Tomboy

 
  • Deutscher Titel: Tomboy
  • Original-Titel: The Assignment
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  • Regie: Walter Hill
  • Land: Frankreich/Kanada/USA
  • Jahr: 2016
  • Darsteller:

    Michelle Rodriguez (Frank Kitchen), Sigourney Weaver (Dr. Rachel Jane), Anthony LaPaglia (Honest John), Tony Shalhoub (Dr. Ralph Galen), Caitlin Gerard (Johnnie), Darryl Quon (Jin Tao), Ken Kirzinger (Becker), Brent Langdon (Dr. Turley), Caroline Chan (Tin Li), Adrian Hough (Sebastian Jane)


Vorwort

Reden wir doch mal über Walter Hill.

Wer nicht gestern erst vom Baum gefallen ist, der weiß, dass dieser Mann nicht nur für einige der größten Action-Kracher überhaupt verantwortlich ist, sondern mit NUR 48 STUNDEN praktisch eigenhändig das essentielle 80er-Jahre-Genre, die Buddy-Action-Comedy, erfunden hat. Wie gesagt, abgesehen davon, an Eddie Murphys Aufstieg zum Kinostar Nr. 1 weltweit (und das war der Bursche mal) entscheidend mitgewirkt zu haben, ist seine Vita auch so eindrucksvoll genug: THE WARRIORS, STRASSEN IN FLAMMEN, AUSGELÖSCHT, RED HEAT, SOUTHERN COMFORT als Regisseur, dazu noch als Produzent an der ALIEN-Reihe und TALES FROM THE CRYPT (und seinen Filmablegern) beteiligt – der Mann muss weder sich noch dem Publikum noch etwas beweisen, der hat seinen Platz im Walhalla der Actionfilmemacher sicher, und sollte die blood-squib-Industrie jemals Verdienstmedaillen für ein Lebenswerk verleihen, dann ist Hill nach Sam Peckinpah (als dessen legitimen Nachfolger man Hill durchaus sehen kann) ohne Frage einer der ersten in Frage kommenden Empfänger.

Doch auch an einem so hell leuchtenden Stern am Männerkinohimmel geht der Zahn der Zeit nicht spurlos vorüber – seit Mitte der 90er fand auch Hill es zunehemnd schwer, Projekte zu stemmen. Der (m.E. ungerechtfertigte) Flop des Bruce-Willis-Vehikels LAST MAN STANDING half ebenso wenig wie seine Beteiligung an der 2000er-Megabombe SUPERNOVA und die gestrandete TALES-OF-THE-CRYPT-Variante PERVERSIONS OF SCIENCE (was wohl auch am Titel lag, denn darunter erwarten wohl die wenigsten eine launige Horror-Anthologie im EC-Style, aber der eigentlich gewünschte Titel WEIRD SCIENCE scheiterte an der Existenz des gleichnamigen Films [bei uns LISA – DER HELLE WAHNSINN] und der kurzlebigen TV-Serie dazu). Nach dem untergegangenen Boxer-Film UNDISPUTED von 2002 dauerte es bis 2012, bis Hill wieder eine Filmprojekt auf die Beine stellte – der Stallone-Klopper SHOOT OUT – KEINE GNADE ging mit einem 55-Mio-Dollar-Budget an den Kinokassen ordentlich baden (auch wieder, meiner bescheidenen Meinung nach, nicht wirklich zu Recht), und Hill stand wieder als Box-Office-Gift da.

Die ersten Ankündigungen und Informationen über TOMBOY (oder THE ASSIGNMENT, wie er in den USA heißt) stimmten nicht unbedingt positiver – mit der Geschichte um einen gegen seinen Willen geschlechtsumgewandelten Profikiller konnte man im heutigen gesellschaftlichen Klima, wo professionell Beleidigte jede Art von Entertainment auf Xeno-, Homo- oder Transphobie, real oder eingebildet, abklopfen, mit Anlauf gegen eine Wand fahren. Am Ende blieb ein großer Skandal (den TOMBOY womöglich aus kommerzieller Sicht gut hätte brauchen können) aber aus, denn es wurde nun mal kein großer Hollywoodfilm, sondern eine kanadische Low-Budget-Produktion mit einem kümmerlichen 5-Mio-Etat, dazu geeignet, unter jedem Radar, sei es bei den Eternally Offended, aber auch bei den Freunden großkalibrigen Actionkinos, glatt durchzufliegen, ohne sich nur eine Locke zu prellen.

Aber was treibt jemanden wie Walter Hill, jemanden, von dem man glaubt, er würde täglich in Moschus baden, sich ausschließlich von rohen Steaks ernähren und durch die bloßen Testosteronausdünstungen jede Frau im Umkreis von 100 Meilen schwängern, dazu, einen Actionfilm mit einer Transperson (ob freiwillig oder nicht…) im Mittelpunkt zu drehen? Ist das ein Kommentar auf das angesprochene gesellschaftliche Klima, eine politische Botschaft? Glaubt’s oder nicht – TOMBOY ist ein „passion project“ Hills, mit dem er schon seit Mitte der 70er und damit dem Beginn seiner Regiekarriere schwanger geht. Okay, Wes Craven wollte unbedingt einen Film über eine Violinistin drehen, Walter Hill einen über einen Trans-Killer… wir müssen damit leben, dass unsere Helden stille Wasser und daher manchmal ungeahnt tief sind… Aber es überrascht mich natürlich nicht, dass ein Projekt wie dieses in den Zeiten, in denen Hill ein Big Name war, der bei den großen Studios ein- und ausging, unmöglich zu realisieren war. Es gibt Stoffe, die MACHEN Universal, Paramount, Warner & Fox einfach nicht. Vielleicht musste Hill daher tief genug sinken, um sein Herz- und Seelen-Projekt als kleinen Independent-Film realisieren zu können…


