The Sin of Nora Moran

 
  • Original-Titel: The Sin of Nora Moran
  • Alternative Titel: Voice from the Grave |
  • Regie: Phil Goldstone
  • Land: USA
  • Jahr: 1933
  • Darsteller:

    Nora Moran (Zita Johann)
    Dick Crawford (Paul Cavanagh)
    John Grant (Alan Dinehart)
    Edith Crawford (Claire Du Brey)
    Paulino (John Miljan)
    Father Ryan (Henry B. Walthall)
    Mr. Watts (Sarah Padden)
    Mr. Moran (Otis Harlan)
    Mrs. Moran (Aggie Herring)
    Nora als Kind (Cora Sue Collins)
    Captain of Detectives (Joseph W. Girard)
    Stage Manager (Rolfe Sedan)


Vorwort

Mal wieder was ganz anderes… ich weise ja zu und ab darauf hin, dass diese Site trotz ihres „griffigen“ Namens ja nicht ausschliesslich für schlechte Filme gedacht ist, sondern im weitesten Sinne für B-Filme, und B wie Dickig heisst ja nicht automatisch B wie Bad (für Freunde der Trashkunst ist das eher ein glücklicher Zufall, dass diese beiden B´s doch recht häufig zusammentreffen). Will sagen, B-Filme könnten durchaus dank lichter Momente ihrer Erschaffer auch aus anderen Gründen als blosser Schundigkeit unterhaltsam oder bemerkenswert sein – und nicht immer müssen sie was mit blutgierigen Zombies, invasionslüsternen Aliens oder spärlich bis gar nicht bekleideten Damen zu tun haben. Allerdings, das Poster zu unserem heutigen Film verspricht letzteres ja nun doch irgendwie, auch wenn wir uns vor Augen halten, dass wir es mit einem Streifen aus dem Jahr 1933 zu tun haben – immerhin war das noch vor der selbstauferlegten Zensur der Hollywood-Studios mittels des ominösen „Production Codes“, der dazu dienen sollte, das unverdorbene Publikum von sittlich und moralisch bedenklichen Themen zu schützen (manche Dinge ändern sich, so scheint´s, nie). Trotzdem war 1933 natürlich 1933 und auch damals galt schon der Grundsatz, vor allem für Dickige B-Movies, dass ein fetziges Poster die halbe Miete sein kann. So hat denn auch das Poster zu The Sin of Nora Moran recht wenig mit dem Inhalt des Films zu tun, der aber dennoch seinen Platz als Fussnote der Filmgeschichte gefunden hat – glaubt man dem ein oder anderen gut informierten Gerücht, so kann sich Phil Goldstones Programmer Inspiration für Orson Welles´ Meisterstück Citizen Kane schimpfen. Ist doch auch schon was… nun halten manche Menschen Citizen Kane für den besten Film aller Zeiten, andere für ein eher laues Stück Drama (zumindest aber ein vorzüglich gefilmtes), was kann man dann über das vermeintliche Vorbild sagen?


