Vampire Nation

 
  • Deutscher Titel: Vampire Nation
  • Original-Titel: Stake Land
  •  
  • Regie: Jim Mickle
  • Land: USA
  • Jahr: 2010
  • Darsteller:

    Connor Paolo (Martin), Nick Damici (Mister), Kelly McGillis (Sister), Danielle Harris (Belle), Michael Cerveris (Jebediah Loven), Sean Nelson (Willie), Bonnie Dennison (Peggy), Marianne Hagan (Dr. Foley), Chance Kelly (Officer Harley)


Vorwort

Eine Epidemie, die arglose Menschen in Vampire (und zwar definitiv nicht in elegante, capetragende Gentleman-Blutsauger oder „Twilight“-Pussies, sondern in echte, animalische Monster) verwandelt, hat die USA ins Chaos gestürzt. Martin, ein Teenager, der miterleben musste, wie seine Eltern von Vampiren getötet wurden, wird von dem geheimnisvollen Vampirjäger „Mister“ unter seine Fittiche genommen. Gemeinsam reisen sie Richtung Norden, mit dem vagen Ziel „New Eden“, einem paradiesischen vampirfreien Utopia (=Kanada, woraus man auch ein Statement konstruieren kann, wenn man will), und killen unterwegs jeden Vampir, der vorwitzig seinen Reißzahn zeigt. Doch auch mit nicht untotem Gesindel gibt’s Ärger – weite Teile des Landes, das in kleine Enklaven der Zivilisation zerfallen ist, werden von der „Brotherhood“, einer radikal-fundamentalistischen christlichen Sekte, deren Chef Jebediah Loven die Vampirplage als eine ordnungsgemäße Strafe Gottes für das unsittliche Amerika betrachtet, kontrolliert. Als „Mister“ und Martin zwei Kultisten töten, die versuchen, eine Nonne (die nur „Sister“ genannt wird) zu vergewaltigen, bringt das die Bruderschaft ganz speziell gegen „Mister“ auf, war doch einer der Gemeuchelten Jebediahs Sohn. Martin, Mister und Sister fallen in die Hände der Brotherhood – Martin und Mister gelingt die Flucht. Die Reisegruppe verstärkt sich um den Ex-Marine Willie und die schwangere Country-Sängerin Belle, zu der sich Martin stark hingezogen fühlt. In einer Kleinstadt, in der sich die Zivilisation auf vernünftige Art und Weise erhalten hat, feiert die Gruppe ein überraschendes Wiedersehen mit Sister, doch die Freude ist von kurzer Dauer – Jebediah, dem Leute, die nicht an seine apokalyptischen Visionen glauben, erheblich stärker zuwider sind als Vampire, zerstört die Idylle mit einem außergewöhnlichen Luftangriff…


Inhalt

Es war ja eigentlich allerhöchste Zeit – seit Vampire, beginnend bei den Anne-Rice-Romanen und kulminierend in der gequirlten Krümelkacke, die Stephanie Meyers „Twilight“-„Romane“ nebst Verfilmungen aus dem Mythos machten, bestenfalls noch als romantische Interessen für hormonell unterversorgte Teenager taugen, sind sie als *Horror*-Figuren kaum noch tragbar. Also musste irgendjemand einen radikalen Schnitt wagen und – ohne die klassische Vampirlore ernstlich zu beschädigen – die Blutsauger zu echten Bestien machen, rein instinktgesteuerten Monstern ohne romantische Seiten, ohne Erlösungsmotiv, ohne schmachtende Mädchen, die dem edlen Vampir die zarten Hälse freiwillig entgegenrecken. „Stake Land“ räumt mit diesem mittlerweile praktisch zur unfreiwilligen Selbstparodie verkommenen Klischee auf. Kritischerweise könnte (und sollte man vielleicht auch) anmerken, dass die Vampire in „Stake Land“ (wohl in der Erwartung, hiesige Konsumenten würden „Stake Land“ für den Werbefilm einer Grillfleischkette halten, hierzulande in „Vampire Nation“ umgetauft) sich nur noch marginal von handelsüblichen Zombies unterscheiden (nur, dass die Zombies weniger wählerisch sind, was ihre Ernährungsgewohnheiten angeht), aber für die „Ent-Romantisierung“ des gemeinen Reißzahnträgers ist diese Verschiebung wohl unvermeidlich.