Inhalt

Nach einem kurzen voiceover-Intro unseres zukünftigen Hauptcharakters finden wir uns an einem unerwarteten Ort wieder – einer Institution zur Verwahrung mental herausgeforderter Elemente. Dr. Ralph Galen (Tony Shalhoub, MONK, MEN IN BLACK, GALAXY QUEST) hat eine undankbare Aufgabe, er darf eine der Patientinnen untersuchen – Dr. Rachel Jane (Sigourney Weaver, und wenn ich Euch erzählen muss, wo die sonst noch so mitgespielt hat, bitte ich Euch, diese Seite jetzt zu verlassen und nie wiederzukommen), chronisch verdächtig des multiplen Mordes. Dr. Jane ist eine brillante Chirurgin, aber auch voll und ganz „disgraced“ und von der medizinischen Gemeinschaft ausgestoßen. Mangels einer ordentlichen Lizenz zum Herumschnippeln betrieb sie eine geheime Untergrund-Klinik, um dort denen zu helfen, die sich die exorbitanten Rechnungen im voll und ganz funktionsfähigen US-Healthcare-System nicht leisten können (und zwischen den Zeilen ist leicht zu lesen, dass auch die gemeint sind, die aus eher, eh, juristisch-legalen Gründen nicht die Dienstleistungen eines herkömmlichen Emergency Rooms in Anspruch nehmen können). Das wäre nun normalerweise nichts, weswegen man jemanden in eine Irrenanstalt sperrt und den Schlüssel wegwirft, aber Dr. Jane wurde eines schönen Tages mit einer Kugel in der Brust auf ihrem eigenen OP-Tisch liegend gefunden, ihre Leibwächter (Darryl Quon, JIM KNOPF UND LUKAS, DER LOKOMOTIVFÜHRER, iZOMBIE und Bill Croft, ARROW, KILLER WAVE) und ihr Krankenbruder Arthur Becker (Ken Kirzinger, JOY RIDE 3, THE BLACKBURN ASYLUM, CAPTAIN ZOOM) ziemlich erschossen ringsherum. Der allgemeine Konsens ist, dass der kriminelle Haufen sich gegenseitig über den selbigen geschossen hat, aber bei den Prozessvorbereitungen wurde entschieden, dass Dr. Jane „unfit for trial“ ist und demzufolge in der Loony Bin verklappt wird, bis regelmäßige Evaluierungen ergeben haben, dass die Tante vor ein ordentliches Gericht gestellt werden kann. Die Doktöse hält sich für absolut prozesstauglich – warum also der Terz? Weil sie darauf besteht, dass der Leichenberg in ihrer Untergrund-Klinik von einem Profikiller namens Frank Kitchen aufgetürmt wurde. Und das wiederum halten die Behörden für höheren Blödsinn der absoluten Bullshit-Schule.

Galen hat nun, wie gesagt, den Job, den Fall noch mal im Einzelgespräch mit der irren Doktorin aufdröseln, und das von Adam und Eva an. Dr. Jane ist zwar in eine Zwangsjacke gepackt, ansonsten aber kooperativ und redselig. Alles begann, so erinnert sich Jane, vor 33 Monaten… (FLASHBACK MOVIE ALARM – FLASHBACK MOVIE ALARM).

Dr. Jane hat bzw. hatte einen missratenen Bruder – Sebastian (Adrian Hough, X-MEN: DER LETZTE WIDERSTAND, THE FOG – NEBEL DES GRAUENS), ein Freund der bildende Kunst und der durch die Nase ziehbaren Drogen, Reihenfolge variabel. Als solcher hat Sebastian eine nicht unerhebliche Kreditsumme bei einem Mafia-Kredithai aufgenommen, aber sowohl den ersten als auch den letzten, allerletzten und ALLER-ALLER-ALLERLETZTEN Rückzahlungstermin deutlich überzogen. Mafia-Kredithaie finden es im Allgemeinen uncool, wenn man sie so übers Ohr zu hauen versucht, und deswegen hat dieser einen Killer auf Sebastian angesetzt- Frank Kitchen (Michelle Rodriguez, RESIDENT EVIL, LOST, BLOOD RAYNE, AVATAR – AUFBRUCH NACH PANDORA, FAST & FURIOUS, und jungejunge, ist sie mit dem falschen Vollbart eine Karikatur von Conchita Wurst), und der ist einer von der Sorte, der nicht daneben schießt. Abgang Sebastian Jane.