Inhalt

Nachdem uns die prinzipiell handelnden Personen per schickem Insert vorgestellt wurden (dummerweise allerdings ohne ihre Charakternamen, sondern mit den vagen Rollenbezeichnungen wie „der Staatsanwalt“, „die Frau des Gouverneurs“ etc.), schalten wir auch gleich ins Arbeitszimmer von John Grant, seines Zeichens Bezirksstaatsanwalt, und in selbiges stürmt eine hochentrüstete (und eher schreckschraubenhafte) Dame, Edith Crawford, das, wie sich später herausstellen wird, Eheweib des amtierenden Gouverneurs Dick Crawford und nebenher nicht wirklich geliebtes Schwesterherz des Anklägers. Edith schmeißt Grant ein Bündel Briefe auf den Schreibtisch und echauffiert sich gar fürchterlich – es sind Liebesbriefe, und zwar nicht vom Göttergatten an sie, sondern von dessen Geliebter an ihn. Gar schocking. Mr. Grant ist weniger überrascht, ist er über das Bratkartoffelverhältnis des Politikers im besten Bilde, und empfiehlt Edith, die Angelegenheit zu vergessen. Nun kennen wir ja alle unsere Frauen – solche Geschichten nehmen die Madames nur selten auf die leichte Schulter und auch Edith ist gewillt, Detektive einzuschalten, um die Identität der Ehebrecherin zu ermitteln, vermutlich, um ihr die angemessene Tracht Prügel erteilen zu können. Grant merkt, die Frau meint’s ernst, also rückt er mit der Wahrheit raus, bzw. mit einem Zeitungsartikel über die zum Tode verurteilte Mörderin Nora Moran, der der elektrische Stuhl schon heftigst zulächelt. „Das ist sie,“ brummt Grant und sieht sich aufgrund Ediths eher rigider Einstellung, wonach die fröhliche Grillparty auf Staatskosten genau das richtige für so eine Schlampe wäre, genötigt, ihr und uns die ganze Geschichte zu erzählen. Man stelle sich doch einfach mal vor, man hätte nur noch ein paar Stunden zu leben…

Charmant blendet der Film zu einem Bestattungsunternehmer um, bei dem das Gefängnis gerade den passenden Sarg für Nora bestellt – das wird zur ersten von zahlreichen cleveren mehrfachüberblendeten Montagen genutzt, die uns über diverse Gefängnisangestellte (wie z.B. die, die die Henkersmahlzeit zubereiten) zu Nora in ihrer Zelle führt, wo sie, schwer delirierend, von einer gewissen Mrs. Watts versorgt wird und händeringend auf die Ankunft ihres Vertrauenspfaffen, Father Ryan, wartet. Wir erfahren, daß Nora den ominösen Mord bereits gestanden hat, sich aber über ihr Motiv weiter in Schweigen hüllt.

Flashback-Time… lernen wir also etwas über unsere Protagonistin Nora Moran. Nora wurde im zarten Alter von fünf oder sechs Jahren als Waise von Father Ryan an ihre Adoptiveltern, ein zwar reichlich tattriges, aber immerhin nettes irisches Paar vermittelt. Blöderweise kamen die Eltern später bei einem (per spektakulärer Car-Crash-Stock-Footage zelebriertem) Autounfall ums Leben, was die mittlerweile erwachsene Nora vor ein moralisches Dilemma stellt. Darf sie die verbliebene Kohle der Eltern benutzen (immerhin grandiose 300 Dollar, was anno dunnemal ein ordentlicher Batzen Zaster war), um ihren langgehegten Traum, Tänzerin zu werden, zu erfüllen? Father Ryan, moralische Instanz für solche Fragen, hält das zwar nicht prinzipiell für falsch und sündig, aber auch nicht für sonderlich clever. Nixdestotrotz macht sich Nora auf in die nächstbeste Stadt und lernt (per weiterer Montage-Sequenz) die Freuden der Arbeitslosigkeit, Gelegenheitsjobs und allgemeiner Frustration kennen. In schierer Verzweiflung und mit heftigem Bitten und Betteln ergattert sie schießlich einen Job als Assistentin eines Zirkus-Artisten… „Paulino and his Wrestling Lion“ heißt der Act, und wenn Dompteur Paulino seinen dressierten Löwen in einen stilechten Ringkampf verwickelt, sieht das genauso bescheuert aus, wie es sich anhört (die Szene allein ist fast das, eh, beinah hätte ich „Eintrittsgeld“ gesagt, Entgelt für den DVD-Erwerb wert). Recht leicht verdiente Kohle, da Noras Job darin besteht, eine schicke Assistentinnen-Kluft zu tragen und „hübsch auszusehen“, und die Reiserei ist auch nicht so schlecht, bis zu dem faithful day, als sich ein angetrunkener Paulino in Noras Zug-Schlafabteil schleicht und mit finsterem Blick zur vergewaltigenden Tat schreitet (remember 1933… da wird noch brav schwarzgeblendet).

