Yeti, der Schneemensch

 
  • Deutscher Titel: Yeti, der Schneemensch
  • Original-Titel: The Abominable Snowman
  •  
  • Regie: Val Guest
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1957
  • Darsteller:

    Forrest Tucker (Tom Friend), Peter Cushing (Dr. John Rollason), Maureen Connell (Helen Rollason), Richard Wattis (Peter Fox), Robert Brown (Ed Shelley), Michael Brill (Andrew McNee), Wolfe Morris (Kusang), Arnold Marlé (Lama), Anthony Chinn (Majordomus)


Vorwort

In einem abgelegenen Kloster hoch droben im Himalaya hat sich eine kleine britische Forschungsexpedition häuslich eingerichtet. Dr. John Rollason, seine Ehefrau Helen und Assistent Peter Fox befassen sich primär mit den von den Mönchen verwendeten seltenen Heilkräutern. Doch Rollason hat noch andere Pläne – er wartet auf eine weitere Expedition, die von Tom Friend. Denn insgeheim dürstet es dem Doktor nach dem Beweis für seine Theorie, dass hoch droben auf den höchsten Bergen der Yeti haust. Helen ist stinkesauer, denn Rollason hat eigentlich ihr zu Liebe nach einem Bergunfall den Alpinismus an den Nagel gehängt… Aber wo Friend mit dem jungen Andrew McNee auch einen Augenzeugen im Gepäck hat, der nicht nur Spuren, sondern auch den leibhaftigen Schneemenschen selbst gesehen haben will, und obwohl Friend und sein Kumpan Shelley sich als Unsympathen erweisen, kann der Doktor nicht an sich halten und schlägt die Warnungen seiner Holden und des weisen Lamas in den kalten Bergwind.

Schon bald wird Rollason allerdings klar, dass sich seine Motivation und die Friends deutlich unterscheiden. Während der aufrechte Doktor nur den Fortschritt für die Wissenschaft im Auge hat, ist Friend deutlich gewinnorientierter – er will einen lebenden Yeti fangen, um daran mit Auftritten in Film, Funk und Fernsehen zu verdienen. Deswegen hat er mit Ed Shelley auch einen professsionellen Trapper mitgebracht. Dem allerdings entfleucht im Biwak die Anmerkung, dass Friend kürzlich an einem aufsehenerregenden Wolfskinder-Hoax beteiligt war. Der Aufstieg steht unter einem schlechten Stern – bewaffnete Einheimische verfolgen die Bergsteiger, das Wetter wird zunehmend schlechter, McNee latscht in eine von Shelley gelegte Bärenfalle und verletzt sich, und der Yeti, der den Jägern alsbald in die Falle geht, entpuppt sich nach näherer Betrachtung durch Rolloson als harmloser Bergaffe.

Doch *etwas* schleicht ums Zelt, *etwas* versetzt den delirierenden McNee in eine Art Trance, *etwas* schlägt Friends treuen einheimischen Träger Kusang in die Flucht und ganz gewiß erschießt Shelley eine unbekannte Kreatur… Mit einer Yeti-Leiche allerdings ist Friend nicht zufrieden, dieses Mal will er den lebenden, genuinen Artikel – und wenn dabei jemand drauf geht, then so be it..


Inhalt

Wenden wir uns mal wieder den altehrwürdigen Hammer Studios zu. Im Gegensatz zur Ansicht vieler Gelegenheitsfans produzierten die Briten nicht *nur* Dracula- und Frankenstein-Filme – das Studio war nicht mal sonderlich auf Horror spezialisiert, sondern brachte auch Science fiction, Agententhriller und eine Reihe dem Vernehmen nach ganz passabler film noir heraus. Trotzdem überstrahlen freilich die zwei großen Franchises, die Christopher Lee und Peter Cushing zu ewigen Genre-Ikonen machten, die Restproduktion des Hauses. Zu Recht?

Blenden wir zurück nach 1957 – Hammer hatte gerade mit den Quatermass-Filmen, die Val Guest nach von Nigel Kneale erdachten BBC-Fernsehspielen inszeniert hatte, große Erfolge gefeiert und war natürlich interessiert, diese Kombination weiter zu pflegen. Kneale – der mit den Quatermass-Filmen zwar nicht sonderlich zufrieden war, andererseits aber wohl auch nichts gegen ein paar leicht verdiente Pfund einzuwenden hatte – hatte tatsächlich noch einen Pfeil im Köcher: ein Fernsehspiel namens „The Creature“, eine subtiles, ambivalentes Stück, das angeregt durch neue paläontologische Erkenntnisse und die neue Faszination für’s Bergsteigen, die Edmund Hilarys Everest-Erstbesteigung ausgelöst hatte, die Jagd einer Himalaya-Expedition nach dem „missing link“ thematisierte und dabei, Jahrzehnte bevor auf ihre tölpelhafte Art italienische Kannibalenfilme ähnliche Gefilde zu beackern versuchten, die unbequeme Frage stellte, *wer* hier das Tier, wer das zivilisierte Wesen sein mochte (weswegen Kneale auch den Titel bewusst vage gehalten hatte). Trotz bestenfalls mediokrer Kritiken wurde schnell beschlossen, dass der Regisseur der Quatermass-Erfolge, Val Guest, das Fernsehspiel (wie praktisch alles aus dieser Periode niemals aufgezeichnet worden, daher für die Nachwelt verloren und nur in Form von „tele-snaps“, die wie auch als Grundlage mancher „Dr. Who“-Rekonstruktion dienen, erhalten) nach einem von Kneale kinotauglich überarbeitetem Drehbuch einen Spielfilm realisieren sollte.

