Tod nach Mitternacht

 
  • Deutscher Titel: Tod nach Mitternacht
  • Original-Titel: Tod nach Mitternacht
  •  
  • Regie: Wilhelm Semmelroth
  • Land: BR Deutschland
  • Jahr: 1970
  • Darsteller:

    Heinz Moog (Freesen), Martin Lüttge (Wöhler), Ruth Hausmeister (Vera Korten), Herbert Tiede (Paul Korten), Ellen Schwiers (Corinna Matthiesen), Hans Schulze (Harald Matthiesen), Wolfgang Büttner (Bartow), Franz Rudnick (Schlesinger), Horst Niendorf (Leverenz), Karl Liecke (Krohn)


Vorwort

Im Landhaus des Verlegers Freesen hat sich eine illustre Runde eingefunden. Hauptamtlich wird die Villa gerade von William Wöhler, einem jungen Bestseller-Autoren, genutzt, um in der Abgeschiedenheit in Ruhe an seinem zweiten Roman arbeiten zu können. Freesen hat den Abgeordneten Korten und seine Frau eingeladen, auf Wöhlers Wunsch findet sich noch der Geschäftsmann Bartow ein, zudem das Ehepaar Matthiesen, das über ein Wirtschaftsimperium herrscht, und Wöhlers Lektor Schlesinger. Wöhler, eines Zeichens politisch eher den 68ern zuzuordnen, ist verheiratet, pflegt aber noch eine Affäre mit Corinna Matthiesen, der – als nominelle Inhaberin des Matthieseschen Mammons – nun langsam daran gelegen wäre, dass Wöhler Nägel mit Köpfen macht und sich offiziell von seiner Frau trennt. Die Ehe des Autoren ist kein Allgemeinwissen – nur Freesen und Schlesinger wissen (außer Corinna) davon und Schlesinger seinerseits ist verdächtig gut mit Frau Wöhler befreundet.
Während des abendlichen Beisammenseins kündigt Wöhler an, dass sein neues Buch ein Enthüllungsroman sein wird, der sowohl eine politische Affäre, in die Korten involviert war (und von einem parlamentarischen Untersuchungausschuss entlastet wurde), als auch einen elf Jahre zurückliegenen Mordprozess, bei dem der mangels Beweisen freigesprochene Hauptverdächtige kurz nach dem Prozessende spurlos verschwand, wieder aufrollen wird – ein Vorgang, der rätselhafterweise Bartow stark emotional mitzunehmen scheint. Bartow wiederum verbindet augenscheinlich ein Geheimnis mit Vera Korten und Freesen – der steht kurz vor der Pleite und ist auf einen Druckauftrag, den Korten (der sehr dafür wäre, wenn Freesen Wöhlers neuen Roman nicht veröffentlichen würde) einfädeln kann, angewiesen.

Eine ziemlich undurchschaubare Situation – erst recht, als Corinna Matthiesen kurz nach Mitternacht Wöhler mit dem sprichwörtlichen Dolch im Rücken und reichlich tot auffindet. Die Türen der Villa sind von innen verriegelt – also muss einer der Anwesenden der Täter sein.

Kommissar Leverenz und sein Assistent Krohn ahnen, dass ihnen eine lange Nacht bevorsteht. Denn die erfahrenen Kriminaler stellen schnell fest, dass praktisch jeder der Anwesenden Motiv und Gelegenheit hatte, Wöhler kaltzustellen, und jeder bereit ist, den Verdacht eifrig auf einen anderen zu lenken. Bis zum Morgengrauen werden einige Geheimnisse gelüftet werden…


Inhalt

Mal wieder was aus Pidax‘ durchaus verdienstvoller Reihe klassischer Fernsehkrimis. Auch „Tod nach Mitternacht“ ist ein solches Fernsehspiel, 1970 vom WDR unter der Regie des TV-Veteranen Wilhelm Semmelroth (Regie bei der ebenfalls von Pidax veröffentlichten 67er-Fernsehversion der „Nibelungen“) realisiert, ausnahmsweise mal nicht nach einer Bühnenvorlage, wie es seinerzeit gerne gehandhabt wurde, sondern ein Originalstoff aus der Feder von Jürgen Gütt (der später mit Willy Bogner dessn frühen Spielfilm „Benjamin – Ein Meister fällt vom Himmel“ schrieb).

„Tod nach Mitternacht“ mag keine Vorlage in Theater- oder Romanform gehabt haben, dass Gütt sich an den Gepflogenheiten der typischen Krimibühnenadaption hält, ist unverkennbar – ein überschaubarer Cast, eine einzige Location und ein klassisches locked-door-Mystery nach Agatha-Christie-Manier (was tatsächlich auch im Film referenziert wird. Gütt weiß schon, wem er ein wohlmeinendes Nicken schuldet). Das Mystery an sich ist prima – jeder Anwesende hat ein plausibles Motiv und nach Lage der Dinge kann man auch niemanden mangels Gelegenheit ausschließen. Gütt wirft uns zwei Charaktere als plakative rote Heringe hin – diese sind so gut aufgebaut, dass ich, obwohl mir der Tatsache, dass es sich ganz offensichtlich um eine falsche Fährte handelt, einen der beiden partout nicht ausschließen mochte. Zuviele scheinbar eindeutige Hinweise zeigten in seine Richtung (dass die Auflösung dann trotzdem durchaus stringent und logisch ist, spricht für den Schreiberling, ohne den ausgelegten falschen Fährten zu widersprechen, auch wenn man, ist man wirklich in Miesepeterlaune, kleine Schummeleien in der filmischen Ausführung ausmachen kann. Dazu aber später am üblichen Ort für derlei Hinweise mehr).

