Winterkinder

 
  • Deutscher Titel: Winterkinder
  • Original-Titel: Winterkinder
  •  
  • Regie: Jens Schanze
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2005

Vorwort

Der Filmemacher Jens Schanze geht der Frage nach, ob sein Großvater, den er (wie auch seine vier Geschwister) nie kennengelernt hat, ein Nazi war. Gemeinsam mit seiner Familie, speziell seiner Mutter, begibt er sich auf Spurensuche. In Gesprächen mit ihr, durch den Besuch am alten Wohnort in Niederschlesien, durch Recherche in Archiven, versucht er sich dem unbekannten Oheim anzunähern, der, wie sich herausstellt, bereits 1933 in die NSDAP eingetreten war und als Parteifunktionär und „Oberschulungsrat“ in der schlesischen Heimat bis kurz vor Kriegsende für die markigen Propagandareden bei Dorffesten und ähnlichen Anlässen zuständig war. Für die gesamte Familie beginnt ein zuweilen schmerzhafter Prozeß der Auseinandersetzung mit einer weitgehend verdrängten Vergangenheit.


Inhalt

Im Zusatzmaterial verrät Regisseur Jens Schanze, dass der Anlaß für diesen Film eine Umfrage war, wonach 49 % der befragten Bundesbürger glaubten, ihre eigenen Vorfahren wären dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber eingestellt gewesen – was, objektiv betrachtet, wohl rein mathematisch nicht ganz hinhauen durfte. In Schanzes Familie war die Vergangenheit des 1954 tödlich verunglückten Großvaters nie ein Thema – Nachfragen der Kinder wurden abgeblockt. Insofern mögen die späte Einwilligung Schanzes Mutter, sich aktiv am Filmprojekt zu beteiligen, und die nachfolgend gemachten Erfahrungen eine heilsame Katharsis für die Familie sein, aber, und da komme ich zum großen „aber“, der „Nutzwert“ für den nicht direkt beteiligten Zuschauer hält sich meines Erachtens in Grenzen, dafür ist das Portrait schon wieder zu intim, zu speziell auf eine Familie, sogar auf eine Person (die Mutter) zugeschnitten.

Demzufolge sind die (spärlichen) Enthüllungen, die im Filmverlauf gemacht werden, für die Familie und ihre persönliche Vergangenheitsbewältigung relevant, aber nur schwer „übertragbar“ – es sind einfach Erfahrungen, die jede Familie, die an einer Aufarbeitung der Geschehnisse während des Dritten Reichs interessiert ist, selbst machen muss, da hilft es nicht viel, außer vielleicht als Anregung, sich die einer anderen Familie anzuschauen. Man kommt sich als Zuschauer wie ein Fremdkörper vor, ein störender Eindringling – ich bewundere durchaus den Mut der verschiedenen Familienmitgliedern, vor laufender Kamera über verdrängte Erinnerungen etc. zu reden, aber es bringt *mir* als sozusagen unbeteiligtem Dritten nicht viel.

Was nicht heißt, dass der Film nicht einige bewegende Momente hat (so z.B. die höchst unterschiedliche Weise, mit der Schanzes Schwestern mit der Familienvergangenheit umgehen oder auch nicht, auch die ein oder andere bezeichnende Bemerkung (so z.B., dass manch einer immer noch gern zwischen bösen „Nazis“ und den irgendwie-nicht-ganz-so-schlimmen „Nationalsozialisten“ unterscheiden möchte) und offenbar ein gewisser Konsens herrscht, das es „unfair“ wäre, über den Opa zu reden, weil der ja nicht mehr lebe und die Enkel ihn nicht mehr persönlich kennen würden. Andere potentiell emotionale Momente wie der Besuch einer KZ-Gedenkstätte nahe des alten Wohnorts fallen erstaunlich flach (und, was sicher eine bösartige Unterstellung meinerseits ist, einige Dialoge, speziell im abschließenden „Familientreffen“ klingen mir unnatürlich-gekünstelt, um nicht zu sagen, gescripted. Da kann ich mich aber natürlich heftig täuschen).

