Urban Explorer

 
  • Deutscher Titel: Urban Explorer
  • Original-Titel: Urban Explorer
  •  
  • Regie: Andy Fetscher
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2011
  • Darsteller:

    Nathalie Kelley (Lucia), Nick Eversman (Denis), Klaus Stiglmeier (Armin), Max Riemelt (Kris), Catherine de Lean (Marie), Brenda Koo (Juna)


Vorwort

Eine Gruppe junger Touristen sucht in Berlin nach einem ganz besonderen Abenteuer – „Urban Exploring“. Darunter ist zu verstehen, dass man unter Führung eines Ortskundigen in normalerweise unzugängliche Bereiche vordringt, in diesem Fall in die weitläufigen Tunnelsysteme unter der Bundeshauptstadt, selbstverständlich ist die Sache reichlich illegal. Guide Kris verspricht ein ganz besonderes Erlebnis – einen Trip zu einem alten, erst kürzlich wiederentdeckten und gleich wieder versiegelten (um eine Neonazikultstätte zu verhindern) NS-Bunker. Obschon die Gruppe schon bald nach dem Einstieg in die Tunnel unliebsame Bekanntschaft mit einem Duo Neonazis macht, wird weiter vorangeschritten und der Bunker tatsächlich gefunden. Die Katastrophe ereignet sich auf dem Rückweg – ein unvorsichtiges Fotografieren mit Blitz und der geblendete Kris stürzt in einen Schacht. Der Amerikaner Denis und seine venezolanische Freundin Lucia (letztere Krankenschwester, die Kris gemeinen offenen Bruch notdürftig verbindet) bleiben beim Gestrauchelten, die Koreanerin Juna und die Französin Marie sollen Hilfe organisieren. Anstatt der Mädchen plus Sanitäter taucht bei den Zurückgebliebenen aber nur Armin auf, ein zotteliger Ex-DDR-Grenztrupper, der sich’s nach der Wende in den Tunneln häuslich eingerichtet hat, Denis und Lucia mit Speis und Trank versorgt und über ein Notruftelefon Hilfe herbeizurufen verspricht. Doch schnell bemerkt Denis, dass das Telefon des Tunnelschrats schon lange nicht mehr funktioniert – und als er in einem Vorratsraum die verstümmelten Leichen Maries und Junas entdeckt, wird ihm nicht nur klar, was bzw. *wen* er da gerade gegessen hat…


Inhalt

Ich gebe es zu – auch bei deutschen Beiträgen auf dem FFF grummelt bein Bauch prophylaktisch. Es ist nicht so, dass ich etwas gegen deutsche Filme habe, ganz im Gegenteil, ich würd‘ mich narrisch freuen, wenn es endlich vernünftige Genrekost aus deutschen Landen gäbe (jenseits des ein oder anderen guten Indie-Beitrags), aber meine empirischen Feldstudien zu diesem Thema haben nun mal ergeben, dass „größere“ deutsche Produktionen, wenn sich überhaupt mal jemand an das phantastische oder schlicht spannungsförderliche Genre heranwagt, keinen Vergleich mit Hollywood, Großbritannien, Skandinavien, Frankreich oder Belgien aushalten.

Aber ich gebe deutschem Kino auch immer wieder eine Chance und deswegen standen auch die beiden einheimischen Großproduktionen, die 2011 auf dem FFF laufen, auf meinem Plan. „Urban Explorer“, für ungefähr drei Millionen Euro (für die hiesige Filmproduktion kein Kleingeld) von der altehrwürdigen Rialto-Film gestemmt, ist der zweite Film von Andy Fetscher, der mit seinem Debüt „Bukarest Fleisch“ in der Szene durchaus von sich reden gemacht hatte. Das Buch verfasste Martin Thau (dessen IMDb-Eintrag ich mal bezweifeln ömchte) und hat durchaus einen interessanten Hook; mit dem Berliner Untergrund müsste sich doch etwas anfangen lassen…

Leider stellt sich bei Sichtung des fertigen Werks heraus, dass „Urban Explorer“ nichts besonders denkwürdiges einfällt – sobald das Script nach einer durchaus stimmungsvollen Auftaktphase den nominellen Schurken Armin einführt, befinden wir uns doch wieder ein einem x-beliebigen „bekloppter Kannibale hetzt seine Opfer“-Aufguss, den wir in beinahe identischem Setting schon vor ein paar Jahren in „Creep“ erleben durfte und der mit dem Setting hier, diesem Gimmick dort jedes Jahr auf’s Neue durchs FFF-Programm geistert, wenn wir ehrlich sind, auch schon seit einiger Zeit keinen memorablen Beitrag mehr erlebt hat und für den das Urban-Explorer-Gimmick (wobei ich sofort und auf der Stelle anerkenne, keinen Schimmer davon zu haben, ob’s eine solche Szene gibt, diese, wenn ja, wie hier geschildert funktioniert usw.) keine sonderliche Rolle spielt. Ja, Thau und Fetscher versuchen, ihrem Film und ihrem Kannibalen eine „deutsche Identität“ zu geben, bauen also Anspielungen auf Neonazis ein, lassen Kris eine urbane Legende um Reichsflugscheiben und genetisch optimierte Super-Nazis erzählen (was mich nur wieder hoffen lässt, dass „Iron Sky“ so gut wird wie er eigentlich werden MUSS und selbstverständlich ein um Klassen unterhaltsamerer Film wäre als dieser), verpassen ihrem Psychopathen eine DDR-Vergangenheit (inklusive Flüchtlings-Erschießungen) und ihn sich ein bisschen darüber auslassen, dass ihn die Wende nicht speziell tangiert (ohne sein Treiben dabei politisch einzufärben), aber das ist alles nur belangloses Füllselmaterial, das nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Armin keinerlei Motivation hat, zum Menschenfresser zu werden (es ist nicht so, dass er aus seinen Tunneln nicht herauskommt, im Gegenteil, das Finale selbst zeigt, wie er sich unproblematisch unter Menschen mischt). Klartext: wir kucken mal wieder Figuren zu, die uns nicht sonderlich interessieren (mit tödlicher Präzision macht das Script nämlich die Langweiler Denis und Lucia zu den Hauptpersonen und serviert die wesentlich interessanteren Maria und Juna – nicht ohne ihnen zuvor noch lesbische Gelüste aneinander anzudichten – off-screen ab), durch finstere Gänge krauchen, vom Psycho erwischt werden, wieder entkommen, wieder erwischt usw.

