Teknolust

 
  • Deutscher Titel: Teknolust
  • Original-Titel: Teknolust
  •  
  • Regie: Lynn Hershman Leeson
  • Land: USA/Großbritannien/Deutschland
  • Jahr: 2002
  • Darsteller:

    Tilda Swinton (Rosetta Stone/Ruby/Olive/Marinne), Jeremy Davies (Sandy), James Urbaniak (Rosebud Hopper), Karen Black (Dirty Dick)


Vorwort

Der ebenso brillanten wie altjüngferlichen Biogenetikerin Rosetta Stone (okay, also DEN begreif sogar ich noch) gelingt ein wissenschaftlicher Durchbruch sondershausen – es ist ihr gelungen, synthetische Klone herzustellen. Weil sie offenbar weniger Bedürfnis nach einem Nobelpreis denn nach Gesellschaft hat, ging sie mit diesem Erfolg nicht an die Öffentlichkeit, sondern schuf sich lediglich drei Duplikate ihrer eigenen Person – Ruby, Marinne und Olive. Die charakterlich höchst unterschiedlich ausgefallenen Replikanten sind nicht nur per se unsterblich und können sich selbst „reparieren“, dank ihrer teilweisen Rechnerherkunft können sie auch sämtliche technischen Geräte (bis hin zum Internet an und für sich) manipulieren. Bis auf Ruby führen die Klone ein zurückgezogenes Leben unter Rosettas fürsorglicher Aufsicht, Ruby allerdings betreibt nebenberuflich ein Internet-Chat-Portal und ist für die Nahrungsmittelbeschaffung zuständig. Der Stoff, aus dem die Klone ihre Energie gewinnen, findet sich unpraktischerweise nämlich nicht im Supermarkt; unsere Kunstwesen benötigen als Nahrung nichts anderes als menschliches Sperma (so manchem Mitleser fiele jetzt sicherlich eine erfreuliche Methode zur Klonversorgung ein). Was allerdings weder Rosetta noch Ruby ahnen – Sex mit dem Klon hat, Kondom hin oder her, unerwünschte Nebenwirkungen. Die beglückten Männer entwickeln einen barcodeartigen Ausschlag auf der Stirn und gehen ihrer Potenz verlustig. Das FBI wittert einen terorristischen Anschlag auf die amerikanischen Lebenssäfte und schalten ironischerweise Expertin Rosetta in die Ermittlungen ein. Der geht durch den dadurch bedingten Zeitmangel zunehmend der Kontrolle über ihre zunehmend eigenwilliger werdenden Geschöpfe verlustig: Marinne und Olive sind scharf auf die „richtige“ Welt und Ruby verliebt sich ungeplant in den frustrierten Copyshop-Angestellten Sandy…


Inhalt

Wenn arte und das ZDF einen Film der Medienkünstlerin Lynn Hershman Leeson mit der Derek-Jarman-Muse Tilda Swinton in der Hauptrolle koproduzieren, kann sich der umworbene Konsument an seinen elf Fingern ausrechnen, dass er nicht mit Mainstream-Müll versorgt werden wird. Und so ist es dann auch. „Teknolust“, bei beiden koproduzierenden Sendern mittlerweile auch schon gelaufen, firmiert zwar oberflächlich gesehen als erotische Science-fiction-Komödie, aber so einfach macht es die Regisseurin uns denn dann doch nicht. Das zentrale Thema des Schaffens von Lynn Hershman Leeson ist, wenn man ihrer Biographie trauen darf (und warum sollte man das nicht tun können; persönlich hab ich mit ihrem Werk noch keine Bekanntschaft gemacht), die Beziehung des Menschen mit moderner Technologie in ihren verschiedensten Ausprägungen. In ihrem ersten Spielfilm „Leidenschaftliche Berechnung“ (ein schönes Beispiel für verunglückte Eindeutschungen, im Original nennt sich der Film elegant und mehrdeutig „Conceiving Ada“) ließ Leeson ihre Heldin quasi-zeitreisetechnisch z.B. mit der Mathematik-Ikone Ada Lovelace Kontakt taufnehmen. In „Teknolust“ greift Leeson gleich mehrere aktuelle Themen auf – da wäre die seit Schaf Dolly allgegenwärtige Klondebatte (wobei moralisch-ethische Aspekte in „Teknolust“ außen vor bleiben), virtual reality und Internet (der Film lässt nämlich in gewisser Weise offen, ob alles und ggf. was nicht nicht in der „realen Welt“ spielt), die Angst vor Bio-Terrorismus und, last, but not least, das psychologische Moment der Vereinsamung und Beziehungsunfähigkeit durch Technik. Das wäre ja schon ein ausreichend schwerer Ballast für einen gerade mal 79 Minuten kurzen Film, aber dazu gesellt sich noch der angesichts der Vergangenheit seiner Regisseurin unvermeidliche künstlerische Anspruch. Und am Ende soll das ganze auch noch „sexy“ sein.

