The Card Player

 
  • Deutscher Titel: The Card Player
  • Original-Titel: I Cartaio
  • Alternative Titel: The Card Player |
  • Regie: Dario Argento
  • Land: Italien
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Stefania Rocca (Anna Mari), Liam Cunningham (John Brennan), Silvio Muccino (Remo), Adalberto Maria Merli (Polizeichef), Claudio Santamaria (Carlo Sturni), Fiore Argento (Lucia Marini)


Vorwort

Attraktive junge Frau in Rom möchte ich nicht sein – nirgendwo sonst ist wohl die Dichte psychopathischer Serienkiller höher als in der Stiefelhauptstadt. Jedenfalls macht mal wieder ein Bekloppter die Straßen unsicher (d.h. noch unsicherer als eh schon durch wildgewordene Fiat- und Vespa-Fahrer) – dieser nennt sich der „Kartenspieler“ und lädt die Polente zum fröhlichen Pokern um das Leben seiner Opfer ein. Trotz der Proteste der Jungbulette Anna lehnt der Polizeichef die Online-Pokerrunde ab; verhängnisvoll für das Opfer, dem vor laufender Webcam die Kehle durchgeschnitten wird. Da es sich bei der Ermordeten um eine britische Touristin handelt, wird der Konsulatscop Brennan hinzugezogen. Trotzdem wird eifrig im Dunkeln getappt. Beim zweiten Opfer spielt die Polizei mit, aber der ausgesuchte Bulle versagt kläglich, so dass man auf die grandiose Idee verfällt, den örtlich besten Videopoker-Spieler für zukünftige Runden zu engagieren – der ist zwar grad mal 19 und ein rechter Kindskopf, aber ein Genie, wenn’s um virtuelle Kartenspiele geht. Tatsächlich gelingt ihm eine Lebensrettung, aber auf solche Einmischung reagiert der „Kartenspieler“ allergisch – dito auf die sich anbahnende Romanze zwischen Anna und Brennan…


Inhalt

Mit Dario Argento ist es ein Kreuz. Der Mann ist ohne Zweifel ein visuelles Genie und zuständig für einige der optisch beeindruckendsten Genre-Filme der letzten, na, gut 30 Jahre, aber seit einiger Zeit (und die dauert nun auch schon eine ganze Weile) bringt der Maestro nichts mehr rechtes auf die Pfanne. Zwar wird regelmäßig jeder neue Argento mit dem Vorab-Hype der „Rückkehr zur alten Form“ bedacht, aber wenn man sich bleistiftsweise „Sleepless“ oder (tieflufthol) „Phantom der Oper“ ansieht, fragt man sich ebenso regelmäßig, ob das wirklich der selbe Argento ist, dem wir zwar oft und gerne hohl-doofe, aber immer wieder edel gefilmte Meilensteine wie „Opera“ oder „Suspiria“ verdanken oder ob er nicht doch heimlich, still und leise einen minderbemittelten Auftragsschergen unter seinem guten Namen arbeiten lässt (oder wie der Bava-Clan die Fackel längst an einen Junior weitergegeben hat, ohne dem trauten Publikum dies mitzuteilen).

„The Card Player“ wäre herzlich gern ein Giallo für das 21. Jahrhundert, aber vielleicht ist das schon die Krux per se. Kann man das Erfolgsrezept der 70er-Giallos in die Gegenwart übertragen? Nachdem „Eyes of Crystal“, ein anderer Neo-Giallo-Versuch, ebenfalls recht schmählich gescheitert ist, wage ich diesbezüglich dezente Zweifel anzumelden. Man kommt heutzutage einfach nicht mehr mit jeder doofen Plotte durch und wenn dann noch die Schauwerte fehlen, wird’s halt übel. Mag sein, dass Meister Argento durchaus beabsichtigt mit der Erwartungshaltung seiner Fans bricht und sein Werk als vergleichweise erdig, rau und, hm-hmpt, „realistisch“ anlegt, blöderweise sind halt gerade seine visuellen Qualitäten der Part der Gleichung, der über unlogisch-doofe Skripte und bestenfalls mediokres Schauspiel hinwegsehen lässt – fehlt nun auch noch die optische Grandezza, bleibt nicht viel übrig, an dem man sich als geneigter Zuschauer hochziehen könnte.

