The Naked Man

 
  • Deutscher Titel: The Naked Man
  • Original-Titel: The Naked Man
  •  
  • Regie: J. Todd Anderson
  • Land: USA
  • Jahr: 1998
  • Darsteller:

    Michael Rapaport (Edward Bliss jr.), Michael Jeter (Sticks Verona), John Carroll Lynch (Sticks Fahrer), Arija Bareikis (Kim Bliss), Rachael Leigh Cook (Dolores), Martin Ferrero (Sonny), Joe Grifasi (Det. Lt. Albert Karski), Peter Thoemke (Ed Bliss sr.), Nancy Plank (Marlinda Bliss)


Vorwort

Weil sein Vater, ein altgedienter Apotheker, weder mit Eddie Bliss‘ Berufswahl „Chiropraktiker“ noch mit seinem Hobby „Wrestling“ einverstanden ist, musste Eddie das Elternhaus verlassen – ein paar Jahre später hat er’s geschafft, eine eigene Praxis gekauft und, seiner hochschwangeren Frau Kim zuliebe, sogar (schweren Herzens) eingewilligt, das Profi-Catchen sein zu lassen, sehr zum Verdruss seines Promoters Sonny. Zum perfekten Glück fehlt nur noch die Versöhnung mit Papa, und siehe da, auch der alte Herr hat seinen Frieden damit gemacht, dass Eddie keine Pillen drehen mag, sondern lieber mit gottgleicher Begabung Wirbel einrenken will. Doch während Eddie ein paar Besorgungen für seine neue Praxis macht, schlägt das garstige Schicksal in Form des verkrüppelten Apotheken-Moguls Sticks Verona zu. Der möchte nämlich Papa Bliss‘ Apotheke seinem Imperium, das als Front für teuflische Drogengeschäfte dient, einverleiben. Ed Bliss sr. lehnt souverän ab und wird zum Dank samt Frau und Schwiegertochter von Sticks mit seinen Maschinengewehr-Krückstöcken über den Haufen geschossen. Als Eddie zur Apotheke zurückkommt, sieht er nur Leichensäcke und klinkt geistig völlig aus – ohne mitzubekommen, dass Kim den Anschlag überlebt hat, kehrt er in den Wrestling-Ring zurück, wischt (in seinem Gimmick des „nackten Mannes“, in Wrestling-Outfit eines „gehäuteten“ Menschen) mit der versammelten Ringermischpoke brutal und knochenbrechenderweise den Boden auf, killt in einer Biker-Bar einen Haufen harter Rocker, die die von Eddie gepredigten Vorzüge einer gesunden Wirbelsäule nicht zu würdigen wissen und kommt eher zufälligerweise auf Sticks Schliche. Doch dem cleveren Ganoven gelingt es, Eddie unter Drogen zu setzen, die Überschreibung der väterlichen Apotheke aus dem Kreuz zu leiern und ihn in eine Irrenanstalt zu verfrachten. Die Biker-Braut Dolores, die am schweigsamen Eddie einen Narren gefressen hat, befreit ihn aus der Klapse, so dass der Nackte Mann seine Rache vollenden kann…


Inhalt

Öh. Äh. Ja. Das war… seltsam.
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Zunächst muss ich mich bei meiner Freundin bedanken, die sich auf ihrer jüngsten Einkaufstour daran erinnerte, dass der Doc zum Leidwesen mancher Leser immer noch Wrestling-Fan ist und „The Naked Man“ für einsneunundneunzich mitnahm, unter der Maßgabe, dass es sich dem Cover nach um einen Wrestling-Film handeln sollte. Nun taugen zwar die wenigsten Wrestling-Filme was (Schreiber dieser Zeilen hofft mit gewisser Berechtigung angesichts des Vorab-Presseechos auf Darren Aranofskys „The Wrestler“, dem man bescheinigt, Mickey Rourke zu unerwarteten Glanzleistungen angetrieben zu haben), aber warum soll’s bei Wrestling-Filmen anders sein als bei allen anderen Genres, Stichwort Sturgeon’s Law (90 % von allem ist Mist)? Gut, jetzt habe ich mir „The Naked Man“ angesehen und, wie man dem ersten Satz dieses Reviews schon ansehen kann, ich weiß wirklich nicht, was J. Todd Anderson und sein Co-Scriptwriter Ethan Coen (kein größenwahnsinniger Hochstapler, sondern tatsächlich der eine von den Coen-Brüdern, die uns Meisterwerke wie „Fargo“, „The Big Lebowski“ oder „No Country for Old Men“ bescherten; Anderson ist übrigens hauptamtlich auch bei den Coens beschäftigt und zeichnet für die Jungs die Storyboards), uns mit diesem Film sagen wollten.

