- Deutscher Titel: The Town That Dreaded Sundown
- Original-Titel: The Town That Dreaded Sundown
- Regie: Alfonso Gomez-Rejon
- Land: USA
- Jahr: 2014
- Darsteller:
Addison Timlin (Jami), Veronica Cartwright (Lilian), Anthony Anderson (Lone Wolf Morales), Travis Tope (Nick), Joshua Leonard (Deputy Foster), Andy Abele (Sackhead), Gary Cole (Chief Deputy Tillman), Edward Herrmann (Rev. Cartwright), Ed Lauter (Sheriff Underwood), Denis O’Hare (Charles B. Pierce jr.)
Vorwort
1946 suchte ein Serienkiller, der von den Zeitungen der „Phantom-Killer“ genannt wurde, das Städtchen Texarkana (auf der Grenze zwischen Texas und Arkansas) heim und tötete fünf Menschen, ehe er verschwand. 1976 drehte der B-Filmer Charles B. Pierce den Film „The Town that Dreaded Sundown“ (zu schlecht Deutsch „Der Umleger“), einen Proto-Slasher, der sich im Großen und Ganzen an die historischen Tatsachen hielt, aber natürlich auch einiges dazudichtete. Seit vielen Jahren ist eine öffentliche Gratis-Vorstellung des Films zu Halloween fester Bestandteil der Texarkanaschen Folklore (bis dahin ist das eigentlich keine Inhaltsangabe, sondern akkurate Wiedergabe tatsächlicher Geschehnisse…).
Bei der diesjährigen Vorführung im Autokino sind auch Jami und Corey anwesend, aber Jami fällt während des Films ein, dass sie auf so brutale Gemetzelfilme eher nicht steht (was auch daran liegen kann, dass sie ein wenig traumatisiert ist, seit sie ihre Eltern bei einem Autounfall verloren hat). Corey ist ganz verständnisvoll – schließlich kann man auch irgendwo im Wald im Auto rumknutschen. Es knutscht jedoch der an akutem Samenüberdruck leidende Jüngling nur so lange, wie ihn der sacktragende Killer lässt. Ganz recht, der Phantom-Killer ist wieder da, metzelt Corey und schickt Jami als Überbringerin der schlechten Kunde mit der kryptischen Botschaft „für Mary“ zurück in die Stadt.
Dieweil der Killer seine Arbeit fröhlich wieder aufnimmt und als nächstes einen heimkehrenden Soldaten nebst Freundin tranchiert, erhält Jami Nachrichten des Killers über Coreys Handy und per e-Mail, was sie dazu veranlasst, selbst zu recherchieren, da die Polizei und Texas Rangers ohne Grubenlampe im Bergwerk stehen.
Ihr Ex-Mitschüler Nick, jetzt im Archiv der örtlichen Tageszeitung beschäftigt, assistiert ihr. Jami ist überzeugt, dass die neuen Morde unmittelbar mit den Morden von 1946 zusammenhängen und vielleicht von einem Nachkommen des Original-Phantoms begangen werden. Da niemand weiß, wer der ursprüngliche Mörder war, hilft das akut natürlich nicht sonderlich weiter. Nick und Jami verfallen auf die Idee, den Sohn von Charles B. Pierce zu kontaktieren, der immer noch in Texarkana lebt und dessen Dad für seinen Film ja wohl auch umfängliche Recherchen durchgeführt haben müsste. Tatsächlich eröffnet Pierce jr. eine neue Spur – 1946 gab es noch einen sechsten Toten, Hank McReady, der allerdings, weil die Polizei bereits zu diesem Zeitpunkt einen Verdächtigen festgenommen hatte, nicht zur Strecke des Phantom-Killers gezählt wird. Will jemand das „vergessene Opfer“ rächen?
Inhalt
Remakes räudiger 70er-Jahre-Exploitation-Kracher sind so ’ne Sache – auf jeden gelungenen „Texas Chainsaw Massacre“ (wir reden mal nicht von den neuen Sequels, sondern von Nispels unverschämt gutem Remake) kommt ein glattgelutschtes Produkt wie „Last House on the Left“, das nicht mehr den anarchisten Geist der ursprünglichen Macher atmet, sondern aus zynischer Kommerzlaune entsteht. Meine persönlichen Erwartungen an die Neuauflage von „The Town that Dreaded Sundown“, einem Semi-Klassiker des neueren Horror-Kinos, lagen daher ungefähr bei „null“ und wäre mir die Blu-Ray nicht zu einem Spottpreis über den Weg gelaufen… naja.