Edith, die diese ganze Geschichte ja von Grant erzählt bekommt, ist verhältnismäßig unbeeindruckt, aber der Staatsanwalt palavert eifrig weiter… Interessant die Erzählstruktur des Films an dieser Stelle. Während „uns“ die Story von Grant erzählt wird, erlebt Nora die Geschichte als Traum, den sie auf der Zellenpritsche träumt, und ist sich dieser Tatsache voll bewußt, d.h. sie versucht des öfteren, mit anderen Charakteren über einen vermeintlich anderen, besseren Ausgang der Story zu „verhandeln“ und wird von diesen immer wieder darauf hingewiesen, daß alles so kommen wird, wie es gekommen ist (eh, das war jetzt recht kompliziert, aber Ihr seid ja intelligente Leser, oder? :-)). Okay, weiter im storytechnischen Text. Sadie, eine mitleidende Zirkustante, drückt Nora nach dem Vorfall mit Paulino unbürokratisch ein paar Scheine in die Hand und gibt ihr den Rat, zu verduften. Nora duftet, und zwar nach New York, wo sie in einer billigen Revue tanzt und dem aufstrebenden Provinzpolitiker Dick Crawford vor die Glotzbuchten kommt. Dick ist sofort in ewiger Liebe entbrannt, führt seine Flamme chic aus und fragt schließlich die schicksalshafte Frage… nein, keinen Antrag (Edith, sein Weib, ist ja noch da – schon vergessen?): „Wenn ich nach dir rufe, wirst du kommen?“ „Überallhin,“ schmachtet Nora und steht schon eine Einstellung später in der bildhübschen und zu vollster Zufriedenheit funktionierenden Küche in ihrer neuen Wohnung – und die ist, so kombinieren wir nicht von ungefähr, geographisch relativ nah an Dicks Residenz angesiedelt. ‚Nen edlen Ring bekommt Nora aber trotz Nicht-Ehegelöbnis.

„Ich hab genug gehört,“ keift Edith, und man kann’s verstehen, von einem eheweiblichen Standpunkt aus betrachtet. Aber Grant nimmt ihr den Wind aus den Segeln: „Tu nicht so, als hättest du Dick geliebt!“ In der Tat hat Edith zwar mit ihrem beträchtlichen Vermögen die politische Karriere des Gatten finanziert (mit tatkräftiger Unterstützung von Grant selbst), aber nicht aus Liebe, sondern purem gesellschaftlichen Kalkül – als Gouverneursgattin ist man einfach „Wer“. Edith ist fürs erste abgebürstet, also kann Grant weitererzählen. Als enger Freund und Berater des Politikers erregte es irgendwann seinen Verdacht, daß Dick zweimal die Woche mit unbekanntem Ziel verschwand, also folgte er eines schönen Tages und kommt dem Pärchen auf die Schliche. Sein böser Verdacht: Nora betreibt die Affäre nur, um sich nach Dicks Wahl zum Gouverneur ihr Schweigen über die außereheliche Liebesbeziehung teuer bezahlen zu lassen. In der Tat erregt es ein wenig chronischen Verdacht, daß Nora Dicks tollen Ring mit der Schmuckseite nach unten trägt und auf das Berühren ihres Haars mit einem mittleren Tobsuchtsanfall reagiert. „Die Sache, für die sie sterben sollte, würde nun gleich passieren,“ informiert uns Grant hilfreich und lenkt unsere Vermutungen in eine ganz spezielle Richtung, die ich Euch sicher nicht erklären muß.

