The Silent House

 
  • Deutscher Titel: The Silent House
  • Original-Titel: La casa muda
  •  
  • Regie: Gustavo Hernandez
  • Land: Uruguay
  • Jahr: 2010
  • Darsteller:

    Florencia Colucci, Maria Salazar, Gustavo Alonso, Abel Tripaldi


Vorwort

Laura und ihr Papa Wilson haben sich freundlicherweise bereit erklärt, das alte, abgelegene Anwesen von Papas Busenkumpel Nestor zwecks anstehendem Verkauf ein wenig aufzumöbeln – naja, zumindest rudimentär vom Unkraut, Schutt und Gerümpel zu befreien. Nestor wäre es recht, wenn sein dynamisches Helferduo sich auf die Außenanlagen und das Erdgeschoss beschränken würde. Jedenfalls hauen sich Laura und Wilson, kaum, dass Nestor mit seiner Kalesche vom Hof gebraust ist (nicht ohne anzukündigen, in Bälde mit ein wenig Happa-Happa zurückzukommen) auf die jeweiligen Ohren. Aber Laura hat einen leichten Schlaf und die Geräusche aus der ominösen ersten Etage jagen sie mächtig ins Bockshorn. Wilson macht sich die Rechnung auf, dass er, solange Laura panisch rumzickt, eh kein Auge zumachen wird, und erklärt sich bereit, den – selbstredend nur von ihr vernommenen – Geräuschen auf den Grund zu gehen. Schlechte Idee…

Als Laura wenig später kuckt, wo ihr Erzeuger denn abgeblieben ist, fällt der ihr tot aus einem Wandschrank im Obergeschoss entgegen. PANIK! Mit Flucht ist nix, denn alle Ausgänge sind verriegelt. Es MUSS also noch jemand im Haus sein, ergo bewaffnet sich Laura und geht auf die Pirsch. Nach einigen mehr oder weniger aufregenden Streifzügen durch das Gemäuer gelingt ihr tatsächlich der Ausbruch – sie läuft praktisch direkt Nestor vor den Kühlergrill. Der will sich, entgegen Lauras Rat, die mysteriösen Vorkommnisse freilich selbst ansehen. *Auch* keine gute Idee.


Inhalt

Ich bin ja so fuckin‘ spontan. Am letzten Festivaltag hatte ich tatsächlich einmal mehr eine Programmpause und war zu faul, die drei Stationen U-Bahn nach Hause zu fahren, also kaufte ich mir noch ein Ticket für „The Silent House“. Der Wortvogel hatte zwar dringlich abgeraten (und ich stehe nach dem erschütternden Erlebnis von 36 Pasos dem südamerikanischen Horrorfilm mit gewissen Vorurteilen gegenüber), aber Kollege Jötten meinte, mit „The Silent House“ eine überraschende Entdeckung gemacht zu haben. Nachdem die Festivalleitung zudem noch auf die Kritik der völlig verhunzten Kopie reagiert und eine nigelnagelneue Digitalkopie mit perfekten Untertiteln organisiert hatte, gab ich meinen müden Knochen einen Stoß… schließlich ist das Konzept des Echtzeit-One-Take-Films ja durchaus eins, das mich interessiert.

Nun, „The Silent House“ ist nicht der erste one-take-Film (auch wenn das verschiedentlich im Vorfeld kolportiert wurde) und nicht der erste Echtzeitfilm, dafür aber wenigstens auch kein „found footage“-Pseudo-Doku-Schlonz a la „Paranormal Activity“, sondern schon ein richtiger Spielfilm, auch wenn er auf einer handelsüblichen, bei praktisch jedem Elektronikdiscounter abgreifbaren digitalen Spiegelreflexkamera Marke Canon (1500 Oiros) geschossen wurde. Das macht die Sache, so rein aus unterhaltungstechnischen Gründen, nun aber noch nicht per se besser. Womit wir dann beim Thema wären…

Ich hab persönlich nix gegen Echtzeitfilme, mit dem richtigen Hook können die fesseln wie nix gutes, aber es gibt schon einen ziemlich guten Grund dafür, warum Filmemacher sich in aller Regel dafür entscheiden, ihre Storys eben NICHT in Echtzeit abzufilmen. Echtzeit ist, machen wir uns nix vor, in den allermeisten Fällen langweilig (das erleben wir als leibhaftige Menschen Tag für Tag), und daher bietet es sich eben erzählerisch an, Überflüssiges zu eliminieren, Langwieriges zu straffen, und sich auf die „kinematischen“ Ereignisse zu konzentrieren (es sei denn natürlich, wir sind kirgischer Autorenfilmer o.ä.). „The Silent House“, angeblich basierend auf einem realen Vorfall, der sich in den 40ern in Uruguay zugetragen haben soll, hat, bei Licht betrachtet, Plot für vielleicht fünf bis zehn Minuten, dauert aber 78. Das ist ein Mißverhältnis, das sich auch nicht mehr durch das one-take-real-time-Gimmick und generelles „dunkle-alte-Häuser-SIND-spooky-verdammtnochmal“-Gedöns kompensieren lässt.

