Vampyrer

 
  • Original-Titel: Vampyrer
  • Alternative Titel: Not Like Others |
  • Regie: Peter Pontikis
  • Land: Schweden
  • Jahr: 2008
  • Darsteller:

    Jenny Lampa (Vera), Ruth Vega Fernandez (Vanja), David Dencik (Taxifahrer), Omid Khansari (Filmbuff), Peter Jäm (Biker 1), Jörgen Persson (Biker 2), Björn Ekdahl (DJ), Marcus Ovnell, Isabella Sobieski, Ellen Fjaestad


Vorwort

Vera und Vanja sind auf den ersten Blick ganz normale junge Frauen – die Schwestern leben, ohne Familie oder Freunde, in einer gemeinsamen Wohnung, und nachts wird um die Häuser gezogen. Pikantes Detail: die Damen sind Vampire (was im Sinne dieses Films kein obskurer okkulter Fluch ist, sondern, wie ich’s verstanden habe, eine erbliche genetische Veranlagung) und benötigen menschliches Blut zum Überleben. Eines Tages unterläuft Vera eine fatale Fehleinschätzung – der zudringliche Glatzkopf, den sie in einer drittklassigen Disco auf’s viertklassige Klo abschleppt und dort aussaugt, ist bzw. war Chef einer Skinhead-Rockerbande, und die ist nicht geneigt, den gewaltsamen Abgang ihres Führers unwidersprochen und ungerächt hinzunehmen. Die Biker nehmen die Verfolgung der flüchtenden Mädchen auf, dabei hätten die ganz andere Sorgen. Während Vera nämlich sich mit dem nokturnen Lifestyle durchaus angefreundet hat, sehnt sich Vanja nach einem normalen Leben (sie testet auch immer wieder aus, ob sie nicht doch gewöhnliche Lebensmittel vertragen kann, wenn auch bislang noch erfolglos) und plant, sich mit ihrem (nicht-vampirischen) Freund unauffällig – und eigentlich auch, ohne Vera Bescheid zu sagen – gen Irgendwoandershin abzusetzen. Die Schwestern geraten in Streit und trennen sich, aber gegen die nachtragenden Biker haben sie nur gemeinsam eine Chance…


Inhalt

Mit dem schwedischen Independent-Vampirdrama „Vampyrer“ begann mein diesjähriger FFF-Großkampftag (mehr als einen Tag mit Vollprogramm, also fünf Filmen, verkrafte ich irgendwie nicht mehr. Ich werde alt) und gut war’s auch, dass die Festivalleitung den Streifen auf einen frühen Termin programmierte – nachmittags um Drei ist man bzw. ich noch aufnahmefähig für unspektakuläres, bedächtiges Charakterdrama; in einer Mitternachtsvorstellung wäre ich höchstwahrscheinlich sanft entschlafen, und das wäre schade gewesen.

Ein Missverständnis muss gleich zu Beginn aufgeklärt werden – „Vampyrer“ ist mit Sicherheit KEIN Horrorfilm (weswegen die Gorehounds und Splatterheadz im – spärlichen – Publikum auch eher wenig mit dem Streifen anfangen konnten); mit eineinhalb blutige(re)n Szenen müssen wir auskommen, und keine davon ist auf den Effekt, auf „frisson“ ausgelegt. Im Kern ist „Vampyrer“ die Geschichte einer problematischen Geschwisterbeziehung. Vera und Vanja sind völlig gegensätzliche Personen, die aufgrund ihrer familiären und genetischen Verbundenheit miteinander umgehen müssen und bislang der (irrigen) Ansicht waren, es laufe alles ganz prima, wiewohl hinter der aufgesetzten geschwisterlichen Fröhlichkeit Konflikte lauern.

Dabei verleugnet Regisseur und Autor Peter Pontikis (mir bislang völlig unbekannt) nicht den Vampir-Archetyp an sich. Auch wenn ihn das „wie und warum“ kaum interessiert, so reißt „Vampyrer“ doch den ewigen Interessenkonflikt des Vampirdaseins an (einerseits die vermeintliche Freiheit, völlig außerhalb der normalen Gesellschaft zu stehen, genießen zu wollen, andererseits aber den mehr oder weniger unterschwelligen Wunsch, eine normale Existenz *innerhalb* eben dieser Gesellschaft führen zu können) und verwandelt ihn in eine Metapher über das Erwachsenwerden, Anpassung, Verantwortlichkeit für sein Handeln und die Frage, ob nicht irgendwann für jeden der Zeitpunkt kommt, enge familiäre Bande zu lösen, um ein eigenes, eigenständiges Leben führen zu können.

Einen Plot im ursächlichen Sinne (also dass wir an Punkt A beginnen und rund eineinhalb Stunden später bei Punkt B aufhören) hat „Vampyrer“ nicht – wir steigen quasi mit dem dramaturgischen Höhepunkt (der Szene im Club und dem Aussaugen des Ober-Bikers) ein, von dort aus geht es non-linear weiter; parallel erleben wir die Geschehnisse der Nacht *vor* der Club-Aktion und diejenigen danach; sozusagen zeitgeraffert lernen wir im ersten Erzählstrang über den „Lebensstil“ der Schwestern (da keine einem regulären Broterwerb nachzugehen scheint, bessern sie ihre Kriegskasse durch Diebstähle auf) und über die von ihnen selbst teils verleugneten Unterschiede zwischen ihnen, in der anderen Plotlinie brechen die Konflikte auf, wobei die Bedrohung durch die Skinhead-Biker streng genommen auch nur eine Metapher für die Widrigkeiten, die einem armen (übrigens fangzahnlosen; die Vampire müssen sich damit behelfen, ihre Opfer mit Werkzeugen anzuzapfen) Blutsauger von der „normalen“ Gesellschaft in den Weg gelegt werden – Vera nutzt die Biker sogar dazu, um Vanja, nachdem die sich eigentlich schon abgeseilt hat, wieder in eine gemeinsame Flucht zu manipulieren.

