Ten ‚Till Noon

 
  • Deutscher Titel: Ten 'Till Noon
  • Original-Titel: Ten 'Till Noon
  •  
  • Regie: Scott Storm
  • Land: USA
  • Jahr: 2006
  • Darsteller:

    Rick D. Wasserman (Larry Taylor), Rayne Guest (Becky Taylor), Alfonso Freeman (Mr. Jay), Jenya Lano (Miss Milch), Thomas Kopache (Mr. Duke), Daniel Hagen (Carter), Dylan Kussman (Rush), Jennifer Hill (Sheba), George Williams (Leo), Daniel Nathan Spector (Walter), Jason Hamer (Alan)


Vorwort

Böse Überraschung für dotcom-Millionär Larry Taylor – als er eines schönen Mittags jetlag-geschädigt aufwacht, befinden sich zwei ihm unbekannte Personen in seinem Schlafzimmer und eröffnen ihm nach ein wenig existentialisch-philosophischem Smalltalk, dass er innerhalb der nächsten zehn Minuten in die nächste Welt auffahren wird. Warum, mag man ihm nicht erzählen, aber dafür schenkt ihm Mr. Jay, der Killer-in-spé, noch schnell ein, dass es Larrys mehr oder weniger geliebtes Weib justament zur Stunde in einem billigen Hotel mit Model-Möchtegernschauspieler Alan treibt. Das untreue Pärchen geht auch munter zur Sache, ohne zu wissen, dass sie längst vom (heftig onanierenden) Überwacher-Duo Carter und Rush videographisch festgehalten werden – zumindest solange, bis Mr. Duke, Organisator des Komplotts, den beauftragten Profi-Spannern erst eine Planänderung verkündet und sie anschließend als unerwünschte Zeugen umgehend entleibt. Doch auch Duke ist nur ausführendes Organ, der eigentliche Drahtzieher spinnt im Hintergrund die Fäden…


Inhalt

Vor ein paar Wochen rief mich meine Freundin im Büro an und informierte mich, dass Woolworth einen DVD-Sonderverkauf mit Silberscheiben zum Mörderpreis von 1 Euro/Stück veranstaltet. „Sack mal alles ein“, war meine berechenbare Antwort, schließlich macht’s manchmal eben doch die Masse. Ich hab mit Sicherheit eines nicht erwartet – dass unter der (insgesamt 13 DVDs dicken) Ausbeute sowas ähnliches wie’n GUTER Film dabei sein würde.

Schon gar nicht, wenn man – wie in diesem speziellen Falle – vom vertreibenden deutschen Label („White Goatee Films“, deren Logo – klare Sache – zwei gekreuzte Schwerter sind), noch nie etwas gehört hat. Um so bemerkenswerter, wenn das Endresultat jetzt nicht sofort einer offiziellen Heiligsprechung anheim geführt werden muss, sich aber als respektabler, interessanter und sowohl formal als auch inhaltlich interessanter Independent-Film entpuppt, dem der reißerische (und bis auf den ersten Satz auch völlig neben der Spur liegende) Klappentext fürchterlich Unrecht tut.

Denn eins muss man neidlos anerkennen – was sich Scott Storm, seines Zeichens ein „Schüler“ von Bryan Singer (so tätig als second unit director bei dessen hervorragendem Debütfilm „Public Access“) für seinen zweiten Langfilm als Stoff ausgesucht hat, ist alles andere als ein simpler Selbstgänger. Wer schafft es schon, aus zehn Minuten Echtzeit einen abendfüllenden Spielfilm zu stricken und dabei nicht vor die Hunde zu gehen?

Natürlich ist „Ten ‚Til Noon“ ein Gimmick-Film und die sind bekanntlich meistens hit-or-miss-Angelegenheiten. Das Gimmick des Films, eine zehnminütige Sequenz aus einem satten halben Dutzend unterschiedlicher Blickwinkel aufzuarbeiten und innerhalb dieses Konzepts eine schlüssige, dramaturgisch sinnvolle und gar nicht unspannende Handlung aufzubauen, gehört fraglos zu den schwierigeren Fingerübungen, die sich ein Regisseur (und sein Drehbuchautor, Paul Osborne, der gerade dabei ist, mit „Official Rejection“ eine Dokumentation über Entstehung, Festival-Tour und Vertrieb von „Ten ‚Til Noon“ zu basteln) versuchen kann.