Ein paar Monate später bekommt Kitchen einen neuen Auftrag – Auftraggeber ist der Mobboss von San Francisco mit dem, wie Jane erklärt, völlig unzutreffenden Namen Honest John (Anthony LaPaglia, WITHOUT A TRACE, EMPIRE RECORDS, BLOODY MARIE – EINE FRAU MIT BISS). Kitchen hat gerade in sein Billig-Hotel unter chinesischer Fuchtel eingecheckt, da besucht ihn Honest John auch schon und teilt ihm eine kleine Planänderung mit. Die Zielperson ist für ein paar Tage nach Las Vegas verreist, und Honest John hat mit den dortigen Mob-Kollegen das Arrangement, auf deren Turf keinen Ärger zu verursachen. Kitchen bekommt seine übliche Anzahlung und ein paar Tage Urlaub, und wenn die Zielperson aus Vegas wieder zurück ist, darf er sie auch umlegen. Kitchen hat damit keine moralischen Probleme, versteckt die Kohle in der Lüftungsanlage und geht daran, zum Zeitvertreib ein fickbares Weibsstück aufzutreiben. In der heißen Blondine Johnnie (Caitlin Gerard, AMERICAN CRIME, INSIDIOUS: THE LAST KEY, THE LAST SHIP), die er in einem Diner aufgabelt, wird er auch fündig. Die heiße Liebesnacht führt offensichtlich beidseitig zur gewünschten Befriedigung – Frank führt uns nicht nur stolz seinen Schwanz vor, sondern bekommt auch noch Johnnies Telefonnummer, falls eine oder beide der Parteien das Bedürfnis verspüren, aus dem one-night-stand einen multiple-night-stand zu machen.

Dann bekommt Frank wieder Besuch von Honest John und seinen Gorillas, und wieder gibt’s eine Planänderung, und dieses Mal wird sie Frank nicht sehr gefallen. Nach „Neuverhandlungen“ ist Honest John nämlich zu der Erkenntnis gekommen, dass es für ihn profitabler ist, Frank an einen unbekannten Dritten auszuliefern, der mit dem Killer noch ein bis zwei Geflügeltiere zu rupfen hat. Frank setzt sich zur Wehr, ist aber halt doch im Vergleich zu den mobilen Kleiderschränken, die Honest John mitgebracht hat, ein eher zierliches Persönchen und wird überwältigt.

Mit ein paar schemenhaften Erinnerungen an einen OP-Saal und die über die Visage gestülpte Anästhesiemaske kommt Frank in einem Hotelzimmer wieder zu sich, das noch drei bis fünf Klassen unter dem Level seiner bisherigen Absteige angesiedelt ist – die Sorte von Hotel, die einen stark drüber nachdenken lässt, ob ein gemütlicher Karton auf der Straße nicht eine luxuriösere (und freiere an sechsbeinigen Haustieren) Unterkunft darstellt. Das ist aber noch nicht mal sein Hauptproblem – der Ganzkörpermumienverband schon eher. Frank wickelt sich als sein eigenes Weihnachtsgeschenk aus und staunt Bauklötze – aus dem Spiegel starrt ihn ein betont bartfreies und weibliches Gesicht an. Die Erkundung seines Körpers weiter südwärts macht ihn nicht glücklicher – anstatt behaarter Männerbrust verfügt er jetzt über ganz hübsche Titten und da, wo vor kurzem noch ein stolzes Gemächt hing, befindet sich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes ein Loch. Dude looks nicht nur like, sondern is a lady! Schreck!

Der neue, verbesserte Frank reagiert ungehalten. Die Zertrümmerung des eh schon modrigen Mobiliars ruft den Hotelmanager (John Callander, FIFTY SHADES OF GREY: GEFÄHRLICHE LIEBE), der seinem Etablissement an abgegriffener Schmierigkeit in Nichts nachsteht, auf den Plan. Sein Gast möge sich doch bitte nicht so aufführen – immerhin ist das Zimmer erst mal von den Leuten, die ihn/sie hier abgeliefert haben, bezahlt. Dieweil sich der Manager wohl überlegt, ob es sich lohnt, die Dame anzubaggern, aber aktuell davon absieht, weil sie offensichtlich grad ihre Tage o.ä. hat, und wieder abdampft, findet Frank im Nachtkästchen zwei Pillendosen und ein Diktiergerät. Letzteres beinhaltet eine Nachricht von Dr. Jane (unbekannterweise), die sich in der Aufzeichnung „The Doctor“ nennt (DAS wüsste ich aber!) und freundlich erklärt, dass sie für Franks neuen Zustand verantwortlich ist und er sich besser dran gewöhnt. Wenn sich Frank fragen sollte, warum ihm/ihr dies garstige Schicksal widerfahren ist, so findet er in einer im Zimmer deponierten Handtasche ein Foto. Selbiges zeigt, wie wir uns schon gedacht haben, Sebastian. Es handelt sich also um einen Racheakt, aber auch, wie die Doktorin Frank zu vermitteln versucht, um eine Chance – jetzt hat Frank eine Gelegenheit, im neuen Körper mit neuer Identität seinem bisherigen Leben der Kriminalität, Gewalt und des Tötens abzuschwören und sich ein neues Leben aufzubauen, „Erlösung“ zu finden. Und, ja, eh, die Pillen sind Hormonpräparate, die er/sie mutmaßlich bis an sein Lebensende einnehmen muss. Irgendwas ist immer.

In der Gegenwart gibt Jane zu, dass es sich bei der Aktion auch um ein Experiment gehandelt habe. Frank war bislang ein Paradebeispiel für männlichen Machismo, Gewaltgeilheit und allgemein dem, was wir jetzt toxic masculinity nennen, und wenn die Theorie, dass das Geschlecht auch zu einem gewissen Teil die Persönlichkeit eines Menschen bestimmt, dann sollte die neue weibliche Frank jetzt ein deutlich friedfertigeres Wesen werden. Theorie, Schmeorie. Inzwischen hat Jane Dr. Galen immerhin die Erleichterung herausgekitzelt, dass die Armverknotung ihrer Zwangsjacke gelöst wird. Damit kann sie wenigstens mal in den Akten blättern, die Galen ihr vorlegt.