Wenig überraschend daher, dass Pontikis ohne großartige Gewaltszenen auskommt. Wie schon angedeutet, interessiert den Regisseur der Horror-Gehalt der Story wenig, ihm kommt es vielmehr darauf an, das „alltägliche Leben“ eines modernen Vampirs und die durch seinen Zustand verursachten Probleme zu thematisieren. Er bedient sich dafür, da Skandinavier wenig überraschend, eines minimalistischen, beinahe schon Dogma-artig anmutenden Inszenierungsstil, der auf bewusst grobkörnigen Videolook setzt, oft genug den Eindruck erweckt, die Kamera wäre nur rein zufällig dabei und würde nicht gezielt Schauspieler beobachten, sondern „normale Leute“; er verfällt dabei nicht in Handkamera-Gezumpel, sondern verwendet lieber statische Shots, durch die die Darsteller sich bewegen, anstelle die Kamera wild um die Figuren kreisen zu lassen. Da der Film komplett in einer Nacht spielt, ist der Film naturgemäß sehr düster, von insgesamt freudloser, kalter Atmosphäre (was man als Kunst-Interpret selbstverständlich wieder als visuelle Umschreibung der fortgesetzten Entfremdung der Geschwister sehen kann und vielleicht auch soll). Dank der knappen Laufzeit von 75 Minuten spielt sich „Vampyrer“ trotz des Verzichts auf oberflächliche Action und blutige Effekte recht flott, wobei trotzdem die ein oder andere Episode (Veras Begegnung mit einem Taxifahrer, der anstelle von Vera nicht vorzeigbarer Penunze alternative Bezahlmethoden vorschlägt) ein wenig zu lang gestreckt wird und in den „Spannungsszenen“ die ein oder andere fragwürdige Entscheidung getroffen wird (wieso z.B. Vanja auf einem hell erleuchteten Parkplatz in einem Industrieviertel glaubt, „sicher“ zu sein, obwohl noch zwei Sekunden vorher die Biker hinter den Girls herwaren, erschließt sich nicht auf Anhieb und lässt speziell Vanja eben nicht gerade sonderlich clever erscheinen. Man sollte meinen, auch der noch so zurückhaltendste Vampir hat ein paar grundlegende survival skills entwickelt); nicht zu verleugnen ist, dass „Vampyrer“ insgesamt – auch weil auf Musik größtenteils verzichtet wird, es sei denn, sie ist gerade inhaltlich gedeckt – sperrig und nicht auf einfache Konsumierbarkeit hin ausgelegt ist.

Leichter Schwachpunkt sind auch die beiden Hauptdarstellerinen, die zwar durchaus natürlich rüberkommen, aber nicht immer in der Lage sind, die von ihnen verlangten Emotionen glaubwürdig zu spielen. Jenny Lampa ist aber durchaus ein Schnucki (da spricht der Chauvi, der freilich sehr enttäuscht ist, dass sie beinahe die komplette Filmlaufzeit in dickem Winteranorak absolviert), Ruth Vega Fernandez ist dafür ein wenig überzeugender in ihrer Rolle des gefrusteten, ein normales Leben anstrebenden Blutsaugers (man könnte natürlich auch die böswillige Interpretation vertreten, Vanja drängt deswegen auf eine „bürgerliche“ Existenz, weil sie nicht gut genug aussieht, um in der Disse problemlos Opfer aufreißen zu können). Nicht falsch verstehen – die beiden jungen Damen agieren nicht schlecht, aber es fehlt ihnen möglicherweise ganz einfach die Routine, um die kleinen Nuancen differenziert auszudrücken.

Fazit: Kein Film für Gorebauern – das ist mal klar, und wer in der Erwartung in „Vampyrer“ geht bzw. die DVD ausleiht, in blutigen Details klaffende Halswunden und spitze Reißzähne bewundern zu dürfen, sollte sich doch anderweitig orientieren. „Vampyrer“ ist ein ruhiges, nicht leicht zugänglich, irgendwie „typisch skandinavisches“ Drama, in dem die Tatsache, dass seine Protagonisten Blutsauger sind, von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung ist. Nicht immer ist das perfekt ausformuliert (auf das „Abhängigkeitsverhältnis“ zwischen den Geschwistern hätte man schon etwas deutlicher eingehen müssen – andere Szenen, die man hätte straffen können, wären ausreichend vorhanden, um den benötigten Zeitraum freizuschaufeln; außerdem ist 75 Minuten nicht gerade die Distanz, bei der man sich Sorgen machen sollte, ob fünf oder zehn Minuten mehr vielleicht zu viel sind), und die gleichsam kühle, dokumentarische, intime und, ähm, billige Videooptik mag manchen Zuschauer abschrecken, aber für wen „Horror“ auch mal die leisen, zwischenmenschlichen (bzw. -vampirischen, ähm) Töne ausmachen, könnte hier auf seine Kosten kommen.

3/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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