Zurück in Noras Wohnung, wo das Liebespaar noch relativ gelangweilt herumsitzt, bis es an der Tür klingelt. Da wir uns wieder in Noras Traum-Realität befinden, weiß sie, wer da draußen steht und schlägt Dick vor, das Einlaßbegehren zu ignorieren: „Wenn wir es nicht sehen, wird es nicht passieren!“ Aber so funktioniert’s natürlich nicht – wer draußen steht ist John Grant und Dicks halbseidene Lügengeschichte, wonach Nora die Tochter eines alten Freunds und Gönners sei, kann der irgendjemand anderem aufbinden, aber nicht dem taffen Grant, der Dick in einem sofort beantragten Vier-Augen-Gespräch anpfeift, wonach Dicks Affäre bereits auf den Titelseiten der Sensationspresse stünde und die politische Karriere damit de facto im Eimer sei, obwohl Dick nach Grants Ansicht wegen erwiesener Blödheit eigentlich eher auf die Witzseite gehöre. Im übrigen gehe es Grant auch nicht um seine Schwester (wie erwähnt, Dicks legitimes Weib), sondern um seine Kohlen, und deswegen verlange er die sofortige Terminierung der außerehelichen Beziehung, zumal er die finstere Vergangenheit der Geliebten kenne: „Sie ist billig!“ (Welch‘ Verbrechen :-)). Selbstredend hat Nora mitgehört und bestätigt unvermittelt (allerdings mit dem Gesichtsausdruck, der deutlich besagt, was sie von seiner Anschuldigung hört) Grants Verdächtigung, es schon mit so vielen Kerlen getrieben zu haben, daß es auf einen mehr oder weniger auch nicht mehr ankomme. Zutiefst gekränkt zieht Dick wie der sprichwörtliche begossene Pudel wortlos von dannen.

Cue back to Nora in ihrer Gefängniszelle, schlappe zwei Stunden vor dem Hinrichtungstermin… immer noch hofft sie, in ihren Träumen die schauerliche Tat, die ihr die Bescherung eingebrockt hat, verhindern zu können, doch in der nächsten Szene sehen wir Dick und Grant, die Noras aufgebahrte Leiche betrachten… aber das ist immer noch ein Traum Noras (langsam werde die verschachtelten Realitäten richtiggehend kompliziert)! Der Gouverneur hat wegen einer Begnadigung noch nichts von sich hören lassen.

Zurück zur Geschichte… sprich, also wieder in Noras traute, von Dick finanzierte Hütte, wo John Grant ihr einen Blankoscheck anbietet, falls sie umgehend und klappehaltenderweise verschwindet. Verschwinden ist okay, meint Nora, aber Geld will sie nicht, was Grant verblüfft. Sogar den Dicks Ring drückt sie ihm in die Hand. Grant ist’s verhältnismäßig wurscht, hinterläßt aber, wo sie ihn erreichen kann, falls sie es sich anders überlegt. Und in der Tat, kaum will Grant sich in seinem Hotelzimmer zu Bett begeben, kommt der dringende Hilferuf von Nora. Als Grant eintrifft, entdeckt er die schöne Bescherung in Noras Wohnzimmer – eine Leiche, jedoch zu allgemeiner Überraschung nicht die von Dick, sondern die von… Paulino! Nora erklärt – Paulino habe sie aufgespürt und gedroht, Dick mit der ganzen Affäre zu erpressen, worauf sie ihm unbürokratisch mit seiner eigenen Löwenpeitsche (bzw. dem Griff thereof) den Schädel eingeschlagen habe. Nun hofft sie auf Grants Hilfe bei der Entsorgung der Leiche, denn eine Mordermittlung würde naturgemäß die Affäre aufdecken und das will Nora unbedingt verhindern, truly in love that she is. Blöd nur, daß Grant seines Zeichens Bezirksstaatsanwalt ist und aus rein beruflicher Sicht eher dafür zuständig wäre, Nora umgehend zu verknacken – nur weil er nicht in seinem eigenen County ist, holt er nicht sofort die Cops, sondern hört sich Noras sicheren Plan an, wie Paulino unauffällig beseitigt werden kann. Nora will ihn einfach im Zirkus-Zug deponieren – da Paulino als alter Süffel bekannt ist, wird man sich nichts dabei denken, wenn er so mirnix dirnix leblos irgendwo rumliegt und bis entdeckt wird, daß der Knabe hinüber ist, sollte der Zirkus sprichwörtlich meilenweit weg sein und nichts mehr die Tat mit Nora oder Dick in Verbindung bringen. Verblüffenderweise läßt sich Grant auf die Komplizenschaft ein, mit nichts anderem als Gegenleistung als Noras Versprechen, im Falle ihrer Verhaftung zu schweigen wie das sprichwörtliche Grab. Er karrt Nora und Kadaver zur Bahn und fährt dann nach Hause, um Gewissensbisse zu haben. Was, wenn Nora nun IHN in eine Falle locken wolle? Nun, er wird gleich ganz andere Probleme haben, denn kaum in seinen eigenen vier Wänden, wird er auch schon wieder vom Polizeichef rausgeklingelt – stupiderweise fuhr der Zirkus-Zug direkt in seinen eigenen Zuständigkeitsbezirk und schon wurde Paulinos Leiche entdeckt. Und die Mörderin gleich mit! Ein echtes Dilemma für den berufsmäßigen Ankläger… aber Nora ist ein true sport, wie man so schön sagt, denn unter vier Augen räumt sie nicht nur ein, aus bloßer Panik blöderweise selbst in den Zirkus-Zug eingestiegen und dort entdeckt worden zu sein, sondern nichtsdestotrotz sich an den Plan und eisern die Klappe zu halten. Grant ist’s recht, aber er trichtert ihr ein, nicht auf eine Begnadigung durch den inzwischen gewählten Gouverneur Dick zu hoffen (eh? Ist doch alles am selben Tag?? Gerade noch Kandidat, jetzt schon in Amt & Würden?), denn der opfere seiner Karriere alles und jeden…