Zurück in die Vergangenheit. Frank latscht halbnackt im verdreckten Bademantel, den Jane ihr gegönnt hat, zu einem Schnapsladen und kontempliert dann bei einem Liter Fusel oder zwei ihre Möglichkeiten. Eine fällt jedenfalls glatt aus: sich mit der Situation abfinden. Nein, das alles schreit nach blutiger Rache, nur müsste man dazu erst mal wissen, an wem. Und außerdem reicht das bisschen Taschengeld, dass Jane ihr gelassen hat, für größere Rachepläne eh nicht aus. Frank beschließt daher, die Hotelkasse zu erleichtern, wird aber dabei vom Manager ertappt. Allerdings hat der in seinem Verschlag auch einen Baseballschläger stehen und kann aus erster Hand beurteilen, dass momentan Frank noch absolut auf die übertriebene Anwendung unangebrachter Gewalt steht. Der Manager wird zu Klump geschlagen und Frank hat jetzt erst mal ein bisschen Kohle.

Es wird noch ein bisschen mehr, als Frank erfreut feststellt, dass sein ursprüngliches Hotelzimmer zwar – zur überschaubaren Begeisterung der chinesischen Inhaber – verwüstet wurde, das Geldversteck im Lüftungsschacht aber unangetastet blieb. Damit hat er jetzt zumindest eine solide finanzielle Ausgangsbasis für weitere Aktivitäten. Aber erst mal braucht er einen Unterschlupf – die beiden Hotels fallen aus naheliegenden Gründen aus, also wendet sich Frank telefonisch an Johnnie und macht ein Date aus. Die, Krankenschwester von Beruf, wird von ihm zumindest vorgewarnt, dass er jetzt „ein bisschen anderes“ aussieht, und, Respekt an Johnnie, das Mädchen hält sich 1A, als sie die neue weibliche Frank von Angesicht zu Angesicht sieht. Sie lässt sich sogar auf Franks Vorschlag ein, ihn erst mal, bis sich irgendetwas anderes ergeben hat, bei ihr einziehen zu lassen. Hollaho. Normal ist das nicht.

Die Suche nach dem edlen Spender der Geschlechtsumwandlung führt natürlich nur über Honest John, das ist klar. Allerdings ist Frank nicht naiv genug, einfach in dessen Stube zu spazieren und ihm eine Knarre an den Schädel zu halten, es muss schon eine größer angelegte Aktion sein. Über seinen Vertrauensanwalt in Miami lässt Frank sich eine Liste von Johns Lieutenants zuschicken, und die arbeitet er dann auch ab. Egal, ob man für Honest John die Zuhälter an der Kandare hält, Drogenlieferungen ausliefert oder Johns Hundekampfring mit scharf gemachten Tölen versorgt, man ist fällig. Und bei aller Weiblichkeit hat Frank das Zielen nicht verlernt. Dem Hundequäler klaut Frank nicht nur das Leben, sondern auch eine scharfe Bulldogge namens Pancho – wie sich schnell herausstellt, ist der Wuff trotz allem Leid, das er in der Kampfarena erlebt hat, im Tiefsten seines Hundeherzens auch nur ein Knuddelbär auf der Suche nach Liebe und ist schon bald der Star im kombinierten Johnnie/Frank-Haushalt. Wo man sich auch anderweitig näher kommt… ich meine, Gleichgeschlechtlichkeit ist ja, wie wir wissen, nicht per se ein Hinderungsgrund für körperliche Intimitäten. Für Frank ist das natürlich eine gehörige Umstellung, aber ich hab das Gefühl, Johnnie wird schon wissen, wie frau es frau besorgen kann. Oder auch nicht.

Denn am nächsten Tag wird Frank in einer Klinik vorstellig und beansprucht eine Audienz bei einem Chirurgen. Das Problem ist nämlich, dass Frank unbefriedigt geblieben ist und das ist, nunja, unbefriedigend. Der Weißkittel Dr. Lin (Terry Chen, JESSICA JONES, THE EXPANSE, ALMOST FAMOUS) ist einigermaßen verwirrt bis bestürzt – Geschlechtsumwandlungen gibt’s nicht im Supermarkt und insbesondere nicht ohne umfassende psychotherapeutische Begleitung. Frank lässt sich schnell eine Geschichte einfallen, wonach er die Klinik „in Colorado“ beherzt angeschwindelt habe, um schnell an die Operation zu kommen, macht nun aber second thoughts geltend. Hinsichtlich fehlender Orgasmen kann Lin Frank beruhigen – das dauert ein wenig, aber es kommt wieder (badumm-tss). Franks zweite Frage, ob sich die OP möglicherweise vielleicht eventuell rückgängig machen lässt, muss der Doktor dagegen abschlägig bescheiden. Das hat die moderne Medizin dann doch noch nicht drauf. Ob Frankiegirl nun will oder nicht, sie muss sehen, wie sie mit ihren weiblichen Geschlechtsorganen zurechtkommt. Oder auch nicht.

