Schlumpf“-Weise, die viele gut gemeinte Filme für den Otto Normalzuschauer, der nicht alles, was sich konsequent „normalen“ Sehgewohnheiten verweigert, bejubelt – MacKenzie macht die Story nicht noch durch filmische Kunstgriffe künstlich „ungenießbar“, sondern setzt auf durchaus schöne (wenn auch kalte, düstere und langsame) Bilder. Das (geschilderte) Leben, meint man zu verstehen, ist schon hart genug, da braucht’s nicht noch die handwerkliche Keule.

„Young Adam“ entwickelt dadurch, trotz seiner Langsamkeit, eine gewisse suggestive Anziehungskraft, die es schwer fallen lässt, sich vom Film zu lösen, obwohl oberflächlich nicht viel passiert; dafür hat man eben das Gefühl, dass es innerlich in allen Figuren brodelt. Es ist kein Film, den man auf der Sitzkante hin- und herrutschend, atemlos vor Spannung, verfolgen wird, sondern einer, den man auch sich einwirken lassen muss und natürlich absolut keiner für ein Publikum von Hollywood-Mainstream-Rotz. Wer aufgrund des „Thriller“-Labels plakative Bilder erwartet, wird zumindest in Hinsicht Gewalt enttäuscht, dafür gibt’s einige recht gewagte Sexszenen.

Bereits kurz angesprochen habe ich die sehr angenehme, sich nicht aufdrängende und doch einprägsame Musik von David Byrne, ehemals Vorsteher der Avantgarde-Band „Talking Heads“ (Mr. Byrne steuert für den Abspann dann auch einen Song bei).

Die hochkarätigen Darsteller bieten keinen Anlass zur Kritik. „Obi-Wan“ Ewan MacGregor zeigt einmal mehr, dass er ein exzellenter Schauspieler ist, wenn er sein Talent nicht in Dümmlichkeiten wie eben der neuen Star-Wars-Saga verschwendet und, for all the ladies out there, er geht full frontal (Schniedelwutz-Alarm!). Es gelingt ihm, einem nicht wirklich sympathischen Charakter Facetten abzugewinnen, die beinahe Verständnis für sein Verhalten erzeugen. Tilda Swinton, die ich als Schauspielerin spätestens seit „Orlando“ überaus schätze, gibt sich sehr freizügig. Swinton ist ein Phänomen – nicht nur, dass sie es schafft, in einem Sackkleid und mit einer Frisur, die selbst Angela Merkel verweigern würde, immer noch hocherotisch zu wirken, sie brilliert wieder einmal in einer schwierigen Rolle. Peter Mullan („Session 9“, „Trainspotting“) weiß als Les ebenfalls zu überzeugen und auch Emiliy Mortimer („Scream 3“, „The Kid“) macht nicht nur optisch eine (ebenfalls offenherzige) gute Figur, sondern spielt auch ihren Charakter überzeugend.

Bildqualität: Die DVD kommt aus dem Haus Alamode (im Alive!-Vertrieb) und liefert den Hauptfilm in anamorphem 2.35:1-Widescreen – der Transfer macht einen sehr schönen Eindruck, die kalten Farben sind klar und scharf, der Kontrast ausgezeichnet, die Kompression unauffällig. Selbstverständlich ist der Print frei von Defekten, Verunreinigungen oder Mastering-Fehlern.

Tonqualität: Es empfiehlt sich aus Authenzitätsgründen ja immer, den Originalton einzuschalten, bei „Young Adam“ wegen der schottischen Akzente aber schon gleich dreimal – kann mir gar nicht vorstellen, wie eine deutsche Synchro dieses herrliche Klangbild ruiniert und habe daher nicht mal stichprobenartig in die DF reingelauscht. Der Haken an heftiger Akzentiererei ist natürlich, dass jemand, der sein Englisch auf Oxford-Standard gelernt hat, mehr als einmal nur Bahnhof versteht, aber dafür gibt’s ja Untertitel. Technisch gesehen liefert Alamode den deutschen und englischen Ton jeweils in Dolby 2.0 und 5.1, die von mir getestete 5.1er-Spur (englisch) ist fehlerlos – sie ist sehr ruhig, sehr dezent, sehr angenehm abgemischt.

Extras: Als Bonus gibt’s den Trailer, ein ca. 7minütiges Promo-Making-of mit diversen Interview-Snippets (trotz der üblichen Lobhudelei von gewissem Informationswert), den isolierten Soundtrack (!, danke!) und als besonderen Gag ein eineinhalbminütiges Feature, in dem wir Ewan MacGregors Stimme beim Vorlesen einiger kurzer Passagen aus dem Roman zuhören dürfen. Eine Alamode-Trailershow rundet das Package ab.

Fazit: Ich war darauf vorbereitet, „Young Adam“ nicht zu mögen – die Thematik schien mich auf den ersten Blick nicht anzusprechen. Der langsame Erzählrhythmus machte mir den Zugang zum Film dann auch alles andere als leicht, aber ich erlag mit fortnehmender Laufzeit dann doch der Faszination des Streifens, ein Verdienst der ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen und auch des Gesamtkunstwerks des Regisseurs. „Young Adam“ ist, wie gesagt, nichts für’s Mainstream-Publikum und wer sich die DVD in der irrigen Erwartung, einen spannenden Thriller vorgesetzt zu bekommen, zulegt, wird fürchterlich enttäuscht werden. Wenn ich mal ins Blaue empfehlen darf – wer sich für die Werke von Atom Egoyan begeistern kann, dürfte auch hier glücklich werden. Kein Film für’s flockige Nebenherkucken… Die DVD-Präsentation von Alamode überzeugt.

4/5
(c) 2005 Dr. Acula


mm
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