Tesis – Der Snuff-Film

 
  • Deutscher Titel: Tesis - Der Snuff-Film
  • Original-Titel: Tesis
  •  
  • Regie: Alejandro Amenabar
  • Land: Spanien
  • Jahr: 1995
  • Darsteller:

    Ana Torrent (Angela), Fele Martinez (Chema), Eduardo Noriega (Bosco), Miguel Picazo (Figueroa), Javier Elorriaga (Castro)


Vorwort

Schockierende Ereignisse an einer spanischen Hochschule – Studentin Angela, die an einer Diplomarbeit über audiovisuelle Gewalt arbeitet, findet ihren Professor Figueroa eines Morgens tot im Filmvorführsaal. Einer spontanen Eingebung folgend nimmt sie das Video, dass der Prof vor oder während seines Ablebens angesehen hat, an sich. Das hätte sie mal besser nicht getan, denn wie sich herausstellt, zeigt das Band die brutale Folterung und Ermordung einer vor zwei Jahren verschwundenen Studentin. Gewaltfilmfreak Chema drängt sie eher gegen ihren Willen in eine private Ermittlung. Der Verdacht richtet sich zunächst auf den Kommilitonen Bosco, der gleich mal das ein oder andere Auge in Richtung Angela wirft. Doch auch der Figueroas Nachfolger, Professor Castro, lenkt durch sein undurchsichtiges Verhalten reichlich Verdacht auf sich. Während Angela und Chema auf die Spur eines lukrativen und produktiven Snuff-Film-Rings kommen, stellt sich plötzlich auch die Frage, ob Chema nicht auch Teil der Bande ist. Für Angela wird die Lage ausgesprochen lebensbedrohend…


Inhalt

Der Mythos von „Snuff“-Filmen, also Videos, die die reale, nur für den Film durchgeführte Ermordung von Menschen zeigen, ist nicht totzukriegen und strahlt weiterhin seine makabre Faszination aus. Begründet wurde diese „urban legend“ in den 70er Jahren von einem cleveren US-Filmproduzenten, der einen billigen, in Südamerika gedrehten Actionfilm mit einem angetackerten Ende, in dem angeblich die Hauptdarstellerin vom Filmteam vor laufender Kamera getötet wurde, und mit einer entsprechend reißerischen Werbekampagne („filmed in South America, where life is cheap“), versah – fertig war „Snuff“, der in den Grindhouse-Kinos ordentlich Kasse machte (und jüngst in den USA auf DVD aufgelegt wurde). Seitdem ist verschiedentlich die Existenz tatsächlicher Snuff-Videos behauptet worden (unter anderem hielt u.a. Charlie Sheen die ihm einstmals zugespielten japanischen „Guinea Pig“-Filmchen für echt), bewiesen werden konnte allerdings bis zum heutigen Tag nichts.

In den 90er Jahren nahm sich nicht nur Joel Schumacher mit seinem fulminanten filmischen Schlag in die Magengrube „8 mm“ des Themas an, sondern auch der spanische Filmemacher Alejandro Amenabar. Obwohl es zwischen beiden Filmen themenbedingt gewisse Gemeinsamkeiten gibt, packen sie das heikle Subjekt auf unterschiedliche Weise an. Während Schumacher sich eher von der kriminalistischen Seite annäherte und seinen Protagonisten Nicolas Cage auf eine mörderische Jagd durch den Porno-Untergrund schickte, versucht Amenabar, aus dem Stoff einen psychologischen Thriller zu stricken, der weniger an dem „wie“ und „warum“ interessiert ist denn an den mentalen Auswirkungen auf seine Protagonistin Ana Torrent (Angela). Überspitzt ausgedrückt ist Snuff in „Tesis“ eher ein klassischer Hitchcock-MacGuffin, während das Thema in „8 mm“ integral für den Plot ist – nimm den Snuff-Angle aus „Tesis“ heraus und der Film bliebe mit ein paar leichten taktischen Umstellungen immer noch ein passabler Serienkiller-Thriller, aus „8 mm“ ließe sich hingegen auch mit größeren Script-Operationen ohne die Snuff-Thematik nichts anderes destillieren.

Langer Rede wie üblich spärlicher Sinn – „Tesis“ ist ein erheblich konventionellerer Thriller als „8 mm“ und damit will ich die Vergleichsorgie auch beenden und mich dem spanischen Genrebeitrag an sich zuwenden. „Konventioneller“ heißt in dem Fall nicht notwendigerweise „schlechter“, denn „Tesis“ kann vom Scriptwriting her durchaus überzeugen – das Buch ist geschickt konstruiert und bietet sowohl sehr intensive (wenn auch nicht harte) Spannungsszenen als auch genügend überraschende Drehungen und Wendungen, um den Zuschauer über die doch recht lange Laufzeit von fast zwei Stunden hinweg zu fesseln. Kleinere Schwächen sind trotzdem zu verzeichnen – den oben angesprochene Verzicht auf die Lösung der „warum“-Frage, also der Motivation des Täters mag man möglicherweise als verstörenden Kommentar auf die durch Gewaltdarstellungen in den Medien abgestumpfte Gesellschaft verstehen (so ist’s wohl auch gedacht und in der Tat bringt der Film dazu im Epilog eine schlichtweg umwerfend treffende Szene), wird aber die Teile des Publikums, die auf eine befriedigende, logische Auflösung warten, enttäuschen. Ein weiteres Manko ist, dass Amenabar den Zuschauern offenbar auch nicht zu viel zumuten will – jetzt muss ich doch noch mal den „8 mm“-Vergleich auspacken. Wie auch Schumacher zeigt Amenabar das ominöse Snuff-Video nur ansatz- bzw. ausschnittsweise. Wo „8 mm“ aber eine seiner eindringlichsten Szenen auffahren konnte (als Nic Cage das Video ansieht und wir eigentlich nur seine Reaktion auf die sich ihm bietenden unbegreiflichen Bilder sehen) und dies weitgehend unkommentiert ließ, schwächt Amenabar die entsprechende Szene durch trockene Statements des hartgesottenen Gorehounds Chema ab, was die potentiell bedrückendste Filmszene schon fast ins Lächerliche zieht.