In der Gegenwart hat Ralph Galen die Faxen von Janes Fantasiegeschichten dicke. Es gibt keinen Frank Kitchen, hat’s nie gegeben, wird’s auch nicht geben. Keine Datenbank der Welt hat irgendwelche Angaben über einen unter diesem Namen operierenden Hitman. Galens Diagnose – Jane hat sich dieses Konstrukt nur aufgebaut, um ihre eigenen Schuldgefühle elegant vergraben zu können. Jane, bis dahin die Ruhe selbst, da stets vom Podest ihres Überlegenheitskomplexes aus auf „lesser minds“ wie Galen herabsehend, kann sich jetzt nicht mehr beherrschen und greift ihren Interviewer verbal und, soweit das in einer Zwangsjacke möglich ist, auch physisch an. Das war’s dann. Ende Gelände. Wenn’s nach Galen geht, kann Jane in der Klapsmühle verrotten und von Frank Kitchen träumen, bis sie schwarz wird.

Back in the past sieht Frank die Zeit für seinen Angriff auf Honest John und sein Hauptquartier gekommen, auf das Überraschungsmoment, den Gangsterboss auf seinem eigenen Terrain zu stellen, zählend. Johns Bodyguards sind dann auch keine Gegner für den Präzisionsschützen und ehe Honest John sich versieht, ist er im Keller seines eigenen HQ an einen Stuhl gefesselt und kuckt in die Läufe von Franks zwei 45ern. Zu Franks Überraschung muss er aber gar nicht die grobe Kelle auspacken, Honest John hat heute seinen leut- und redseligen Tag und quatscht nur zu gerne. Man bzw. Frank muss nämlich wissen, für John war die Auslieferung Franks die Verbindung des Angenehmen mit dem Nützlichen, denn, was Frank nicht ahnen konnte, der Mobster hatte durchaus auch ein persönliches Motiv – vor einiger Zeit hat Frank nämlich einen Cousin Johns in Vegas um die Ecke gebracht. Das würde Frank insoweit nicht weiter persönlich und krumm nehmen, ist er doch mit dem Rest der Welt ziemlich einig, dass jener Cousin ein Volltrottel war und die Welt durch den Verlust nicht ärmer geworden ist, andererseits wird und bleibt man kaum Boss einer Gangsterorganisation, wenn man derlei Schelmerantentum auf Kosten der eigenen Familie einfach auf sich beruhen lässt. Deswegen bereitete es John keinen moralischen Verdruss, Frank mit einem gefakten Mordauftrag nach San Francisco zu lotsen und dann Dr. Jane auszuliefern – alles verlief genau nach Plan. Und zwar ALLES. Und wenn Frank sich nun fragt, was das zu bedeuten hat, dann soll er doch bitte mal seine neue beste Freundin bezahlen.

Frank ist schockiert – aber es stimmt. Johnnie gehörte von Anfang an zur Operation – als Krankenschwester versorgt sie seit langer Zeit Jane mit so viel Medikamenten, wie man als Krankenschwester in einem Krankenhaus unterschlagen kann ohne aufzufallen, schon das erste Date im Diner war von Jane arrangiert und seitdem nutzt die Psycho-Ärztin Johnnie als Mittel, um Franks Bewegungen und Aktionen zu verfolgen. Dass Honest John sich unter diesen Laborbedingungen hat gefallen lassen, dass Frank ihm alle möglichen Unterbosse und Zuträger wegballert, ist zwar einigermaßen erstaunlich, aber vielleicht wird ihm das ja angemessen vergütet. Frank exekutiert John aus purem Prinzip und stellt daheim Johnnie zur Rede. Die kann nicht verleugnen, dass Johns Anschuldigungen voll und ganz der Wahrheit entsprechen. Frank überlegt ernstlich, auch Johnnies Gehirn dekorativ an einer Wand zu verteilen, aber offensichtlich hegt er doch gewisse echte Gefühle für die Frau, mit der er zum ersten Mal in seinem Leben so etwas Ähnliches wie eine echte, auf gegenseitiger Zuneigung basierende Beziehung geführt hat. Anstatt sie zu töten schickt er sie zu Bekannten nach Reno, weil er ihre Wohnung erst mal noch ein Weilchen brauchen wird. Sollte sie nach ein paar Wochen nichts von ihm gehört haben, kann sie zurückkehren, dann ist die Sache so oder so gelaufen.

Galen wird zu Dr. Jane gerufen – die entschuldigt sich für ihren Ausbruch und stellt den Antrag, eine formale Aussage vor einem Vertreter der Staatsanwaltschaft machen zu wollen. Sie will ein umfassendes Geständnis abliefern. Wenn die Dame es so will, dann soll es auch so sein. Nur ist die Aussage, die Galen und die Ankläger sich anhören dürfen, nicht von der Gestalt wie erhofft. Jane gesteht mitnichten die Morde an ihren Praxispartnern, sondern ausschließlich die illegale und für den Patienten ausgesprochen unfreiwillige Operation an Frank Kitchen und ihr diesbezügliches soziales Experiment, durch die Geschlechtsumwandlung Franks Persönlichkeit zu verändern. Da dies augenscheinlich ein totaler Schuss in den Ofen war, gesteht sie außerdem noch das Verbrechen der Hybris, geglaubt zu haben, sie könne die gewalttätige Natur von Franks Psyche durch die OP ändern. Damit ist den Anklagevertretern nur endgültig klar, dass Frau Doktor schwer was an der Waffel hat und Galen resigniert still und leise vor sich hin.