Formell firmiert der Streifen als „Komödie“, aber das ist mal wieder eine von der Sorte Komödien, in denen’s recht wenig zu lachen gibt, weil das ganze Storykonstrukt so wirr, so „all over the place“ ist, dass es dem Zuschauer sehr schwer fällt, an den Stellen, die das Drehbuch hierfür vorsieht, *mit* dem Film zu lachen. Im Ansinnen, eine so Coen-typische Melange aus unterschiedlichen Genre-Versatzstücken zu einem „Gesamtkunstwerk“ zusammenzusetzen, mixen Anderson und Ethan Coen wild und oft einfach nur zusammenhanglos Elemente aus Komödie, coming-of-age-Drama, purem Melodrama, film-noir-detective-Parodie, Sport-(Wrestling-)Film, Selbstjustiz-Racheaction und cartoonhaftem Gewaltcomic und fallen damit, so leid es mir tut, absolut und frontal auf die Schnauze. Was durchaus zu bedauern ist, denn konsequent auf Comedy getrimmt, könnte ein Film über einen obskur maskierten Wrestler auf Rachefeldzug schon amüsant sein und die Grundzutaten in Form von schrägen Charakteren sind ja auch vorhanden, aber leider nehmen Drehbuch und Regie den Film an den entscheidenden Stellen viel zu ernst – Beispiele gefällig: da haben wir gerade also Cartoon-Comic-Action, wenn der Bösewicht mit seinen Krückstock-Maschinengewehren um sich ballert; in der nächsten Szene wird dann der Held schockiert Zeuge, wie gerade seine (wie gesagt hochschwangere) Frau in einen Leichensack gepackt wird. Da stimmt einfach der Ton nicht, die Überleitung zwischen völlig übertriebener Comedy-Gewalt und hartem, realistischen Melodram ist in ihrer Unbeholfenheit schmerzhaft. Noch’n Beispiel? Gerne. Danach also marschiert unser Held im Schockzustand zum Wrestling-Event, packt sich in sein Kostüm, mischt die versammelte Ringermischpoke zur Begeisterung des Publikums auf und hält im Ring ein bizarres Promo über die Wichtigkeit einer gesunden Wirbelsäule, und DANN stellen wir eine Szene später fest, dass die von ihm aufgemischten Kumpels und Kollegen nicht nur bewusstlos im Ringstaub liegen, sondern offensichtlich TOT sind. Gekillt von unserem ach-so-sympathischen Helden – der dann nichts anderes zu tun hat, als wenig später in einer Biker-Bar relativ unprovoziert Genickbrüche en gros zu verteilen. Ja, der Knabe ist im Schock und kann Realität und seine Wrestler-Welt nicht mehr voneinander unterscheiden, aber es macht es trotzdem völlig unmöglich, mit dem Kerl, der massenweise Unschuldige tötet (und wesentlich mehr als der nominell Böse des Films), zu sympathisieren, was wir aber sollen (und auch als gerechtfertigt ansehen müssen, da Eddie am Ende ungeschoren davon kommt). Das ist nicht unbedingt, zumindest für yours truly, der Stoff, aus dem die Schenkelklopfer-Komödien sind. Ich deutete es bereits an – der Ton macht die Musik, und das Zusammenrühren von over-the-top-Charakteren und tödlich ernstem Melodram und ebenso tödlicher Gewalt erweist sich als recht ungenießbares Kompott, aber ist immerhin so daneben, dass es den geneigten Zuschauer gar nicht mehr wundert, dass im Finale sogar noch die Gore-Keule ausgepackt wird und Sticks Elvis-imitierender Fahrer seine Gedärme um einen Flugzeugpropeller wickeln darf. It’s completely insane and inane (speziell, da der Film zu implizieren scheint, Eddie wäre auf einem echten „Rachefeldzug“, aber dass er schlussendlich auf Sticks und damit den echten Mörder trifft, ist reiner Zufall und keiner irgendwie gearteten „Strategie“ des Helden zu verdanken).