Kneale fügte auf Produzentenwunsch zwei neue Charaktere – Rollosons Ehefrau (um eine weibliche Perspektive in den ansonsten komplett maskulinen Stoff einzubringen) und den Assi Fox – hinzu; das gibt Guest die Möglichkeit, ab dem zweiten Akt nicht permanent am Berg zu kleben, sondern für kurze, quasi kommentierende Sequenzen ins Kloster (wo Helen und Fox zurückgeblieben sind) schalten zu können – ansonsten wäre „The Abominable Snowman“ (man merkt schon an der Titelwahl, dass Hammer zumindest im Marketing Kneales ambivalentem Anspruch nicht folgen wollte) quasi ein reiner Bergsteigerfilm, wie ihn Leni Riefenstahl auch gedreht hätte (gut, die hätte natürlich in echt am Berg gearbeitet).

Was in gewisser Weise das Hauptproblem des Films charakterisiert – natürlich will „The Abominable Snowman“ nicht in erster Linie ein Horror-, sondern mehr ein Abenteuerfilm sein, aber dafür, dass der Yeti unter seinem Künstlernamen ja den Titel prägt, würde man sich schon ein wenig mehr Yeti im Film wünschen. Sicherlich ist Kneales Thema nicht der Yeti an sich, sondern eben die Jagd und ihre zweifelhafte Motivation, aber irgendwann muss man halt liefern. Guest und Kneale zeigen den Yeti exakt vier Minuten vor Toresschluss zum ersten (und einzigen) Mal in voller Lebensgröße – bis dahin haben wir vom Urviech gerade mal einen haarigen Klauenarm gesehen – *selbst* als Friend, Rolloson und Shelley um einen erschossenen Yeti herumstehen und sich über Größe und Aussehen des Yeti austauschen, bleibt der Schneemensch außerhalb des Bildauschnitts und das, bei aller Freundschaft, ist schlicht und ergreifend ein cheat. Den nehme ich einem renommierten Britenfilmer genauso übel wie einem deutschen Amateurschlonzer…

Ja, ich weiß es ja – für die „das wahre Monster ist der Mensch“-Aussage geht’s in der Szene nicht anders (man hätte dann halt vielleicht kene Yeti-Killing-Szene ins Script schreiben sollen)… und abgesehen davon wird die Botschaft vergleichsweise elegant vermittelt. Auch wenn Friend und Shelley sicherlich nicht die größten Grundsympathen sind (und z.B. deutlich machen, was sie von der einheimischen Kultur halten, nämlich wenig bis nix), sind sie keine „Evil White Men“-Karikaturen, wie wir sie zur Genüge kennen (wenn man so will, kommt Friends Bestreben, un-be-dingt einen lebendigen Yeti zu fangen, aus seinem Willen, endlich mal etwas *richtig* zu machen), und in der Tat wird auch der Konflikt zwischen Rolloson als Vertreter der Yetiversteher-Schule und dem profitorientierten Imperialisten Friend auf einer intellektuellen Ebene ausgetragen – praktisch arbeiten die Herrschaften, die wissen und verstehen, dass sie sich in 7.000 Meter Höhe gegenseitig brauchen, ohne große Probleme zusammen (in der Theorie eine wohltuende Ausnahme von der üblichen Drehbuchregel, faktisch aber natürlich auch dem „Drama“ abträglich – schließlich gibt es auch keine direkte Konfrontation mit den Yeti…).

D.h. zwangsläufig, dass der Film sich auf eine für einen Genrefilm von 1957 recht zerebrale Ebene begibt und eben seine große moralische Frage (die er eigentlich auch ziemlich eindeutig beantwortet) aufbaut, eine Frage, die seinerzeit (TM), obwohl nicht der erste Film, der sich in dieses Fahrwasser wagte (das geht ja schon auf den seligen „King Kong“ zurück) sicherlich brisanter war (Kulturimperialismus galt damals in der westlichen Welt ja noch als trés chique und mit der Ausbeutung vermeintlicher Dritter Welt hatte auch kaum jemand ein Problem) – der Respekt, den der Film z.B. der buddhistischen Kultur entgegenbringt, ist durchaus zu bemerken (auch wenn den Lama ein Europäer spielt – immerhin sind die restlichen Klosterbrüder authentische Chinesen, die die Produzenten stilecht direkt aus Chinarestaurants rekrutierten). Wundert daher nicht wirklich, dass der Film damals zwar ganz gute Kritiken erhielt (bessere als das zugrunde liegende Fernsehspiel), kommerziell aber floppte – und gegen den ersten „Frankenstein“-Film des Studios musste die Denksportaufgabe von „Abominable Snowman“ ja abstinken.