Frank gibt seinen Hund in Pflege und macht sich auf zu Janes von Honest John ausgeplaudertem Versteck. Zum ersten Mal versucht Frank, seine neuen femininen Willys einzusetzen, brezelt sich nuttig auf und tackert sich eine blonde Perücke auf die Rübe. Gute Tarnung, möchte man meinen, aber Jane und in diesem Fall speziell ihre Nurse und die Bodyguards sind vorbereitet – man hat Frank erwartet und wieder ist sie in der direkten Auseinandersetzung gegen zweieinhalb Muskelberge deutlich überlegen. Becker kann ihr eine Betäubungsspritze vorbereiten und als sie wieder zu sich kommt, hockt sie in einem sprichwörtlich leeren Raum und ist bezwangsjackt. Jane besucht die Gefangene und ist persönlich-menschlich schwer enttäuscht, dass Frank die ihr eingeräumte zweite Chance so achtlos weggeworfen hat. Das schreit aus Janes verschrobener Medizinersicht nach NOCH drastischeren Maßnahmen. Eine zweite Operation muss her, und mit der will Jane Franks rechten und damit Schussarm vom Rest der Killerbraut subtrahieren. Wenn sie dann immer noch gewalttätig und killfreudig ist, nun, dann hilft höchstwahrscheinlich gar nichts mehr.

Die ihr gewährte Galgenfrist nutzt Frank, um sich auf die große Abschlussschlacht vorzubereiten. Als Janes Gorillas sie zur OP abholen, gelingt es ihr, einem die Knarre abzunehmen und die Thugs in die nächste Welt zu befördern. Becker, bewaffnet mit Franks 45er, versucht sich der Mordlust Franks zu entziehen und aus einem Kabuff mit gespreizten Spritzen auf sie loszugehen, wird aber ebenfalls getötet. Frank dringt in den OP-Raum vor, wo Jane sie erwartet. Jane ist immer noch siegessicher, hat Frank doch augenscheinlich ihre Munition mit dem Zerballern von Janes OP-Ausrüstung verschwendet. Doch Frank hatte vorgesorgt – und im Absatz ihres Schuhs eine Reservepatrone versteckt. Genüsslich lädt sie nach und jagt die letzte Kugel dann Jane in die Brust. Dann schweift sein Blick vielsagend über die säuberlich aufgereihten OP-Instrumente…

Großmütig ruft Frank einen Krankenwagen für die Angeschossene und beginnt, ganz wie Jane es eigentlich geplant hatte, nun ein neues Leben mit Hund, aber ohne Johnnie, die, wie Franks Voiceover erklärt, in Reno geblieben ist.

In der Gegenwart verabschiedet sich Galen von der wieder in ihrer Zelle Shakespeare & Co. lesenden Jane, was die nutzt, sich ihm gegenüber abschließend zu erklären. Sie hat sich damit abgefunden, dass niemand ihr die Geschichte abkauft, und sie den Rest ihres Lebens in der Klapse verbringen wird. Sie bestand auf der formalen Anhörung, damit es eine offizielle Aufzeichnung der Wahrheit gibt. Ob sie jemand glaubt oder nicht, ist ihr jetzt auch schon egal, aber es war ihr wichtig, dass ihre Version „on the record“ ist. Galen und Jane scheiden nicht gerade als Freunde, aber mit besserem gegenseitigem Verständnis.

Etwas später ist Badezeit in der Irrenanstalt – auch Jane darf sich in einer Badewanne suhlen. Doch zum ersten Mal sehen wir ihre Hände – und erkennen, dass ihr sämtliche Finger außer den Daumen fehlen. Da ist jemand auf Nummer Sicher gegangen, dass Dr. Jane niemals mehr jemanden operiert…

Keine Frage. Mit Hills großen Action-Klassikern von Ende der 70er bis, na, sagen wir Anfang der 90er, hat TOMBOY nicht viel am Hut. Logisch, es ist eine introspektivere Geschichte als NUR 48 STUNDEN oder STRASSEN IN FLAMMEN, und selbst wenn Hill eine großformatigere Interpretation der Story im Sinn hat, so ist es auch klar, dass mit dem schmalen kanadischen Budget keine großen Sprünge zu machen waren. Es beißt die Maus keinen Faden ab- wie ein Walter-Hill-Film, wie ihn der geneigte Fan sich vorstellt, sieht TOMBOY keine Sekunde lang aus.

Aber bevor ich mich gewissen technischen Aspekten widme, ist es an dieser Stelle wie immer erst mal Zeit für einen Blick aufs Drehbuch. Und dazu ist mein erster Gedanke – dafür, dass TOMBOY über vier Dekaden hinweg das Projekt war, das Hill am Herzen lag, frage ich mich am Ende, was zum Geier wollte der Mann uns damit sagen? TOMBOY hat nicht wirklich eine Aussage, eine Botschaft, abgesehen von „Leute gegen ihren Willen von Männlein zu Weiblein zu operieren, ist eher schlecht fürs Karma“. Und irgendwie glaube ich nicht, dass das der Punkt war, weswegen Hill den Film unbedingt machen wollte. Klar, es ist ein kurioser Gimmick-Film, aber auch da – wenn Hill nur einen Ballerfilm mit einem kruden Gimmick machen wollte, kann ich mir nicht vorstellen, dass er das Projekt praktisch über seine gesamte Regie- und Produzentenkarriere hin als „passion project“ mitschleppte. Irgendwas muss mir da entgehen – in solchen Fällen wünsche ich mir dann doch einen Audiokommentar, in dem der Regisseur seine tieferen Beweggründe darstellt. Denn es muss ja da irgendeine Motivation im Raum stehen, ein Anlass, ein Ansatz, der Hill so faszinierte, um so lange an der Geschichte festzuhalten. Wie dem auch sei – ein tiefschürfendes Statement zu Transsexualität, Geschlechtsumwandlung und den psychologischen Begleitumständen liegt TOMBOY in seiner fertigen Form fern.