Der unbedingte Wille, diverse inkompatible Genreversatzstücke in ein mehr oder minder, eher minder, schlüssiges Ganzes zu packen, führt freilich auch zu argen strukturellen Problemen – die Auftaktphase, in der wir aus endlosen Flashbacks Eddies Backstory erfahren (und immerhin ein gewisses Verhaltensmuster begründet wird, indem wir Zeugen werden, wie Eddie Junior seine frisch gelernten Ringer-Fähigkeiten dazu nutzt, den Schulhof-Rüpeln, die ihm übel mitgespielt haben, die Arme zu brechen), nervt, der Subplot um den zerknittert-versifften Polizei-Detective Karski ist völlig unnötig und surreal angehauchte Traumsequenzen und Szenenübergänge machen den Zugang zum Werk auch nicht leichter. Wenn ich dem Drehbuch überhaupt Kredit gewähren will, dann dahingehend, dass es Wrestling authentisch als Show und Entertainment und nicht als legitimen Sport zeichnet (allerdings glaube ich nicht, dass Hinterhof-Promotions einen „all wrestlers alarm“-Knopf installiert haben, bei dessen Aktivierung der gesamte locker room in den Ring spurtet).

Durch die Zerrissenheit des Scripts und das uneinheitliche Herumpendeln zwischen gewollt Komischem und ernst gemeinter Tragik erreicht der Film nie wirklich einen echten „flow“, zwangsläufig zerfällt der Streifen in einzelne Episödchen, in denen eigentlich nur die Auftritte von Stick und seinem Fahrer wirklich *witzig* sind (speziell, wenn der Fahrer bei jeder passenden und erst recht bei jeder unpassenden Gelegenheit ein Spiegelei-Frühstück ordert), zumal eben die „harte“ Action meist off-screen bleibt und im BIlde nur überzeichneter Comic-Klamauk ist (so knotet Eddie ungelogen einem Henchmen der Bösen die Gliedmaßen auf dem Rücken zusammen). Der Film hat kein Tempo, keinen Drive, keine Dynamik, leider eben auch wenig echte Komik und seine dramatischen Elemente sind völlig deplaziert und hanebüchen. Möglicherweise hätte hier einiges gerichtet werden können, wenn die Coens selbst Regie geführt hätten, aber Anderson ist leider trotz der Vertrautheit mit dem Coen’schen Arbeitsumfeld und ihrer Arbeitsweise nur ein lausiger Imitator, der beim Storyboard-Kritzeln hätte bleiben sollen. „The Naked Man“ ist trotz des Versuchs, mit übersteigerten Comic-Elementen zu arbeiten, langatmig und stellenweise offensiv nervtötend. Auch Kameramann Jeff Barklage (der zuletzt den kroatischen Action-Film „Ultimate Force“ mit dem dortigen MMA-Superstar Mirko „Cro Cop“ Filipovic fotografierte… den will ich sehen) fällt nix ein, um den Streifen wirklich visuell interessant zu gestalten. Der Score von Edward Bilous („Sleepaway Camp“) ist vergessenswürdig.

Die Wrestling-Sequenzen wurden von WWF-Veteran Ken Patera (der auch als Wrestler auftritt) choreographiert – der ehemalige Gewichtheber war allerdings kaum für seine kreative Ringtechnik bekannt, demzufolge sind diese Szenen auch eher uninteressant und lassen das Wrestling-Fan-Herz nicht gerade höherschlagen (die Wrestler selbst sind übrigens allesamt unbeschriebene Blätter, die nicht mal in der Indy-Szene von Belang sind). Trotz des body counts gibt’s auch nicht viel echter on-screen-Action, und die Gore-Einlage im Finale ist, was zumindest vor dem beabsichtigten (nur halt leider verfehlten) komödiantischen Hintergrund verzeihlich ist, von abenteuerlich schlechten prosthetics gekennzeichnet.