Daß Grant die brisante Angelegenheit unter Verschluß halten muß, findet auch Ediths Zustimmung – der Skandal wäre schließlich nicht wirklich dem angestrebten gesellschaftlichen Aufstieg hilfreich, wenn Gouverneur und Bezirksstaatsanwalt in die Vertuschung eines Mordfalls verwickelt wären… Daß Edith im Nachhinein das Vorgehen legitimiert, bringt Grant nun wieder (in der Jetztzeit der Erzählung) auf die Palme. Wie „alle Frauen“ sei Edith schrecklich selbstgerecht: „Du erkennst wahre Liebe nicht! Du hast Dick nur benutzt, genau wie ich!“ Hübsche Selbsterkenntnis, aber wohin führt das? Ganz einfach, auch Grant hat seinen „Liebesbrief“, den er Edith nun vorträgt, er ist von Dick himself (womit wir also für den Rest des Films wieder in den Genuß eines Flashbacks aus anderer Perspektive kommen, told ya, it’s gettin‘ complicated).

An dem ominösen Mordabend ereilten nämlich auch den braven Dick die Gewissensbisse. Wie konnte er nur Nora Vorwürfe wg. der Vielmännerei machen, wo er doch selbst verheiratet ist? Eben, und so eilte er geläutert zurück zu ihr, nur um Paulino anzutreffen. Ohne viel Federlesens geraten die beiden Kerle in ein eifriges Handgemenge, bei dem Paulino aufgrund seiner berufsmäßigen Ringkampferfahrung (und Hänfling Dick ist nicht wirklich in der selben Gewichtsklasse wie der Löwe) Vorteile gewinnt und Dick fröhlich würgt. Irgendwie schafft Dick es, sich der Löwenpeitsche zu bemächtigen und zack… ja, liebe Freunde, der liebe Gouverneur selbst hat den Kerl geplättet und seine Liebste schmachtet in der Todeszelle für eben diese Tat. Schändlich, schändlich. Okay, sie hat’s sich selbst eingebrockt, denn sie redete dem armen Dick ein, sie wüßte eine todsicher Methode, die Leiche verschwinden zu lassen (hätte sie ihm erzählt, daß sie Grant dafür benutzen will, hätte er sie womöglich auf den Schwachpunkt dieses Plans hingewiesen), jedenfalls leidet Dick nun eine Stunde vor Ultimo in seinem schnieken Gouverneursbüro heftigst vor sich hin (jetzt mal ehrlich – würde ihm ein Zacken aus der Krone fallen, wenn er Nora einfach begnadigt? Die Tatsache allein wird doch keine Verbindung zu ihm herstellen?). Gut, endlich kommt auch Dick auf den Gedanken, zum Telefonhörer zu greifen und mal schnell ein „pardon“ anzuordnen – doch…