Das liegt womöglich auch daran, dass TOMBOY sich nicht recht einig ist, wessen Geschichte er nun wirklich erzählen will. Es läge freilich nahe, dass TOMBOY die Story von Frank Kitchen ist, und wir einen Einblick darin bekommen, welche trials and tribulations jemand erdulden muss, dem gegen seinen Willen das Geschlecht gewechselt wurde. Aber TOMBOY bleibt in dieser Hinsicht sehr substanzlos – Frank regt sich fünf Minuten lang über seinen/ihren neuen Körper auf und, selbst wenn er den Geschlechtswechsel sicher nicht akzeptiert, belastet er ihn/sie nicht sonderlich. Gut, es ist diskutabel, dass Frank die psychischen Probleme im Zusammenhang mit seiner neuen geschlechtlichen Identität erst mal auf die Seite schiebt, damit sie seinen Racheplänen nicht in den Weg kommen, aber dennoch steckt Frank diesen wohl gravierendsten möglichen Eingriff in seine Identität ziemlich locker weg. Als er dann tatsächlich einen Arzt aufsucht, um sich ansatzweise beraten zu lassen, ist das weniger dem Umstand geschuldet, dass sich seine Psyche nun bockig zeigt, sondern liegt in der simplen Tatsache begründet, dass er beim Lesben-Sex mit Johnnie nicht gekommen ist – was erstens eine logische Folge der OP ist, zweitens nicht speziell ein Problem zu sein scheint, das Frank in einem emotional tieferen Sinn beschäftigt, sondern drittens gekränkter Macho-Ehre geschuldet wirkt. Frank war zuvor ein 1A-Steher und –Stecher, hatte mit seiner Potenz nie Schwierigkeiten und ist nun erstmals selbst unbefriedigt geblieben. *Daran* kaut Frank, nicht an den direkten Implikationen des Sexchanges. Immerhin- TOMBOY nutzt diese Episode für einen kleinen Ausflug in die Realität, indem er zumindest kurz darauf verweist, dass im Regelfall Geschlechtsanpassungen nicht nach Lust und Laune des Patienten vorgenommen werden, sondern nur nach einer erwiesenermaßen längeren, nachweisbaren Phase der psychischen Belastung durch das falsche Geschlecht und auch dann nur unter stetiger psychotherapeutischer Begleitung. Ansonsten ist der Umgang mit der Thematik pure Fantasy – ich hoffe niemand, der sich mit dem Gedanken einer Geschlechtsanpassung trägt, kommt nach TOMBOY auf die Idee, er könnte nach der Operation wie hier im Film den heißen Feger spielen (ja, natürlich weist Jane darauf hin, dass sie umfassende plastische Verbesserungen an Franks Körper vorgenommen hat, aber das gehört normalerweise nicht zum serienmäßigen Umfang einer Geschlechtsanpassung. Wer vorher aussieht wie der Glöckner von Notre Dame, wird das auch im Großen und Ganzen nachher tun, nur halt mit Möpsen und ohne Penis). Einigermaßen übel kann man dem Film dann noch die zumindest implizierte Bestätigung von Janes Theorie, das Geschlecht (und zwar das reale, anatomische) würde die Persönlichkeit bestimmen, wenn es Frank am Ende in ein neues, friedliches Leben zu entlassen scheint.

Was mich dazu bringt, dass TOMBOY eben, wenn man’s genau nimmt, Franks Geschichte vielleicht mehr screen time und die kinematische Action einräumt, psychologisch allerdings stärker Dr. Rachel Janes Geschichte ist. Es ist ihr fehlgeleiteter Überlegenheitskomplex, der sie glauben lässt, sich über jegliche Ethik und Moral hinwegsetzen zu können, und ihre Frankenstein-artige Hybris, an einem unwilligen lebenden Objekt ein sowohl biologisch-medizinisches als auch sozial-psychologisches Experiment vorzunehmen, dass alle Ereignisse in Gang setzt und in Bewegung hält, und die psychologisch deutlich besser fundiert wirkt als Franks nonchalanter Umgang mit seinem neuen Geschlecht. Ob das so beabsichtigt ist, ist die Frage, vielleicht ist es auch eine Frage schierer schauspielerischer Wucht. Natürlich ist, bei aller Sympathie für Michelle Rodriguez, Sigourney Weaver eine deutlich bessere Schauspielerin mit wesentlich größerer Range, und es ist in der Tat hochgradig beeindruckend, was Weaver aus einer Rolle, in der sie praktisch nur in Zwangsjacke auf einem Stuhl sitzt, per simplem Willen zur Überzeugungskraft herauszuholen vermag. Michelle Rodriguez mag nominell die Hauptrolle spielen, aber es ist Weavers Film (natürlich hat sie mit Tony Shalhoub auch einen exzellenten Stichwortgeber, aber seien wir ehrlich – *mehr* ist Monk in diesem Film auch nicht). Und es ist schon nicht unwahrscheinlich, dass dieses… Missverhältnis den Film in seiner, hüstel, Aussage neutralisiert und die Gewichtung zwischen den parallel erzählten Handlungssträngen nicht von der Screentime, aber einfach von der Wirkung her verschiebt. Aber vielleicht liegt’s auch einfach an Hills Co-Writer Denis Hamill, dessen bekannteste Drehbuchbeteiligungen, das ziemlich unlustige Richard-Pryor-Vehikel CRITICAL CONDITION und die Dramödie TURK-182 (mit dem Trailer wurde man damals ™ auf praktisch jeder CBS/FOX-Leihkassette behelligt), nicht gerade als Granaten gelten. Oder vielleicht muss man tatsächlich die Graphic Novel lesen, die Walter Hill mit den Comicautoren Matz und Jef vor- oder nachgeschoben hat (und die amazon.de lustigerweise unter der Kategorie „Geschenkbücher für Frauen“ führt…).