Dramaturgisch leidet „Winterkinder“ daran, dass es dem Film, was angesichts der Fakten- und Quellenlage halt nicht zu vermeiden ist, an einer echten Conclusio fehlt. Die eigentliche Frage, ob der Großvater nun ein einfacher Mitläufer, ein berechnender Karrierist oder doch ein überzeugter Schreibtisch- oder gar Mit-Täter gewesen ist, bleibt offen (auch wenn das zitierte Briefmaterial andeutet, dass er bis ins frühe Jahr 1945 noch an die große Gegenoffensive und den Endsieg glaubte und erst, als die Russen quasi schon an seiner Bürotür klopften, leise Zweifel aufkommen liess).

Filmisch reißt „Winterkinder“ auch im Kontext einer preiswert gefilmten Doku keine Bäume auf. Jens Schanze beschränkt sich an filmischen Mitteln darauf, die Interview-Sequenzen etwa pari-pari „live“ und als voice-over über Bilder zu legen, Musikeinsatz geschieht sehr spärlich, dezent und zurückhaltend. Der Streifen gibt sich dadurch recht spröde und, wenn man nicht ganz speziell an dem Thema interessiert ist (ich BIN zwar an dem Thema interessiert, hab mir aber den Film nicht gezielt ausgesucht), unzugänglich – um Tacheles zu reden: nach etwa 10 Minuten wurde mir klar, dass ich „Winterkinder“ nur im schnellen Vorlauf mit eingeschalteten Untertiteln „überleben“ würde, ohne schnell die Konzentration und das Interesse zu verlieren.

Bildqualität: Sunfilm bringt „Winterkinder“ in makellosem anamorphen 1.85:1-Widescreen auf DVD – der Transfer ist störungs- und verschmutzungsfrei, aufgrund der vermuteten Videoherkunft etwas grobkörnig, weist angenehme Schärfewerte auf und kann von der Kompression her überzeugen. Ich muss allerdings einmal mehr anmerken, dass die Scheibe in meinen beiden Standalone-Playern verweigerte (der Scott-Player las die Disc nicht mal ein, der United kapitulierte am Layerwechsel).

Tonqualität: Bei einem Film dieser Art hat die Tonspur lediglich die Aufgabe, völlig rauschfrei zu sein und gute Sprachqualität zu bieten, diese Anforderungen erfüllt die DVD, trotz des vermutlich nicht unbedingt superteuren Aufnahmeequipments, ohne Fehl und Tadel in Dolby Stereo 2.0. Untertitel werden mitgeliefert.

Extras: Als Zusatzmaterial findet sich ein ausführliches Video-Interview mit Jens Schanze, zwei geschnittene Szenen sowie der Kinotrailer, außerdem wird ein nettes Papp-Booklet beigelegt.

Fazit: „Winterkinder“ ist die Sorte Dokumentation, die man als politisch korrekter Bürger ohne Zweifel gut finden „muss“, weil sie ein Reizthema anschneidet – die sicherlich in vielen Familien nie oder nie zu Ende diskutierte Frage der eigenen Beteiligung am Nazi-Regime. Leider ist genau der „Aufhänger“ des Films, sich ganz gezielt auf eine einzige Person zu konzentrieren, der Schwachpunkt, denn es fehlt irgendwie der Kontext, der Gesamtzusammenhang, es ist zu sehr „spezialisiert“, trägt wenig zum Verständnis bei, und ist damit für einen Außenstehenden eher uninteressant bis, ‚tschuldigung, einfach langweilig. „Winterkinder“ mag als Anregung für die eigene Beschäftigung mit der Familienvergangenheit tauglich sein, als Anschauungsmaterial taugt der Film nur bedingt. Auch wenn das möglicherweise über mein Empfinden nichts gutes aussagt – da seh ich mir lieber eine Guido-Knopp-Doku an, die mit *filmischen* Mitteln arbeitet und ein etwas breiteres Bild zeichnet. Sorry, das war sicher gut gemeint und für die Schanze-Familie wichtig und richtig, aber es bleibt die Frage: „Warum soll ich mir das anschauen?“. Der Filmbewertungsstelle war der Film selbstredend trotzdem ein „Prädikat: besonders wertvoll“ wert (aber auch „Rambo III“ kassierte ein „wertvoll“, wie wir uns noch alle erinnern…).

2/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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