Was nicht an der handwerklichen Machart liegt. Okay, zugegeben, der Film ist ziemlich langsam (speziell natürlich nach heutigen Sehgewohnheiten), bis etwas „passiert“, sind wir praktisch schon im dritten Akt, aber technisch ist der Streifen – auch dafür, dass Hammer nie Unmengen an Kohle ausgab – schon bemerkenswert. Während eine second-unit-Abteilung in den französischen Pyrenäen die spektakulären Naturaufnahmen drehte (interessanterweise sind die meisten Aufnahmen, die unbefangene Leute für „Luftaufnahmen“ halten würden, direkt aus einer Seilbahn geschossen), entstanden im britischen Studio die beeindruckenden Sets. Das Kloster gefiel sogar dem notorisch nörgeligen Nigel Kneale (der zu Protokoll gab, das Kloster sei tatsächlich „ein eigener Charakter“) und das sogar noch in den 60er Jahren für die „Fu Man Chu“-Filme Verwendung fand und die künstlichen Hochgebirgslandschaften, in denen Cushing, Tucker & Co. herumturnen, machen in s/w einen verdammt realistischen Eindruck. Arthur Grant, der hier seine erste von zahlreichen Arbeiten für Hammer als Kameramann absolvierte, und Guest gelingt es, die Bergszenen dem „freien Himmel“ zum Trotz angemessen klaustrophobisch zu halten; trotz der zurückhaltenden Inszenierung, was tatsächlich gezeigten „Horror“ angeht, gelingt Guest besonders im Schlussakt, wenn der Film zumindest impliziert, dass die Yetis über übersinnliche Fähigkeiten verfügen, eine bedrückend-unwirkliche Schaueratmosphäre, die manche moderne Kritiker an die beklemmendsten Passagen des „Blair Witch Project“ erinnern.

Humphrey Searles Score fügt sich harmonisch ein und das Yeti-Make-up selbst – naja, es ist sicher ganz gut, dass der Film kein Farbfilm ist – in s/w und für’s Baujahr 1957 geht’s in Ordnung.

Darstellerisch brennt bei einem Hammer-Film ja nur selten was an. Peter Cushing ist die übliche sichere Bank, auch wenn Rolloson sicherlich nicht die gehaltvollste Rolle ist, die Grand Moff Tarkin je zu spielen hatte. Forrest Tucker („The Trollenberg Terror“,“ Chisum“, „Final Chapter: Walking Tall“) und Robert Brown (der „M“ der 80er-Bonds) als nominelle Schurken leiden ein wenig unter der Aufsplittung der „böser Jäger“-Rolle auf zwei Figuren, geben sich aber keine Blöße. Maureen Connell („Kill Her Gently“, „Volltreffer ins Glück“) und Richard Wattis („Der Prinz und die Tänzerin“, „Carry on Spying“) haben zu wenig zu tun, um sich wirklich auszeichnen zu können, der deutsche Exilant Arnold Marlé („The Snake Woman“, „Den Tod überlistet“) spielt den buddhistischen Lama mit größtmöglicher Würde.

Bildqualität: Die UK-DVD aus dem Hause Icon bringt den Film in anamorphem 2.35:1-Widescreen. Der Transfer ist etwas grieselig und nur mittelprächtig scharf, aber frei von Defekten oder Verschmutzungen und mit passablem s/w-Kontrast ausgestattet.

Tonqualität: Nur englischer Ton in Dolby Mono 2.0. Erfreulich rauschfrei, aber im Dialogton gelegentlich etwas matschig.

Extras: Leider gar nichts.

Fazit: Die heutige Filmkritik ist sich einig, dass „The Abominable Snowman“ im Studio-Kanon zu den weniger bemerkenswerten Hammer-Werken gehört und das ist keine grundfalsche Einschätzung. Bei aller Sympathie für ein intelligentes Script und eine bewusst un-reißerische Inszenierung ist der Film dann doch etwas *zu* subtil, zu zurückhaltend – gute darstellerische Leistungen, schöne Bergaufnahmen und ausgezeichnete Sets sind zwar schön und gut, aber ein etwas konfliktreicheres, zupackenderes Script hätte nicht geschadet. So bleibt der Film eine Fußnote im Hammer-Gesamtwerk – für ein als horribler Abenteuerfilm getarntes existentialistisches Ethikdrama war die Zeit 1957 dann doch noch nicht reif.

3/5
(c) 2013 Dr. Acula


mm
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