Plötzlich erscheint ihm Noras körperloser Kopf (!) und versucht ihm die Begnadigung mit allen Mitteln auszureden! „Ich fürchte den Tod nicht,“ verklickert ihm die Vision, vor allem, da Father Ryan nun da sei und mit ihr den „Prayer of the dying“ salbadere – und in der Tat kann Dick mithören (!). „Ich sterbe für all die guten Dinge, die du tun wirst,“ sabbelt die Kopfvision und läßt sich auch nicht dadurch erweichen, daß Dick die Trumpfkarte „aber ich werde den Rest meines Lebens in Schuldgefühlen ertrinken“ ausspielt. Dennoch scheint Dick sich zur Begnadigung durchzuringen (da er endlich auf den Trichter gekommen ist, daß Edith und Grant ihn nur als Marionette benutzen), auch wenn Nora keinen Sinn im Weiterleben sieht: „Was wartet auf mich? Mehr wie Paulino?“ (Ehrlich gesagt, ich tät’s auf den Versuch ankommen lassen). Grants Stimme, die sich Dick nun ebenfalls noch einbildet, versucht das schlimmste, sprich die Begnadigerei zu verhindern, Nora fleht, sie sterben zu lassen, aber justament vorm Acht-Uhr-Läuten (und um acht Uhr legen die Jungs im Knast den bewußten Stromschalter um) stürzt Dick zum Telefon (immer diese Leute, die dramatische Auftritte brauchen) – jedoch aufgrund einer Nachlässigkeit seiner Sekretärin (war schon immer schwer, anständiges Personal zu kriegen) ist das Telefon tot und Nora brutzelt vor sich hin… (selbstredend nicht im Bilde). Mit einem „Der Tod ist nicht zu fürchten! Er bringt ewige Ruhe und unendliches Leben!“ zieht sich die Nora-Vision zurück und Dick läßt nicht nur diesen Satz, sondern auch eine Pistolenkugel durch den Kopf gehen (nachdem er den Abschiedsbrief geschrieben hat, that is).

Die Moral von der Geschicht‘, so erklärt es Grant auch Edith, wahre Liebe ist nicht nur schwer zu finden, sondern des öfteren auch mal tödlich (okay, so sagt es Grant nicht, aber er sollte). Edith ist erschüttert ob dieser Eröffnungen, reicht Grant die Liebesbriefe und der verbrennt sie mitsamt dem Abschiedsbrief des Geselbstmörderten (eeeh… jetzt mal langsam: Edith wußte nicht, daß Dick sich erschossen hat??? Macht so was nicht relativ schnell die Runde??? Und wenn sie’s wußte, warum macht sie dann ’nen Aufstand wegen seiner Affäre? Eeeh…).

Als Reviewer muss man schon eine gewisse Portion Frechheit aufwenden, um einen Bogen vom gerade verrissenen modernen Zombie-Spektakel Versus zu einem Vintage-Streifen wie The Sin of Nora Moran zu schlagen, aber daran hat´s mir ja noch selten gemangelt. Bei Versus war mein Kritikpunkt (bzw. mein hauptsächlicher welcher), dass style over content, also filmtechnische Trixereien wichtiger zu nehmen als die eigentliche Story, eine Sackgasse ist. Nun, bei The Sin of Nora Moran handelt es sich um eine der bewussten Ausnahmen von der Regel – der Streifen ist nur deswegen sehenswert, weil seine Erzählstruktur, seine filmische Machart, kurz, sein „style“, der einzige Grund ist, warum der Film halbwegs funktioniert. Selbst in der vorliegenden Form fallen selbst dem bewussten Blinden mit dem Krückstock die weit klaffenden Plotholes auf – so kommen z.B. die zeitlichen Abläufe selten bis nie hin, einige Twists der Story sind so gezwungen, dass es schon fast weh tut (welchen Grund sollte John Grant z.B. haben, Nora bei der Leichenbeseitigung zu helfen, ausser dass es dem Drehbuch in den Kram passt?), aber vom blossen filmischen, filmtechnischen Aspekt her ist der Film dafür umso gelungener.