Was bleibt, ist mal wieder ein selten dämlich konstruiertes Thrillerszenario, dessen Fragwürdigkeiten sich leider nur durch einen SPOILER-intensiven Abriss darstellen lassen (also, wer sich die, hihi, Spannung erhalten will, möge erst nach dem SPOILERENDE weiterlesen):

Der Killer mordet, wie üblich, aus verschmähter Liebe – er begehrt Anna, die will aber von ihm nix wissen. Weswegen er u.a. ihren Liebhaber, den Britencop, killt, der aber erst zu ihrem Liebhaber wird, NACHDEM er zu den Mordermittlungen hinzugezogen wird. Hellseherisch veranlagter Killer?

Der erste Mord war, wie wir erfahren, unfair – als die Cops sich weigern, um das Leben der Entführten zu spielen, ist die schon längst tot, aber ihr Tod wird vom Killer während des Spiels live mit der Webcam übertragen. Gut, zeitversetzt senden kann jeder, aber wie konnte der Killer genau abpassen, wie lange die Cops für ihre Beratungen brauchen werden und im dramaturgisch richtigen Zeitpunkt den Kehlenschnitt über’s Web funken?

Doch schon zum dritten Opfer fällt der Polente ein, vielleicht doch einen Poker-Profi hinzuzuziehen. Blitzmerker… doch dabei wäre das eigentlich gar nicht nötig, weil…

Argento bzw. sein Scripter keinen Schimmer haben, wie Poker funktioniert. Das Script reitet elendiglich (und durchaus richtig) darauf herum, dass Poker ein psychologisches Spiel ist, bei dem das eigentliche Ziel ist, den Gegner zu verunsichern und ihn zu falschen Entscheidungen zu veranlassen. Wie gesagt, das ist durchaus richtig, jedoch mit Sicherheit NICHT in der Variante, die der Film propagiert – anstatt nämlich mit Einsätzen, Bluff und Gegenbluff zu arbeiten, beschränkt sich Poker in der hier gezeigten Online-Fassung auf schlichtes Karten-Aufdecken und –Vergleichen. Da ist keinerlei psychologische Komponente drin, weil einfach gar keine entstehen kann – genauso gut könnten Killer und Cops „höchste Karte gewinnt“, Münzwurf oder Schwanzvergleich spielen, das wäre ebenso „psychologisch“.

Und vom Finale, in dem Anna und der Killer, mit Handschellen an Bahngleise gefesselt, am mitgebrachten Killer-Laptop um den Schellenschlüssel spielen, will ich gar nicht reden (vor allem nicht davon, dass es eigentlich ziemlich ungefährlich ist. Nicht zur Nachahmung empfohlen, sicher, aber jetzt auch keine unlösbare Todesfalle).

SPOILERENDE

Da alles, wie schon erwähnt, auf optisch biedere Weise erledigt wird, erinnert „The Card Player“, der übrigens konsequent als „Polizeithriller“ konzipiert ist, weniger an einen glorreichen Giallo denn an einen extrem doofen „Tatort“ – wäre es ein solcher Fernsehthriller, würde man sich als Genrefreund wenigstens noch über die leidlich amüsanten Ruppigkeiten erfreuen können – die locken zwar den bewussten Straßenköter nicht hinter der Ofenbank vor (weil sie auch zu selten eingesetzt werden, um den Gorehound zufriedenzustellen), sind aber doch die mageren Höhepunkte des Films.

Im Score experimentiert Claudio Simonetti, der alte Goblin, mit neumodischen Techno-Rave-Klängen, was zwar zunächst für etwas novelty value sorgt, aufgrund der Repetivität aber im Filmverlauf etwas zu nerven beginnt.