„The Silent House“ ist einfach – naja – öde und offenbart unfreiwillig genau den entscheidenden Unterschied zwischen „Echtzeitfilm“ und „Echtzeiterlebnis“. *Selbst* in aufgebrachter, emotional überwältigter Stimmung mit ’ner Taschenfunzel durch ein dunkles, herunterkommenes, verstaubtes, seltsame Geräusche von sich gebendes Haus zu laufen, ist unheimlich und beängstigend. Jemandem dabei zusehen… nicht von Haus aus, da muss sich ein Filmemacher schon etwas mehr einfallen lassen. Wenn Laura gefühlte acht Stunden lang alle Zimmer, Gänge, Treppenhäuser und Schränke des (zugegeben nicht ungeschickt labyrinthisch fotografierten) Hauses abläuft und jeden einzelnen Gegenstand mit ihrer Taschenlampe anleuchtet, auf das dem Zuschauer die Haare zu Berge stehen, ist das auch nicht viel aufregender, als wenn ich in unsere nicht sonderlich ordentliche Garage latsche, um ein neues Sixpack Cola hochzuschleppen. Es ist nicht spannend, solange nicht *IRGENDWAS* passiert, aber in „The Silent House“ passiert nichts, zumindest nicht vor der Kamera. Vereinzelt wird mal eine Szene eingestreut, die mit ein wenig Kontext (den stellt lustigerweise erst der Abspann her – für ’ne Begleitdoku a la „Blair Witch“ hat’s dann doch nicht mehr gereicht) nicht wirkungslos sein könnte (z.B. die Fotowand, die Laura in einem der OG-Zimmer entdeckt), aber auch das ist – selbst mit Kontext – nicht wirklich „scary“, sondern würde lediglich ein Indiz für den großen, Shalalamadingdong-würdigen TWIST!!1 darstellen. Denn jaaa, „The Silent House“ baut darauf, mit einem ausgesprochen radikalen Twist dem Publikum den Boden unter den Füßen wegziehen zu können. Was nicht klappt, aber erst nach einer megamäßigen SUPEREXTREMSPOILER-Warnung zu diskutieren ist.

So, sind wir unter uns? Okay, der mördermäßige Twist ist – der Killer ist Laura. Sie hat ihren Papa umgebracht und killt auch Nestor, als der wiederkommt, um nach dem Rechten zu sehen. Theoretisch schick, hätten wir irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass Laura nicht alle anner Waffel hat, und HÄTTEN WIR NICHT DEN GANZEN FILM AUS IHRER PERSPEKTIVE GESEHEN. Sprich: Die ersten 60 Minuten „The Silent House“ sind für die Katz, weil die Ereignisse, denen wir in *aller Ausführlichkeit* beigewohnt haben, nicht stattgefunden haben. Das ist cheating erster Güte, ist doch Kniff, Gimmick und überhaupt ganze Existenzgrundlage des Streifens, dass wir permanent bei Laura sind, eben mit ihren Augen sehen. Dann kann ich nicht dahergehen und für den Schlussakt alles bisher gezeigte negieren, ohne auch die Erzählperspektive zu brechen (dafür wäre „The Last Broadcast“ ein Beispiel, dessen Twist aus der Perspektive, in der wir 95 % des Films sehen, unlogisch wäre, aber dadurch, dass wir in dort in den letzten drei Minuten eben auch die Erzählweise völlig ändern – von Dokumentation zu Spielfilm – „schlüssig“. Und, weil ich Euch schon meckern höre: „Aber in ‚The Usual Suspects‘ haben die Ereignisse, die wir sehen, auch nicht stattgefunden, rabäh!“. Völlig andere Voraussetzung – „The Usual Suspects“ gaukelt uns nicht vor, wir wären „live“ dabei – wir haben dort einen im wahrsten Sinne des Wortes „unreliable narrator“, der in Flashbacks erzählt, sprich, wir wissen, dass das, was er uns sagt – und zeigt – nicht wahr sein muss; zudem lassen sich beim wiederholten Ankucken genügend Hinweise darauf finden, wie Verbal Kint seine Story zusammenfabuliert. Man kann das auch für unfaires Storytelling halten, aber es ist kein Betrug wie hier). Die Motivation ist, soweit ich mir das aus dem Abspann zusammenreimen konnte (und hieran noch Interesse hatte) wohl eine vage angedeutete Dreiecks-Mißbrauchsgeschichte, aus der man sicher etwas hätte machen können, aber doch um Himmels Willen nicht so… SUPEREXTREMSPOILER Ende.