Ich gestehe freimütig, dass ich an diesem FFF-Tag in schlechter Verfassung war (gefühlte fünftausend Grad Außentemperatur, nix gegessen, zu wenig getrunken und zuvor schon The Dead gesehen), aber trotz der nur 88 Minuten Laufzeit saß ich so ungefähr ab Hälfte des Films mit der stummen Bitte „hör auf, Film, hör auf“ auf den Lippen zunehmend genervt in meinem Sessel. Fetscher und Thau fällt nix ein, um ihren Film vom Genreeinerlei abzuheben (wenn zu den besseren Einfällen des Scripts gehört, dass die „Explorer“ sich Codenamen geben, Kris sich „Dante“ nennt [hach, wie gebildet] und Dennis und Lucia auf „Mickey und Mallory“ hören [hach, wie kontrovers], ist ein Drehbuch in trouble) – und da man im Hinblick auf potentielle Mainstreamtauglichkeit die ganze Chose dann auch nicht mit echter räudiger Härte zelebrieren will (angesichts des überschaubaren Casts und dem damit nur spärlich vorhandenen killbaren cannon fodder auch nicht verwunderlich), fallen mir wenig Argumente ein, warum jemand, der mehr als zwei dieser Sorte Filme gesehen hat, sich „Urban Explorer“ auf seine Einkaufsliste malen sollte.

Sicher, formal ist das alles hochanständig, Kameraarbeit und Schnitt (von Fetscher selbst besorgt) genügen durchaus höheren Ansprüchen, aber der Streifen kommt nie richtig in Schwung, baut nie eine wirkliche Spannungskurve auf (was eben auch daran liegt, dass das Script keine Überraschungsmomente liefert), alles entwickelt sich in vorgegebenen und vorhersehbaren Bahnen, die gewollten Schockmomente zünden nicht. Und dabei wollte ich einem Film, der Knorkator im Soundtrack hat, eigentlich nicht böse sein können…

Aber es hilft nix – auch die Schauspieler reißen mich nicht vom Hocker. Der internationale Cast mit der Peruanerin Nathalie Kelley („The Fast and the Furious: Tokyo Drift“), Ami Nick Eversman („Hellraiser: Revelations“, „Beilight – Bis zum Abendbrot“), der Französin Catherine de Lean („C.A.“) und der Korea-Amerikanerin Brenda Koo (kleinere TV-Auftritte in „How I Met Your Mother“, „Rules of Engagement“ oder „Mad Love“) tut wenig dafür, die undefinierten Figuren in dreidimensionale Charaktere zu verwandeln, wobei de Lean und Koo mir motivierter vorkommen als der blasse Eversman und die etwas zu verhuschte Kelley. Max Riemelt („Wir sind die Nacht“, „Die Welle“) müht sich redlich, kämpft aber damit, seine Dialoge in Englisch zum Besten geben zu müssen und hat ansonsten Glück, eine klassische Eric-Stoltz-in-„Anaconda“-Rolle besetzen zu dürfen. Klaus Stiglmeier („Kanal fatal“, „Eine wie keiner“, „Bang Boom Bang“) überzeugt mich in der Psychopathen-Kannibalenrolle auch kaum (was, auch hier verweise ich noch mal an die Drehbuchabteilung, sicher nicht unabhängig davon zu sehen ist, dass das Buch keine gesteigerten Anstalten macht, anzureißen, wie und warum seine Figur „tickt“). In einer kleinen Nebenrolle als fieser Neonazi (hm, das muss ein Gefälligkeitsjob sein, oder?) gibt’s Andreas Wisniewski (Hush, Centurion, „Scorpion King: Aufstieg eines Kriegers“ zu sehen.

Fazit: Verdammt, es kann doch nicht an mir liegen – ich WILL doch gute deutsche Genrefilme sehen, ich will sie nicht verreißen müssen… aber „Urban Explorer“ ist nun mal halt nicht gut, nicht mal durchschnittlich. Handwerklich okay, inhaltlich übles, einfältiges Wiederkäuen sattsam bekannter Genremotive, verbesserungsfähig gespielt – nein, das kann ich wirklich nicht guten Gewissens empfehlen. Mit viel Sympathie und Vaterlandsliebe (pun intended) drücke ich ein Auge zu und vergebe knappe zwei von fünf Punkten, aber die Renaissance deutschen Horror-/Thrillerkintopps leitet „Urban Explorer“ ganz gewiss nicht ein (ich wollte nicht mal mehr eins der ausliegenden Gratisposter). Es bleibt die Hoffnung auf Hell… Schließlich kann „besser als Virus Undead“ ja auch nicht die Meßlatte sein, an die wir uns halten wollen.

tl’dr-Version: „Creep 2 in Berlin“

2/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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