Darstellerische Leistungen höherwertiger Art sind kaum zu verzeichnen. Stefania Rocca, gut beschäftigte italienische TV-Schauspielerin und u.a. auch in Tom Tykwers heftig misslungener Kieslowski-Adaption „Heaven“ zu sehen gewesen, absolviert eine anspruchslose Rolle auf Automatik und leidet speziell in der mir vorliegenden UK-Version darunter, als einziges Ensemblemitglied synchrontechnisch einen entsetzlich aufgesetzten italienischen Akzent verpasst bekommen zu haben (es ist wirklich dämlich – der Film spielt in Rom, bis auf einen Charakter handelt es sich durch die Bank um Italiener – und die Hauptdarstellerin spricht als einzige Akzent. Auf so’n Stuss kommen normalerweise doch nur deutsche Synchroidioten).

Der Ire Liam Cunningham, der die gesetzlich vorgeschriebene Rolle des „ausländischen“ Gaststars im Giallo erfüllt, ist Genre-Freunden aus dem Low-Budget-Überraschungs-Werwolf-Hit „Dog Soldiers“ (den ich für latent überschätzt halte) ein Begriff und wird auch im dortigen Sequel mit von der Partie sein. Cunningham holzt sich mit grobem irischen Charme durch den Film – subtiles Spiel ist seine Sache nicht, aber es passt zur Rolle des taffen Ermittlers (auch wenn er kaum was ermittelt).

Als Remo kann Jungschauspieler Silvo Muccino kaum überzeugen. Adalberto Maria Merli als Polizeichef ist insofern ein netter Besetzungs-Coup, als der Akteur die Rolle des Polizeichefs schon Anfang der 70er in Bud Spencers „Plattfuß“-Filmen mimte. Claudio Santamaria bleibt farblos.

Wenn uns Dario Argento auch den Anblick von Asia Argento nicht gönnt, geht’s nicht ohne Argento-Tochter ab – die ältere Halbschwester Asias, Fiore, vom Maestro auch schon in „Phenomena“ und „Trauma“ vor die Kamera gezerrt, gibt hier ein glückliches, da überlebendes Entführungsopfer ab (lustig: sie spielt die Tochter des Polizeichefs, bekommt aber im Gegensatz zu ihm einen kompletten Charakternamen – Lucia Marini. Papa bleibt im Abspann „Police Commissioner“. Diskriminierung!). Asia ist, unverschämter Chauvinismus voraus, hübscher und kann mehr.

DVD: Die mir vorliegende UK-DVD von Arrowfilms kommt in ansehnlichem, aber auch nichts spektakulärem anamorphen 1.85:1-Widescreen und englischem Ton wahlweise in Dolby 5.1 und 2.0 (auch hier: nothing to write home about). An Extrs wird ein Making of, diverses Promomaterial und der Trailer geboten, dito optionale Untertitel. Geht okay.

Fazit: Ich gebe es hiermit amtlich bekannt – von Argento kommt nix mehr (mit gewissem Bedenken sehe ich daher dem angekündigten Abschluss seiner „Three Mothers“-Trilogie entgegen. Das wird wohl auch eher im Nachgang das Andenken der Klassiker schänden denn dem Argento-Kanon einen neuen Top-Eintrag hinzufügen). „The Card Player“ ist ein lausig konstruierter, es an Dämlichkeit (aber auch nur da) mit „Opera“ aufnehmen könnender, mittelprächtig gespielter und dabei langweilig aussehender Möchtegern-Giallo, ein weiterer Beweis für die These, dass Argento ein gutes Script nicht erkennen würde, wenn’s vor ihm auf und ab hüpft und schreit „küss mich, ich bin ein Drehbuch“, und dann halt nicht mal das optische Fest, wie man es vom Meister eigentlich erwarten darf. Und DAS ist dann die Enttäuschung. Zeit für die Rente, Signore Argento.

2/5
(c) 2007 Dr. Acula


mm
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