Schade ist’s um den sympathischen Cast – Michael Rapaport („The 6th Day“, „Boston Public“, „Prison Break“) hat eigentlich genau die richtige „nicht-das-hellste-Licht-am-Himmel-aber-mit-dem-Herz-am-rechten-Flech“-Ausstrahlung, um die Figur funktionieren zu lassen, scheitert aber eben daran, dass sich sein Charakter in diesem ewigen Konflikt „Comic-Figur/ernsthafter Rächer“ absolut nicht wohlfühlt. In den komödiantischen Elementen ist Rapaport deutlich besser als als gnadenloser Genickbrecher. Michael Jeter, der Sticks als völlig durchgeknallten Comic-Schurken gibt, und den wir aus „Jakob der Lügner“, „Jurassic Park III“ oder „Fear and Loathing in Las Vegas“ kennen könnten, hat sichtlich Spaß an der total bescheuerten Rolle und gibt in diesem Sinne Vollgas – was um so schmerzlicher deutlich macht, um wie viel unterhaltsamer der Film wäre, hätte man ihn eben konsequent auf Wrestling-Comic getrimmt; was auch auf John Carroll Lynch („Zodiac“, „Gothika“) als Aushilfs-Elvis zutrifft. Arija Bareikis („Oz“, „Crossing Jordan“, „Deuce Bigelow: Male Gigolo“) als Kim ist langweilig-blass, Rachael Leigh Cook („Las Vegas“, „Blow Dry“, „Get Carter“) ist als Biker-Schlampe schnucklig anzusehen, hat aber kaum gehaltvolles (oder witziges) zu spielen, sofern man es nicht – wie offensichtlich die Autoren – per se für lustig halten, wie sie auf den killenden und schweigsamen Rächer abfährt. Die völlig nutzlose Rolle des Möchtegern-hardboiled detectives übernimmt eindruckslos Joe Grifasi („L.A. Law“, „Natural Born Killers“), seinen Spaß hat zumindest Martin Ferrero („Gods and Monsters“, „Jurassic Park“, „Get Shorty“, „Miami Vice“) als Wrestling-Promoter.
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Bildqualität: Sieh an, unsere Freunde von MCP (den Laden gibt’s noch?) haben mittlerweile rausgefunden, dass man Filme auch in anamorphem Bildformat auf die DVD klatschen kann? Chapeau… so kommen wir in den Genuss eines zweckmäßigen, nicht herausragenden, aber für die Ramschkisten-Klasse allemal genehmigungsfähigen 1.85:1-Transfers, der sich in allen Disziplinen bei Durchschnittswerten einpendelt.

Tonqualität: Noch nicht rumgesprochen hat sich dafür bei MCP, dass man auch eine O-Ton-Spur auf die Scheibe klatschen kann. Also bleibt uns nur der deutsche Ton von ebenfalls zweckdienlicher Güte (und plausibler Synchro-Qualität) in Dolby Digital 2.0 (auch schon ein Fortschritt gegenüber älteren, schlicht PCM-Stereo bietenden MCP-Scheiben).

Extras: Außer einer Trailershow nichts gewesen.

Fazit: Ohjemine. Das war’n Desaster. Sympathische Darsteller verschleißen sich mit teilweise richtig engagierter Performance in einem völlig konfusen Script, ein Regisseur, der versucht, große Vorbilder zu imitieren, dilettiert munter vor sich hin… Schließlich und endlich steht und fällt der (Miss-)Erfolg von „The Naked Man“ mit der ausgesprochen blöden Idee, Cartoon-Charaktere in eine letztlich bitterernste Geschichte zu packen – das ist ein filmisches Experiment, das möglicherweise die Coen-Brüder hätten erfolgreich lösen können, nicht aber der bedauernswerte J. Todd Anderson. „Interessant“ genug unter trainwreck-Gesichtspunkten für eine Ansicht zum Wundern-und-drüber-den-Kopf-schütteln, letztendlich aber nicht mehr als eine unbedeutende und unnötige Fußnote in der an Meisterwerken reichen Geschichte der Coens. Bizarr, aber nicht auf die „gute“ Art. Wir raten ab.

2/5
(c) 2008 Dr. Acula


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