Wara No Tate – Die Gejagten

 
  • Deutscher Titel: Wara No Tate - Die Gejagten
  • Original-Titel: Wara No Tate
  • Alternative Titel: Shield of Straw |
  • Regie: Takashi Miike
  • Land: Japan
  • Jahr: 2013
  • Darsteller:

    Takao Ohsawa (Kazuki Mekari), Nanako Matsushima (Atsuko Shiraiwa), Goro Kishitani (Takeshi Okamura), Masato Ibu (Kenji Sakiya), Kento Nagayama (Masaki Kamihashi), Hirotaro Honda (Ohki), Kazuya Takahashi, Go Ibuki, Takuma Otoo


Vorwort

Kyumaru, ein psychopathischer Vergewaltiger und Kindermörder, hat wieder zugeschlagen und ein siebenjähriges Mädchen getötet. Sein strategischer Fehler: Opa des Mädchens ist der todkranke Milliardär Ninigawa und der hat angesichts seiner überschaubaren Lebenserwartung kein Problem damit, eine Belohnung von einer Milliarde Yen für denjenigen auszusetzen, der Kyumaru umnietet – einzige Bedingungen: der Killer muss sich anschließend einem ordentlichen Gerichtsverfahren unterziehen und die Tötung muss polizeilich autorisiert sein.
Zu verlockend für den chinesischen Kleinganoven, bei dem Kyumaru sich versteckt. Schwer lädiert gelingt es Kyumaru, sich bei einer Provinzpolizeistation zu stellen. Kazuki Meraki, einem Personenschützer, fällt die Aufgabe zu, Kyumaru mit einem kleinen Team innerhalb von 48 Stunden zur Staatsanwaltschaft in Tokio zu schaffen. Es gestaltet sich schon schwierig genug, Kyumaru in einem Stück aus dem Polizeigewahrsam zu bekommen, weil auch der durchschnittliche Cop von der Aussicht auf reichhaltige Penunze in Versuchung geführt wird.

Aus dem gleichen Grund können Meraki und seine Leute auch kein Flugzeug nach Tokio nehmen – die ausgekuckte Maschine wurde von einem Mechaniker manipuliert. Also mus ein Konvoi über die Autobahn aufbrechen, der aber schon rasch von einem Möchtegern-Killer mit einem mit Nitroglyzerin beladenen Laster aufgemischt wird. Die Behörden wollen den Transport am liebesten stoppen, aber Meraki kommt auf die Idee, sich in einen Schnellzug zu schmuggeln. Doch auch dort sind Team und Psycho nicht sicher – jemand übermittelt die aktuelle Position des Transports auf eine speziell hierfür eingerichtete Website.

Während sich die Angriffe häufen und Meraki sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen muss, dass ein Mitglied seines Teams ein Maulwurf ist, und immer der Transport immer mehr Todesopfer fordert, stellt sich ihm und seinen Mitstreitern die Frage, ob ein anerkanntes Güteklassenarschloch wie Kyumara, der keinerlei Anzeichen von Reue erkennen lässt, es überhaupt wert ist, beschützt zu werden… zumal sich auch aufdrängt, dass man Meraki aus ganz speziellen Gründen für die Mission ausgewählt hat.


Inhalt

MIIKE! Ich mag den japanischen Filmrüpel Takashi Miike einfach – klar, seine Filme sind hit or miss und mehr als einen Miike-Film habe ich wegen fortgeschrittener Unansehbarkeit vorzeitig abgebrochen, aber wenn Miike auf allen Zylindern feuert, ist ein wahnwitziges Filmerlebnis garantiert (siehe u.a. „Like a Dragon“). Und wie schon öfters mal gesagt – seit Miike zur Erkenntnis gekommen ist, dass man nicht unbedingt 20 Ultra-Low-Budget-Filme pro Jahr drehen muss, sondern es auch bei drei bis vier ordentlich finanzierten Produktionen belassen kann, haben auch die großen japanischen Studios kapiert, dass man den Mann auch an Mainstream-Projekte ranlassen kann. „Wara no tate – Die Gejagten“ ist so ein Fall – wer Miikes Garagenfilme kennt oder auch seine neueren Genre-Beiträge, wird überrascht sein, dass der Maestro auch einen geschniegelten Hochglanz-Thriller mittlerweile ohne Berührungsängste hinbekommt.