Ja, man kann sich durchaus vorstellen, dass Orson Welles zumindest mal von The Sin of Nora Moran Notiz genommen hatte, bevor er sich an Citizen Kane machte. Der Kunstgriff, die eigentliche Geschichte in Rückblenden aus den Perspektiven verschiedener Beteiligter zu erzählen, wurde durch Welles´ Werk legendär, aber hier sieht man´s zuerst, natürlich nicht in der Vollendung, wie Welles es zelebrierte, aber die Kniffe beeindrucken. Flashbacks in Flashbacks, verwirrende verschachtelte Traum- und Realitätsebenen (mir gefiel ganz besonders der Gedanke, dass sich Nora in ihren Träumen vollkommen klar ist, wie sich die Geschichte weiterentwickelt, wenn sie nicht gegensteuert, sie aber von den anderen Charakteren daran gehindert wird) und das schlussendliche Abgleiten in surreale, fast schon übernatürliche Gefilde (bei Dicks Visionen), das ist ausgesprochen reizvoll und durchweg interessant. Dazu kommt eine für 1933 (und einen B-Film) schon ausserordentlich bemerkenswerte Versatilität in Kamera- und Schnittarbeit. Die technisch perfekten Mehrfachüberblendungen scheinen der direkte Stammvater von ähnlichen Montagen in modernen Meisterwerken wie Singers The Usual Suspects zu sein und für die Epoche des Streifens ist der Film in einigen Szenen überraschend dynamisch inszeniert (ganz besonders, wenn man berücksichtigt, dass es sich um die Adaption eines Theaterstücks handelt).

Also alles perfekto-paletti? Nee, nicht ganz. Zugegebenermassen funktioniert die Rückblenden-Methodik nur, wenn man sie halbwegs geschickt in eine Rahmenhandlung einbettet und hier liegt der Hase im Pfeffer. Diese Rahmenstory, also Grants Erzählung gegenüber Edith, ist eine ziemlich lahme Ausrede für eine solche. Dahinter steckt kein Drive, keine Spannung, man ahnt, dass da keine besondere Schlusspointe kommt (perfekt für ein solches Vorgehen wäre z.B. eine Gerichtsverhandlung oder so was gewesen; oder ein Szenario wie eben bei The Usual Suspects) – und unlogisch ist sie obendrein, denn wie schon angesprochen, fällt es verdammt schwer zu glauben, dass Edith über den Selbstmord ihres Gemahls noch nicht im Bilde ist, wenn Grant sogar schon den Abschiedsbrief in Händen hält – also muss die Leiche ja wohl oder übel bereits gefunden worden sein (und wie Grant es erzählt, könnte man meinen, dass die ganze Geschichte schon ein paar Tage her ist) und ich glaube nicht, dass die Presse 1933 grundlegend anders arbeitete als heutzutage – Politiker-Selbstmord war wohl auch damals der Stoff, aus dem die Schlagzeilen sind.

Naja, und wer von einem Film einen natürlichen „flow“ erwartet, wird sich ganz grundsätzlich wohl kaum mit einem Streifen anfreunden können, der seinen kompletten narrative in Flashback-Form erzählt – da ist es gar nicht zu vermeiden, dass der Film gelegentlich trotz seiner kurzen Laufzeit von knapp 65 Minuten gelegentlich mal zum Stillstand kommt, bevor mit der nächsten Rückblende wieder Fahrt aufgenommen wird. Es ist eine anstrengende Erzählstruktur, und das macht The Sin of Nora Moran wie die meisten Vertreter einer non-linearen Erzählweise (Pulp Fiction vielleicht ausgenommen) nicht zu einem netten Nebenbei-Gucker, sondern vielmehr zu einem Filmwerk, das eine gewisse Konzentration erfordert.