„Stake Land“ ist ein Roadmovie – und eines, dass im Gegensatz zum verschnarchten The Dead, der auf absehbare Zeit als mein abschreckendes Beispiel in dieser Hinsicht herhalten muss, wesentlich mehr richtig als falsch macht. Was genau also macht „Stake Land“ anders und besser? Nun, zum einen ist nun mal schon das Setting deutlich interessanter und gehaltvoller – es mag einen gewissen Novelty-Wert haben, Zombies durch die Serengeti streifen zu lassen, aber die USA bieten den Filmemachern deutlich griffigere Möglichkeiten, in den – roadmovie-typischen – Episoden unterschiedliche Formen des Umgangs mit der Vampirplage abzubilden (während man böswillig behaupten könnte, dass man den Unterschied eines zombiefizierten zu einem nicht-zombifizierten Burkina Faso auf den ersten Blick gar nicht feststellen kann…). Martin und Mister durchqueren auf ihrer Odyssee Richtung Kanada Redneck-Enklaven (die so aussehen, als würden sie von der NRA betrieben und in der zum Gaudium schon mal Vampire an Leitern gefesselt vor die Tür gestellt werden, auf dass sie im Tageslicht verbrutzeln. Grobe Scherze in groben Zeiten), Gebiete unter der Fuchtel religiöser Fanatiker, gegen die selbst Michael Parks‘ Sekte aus Red State wie ein drolliger Haufen harmloser Mormonen wirkt, und Ortschaften, die versuchen, bei allem Chaos, allem Zusammenbruch die Fassade geschäftiger Normalität aufrecht zu erhalten (und es ist nicht von ungefähr diese Gruppe, die am stärksten unter der „Brotherhood“ zu leiden hat, denn nichts stört Jebediah und die seinen mehr als Menschen, die versuchen, ein „normales“ Leben weiterzuführen).

Der zweite gewichtige Punkt – „Stake Land“ hat einen Protagonisten, der im Laufe der Reise einen schlüssigen character arc absolviert. Das zentrale Thema für Martin ist, dass er Bezugspersonen verliert – zunächst seine Eltern, dann vorübergehend Sister und damit hat’s sich noch nicht erledigt (huch, der Doc erlegt sich Spoiler-Zurückhaltung auf? Muss an der Hitze heute liegen); lediglich „Mister“, der aber kaum zur emotionalen Bindung taugt (vielmehr überträgt „Stake Land“ hier durchaus klassische „Karate Kid“-Motive auf seine Story, mit der Zugabe, dass Mister eine Art „man with no name“ ist, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft), aber als Lehrmeister unverzichtbar ist, damit Martin in die Lage versetzt wird, selbst Verantwortung zu übernehmen und damit umzugehen, dass diese Verantwortung auch bedeutet, mit einem Scheitern umgehen zu können. Es ist eben auch eine „coming-of-age“-Geschichte, die Geschichte eines Teenagers, der aufgrund der Umstände gezwungen ist, schneller und radikaler erwachsen zu werden – im Gegensatz zum nichtssagende „The Dead“, dessen Protagonist kaum eine meßbare Entwicklung durchmacht und dessen „große emotionale Momente“ durch stupide Drehbuchentscheidungen entwertet werden, ist die Metapher hier durchaus valide und dramaturgisch befriedigend.

Aber bevor jemand befürchtet, „Stake Land“ wäre in erster Linie ein Charakter-Drama – weit gefehlt, es ist schon ein Horrorfilm. Das liegt, wie gesagt, schon einmal an den auf die pure Blutgier reduzierten Vampiren und dem religiösen Wahn der Brotherhood (und der sich natürlich aufdrängenden Frage, wer nun die größere Bedrohung ist… der Film positioniert sich da recht eindeutig – mit den Untoten kann man fertig werden, die sind nicht „intelligent“, planen nicht, sind leicht zu überlisten und sofern man ein paar Grundregeln einhält und wachsam bleibt – und idealerweise mit einem Pflock umzugehen versteht -, zwar gefährlich, doch nicht unbesiegbar. Schwieriger wird’s, wenn ein Vampir nach der Verwandlung seine Intelligenz behält), daran, dass Mickle und sein Co-Writer Damici an ein paar Tabus kratzen (jetzt also doch SPOILER: Sister, die End-Fuffziger-Nonne als „Sexobjekt“ und schwanger zu sein, hilft einem im „Stake Land“-Universum auch nicht weiter) und ihr apokalyptisches Treiben mit kruden Ideen und schwarzem Humor würzen (noch mehr SPOILER: auf die Idee, Vampire quasi als lebendige Bomben zu benutzen, ist m.E. auch noch niemand gekommen).