Dieses Konzept sorgt dafür, dass sich die Story wirklich erst durch die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Figuren aufdröselt – steht man als Zuschauer zu Beginn des Films der Sachlage ähnlich ratlos gegenüber wie der arme Larry Taylor, entwickelt sich ein nicht ungeheuer komplexes (schließlich muss sich die ganze Chose ja trotz des „Rückspul“-Kniffs ja in zehn „echten“ Minuten erklären lassen), aber interessantes Ränkespiel mit einigen Twists. Gelegentlich schimmert, speziell in den Dialogen, der obligatorische Hauch Tarantino durch, ohne den ein neumodischer Independent-Thriller ja nicht mehr auskommen mag, was aber dem Unterhaltungswert nicht abträglich ist (zumal die Dialoge stellenweise wirklich saukomisch sind… ein Beispiel: Carter, einer der Überwacher, schreibt eine Klebezettel-Notiz an Alan. Rush liest und kommentiert: „Musst du ihn wirklich ‚Arschloch‘ nennen?“ Darauf Carter: „Wie soll er sonst wissen, dass es für ihn ist?“). An zwei-drei Stellen sind Script und Film kurz davor, in Punkto Charaktere zu überdrehen, aber letztlich kratzen sie immer wieder die Kurve und verfallen trotz humoristischer Ausreißer nicht in bloße Genreparodie. Insgesamt beeindruckt die, ähm, unvermeidliche Metapher voraus, uhrwerkhafte Präzision, mit der die vom Script montierten Rädchen ineinandergreifen.

Freilich ist ein richtig guter Gimmick-Film nur ein solcher, der in der Lage ist, sein Konzept auch aufzubrechen (vgl. „The Last Broadcast“) – auch das besorgt „Ten ‚Til Noon“, der nach sechs 10-Minuten-Schleifen nicht davor zurückschreckt, für das bis dato gesehene tatsächlich auch eine Auflösung (mit der ein oder anderen Überraschung) zu bieten (und, was für alle „Beim-Nachspann-sofort-Ausschalter“ angemerkt sei, im Nachspann noch eine zwar nicht wirklich nötige, aber witzige Epilog-Sequenz versteckt) – kein definitives Ende, mit dem das Schicksal aller Beteiligten abschließend geklärt wäre, aber zumindest ein willkommenes Zugeständnis an eine runde Dramaturgie.

Von der filmisch-handwerklichen Seite ist dem Streifen sein verhältnismäßig schmales Budget von rapportierten 750.000 Dollar schon ein wenig anzusehen – man spart an Locations, spielt meistens indoors oder zumindest auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen, es gibt wenig echte „Action“. Storm, der sein Geld hauptberuflich als Cutter amerikanischer Reality-TV-Shows (wie „The Amazing Race“ oder „Popstars: USA“) verdient, Co-Editor Kalman Alexander und Kamerafrau Alice Brooks (bislang nur durch Kurzfilm-Arbeit aufgefallen) gelingt es aber meist, die Tatsache, dass die diversen Durchläufe meist relativ statisch (da überwiegend an eine Location gebunden) sind, durch Schnitt und Kameraführung und so ins Spiel gebrachte Dynamik zu tarnen. Aufgrund der Zehn-Minuten-Segmente kommt, trotz der ein oder anderen unvermeidlichen Redundanz (da wir notgedrungen z.B. Telefonate zwischen den Charakteren mehrfach mithören), keine Langeweile auf; der schon angesprochene Kunstgriff, das selbstgewählte Korsett im Schlussakt aufzubrechen sorgt für zusätzlichen Drive.

Unterstützt wird die Stimmung des Streifens durch einen ausgezeichneten Score, der die unterschiedlichen Ausrichtungen der verschiedenen Segmente durch diversifizierten Stil (von minimalistischem Badalamenti-Style bis zu treibender „Spannungsmusik“ ist alles vertreten) mitprägt und trotzdem rund wirkt. Kompliment an Joe Kraemer, der bis dato u.a. „Hitcher II“, „My Big Fat Independent Movie“ oder „House of the Dead 2“ beschallte.

Die FSK-16-Freigabe geht angesichts einer offenherzigen Sexszene und zumindest eines „netten“ Headshots in Ordnung.