Dessen ungeachtet erweist sich der Amenabar größtenteils als versierter Spannungsregisseur; das Tempo des Films ist angemessen – zu Beginn bedächtig, mit einem ersten großen Höhepunkt gen Filmmitte und einem aufreibenden, wenn auch nicht immer logischen Schlußakt, ist „Tesis“ von Aufbau, Struktur und Umsetzung beinahe ein Lehrbuchbeispiel für einen mustergültig konstruierten Thriller. Dabei muss Amenabar sich auch nicht plakativer und oberflächlicher Gewaltszenen bedienen (was ja auch die „Message“ des Films unterlaufen würde) – die Klientel, die beim Etikett „Der Snuff-Film“ auf ausschweifende Zerstückelungsorgien hofft, kann sich beruhigt weiter an die Tauschbörsen-Clients setzen und „Guinea Pig“-Folgen runterladen. Amenabar setzt nicht primär auf plumpe Bluteffekte (ein teenie-weenie bit of gore ist lediglich in einem kurzen Ausschnitt des Snuff-Videos zu sehen und ist dann auch noch fieserweise in schwarz-weiß), sondern auf altmodische Suspense, die auch durch die stellenweise ausgezeichnete Kameraarbeit von Routinier Hans Burmann (der schon unsterbliche Gassenhauer wie „Großangriff der Zombies“ und den Christian-Anders-Heuler „Die Brut des Bösen“ fotografierte) erzeugt und unterstützt wird. Die tatsächlich filmisch dargestellte Gewalt ist angesichts des Themas minimal.

Die Darsteller, in spanischen Genrefilmen oftmals eine „hit-or-miss“-Angelegenheit, wissen durchaus zu überzeugen. Ana Torrent legt als Angela eine ausgezeichnete, glaubhafte Vorstellung hin. Fele Martinez legt mir den Chema, der unschwer als Prototyp eines „typischen“ Splatterprolos zu identifizieren ist, ein wenig zu sehr als comic-sidekick aus, wohingegen Eduardo Noriega und Xavier Elorragia über weite Strecken (Noriega etwas eingeschränkter als Elorragia) die biederen Saubermänner, hinter deren Fassaden abgründige Bösartigkeit lauern kann, angemessen verkörpern.

Bildqualität: Leider ist „Tesis“, mittlerweile auch schon einige Male im Free-TV gelaufen, auf DVD derzeit m.W. nur in der schon etwas betagten Fassung von Laser Paradise/Evolution erhältlich und das bürgt bekanntlich nicht wirklich für nachahmenswerte Qualität. „Tesis“ fand seinen Weg auf Silberscheibe daher auch nur in einem leichten Letterbox-Transfer (ca. 1.78:1, möcht ich schätzen, und, wie ich LP kenne, bestimmt nicht Originalformat) im 4:3-Verfahren. Die Bildqualität selbst ist alles andere als berauschend. Obwohl „berauschend“ schon wieder fast das richtige Adjektiv ist, so verrauscht, wie sich der Transfer darstellt. Recht grobkörnige Bildauflösung, unterdurchschnittliche Schärfewerte und ein in den nicht spärlichen sehr dunklen Szenen wahrhaft undurchsichtiger Kontrast tragen nicht wirklich zum gesteigerten Filmvergnügen bei. Wenigstens gibt’s keine gröberen Störungen und/oder Verunreinigungen, die Kompression könnte ein wenig dezenter arbeiten.

Tonqualität: Mehr als deutschen Dolby-Digital-2.0-Ton kann LP uns nicht bieten. Auch die Tonspur kommt nicht ohne ein vernehmbares, aber noch nicht wirklich störendes Grundrauschen aus, der Mix ist aber insgesamt eher auf der dumpfen, indifferenzierten Seite.

Extras: Lediglich der Original-Trailer hat neben der üblichen LP-Trailershow seinen Platz auf der Disc gefunden.

Fazit: „Tesis“ ist letztlich ein sehr solider Spannungsfilm, der dem Mysterium „Snuff“ nicht wirklich auf die Spur geht (und auch nicht wirklich auf die Spur gehen will), sondern sich eher als leicht medien- und gesellschaftskritischer Psychothriller versteht und „Snuff“ daher hauptsächlich als Plot Device denn als zentrales Element verwendet. Trotz leichter Schwächen im Script gelingt es dem Film, aufgrund seiner Struktur, seiner Erzählweise und der ebenfalls soliden darstellerischen Leistungen den Zuschauer in seinen Bann zu schlagen und ihm sehr kurzweilige spannende Unterhaltung zu verschaffen – mehr allerdings auch nicht. „8 mm“ ist in Sachen „Snuff“ sicher der definitivere, tiefschürfendere Film. Als raffinierter kleiner Thriller mit einem ungewöhnlichen Plot-Gimmick ist „Tesis“ allerdings nicht zu verachten. Eine technisch bessere und auch besser ausgestattete DVD-Veröffentlichung wäre sehr wünschenswert.

3,5/5
(c) 2004 Dr. Acula


mm
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