Diese Romanverfilmung stellt unter Beweis, dass Miike auch ohne seine üblichen hysterischen Gewalt- und Splatterspitzen auskommt. „Wara no tate“ hat zwar einige Actionszenen, ein paar knackige Schießereien und einen Mörderstunt, ist aber eben doch kein Actionfillm, sondern ein reinrassiger Thriller, dem wichtiger ist, wie seine Figuren in Extremsituationen reagieren, in dem moralische und ethische Fragen aufgeworfen werden und jeder an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit gebracht wird. Miike verzichtet dankenswerterweise darauf, aus der Geschichte eine redemption story zu machen, in der Kyumara ein besserer Mensch wird – er ist und bleibt ein psychopathisches Arschloch ersten Ranges, dem selbst der friedfertigste Gutmensch keine Träne nachweinen würde, sollte er versehentlich in einen Fleischwolf fallen und der seine Beschützer permanent herausfordert, ihre Rechtsstaatstreue zu hinterfragen (zumal sich jeder sicher ist, dass Kyumara eh die Todesstrafe kassieren wird, man dem Staat also auch jede Menge Zeit und Geld sparen würde, wenn man die Beschützerpflichten vielleicht mal ’ne Minute nicht ganz so genau nimmt oder einem so ganz aus Zufall mal die eigene Dienstwaffe losgeht). Noch nicht mal Merakis Vorgesetzten wären sonderlich traurig, da Ninigawas Einfluss natürlich auch bis in diese Kreise reicht. Gute Polizisten setzen ihr Leben aufs Spiel (und verlieren es), um einen Drecksack zu beschützen, der sowieso hängen wird – und selbst der idealistischen Meraki, der selbst aufgrund seiner Vergangenheit (er verlor seine schwangere Frau aufgrund eines einschlägig vorbestraften besoffenen Lasterfahrers) allen Grund hätte, jemanden wie Kyumara zu töten, muss seine Einstellung immer wieder in Frage stellen – genau wie der Zuschauer, der weiß, dass es richtig ist, Kyumara dem Rechtsstaat zu überantworten, aber fraglos auch mit Jubelrufen reagieren würde, wäre einer seiner Häscher erfolgreich.

Es ist mehr „food for thought“ als der gewöhnliche Hollywood-Thriller aufbringt (und man darf sich auch fragen, wie das mittlerweile annoncierte US-Remake damit umgehen wird. Zumindest wird es eine japanische Ko-Produktion, so dass die Amis die Geschichte nicht nach Belieben verhunzen können dürften), und vergisst aber dabei nicht, bei allem moralischen Dilemma, dem die Protagonisten ausgesetzt sind, auch mörderisch spannend zu sein, denn die „odds“, gegen die Meraki und seine Leute sich durchsetzen müssen (so sie denn wollen), sind astronomisch (wie es einer von Merakis Vorgesetzten ausdrückt, haben sie 125 Millionen potentielle Feinde).

Technisch, handwerklich und optisch stellt Miike klar, dass er zwar, wenn er will, immer noch der chaotische Randalefilmer sein kann („Yakuza Apocalypse“), aber da, wo eine hochklassige Inszenierung gefragt ist, mühelos liefern kann. Es gibt da und dort ein paar kleinere Kanten im Schnitt, aber Kameraführung, Spezialeffekte und Stuntwork sind erstklassig. Miike hält das Tempo grundsätzlich hoch, gönnt seinen Protagonisten aber auch immer wieder Pausen zur Reflektion, lässt seine Figuren zu echten Charakteren werden.

Ein exzellent aufgelegter Cast unterstützt ihn dabei. Aus dem Ensemble ragen fraglos Takao Ohsawa („Sky High“, „Aragami“) als konfliktgeplagter Meraki und Kazuya Takahashi („Hush!“, „Kaiten – Human Torpedo War“) als verachtenswerter Kyumara heraus. Von der aus asiatischen Filmen gefürchteten wilden Herumfuchtelei ist hier nichts zu sehen, alle Aktiven gehen die Sache mit der nötigen Contenance an, was emotionale Ausbrüche um so effektiver macht.

„Wara no tate“ mag man, schätzt man Miike als filmischen Anarchisten und enfant terrible, dem Puristen zu poliert, zu glattgebügelt sein, aber seine Widerhaken versteckt Miike diesmal halt in der Story, den moralischen Fragen, die aufgeworfen werden, und auf die Miike auch keine allgemeingültige Antwort anbieten kann und will. Was „Wara no tate“ auf jeden Fall ist, ist ein exzellenter, sauspannender Thriller, den ich gerne weiterempfehle.

4/5
(c) 2017 Dr. Acula


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