In der Dreiviertelmillionen-Budget-Handelsklasse bekommt man verständlicherweise keinen All-Star-Cast zusammen, aber, wenn man sich, so wie hier, bemüht, zumindest ein Ensemble aus routinierten Profis. Keine großen Namen, aber allesamt lang genug durch die einschlägigen US-TV-Serien getingelt, um erstens Vielguckern bekannt vorkommen zu können und zweitens durchaus zu wissen, was man als Schauspielerei gemeinhin bezeichnet. Größter „Star“ im Cast dürfte Jenya Lano als Ms. Milch sein, die sich nicht nur durch recht beeindruckende Präsenz auszeichnet. SIe durfte immerhin in zehn Episoden von „Charmed“ die Rolle der Inspektorin Sheridan spielen und gab im offiziellen James-Bond-Videospiel „GoldenEye: Rogue Agent“ die Ersatz-Famke-Janssen als Xenia Onatopp. Alfonso Freeman (ihr Partner Mr. Jay) debütierte einst in „The Shawshank Redemption“, absolvierte diverse Gastauftritten in Serien wie „J.A.G.“ und „E.R.“ und leistete voice acting für die kultig verehrte Trickserie „Robot Chicken“. Klar, in seiner Rolle lehnt er sich deutlich an Samuel L. Jackson und alle anderen coolen schwarzen Killer post-„Pulp Fiction“ an, aber das macht er gut. Rick Wasserman (Larry, angemessen) war u.a. in „24“, „Las Vegas“, „The Closer“ und „The District“ zu sehen, Rayne Guest (nicht übel, nicht nur, weil sie aus ihren Klamotten fährt) könnte Hardcore-Trash-Vielkuckern aus „Night of the Chupacabra“ erinnerlich sein. Charakterkopf Thomas Kopache (als Mr. Duke ausgezeichnet lakonisch-diabolisch) kann stolz darauf verweisen, in allen drei modernen Star-Trek-Serien (UND in „Babylon 5“ UND in „Stargate SG-1“) mitgespielt zu haben (eine größere, wiederkehrende Rolle hatte er in „The West Wing“). Das Überwacher-Duo wird von Dan Hager (’ne Menge Videospiele wie „Star Wars: Bounty Hunter“ oder „The Punisher“) und Dylan Kussman („Club der toten Dichter“, „X-Men 2“, „Wild Things 2“) vielleicht etwas zu debil verkörpert. Jennifer Hill („Dukes of Hazzard: The Beginning“) gibt eine nette real-life-Karikatur eines Silikontittendoofchens, George Williams (der mir elendiglich bekannt vorkommt, aber ich könnte ihn höchstens in einer „Dr. House“-Folge gesehen haben) ist als Böswatz Leo angemessen schmierig. Insgesamt ein Cast, der für seine Verhältnisse Beachtliches leistet. Respekt.

Bildqualität: White Goatee Film präsentiert „Ten ‚Til Noon“ in absolut brauchbarem anamorphen 1.85:1-Widescreen. Wenn alle Grabbeltischreleases diese Bildqualität bieten würden, wäre der Doc ein glücklicher Mensch. Keine Defekte, keine Masteringfehler, völlig zufriedenstellende Schärfe- und Kontrastwerte. No problem here.

Tonqualität: Mit satten drei Tonspuren wartet der Silberling auf – neben der (nicht angetesteten) deutschen Synchro in Dolby 5.1 und Dolby 2.0 erfreut die Dreingabe der englischen O-Ton-Spur in Dolby 2.0. Diese bietet ausgezeichnete Sprachqualität und einen sehr angenehmen Musik- und Effektmix. Auch da kann sich so manch anderer Budget-Scheiben-Anbieter die ein oder andere, nämlich Scheibe, ‚von abschneiden.

Extras: Da darf man natürlich nix erwarten, aber immerhin wird der Trailer mitgeliefert.

Fazit: Es ist komisch – habe ich in letzter Zeit gewisse Ansprüche an zu sichtende Filme, werde ich meistens enttäuscht, gehe ich mit einer „erwarten se nix“-Haltung ran, werde ich positiv überrascht, nach „44 Minutes“ nun schon das zweite Mal in Folge. „Ten ‚Til Noon“ ist sicher kein epochales Meisterwerk für die Ewigkeit, aber einer der pfiffigsten Indie-Thriller der letzten Jahre. Auch wenn hinsichtlich der Dialoge ab und an die Einflüsse von Meister Quentin durchschimmern, handelt es sich bei Storms Film keineswegs um einen bloßen weiteren möchtegern-hippen Genre-Zitat-Thriller, sondern einen fein durchkonstruierten kleinen Fetzer, der sogar das Kunststück fertigbringt, sein zentrales Gimmick nicht zu Tode zu reiten. Ein cleveres Script, kompetent gefilmt und von einem gut aufgelegten Ensemble getragen, sozusagen ein Low-Budget-Thriller, wie ihn Robert Altman drehen würde. Lustigerweise fiel der Arthouse-Kritiker-Crowd nichts ein, was man bekritteln könnte, außer, dass dem Film eine „Aussage“ fehle. Hm – „ich unterhalte mein Publikum 90 Minuten lang“ ist als Aussage für einen Independent-Film heutzutage wohl nicht mehr genug… Wer ein Faible für „etwas andere“ Thriller hat, sollte zuschlagen, wenn einem diese Disc in der Ramschkiste des Supermarkts seines geringsten Mißtrauens entgegengrinst. It’s good fun!

4/5
(c) 2008 Dr. Acula


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