Technisch ist „The Silent House“ durchaus beeindruckend – auch wenn Hernandez den ein oder anderen Klimmzug machen muss, um mit dem Echtzeitgimmick hinzukommen (da legen sich Laura und ihr Papa am hellichten Tag SOFORT aufs Ohr, weil nur, wenn sie schlafen, gleich zum „unheimlichen“ Teil gekommen werden kann. Halte ich für’n bissken schofel, hat Nestor doch angekündigt, bald wieder da zu sein, was er auch EINE SCHLAPPE STUNDE später ist – stellt sich schon die Frage, warum er das versprochene Happa nicht gleich mitgebracht hat -, als Nestor wäre ich schon etwas säuerlich, wenn die von mir gedungenen Handlanger offenbar in jeder Sekunde, die er sie nicht überwacht, ratzen), aber die handwerkliche Umsetzung – a la bonneur (was ich als staatsbekannter Feind französischer Rechtschreibung und Grammatik hoffentlich richtig geschrieben habe). Ob diese one-take-Sache wirklich hinkommt oder auch ein bissl geschummelt ist, ist fraglich – es gäbe durch einige strategisch gesetzte Schwarzblenden schon Gelegenheit für einen unauffälligen kleinen Schnitt, aber es ist wirklich sehr smooth, hat wenig von dem hippen Zappel-Camcorder-Look und wartet sogar mit einigen Tricks auf, bei denen man schon mit der Zunge schnalzen kann (case in point: die Szene, in der Laura aus dem Haus „ausgebrochen“ ist, auf der Straße steht und bald auf den zurückkehrenden Nestor stoßen wird, in der die Kamera mehrmals beinahe unmerklich die Position wechselt) – Kameramann Pedro Luque holt aus der Customer-Canon Dinge heraus, die womöglich nicht mal der Hersteller auf der Rechnung hatte – jedenfalls sollte die Firma umgehend mit den Filmemachern Kontakt aufnehmen, ob sie nicht ein paar Sequenzen aus dem Film als Werbung verwenden will… nur ist ein reines Kamera-Technik-Showcase halt noch kein unterhaltsamer Film.

Gegen die Darsteller ist wenig zu sagen – Florenca Colluci macht sich als Laura durchaus patent, speziell, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass sie (soweit wir wissen), die 78 Minuten in einem Rutsch durchspielen musste (und sie wirklich in beinahe jeder Einstellung präsent ist) – auch wenn sie natürlich einen Großteil der Laufzeit damit bestreiten kann, erschreckt mit aufgerissenen Augen halbpanisch durch das Haus zu irren -, dass sie an der „Sollbruchstelle“ des Films nicht ganz in der Lage ist, diese Entwicklung wirklich überzeugend rüberzubringen, ist weniger ihr Fehler als der der ganzen Herangehensweise an die „Geschichte“ an sich. Gustavo Alonso und Abel Tripaldi haben, weil der Film eben total auf die Laura-Figur fokussiert ist, nicht sonderlich viel zu tun.

Fazit: Ob man „The Silent House“ nun gut findet, hängt entscheidend von der Frage ab, ob es einem als Zuschauer reicht, ein fantastisches Kamera-Demo (das sowohl die Fähigkeiten des Geräts als auch die des Bedieners nun wirklich im strahlendsten Licht erscheinen lässt) zu sehen, aber inhaltlich ohne jegliche Substanz mit einer wahren Nichtigkeit an Plot abgespeist zu werden, zumal das Echtzeitgimmick für den Film selbst nicht wirklich was zur Sache tut – ob die Geschichte sich in 80 Minuten oder 8 Stunden abspult, ist vollkommen ohne Belang; Echtzeitfilme funktionieren halt am besten, wenn sie tatsächlich ein Limit setzen, etwas postulieren, das nach Ablauf einer gewissen Frist passieren wird. Hier gibt es keinen solchen externen Druck, der für die notwendige Dynamik sorgt – real-time ist hier halt nur etwas, was man zwangläufig gratis durch die one-take-Gschichte mitgeliefert bekommt, dramaturgisch hat das keinerlei Bedeutung (die „real time – real fear“-Tagline bleibt also unerfüllt, weil wirklich was „zum fürchten“ von „The Silent House“ keine Sekunde lang geboten wird). Naja, letztlich hat die technikverliebte Gimmickwichserei einen Vorteil – ohne die grandiose Kameraarbeit wäre der Streifen ein absolut vergessenswerter Pseudohorrorfilm ohne jegliche Existenzberechtigung, den ich ohne weiteres auf den Müllhaufen der „gesehen-und-nicht-mal-gelacht“-Kategorie geworfen hätte, so aber hangelt sich „The Silent House“ immerhin auf eine 2er-Bewertung und den Ratschlag, dass ambitionierte Filmemacher hier mal ein tolles Lehrbeispiel dafür finden, wie man auch mit wenig Geld und handelsüblicher Technik einen optisch fantastischen Film zaubern kann (wenn man halt auch Talent hat). Den ganzen Rest, also mit Story, Charakteren, plausiblen Twists, Spannung und Zeuch, den üben wir aber noch, ja, liebe Urus?

2/5
(c) 2010 Dr. Acula


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