Wo sich „Tod nach Mitternacht“ von anderen Krimifernsehspielen wie Schritte in der Nacht oder Die letzte Folge abhebt, ist die subtile und doch spürbare Politisierung des Falls. Unschwer lässt sich Wöhler als rebellischer 68er, wie ihn sich der Springer-Presse lesende Spießer vorstellt, charakterisieren – kein Respekt vor Autoritätspersonen, jederzeit gewilllt, schmutzige Wäsche zu waschen, und in seinem Egoismus rücksichtslos (einzig, dass Wöhler verheiratet ist – auch wenn die Ehe ihn jetzt sichtlich nicht wirklich belastet – stört das Bild, wussten die 68er doch: „Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment“.
Seine Gegenspieler sind die typischen Vertreter der Bourgeoisie: Unternehmer, Politiker, Schlipsträger und Cognacschlürfer, also das klassische Feindbild der Linken (das geht soweit, dass Korten, als ihm vom bald ankommenden Schlesinger berichtet wird, ein verräterisches „Jude?“ entfährt).
Ein durchaus reizvoller Mikrokosmos, um – unmittelbar vor den ersten Umtrieben der RAF – an den Zuständen der verknöcherten Republik Kritik zu üben. Nur leider positioniert sich Gütt eher unglücklich – Wöhler ist, objektiv betrachtet, ein ekelhaftes Scheusal, den nicht kritischer Idealismus, sondern wichtigtuerischer Narzissmus treibt. Es gibt keine Figur, die seine Thesen in abgeschwächter, „tragbarer“ Form teilt oder Verständnis dafür äußert – faktisch halten ihn alle anderen Charaktere – mit Ausnahme vielleicht von Frau Matthiesen und selbst da bin ich mir nicht *völlig* sicher – für ein amtliches Arschloch. Nun gibt es kein Gesetz, das vorschreibt, das Mordopfer im Krimi müsse sympathisch sein (obwohl es hilft. Das Publikum wünscht dem Mörder einer sympathischen Figur sicherlich stärker die gerechte Strafe als einem zwölfendigen Ekelpack), es wäre nur dann recht charmant, wenn im Verdächtigenkreis die ein oder andere Figur vorkäme, die man „positiv gezeichnet“ nennen könnte. Hier allerdings ist der Haufen Verdächtiger ein Rudel nicht minder egoistischer Gesellen, die zusammengerechnet über keinen einzigen liebenswürdigen Charakterzug verfügen – sie sind wahlweise steif, opportunistisch, manipulativ und manipulierbar, feige, verlogen oder arrogant. Das Schreckliche daran – angesichts des Baujahrs 1970 halte ich es für nicht undenkbar, dass sie trotzdem oder gerade deswegen als positive Identifikationsfiguren gesehen werden sollen. Ja, sie machen ab und zu mal Fehler, scheint das Script an mancher Stelle durch die Blume zu sagen, aber es sind schließlich große und wichtige Leute, die viele Entscheidungen zu treffen haben und beim besten Willen nicht *immer* richtig liegen können. Wo Chabrol in seinen Großbürgertum-Krimis nie vergass, seinen Figuren die Maske der anständigen bürgerlichen Existenz vom Gesicht zu reißen und die dahinter stehenden Abgründe wohl wertend ans Licht zu zerren, hat Gütt kein Interesse daran, der Gesellschaft den Spiegel in wirklich kritischer Weise vorzuhalten (wenn Freesen z.B. einräumt, dass er auf Kortens Druck den Autorenvertrag mit Wöhler gekündigt hat, schlägt ihm allgemein Verständnis hingegen. Mangeldes Rückgrat jedenfalls wirft ihm niemand vor). „Der hat’s ja nicht anders verdient“, scheint die Hauptaussage zu sein, und damit, dass man den Rebellen zu einer charakterlichen Missgeburt macht, macht man sich die Sache, was den Gesamtkonflikt „Jugend/Establishment“ angeht, natürlich arg einfach. Aber hey, 1970, ARD, das ist nicht gerade der Hort revolutionären Gedankenguts…

