Unter der Haut

 
  • Deutscher Titel: Unter der Haut
  • Original-Titel: Bajo in piel
  •  
  • Regie: Francisco J. Lombardi
  • Land: Peru/Spanien/Deutschland
  • Jahr: 1996
  • Darsteller:

    José Luis Ruiz Barahona (Percy Corso), Ana Risueno (Marina), Diego Bertie (Gino Levya), José Rodríguez Paz (Don Fausto), Gianfranco Brero (Professor Pinto), Gilberto Torres (Faurra)


Vorwort

Aufruhr in der peruanischen Provinzstadt Palle – ein wahnsinniger Mörder geht um. Von dessen Opfern, jungen Männern im Alter zwischen 16 und 20, findet man nur die fachmännisch abgetrennten augenlosen Köpfe. Außer der vagen Idee, die Morde könnten mit den Ritualen der antiken Indios zusammenhängen, hat der allseits geschätzte, aber leicht überforderte Polizei-Capitano Percy Corso keine Spur. Die attraktive neue Gerichtsmedizinerin Marina, die den wackeren Gesetzesmann in einer archaölogischen Grabungssstätte auf einem Menschenopfer-Alter gleich mal vernascht, gibt Percy einen entscheidenden Tipp, der ihn auf die Spur des biederen Universitätsprofessors und Altertums-Experten Pinto bringt. Pinto kann und will die Vorwürfe nicht entkräften und spielt in seiner Gefängniszelle den großen Schweiger. Bürgermeister Don Fausto, dessen Sohn Gino den Job des lokalen Taugenichts und Schürzenjägers übernimmt und von Percy wider besseres Wissen geschützt wird, verlangt ein flottes Geständnis, bevor die Staatsanwaltschaft Wind von der Sache bekommt, eine große Untersuchung anstrengt und Staub aufwirbelt. Doch Percy beißt sich an Pinto die Zähne aus und andere Sorgen plagen ihn auch – die launische Marina schießt erst ihn in den Wind, um umgehend bei Gino einzufädeln. Als Percy dies beobachtet und frustriert zurück ins Revier latscht, entdeckt er dort Pinto erhängt in seiner Zelle. In dem Bewusstsein, für Fausto, Marina, Gino und alle anderen immer nur ein Spielball gewesen zu sein, entscheidet er sich zu einer unerwarteten Tat – er lässt Pintos Leiche verschwinden und posutliert die Mär, der Killer sei geflohen. Nun kann Percy die Dinge in seinem Sinne manipulieren…


Inhalt

Dass auch in Lateinamerika Filme gedreht werden, ist keine neue Erkenntnis (das weiß man spätestens, nachdem man seinen ersten „Santo“-Film gesehen aht). Die seltsamen Wege des internationalen Filmvertriebs führen aber dazu, dass auf dem Weltmarkt zumeist nur das dortige Äquivalent des „Oscar“-Baits angeboten wird, als entweder kulturell wertvolle Kunstfilme oder politische Betrachtungen von höchster Relevanz (vgl. hierzu das vor einiger Zeit besprochene chilenische Drama „Machucha mein Freund“). Ein Film wie „Unter der Haut“ wäre vermutlich auch nie über das große Wasser nach Europa und Deutschland gekommen, wären in seine Produktion nicht auch einige spanische Peseten und solide Deutschmark geflossen – spanische und deutsche Filmförderung (u.a. seitens des 2DF) griffen dem Film finanziell und auch technisch unter die Arme. Soll unser Schaden als Zuschauer ja noch nicht von Haus aus sein.

Regisseur Francisco J. Lombardi ist in seinem Heimatland Peru allem Anschein nach eine recht große Nummer und gilt als „einheimischer Hitchcock“. Nicht das schlechteste Vorbild, verstand sich Hitchcock ungeachtet all seiner künstlerischen Qualitäten als Filmemacher, der sein Publikum in erster Linie unterhalten wollte. Und obwohl sich „Unter der Haut“ auch als freie Bearbeitung des eher schwer verdaulichen Dostojewski-Klassikers „Schuld und Sühne“ versteht, inszeniert Lombardi den Streifen tatsächlich in erster Linie als spannenden Thriller, ohne dabei zu vergessen, auch einige gesellschaftliche Probleme seines Heimatlandes anzupacken – latenten Rassismus gegenüber Indios und Mestizen, das geringe Interesse der Bevölkerung an der jahrtausendealten Kultur ihres Landes und die versuchte und tatsächlich ausgeübte Einflußnahme von politischen Machthabern auf nominell unabhängige Institutionen. Lombardi und seinem Drehbuchautor Augusto Cabada gelingt dabei das Kunststück, diese kritischen Anmerkungen schlüssig in die Thrillerhandlung zu integrieren, sie zu zentralen Bestandteilen der Geschichte zu machen. Daraus folgt, dass „Unter der Haut“ weniger ein spekulativer Serienkillerthriller ist – die Ritualmorde sind zwar der Aufhänger der Story, aber nicht das essentiell wichtige daran; vielmehr sezieren Lombardi und Cabada das Geflecht der gegenseitigen Abhängigkeiten der Kleinstadtgemeinde, dies aber auf spannende Weise.