Wenn wir zum filmischen Handwerk kommen, müssen wir feststellen, dass Walter Hills Handschrift sich nicht wirklich deutlich zeigt. Zum einen laboriert TOMBOY natürlich an seinem sehr niedrigen Budget, das Hill nicht erlaubt, dem Film echten kinematischen Scope zu geben. Wir haben uns womöglich daran gewöhnt, dass Vancouver einen brauchbaren Ersatz für New York abgibt, aber als San-Francisco-Double ist die kanadische Metropole untauglich, und das war Hill sicher auch bewusst; der Film macht sich für meinen Geschmack bewusst „klein“, vermeidet Panoramen und Totalen, bleibt nah an den Figuren und wird dadurch zwangsläufig etwas klaustrophobisch; es ist nicht das Allerschlimmste, was einem Film, der streng genommen ein sehr intimes Thema hat, passieren kann, aber manchmal würde man sich wünschen, TOMBOY bekäme etwas Luft zum Atmen, auch mal die Gelegenheit für ein richtiges set piece, in dem Hill seine Stärken in der Action-Choreographie ausspielen könnte.

So sind die Actionszenen „nur“ Gewaltspitzen, und ihre Konzeption, wonach Frank ein überlegener Killer ist, erlauben auch keine echten Shoot-outs; viele der Aktionen Franks werden auch nur als kurze Flashback-Sequenzen geschildert, ohne eigene Dramaturgie, ohne Spannungsaufbau. Frank kommt an Punkt X, erlegt Gegner Y, Schnitt. Da kommt nicht wirklich die Wirkung eines „Gewaltballets“ auf – einzig der Quasi-Showdown in Janes Klinik entwickelt sich praktisch direkt aus der Handlung und kann, da Frank hier mit vier Gegnern nacheinander abrechnen muss, ein bisschen Dynamik entfalten.

Der elektronische-ambientartige Score ist nicht von schlechten Eltern – neben den incidentals von Raney Shockne (KEVIN CAN WAIT, ANGER MANAGEMENT) greift hier niemand geringeres als die Südtiroler Disco-Legende Giorgio Moroder in die Tasten und steuert die Character-Themes bei. Not bad, meine Herren, not bad.

Gilt, wie schon angedeutet, auch fürs Acting. Zu Sigourney Weaver hab ich mich schon ausgelassen – ihre Performance ist faszinierend. Michelle Rodriguez kann da beim besten Willen nicht mithalten, so viele Sympathiepunkte man vergeben möchte, ihre Range beginnt und endet halt mehr oder weniger bei „badass latina chick“, und wenn man das zur Perfektion entwickelt hat, ist das ja auch schon ein Punkt. Die Rolle verlangt von ihr Unmengen von Nudity auf zumeist nicht-sexualisierte Art. Das sind die Rollen, die Kritiker dann gern mal als „mutig“ bezeichnen.

Die Nebenrollen sind durchaus gut besetzt – Anthony LaPaglia ist als Mafiosi eine sichere Bank, Caitlin Gerard macht sich als Johnnie ebenfalls gut und auch wenn Tony Shalhoub nicht mehr zu tun hat, als Sigourney Weaver die Bälle zuzuspielen, macht er das auf sympathische Art.

Die mir vorliegende UK-DVD von Precision bringt den Film in gutem Bild (1.85:1 anamorph) und mit solidem Ton, aber ohne jegliche Extras, und, wie schon gesagt, es ist ein Film, der schon nach erläuterndem Bonusmaterial schreit.

Finale Worte: TOMBOY ist sicher kein besonders bemerkenswerter Alters-Weitwurf für einen Regisseur von Hills Kaliber, aber bei aller angebrachten Kritik hätte das Ding auch viel viel peinlicher werden können – vielleicht ist es sogar ein Segen, dass Hill sich um explizite Aussagen zum Thema Gender Identity u.ä. drückt, sondern es dabei belässt, einen Rachethriller mit schrägem Gimmick vorzulegen. Am Ende ist TOMBOY gut ankuckbar – man kann sich an Sigourney Weavers Performance erfreuen, an Rodriguez‘ Conchita-Wurst-Gedächtnis-Männer-Make-up amüsieren und bekommt ein paar solide Kills. Das ist seiner vorliegenden Form frei von jedem Anspruch, und wird in Hills Vita sicher nie mehr als eine kuriose Fußnote sein, aber der Streifen ist trotz seines beengten Feelings flott genug inszeniert, um 90 Minuten solide zu unterhalten. Daher – Querdaumen.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 5


mm
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