Als Krimi ist „Tod nach Mitternacht“ also besser denn als Gesellschaftsstudie (obwohl natürlich auch gerade diese Herangehensweise an den Generationenkonflikt schon wieder Bände über die Stimmung im Lande anno 1970 spricht) – auch wenn Regisseur Semmelroth, wie schon angedeutet, ein wenig schummelt. Rückblenden, die die bereits gesehenen Szenen erweitern, komplett *neue* Flashbacks, alternative Kamerapositionen, damit bremst der Regisseur einen etwaigen Wissensvorsprung des Zuschauers aus, lässt einen Charakter im Nachhinein zum Zeugen eines Vorgangs werden o.ä. Immerhin – auf diese Weise nutzt Semmelroth die Möglichkeiten des Mediums und beschränkt sich nicht nur auf ein reines abgefilmtes Theaterstück. Die Dialoge wirken aus heutiger Sicht reichlich gestelzt (und wüsste ich nicht, dass Gütt „Einheimischer“ ist, hätte ich auf eine schwache Übersetzerleistung getippt), künstlich, unnatürlich. Zumindest für mich anno 2012. Und andere Fernsehspiele, Filme und Serien aus der Ära kamen mir zumindest in der Hinsicht harmonischer vor…

Abgesehen von den dramaturgischen Mitteln, die wir gerade erwähnt haben, gibt sich „Tod nach Mitternacht“ von der filmischen Seite ausgesprochen unspektakulär – wie schon gesagt, auch wenn es keine direkte Bühnenvorlage gibt, ist das Stück ein klassischer Fall von gefilmtem Theater… zwei-drei Szenenaufbauten, mehr wird nicht gebraucht.Semmelroth und Gütt verlassen sich auf ihren Mordfall an und für sich und die Schauspeiler, allesamt durchaus der Oberklasse zeitgenössischer deutscher TV-Zunft zugehörig.

Martin Lüttge wird als Mordopfer zwar nach gut 20 Minuten abserviert, doch bis dahin zeigt der neben Fernseharbeit zumeist weniger bemerkenswerter Art (vielleicht mal abgesehen von der Arnold-Wesker-Adaption „Bratkartoffeln inbegriffen“, in der Lüttge neben Volker Lechtenbrink eine der Hauptrollen spielte) mit eher kleinen Kinoauftritten in „Zur Sache, Schätzchen“ und ähnlichen vorsichtigen Versuchen des jungen deutschen Films, frischen Wind in die Lichtspielhäuser zu bringen, beschäftigt, eine engagierte und motivierte Leistung. In der Folge entwickelte er sich zum gut beschäftigten Fernsehschauspieler, „Tatort“-Kommissar und „Forsthaus Falkenau“-Co-Star.
Ruth Hausmeister („Das Mädchen Rosemarie“, „Affäre Dreyfus“, „Sechs Personen suchen einen Autor“), die bis ins hohe Alter im TV aktiv war (sie verstarb im Juni 2012 im Alter von 99 Jahren) agiert als Vera Korten ebenso überzeugend wie Herbert Tiede („Gestatten, mein Name ist Cox“, „Alter Kahn und junge Liebe“, „Wenn es nacht wird auf der Reeperbahn“) als intigranter Abgeordneter.
Heinz Moog („Waldhaus“, „Die Wildente) gefällt als rückgratloser Verleger wie Wolfgang Büttner („Der rote Schal“, „Ende einer Dienstfahrt“, „Affäre Dreyfus“) als undurchsichtiger Bartow.
Franz Rudnick („SOKO 5113“, „Schwarzwaldklinik)“ trägt als Schlesinger vielleicht etwas zu dick auf, dafür ist dafür Hans Schulz („Die rote Kapelle“, „SOKO 5113“) zu blass.
Ellen Schwiers („Das Rasthaus der grausamen Puppen“, „Der Würger vom Tower“, Ein Toter sucht seinen Mörder) laboriert etwas damit, Objekt einer leidenschaftlichen Affäre zu sein, aber sehr gefühlskalt und unnahbar rüberzukommen.
Horst Niendorf und Karl Liecke als Ermittler sind nicht viel mehr als Moderatoren und gelegentliche Rekapitulierer bisheriger Erkenntnisse, erledigen dies aber zuverlässig.

Bildqualität: Solider 4:3-Transfer. Macht den Plasma sicher nicht glücklich, treibt ihn aber auch nicht in den Selbstmord. Die Farben sind etwas blässlich, die Schärfe ist ok.

Tonqualität: Dolby Mono 2.0, etwas dumpf, mit leichtem Grundrauschen.

Extras: Keine.

Fazit: Zwiespältig… der Kriminalfall ist clever konstruiert und das Meta-Klima des politisch-gesellschaftlichen Umbruchs post-68 als Backdrop reizvoll, die schauspielerischen Leistungen sind überwiegend überdurchschnittlich, aber die holprigen Dialoge, das Fehlen wirklich sympathischer Charaktere und der fehlende Wille, *zu* den gesellschaftspolitischen Fragen, die angerissen werden, irgendeine Aussage zu treffen, machen’s mir schwer, mit dem Stück richtig Frieden zu schließen. Passable, aber optimierungsfähige Krimiunterhaltung mit angedeutetem Anspruch.

3/5
(c) 2012 Dr. Acula


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