Dabei unterscheidet sich Alfonso Gomez-Rejons von den unvermeidlichen Blumhouse-Jungs produzierte Neufassung von Grund auf von den anderen Remakes – es ist nämlich keines, sondern eine Art „Meta-Sequel“, das nicht nur auf den Originalfilm umfangreich Bezug nimmt, sondern ihn quasi zu einem eigenen Charakter macht – alles, was in „The Town 2014“ passiert, begründet sich letztlich aus dem 76er-Film, der im Filmuniversum existiert (will sagen, alles, was oben im ersten Absatz der Inhaltsangabe steht, ist auch Stand im neuen Film). Wir haben’s mit der raren Sorte Film zu tun, in der die Meta-Ebene nicht nur ein zusätzliches Gutzi für den Freak ist, sondern ein integral wichtiger Bestandteil der Story, ohne den der Film nicht funktionieren würde.
Storytechnisch greift der Film einen losen Faden aus der tatsächlichen 46er-Mordserie auf. In der Tat gab es 1946 einen weiteren Mord, der zeitgenössisch nicht zu den Taten des Phantom-Killer gezählt wurde, aber in der Nachbetrachtung der Experten ein wichtiges Puzzlestück darstellt, da es sich, je nach Auslagung, um den Selbstmord des Killers oder sein letztes Opfer – die These, die hier aufgenommen wird – handelt und setzt dies in Kontext zu der lebendigen, in Texarkana gepflegten Folklore, die – womit sich die Katze wieder in den Schwanz beißt – nicht zuletzt durch den 1976er-Film ausgelöst wurde. Es ist ein cleveres Stilmittel, um reales Leben, historische Fakten und reinrassige Horror-Fiktion unter einen Hut zu bringen.
Das Script legt dabei genügend falsche Fährten aus, um spannend zu bleiben und am Ende eine Auflösung zu präsentieren (womit der Film der Realität und dem 76er-Film etwas voraus hat…), die durchaus stimmig bleibt und doch nicht alle Fragen beantwortet. Aber auch sonst macht der Film vieles richtig – die Kameraarbeit ist streckenweise fantastisch und sorgt für einiges an potentiell ikonischen Shots, das Kleinstadt-Lokalkolorit, an dem so viele ähnliche Filme schmählich scheitern, wird hier ausgezeichnet eingefangen (inklusive der Kuriosität, dass die Stadt in zwei Staaten liegt und daher zwei getrennte politische und polizeiliche Entitäten bildet), und auch die Darsteller wissen durchaus zu überzeugen. Addison Timlin („Für immer Single?“) verfügt über diesen natürlichen girl-next-door-Charme, und mit Travis Tope („Boardwalk Empire“) verbindet sie glaubhafte Chemistry. Ein routinierter supporting cast mit Edward Herrmann („Gilmore Girls“, „Practice“, „Oz“) in einer seiner letzten Rolle als fanatischer Priester, dem der Phantom-Killer-Kult aus christlichen Gründen auf den Geist geht, Ed Lauter („Stephen King’s Golden Years“, „Der City Hai“, „Death Wish 3“), Veronica Cartwright („Alien“, „Die Körperfresser kommen“), Gary Cole („Veep“, Suits“) und Joshua Leonard („Blair Witch Project“, „Bates Motel“) leistet gute Arbeit, einzig Anthony Anderson („Transformers“, „Scary Movie 4“) als Texas Ranger „Lone Wolf“ (ein unnötiger Throwback zum echten Ermittler, der eigentlich nur dafür da ist, um einige Clips aus dem 76er-Film „anzumoderieren“) ist verschwendet.
Die Kills sind ordentlich blutig, ohne dass der Film dabei in eine reine selbstzweckhafte suppige Sudelei ausartet, und mit einer Laufzeit von 86 Minuten weiß der Streifen auch, wann genug ist. Eine freizügige Sexszene wird auch geboten.
Fazit: ein sehr ordentlicher Horrorreißer, der exzellent mit seiner Vorlage (sowohl der „realen“ als auch der „filmischen“) umgeht und arbeitet und einer der konsequentesten „Meta-Horrorfilme“ sein dürfte. Eine positive Überraschung!
Anmerkung 1: Die Synchro hätte sich einen Stein im Brett verdienen können, hätte sie den „Film im Film“ korrekt „Der Umleger“ (oder wenigstens nach dem Alternativtitel „Phantomkiller“) genannt.
Anmerkung 2: Konnte die Produktion kein echtes deutsches Poster für die Szene in Pierces Hausboot (don’t ask…) auftreiben?
3,5/5
(c) 2016 Dr. Acula