Formal gestalten sich Script und Film dabei als Charakterstudie aus der Ego-Perspektive des sympathischen, aber mit der Gesamtsituation überforderten Polizeicapitanos Corso, der praktisch in jeder Einstellung zu sehen ist, aus dessen Sichtweise sich also für den Zuschauer das Handlungsgeflecht entfaltet. Eigentlicher Katalysator der Story ist, wie’s im Thrillergenre halt gern so ist, eine geheimnisvolle schöne Frau, die dem bis dahin im Sinne seiner Brötchengeber funktionierenden Polizisten den Kopf verdreht, nicht nur ungeahnten kriminalistischen Scharfsinn in ihm weckt… Durch ihren Tipp ist er für einen Moment lang der Held des Tages, nur auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten von einem alten Indio, dessen Tochter Gino vergewaltigt hat, öffentlich gedemütigt zu werden – dies wiederum führt dazu, dass Marina ihn verlässt und sich – geschmackssicher – gleich von eben diesem Gino besteigen lässt. Das lässt Corso einige Lichter aufgehen und ihn, als sich durch Pintos Selbstmord die Gelegenheit dazu bietet, den Plan fassen, es allen, die ihn mies behandelt haben, heimzuzahlen. Es mag nicht die alleroriginellste Handlungswendung sein, aber es eine, die sich folgerichtig entwickelt, glaubhaft bleibt und dafür sorgt, dass der Film ohne klischeehafte schwarz-weiß-Malerei auskommt. Es gibt keine echten „Guten“ und „Bösen“ – es sind allesamt ambivalente Charaktere, die zwischen der „hellen“ und der „dunklen“ Seite ihrer jeweiligen Seelen pendeln, was der Film recht clever in Verbindung mit den mesoamerikanischen Ureinwohnern bringt – die konnten schließlich auch wundervolle Kunst schaffen, sich gleichzeitig aber grausamen Ritualen hingeben. Die Story jedenfalls hält auch den Genrevielseher durchaus bei Laune.

Filmtechnisch-handwerklich ist „Unter der Haut“ keine stilistische Offenbarung. Lombardi ist zweifellos ein routinierter Handwerker, aber kein künstlerischer Visionär (und das mag auch ganz gut sein). Manchmal verlassen er und sein Kameramann Teo Delgado sich zu sehr auf das Schuss-Gegenschuss-Prinzip, insgesamt ist die Kameraführung unambitioniert, aber solide. Gleiches gilt für den Schnitt. Das Tempo des Films ist, wenn man Hollywood-Thrillerkost gewohnt ist, eher betulich, aber nicht langatmig, vielmehr der staubigen Provinzstadtatmosphäre angepasst. Das Leben ist dort einfach „langsamer“ als in einer hektischen Großstadt, der Film passt sich diesem Ambiente an.

Die FSK-16-Freigabe resultiert schätzungsweise hauptsächlich aus einigen zwar weitgehend bekleideten, dennoch aber eindeutigen Sexszenen. Gorefreunde können sich an einer extrahierten Leber und einigen detaillierten s/w-Fotos abgetrennter Köpfe und einer Einmachglassammlung herausgerissener Augen erfreuen.

Die schauspielerischen Leistungen sind aller Achtung wert. José Luis Ruiz Barahona verkörpert den Percy Corso ideal – er versucht einerseits, die Maske des unerschütterlichen Gesetzeshüters stoisch aufrecht zu erhalten, lässt den Zuschauer aber immer wieder, auch durch dezente Mimik und Gestik, in die hinter der Fassade lauernden Abgründe des im Grunde fragilen Innenlebens der Figur hineinspähen. Ana Risueno als „femme fatale“ Marina gelingt es, die Launenhaftigkeit ihres Charakters mit ihren überfallartigen Sexattacken auf arglose Männer, ihre subtile Erotik, aber auch ihre Empfindlichkeit glaubhaft darzustellen. Diego Bertie gibt den Gino als trotz aller Widerwärtigkeit irgendwie sympathischen Dorfrüpel, Gianfranco Berro als hypernervöser Professor Pinto kann gleichfalls überzeugen.

Bildqualität: Billigheimerlabel MCP legt den Streifen in non-anamorphem 1.66:1-Letterbox vor. Die Bildqualität ist dabei solala, d.h. man kennt, speziell auch von diesem Label, erheblich grottigeres, High-End-DVD-Präsentation ist’s aber natürlich auch nicht. Die Farben sind brauchbar, die Schärfewerte akzeptabel, die Kompression bis auf einen kurzen Aussetzer kurz vor Schluss erträglich. Der verwendete Print ist mit der ein oder anderen abnutzungsbedingten „Verzierung“ versehen, wobei die Defekte sich im Bereich „kaum störend“ bewegen.

Tonqualität: Der einzig mitgelieferte deutsche Stereotrack ist praktikabel – mehr aber auch nicht.

Extras: Drei Trailer aus dem MCP-Programm.

Fazit: „Unter der Haut“ ist ein durchaus ansprechender Thriller, der beweist, dass das lateinamerikanische Kino durchaus auch jenseits des Arthouse-Ghettos sehenswertes und für ein internationales Publikum „kompatibles“ auf die Reihe bekommt, wenn man es denn lässt, bzw. die Werke aus dem dortigen „Mainstream“ auch hierzulande veröffentlicht. Der Film ist eine handwerklich nicht aufregende, aber solide gewerkelte, dafür aber inhaltlich intensive und spannende Charakterstudie, die mich durch ihre geschickte Machart sogar vergessen liess, dass es sich um einen „Rückblendenfilm“ (ein klassisches k.o.-Kriterium in meinem Buch) handelt. Nicht die schlechteste Wahl, wenn man sich mal abseits des „gewöhnlichen“ US-Thrills gepflegt spannend unterhalten will. MCPs DVD-Umsetzung reißt erwartungsgemäß keine Bäume aus, bei Grabbeltischpreisen macht man aber als Käufer auch nicht viel verkehrt.

3,5/5
(c) 2005 Dr. Acula


mm
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