Filmisch erledigt Mickle („Mulberry Street“) den Job klaglos und ohne Experimente – die episodische Struktur hält das Tempo recht hoch (lediglich gegen Ende des zweiten Akts, wenn unsere kleine Heldengruppe zu Fuß unterwegs ist und durch die Wälder streift, erlaubt sich „Stake Land“ einen kleinen Hänger), und obwohl der Streifen als Independent-Produktion sicherlich nicht im Geld schwamm, bietet er erstaunlichen „scope“. Klugerweise hält Mickle seinen Film in ruralen, bestenfalls kleinstädtischen Gefilden, die auch ohne großes Scheckheft oder digitalen Einsatz unproblematisch auf „apokalyptisch“ getrimmt werden können; die stetigen Schauplatzwechsel tragen ebenfalls dazu bei, dass „Stake Land“ wesentlich aufwendiger, „größer“ wirkt als er tatsächilch ist. Kameraarbeit und Schnitt sind unspektakulär, aber absolut brauchbar, die FX und Masken ruppig genug, um uns stetig daran zu erinnern, dass wir einem grimmigen Horrorfilm beiwohnen, aber nie zu extrem, um als bloßer oberflächlicher Splatter zu wirken. Jeff Grace (The Innkeepers, The Last Winter, I Sell the Dead – unschwer als Spezl des auch hier produzierenden Larry Fessenden zu identifizieren) steuert einen weiteren gutklassigen, atmosphärisch passende Score bei.

Auch die Schauspieler erledigen einen guten Job – Connor Paolo („World Trade Center“, wo er schon auf Co-Writer und -star Nick Damici traf) überzeugt als Teenager, der in ein „hartes“, gefährliches Leben geworfen wird ebenso wie Nick Damici selbst als sein mysteriöser Mentor „Mister“ (der mich von der Screenpräsenz ein wenig an Tom Savinis Ausflüge in die Schauspielerei erinnert). Kelly McGillis erfindet sich offenbar im Herbst ihrer Karriere – was sonst normalerweise eher ihre männlichen Kollegen tun – als Horror-Charakterdarstellerin neu und punktet durch schiere Routine (in „The Innkeepers“ erschien sie mir etwas lebhafter). Als Erzbösewicht Jebediah brilliert Michael Cerveris („Mitternachtszirkus“ und TV-Zuschauern als einer der geheimnisumwitterten „Beobachter“ aus „Fringe“ bekannt), außerdem gibt sich Danielle Harris (die die wohl einmalige Distinktion hat, sowohl in der „klassischen“ als auch der „neuen“ „Halloween“-Continuity tragende Rollen gespielt zu haben [[„Halloween 4/5“ bzw. „Halloween I/II“, außerdem als Kinderdarstellerin in „Last Boy Scout“ und ausgewachsen in „Hatchet II“ zu sehen) die hochwillkommene Ehre. In einer kleinen Nebenrolle amtiert Marianne Hagan, die im interessant verunglückten „Halloween: The Curse of Michael Myers“ mit von der Partie war.

Fazit: So muss ein Horror-Road Movie aussehen, dann klappt’s auch mit ’ner guten Bewertung vom Doc. „Stake Land“ macht aus den „Twilight“-Pussy-Witzfigurvampiren endlich monströse Untote, garniert das mit einem Schwung religiösem Fanatismus und einem gerüttelt Maß funktionierender Charakterentwicklung; mit diesen guten Story-Grundvoraussetzungen und einer angemessen flüssig dahinrollenden Dramaturgie, einigen guten Einfällen (die auch über ein-zwei Stellen hinweghelfen, die nicht auf den ersten Blick logisch oder zwingend erscheinen) und guten darstellerischen Leistungen gelingt Jim Mickle ein rundum guter Film, der trotz seiner auf das animalisch-triebhafte reduzierten Darstellung der Vampire auch ein Publikum ansprechen könnte, das nicht alle Tage Horrorfilme ansieht. Dafür Daumen hoch!

4/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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