Ein weiterer Schwachpunkt sind die darstellerischen Leistungen. Zita Johann, einer ungarischstämmigen Theaterschauspielerin, die in zwei hektischen Jahren (1933 und 1934) acht Filme drehte, ehe sie der Traumfabrik bis 1985 (!) den Rücken kehrte, überzeugt in den melodramatischen Szenen in ihrer Gefängniszelle, aber in den charakterorientierteren Dialogszenen mit Dick und Grant geht ihr doch sichtlich die schauspielerische Puste aus, ganz abgesehen davon, dass sie selbst für 1933 nicht ganz dem Ideal der männerfressenden femme fatale (und auf diese falsche Fährte wird das Publikum nicht nur durch das reisserische Poster – dessen Modell natürlich keinerlei optische Ähnlichkeit mit Zita Johann aufweist -, sondern auch durch das Script geführt) entsprechen dürfte, sondern mehr wie das average girl-next-door wirkt.

Alan Dinehart als Grant ist vermutlich der beste Schauspieler des Ensembles (und mit der längsten Filmographie) und versucht, den Film in seinen Szenen an sich zu reissen, hat aber leider oft nur sehr hölzerne Dialoge zur Verfügung. Paul Cavanagh als Dick Crawford ist das Musterbeispiel einer klassischen Fehlbesetzung – weder einen schleimigen Politiker noch einen feurigen Liebhaber mag man ihm abkaufen. John Miljan gibt einen angemessen finsteren Schurken, hat allerdings maximal drei Minuten Screentime und kann daher keinen gesteigerten Eindruck hinterlassen und Claire Du Brey agiert ausgesprochen steif (wobei das aber auch durchaus Absicht gewesen sein kann).

Image präsentiert The Sin of Nora Moran in einem B-Movie-Double-Feature zusammen mit dem bald hier zu besprechenden 1938er-Thriller Prison Train in einer hübsch aufgemachten DVD-Edition. Der Print von Nora Moran ist exquisit für das Alter und besticht neben einem sehr klaren s/w-Transfer (Vollbild) auch zur Freude des Zuschauers mit einer ausgezeichneten Tonspur (häufig ein Problem bei so ollen Kamellen). An Zusatzmaterial gibt´s leider „nur“ recht ausführliche und informative Liner Notes.

The Sin of Nora Moran ist kein Unterhaltungsfilm (auch wenn er natürlich ursprünglich als solcher gedacht war – „a never-seen-before screen experience“, wie Phil Goldstone, der, wenn man den Experten auf dem Gebiet glauben darf, übrigens mitnichten Regisseur, sondern lediglich Produzent des Films war – wer denn tatsächlich Regie geführt hat, lässt sich bei der recht laxen Einstellung, die seinerzeit in Punkto „credits“ herrschte, wohl nicht mehr eruieren -, sich auszudrücken pflegte), sondern aus heutiger Sicht hauptsächlich für filmhistorisch interessierte Betrachter einen Hingucker wert. Wer aus eigener Anschauung sehen möchte, woher Filmemacher wie Orson Welles ihre Einflüsse her nahmen (und wenn ich so die Erzählstruktur und Machart von Nora Moran mit der von Glen or Glenda? ansehe, fallen einem doch auch Parallelen auf), bekommt mit diesem Film ein ausgezeichnetes Exempel. Historisch hoch interessant, technisch ausgesprochen bemerkenswert, mit inhaltlichen und darstellerischen Schwächen – ein B-Film, der tatsächlich ein wenig mehr ist als nur ein weiterer x-beliebiger Billigstreifen aus der Steinzeit des Hollywoodfilms.

(c) 2002 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 5


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