Ist ja grundsätzlich nicht schlimm, führt aber dazu, dass dem Film gelegentlich sein eigener Anspruch etwas zu Kopf steigt und mit fortnehmender Laufzeit dazu neigt, sich zu verzetteln bzw. die Handlungsstränge weiterzuverfolgen, die, von einer filmischen und inhaltlichen Perspektive her gesehen, die interessanteren wären. Dies wiederum führt dazu, dass der Plot sich nicht wirklich befriedigend auflöst und sowieso nur mit einigen Klimmzügen, die technisch interessierten Zuschauern gelegentlich wohl die Zornesader auf der Stirn schwellen lassen werden (SPOILER: Ein wesentlicher Plotpunkt besteht darin, dass ein Computervirus auf Menschen übertragen werden kann), überhaupt am Laufen gehalten werden kann. Da war zweifellos zuerst das Konzept da und DANN erst wurde überlegt, wie man dieses Konzept in eine mehr oder weniger schlüssige Story verpacken kann. Den Film interessiert letztlich seine „hard SF“-Handlung denn auch weniger als die Charaktere und ihre verschiedenen Arten, mit unterschiedlichen Arten von Einsamkeit umzugehen und, ehrlich gesagt, dass man der eigentlichen SF-Geschichte nur schwer folgen kann und sie nicht gerade einen logisch durchdachten Eindruck macht (der Audiokommentar hilft, einiges, was aus dem reinen Filmgenuss nicht ersichtlich ist, zu erklären), ist nicht so schlimm, wie man meinen möchte, da der Film eben auch nicht ernst gemeint ist (die aufgeworfenen sozialen Fragen sind’s durchaus, aber es bleibt dennoch eine Komödie). Schlimmer ist, dass die Geschichte in der zweiten Filmhälfte, in der sich das Geschehen von dem „Hauptplot“ um die von Ruby ausgelöste „Seuche“ auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der Klone umschwenkt (wobei interessanterweise die Frage, inwieweit Rosetta moralisch berechtigt ist, ihre Geschöpfe quasi in Gefangenschaft zu halten; wie gesagt, die ethischen Probleme, die durch Klonen entstehen, straft der Film mit konsequenter Nichtachtung). In dieser zweiten Hälfte fehlt mir der letzte Pfiff, der letzte Drive, das ist dann alles doch recht bieder und vorhersehbar – Ruby, die sich bei ihren sexuellen Begegnungen die strikte Regel auferlegt hat, nie mehr als dreimal mit dem selben Kerl zu Potte zu kommen, verliebt sich und lernt die Welt der Gefühle kennen, ihre „Schwestern“ machen erste Schritte in der „realen“ Welt und für die verhärmte und vereinsamte Rosetta, die ihre Klone hauptsächlich geschaffen hat, um selbst Gesellschaft zu haben, fällt noch ein Kerl ab. Irgendwie scheint der Film gen Ende hin Angst vor der eigenen Courage zu bekommen und ergibt sich in ein multiples konventionelles Happy End (dass die „Seuchen“-Geschichte durch einen selten dämlichen deus-ex-machina-Kunstgriff gelöst wird, und das noch auf ziemlich beiläufige Weise, ist fast schon ärgerlich).

Ungeachtet dessen hat der Streifen etliche witzige Momente, die von subtilen Anspielungen und Filmzitaten bis hin zu verhältnismässig grober Comedy (z.B. wenn Ruby erstmals beim Bäcker einkaufen geht, aber blöderweise vom Prinzip des Bezahlens noch nie was gehört hat) differieren. Wer angesichts eines Titels wie „Teknolust“ entweder auf hämmernde Rhythmen oder heißen Sex oder beides hofft, wird sicherlich enttäuscht sein – musikalisch regiert von Hans-Zimmer-Schüler Klaus Badelt komponierte elektronische Musik, wie sie einem handelsüblichen Softporno auch nicht schlecht zu Gesicht stehen würde und was den Sex angeht – die Erotik kommt aus den skurrilen Situationen und den Charakteren und muss vom Zuschauer „im Kopf“ erarbeitet werden – gezeigt wird nichts. Es gibt keine einzige Nackt- oder Sexszene (hätte mich auch gewundert, Tilda Swinton macht sowas doch nicht). Das funktioniert aber relativ gut, wenn man sich darauf einlässt.

Wie gesagt, Lynn Hershman Leeson ist eine Künstlerin, der Film demzufolge mit künstlerischem Anspruch. Der routinierte Kameramann Hiro Narita zaubert mit der HD-Videokamera („Teknolust“ ist, wenn ich Leesons Audiokommentar glauben darf, entweder der erste oder einer der ersten komplett auf HD-Video gedrehte Film) einige beeindruckende Bilder und der typische HD-Effekt, dass die Bilder „zu“ echt aussehen, passt in diesem Fall wie die Faust aufs Auge. Herausragend ist die Farbgebung, die anfänglich sogar Peter Greenaway geschuldet sein könnte (die Klone tragen ausschließlich einfarbige Kleidung, passend zu ihrem Namen in rot, grün und blau, und ein Schelm ist, wer dabei jetzt an RGB denkt, und wohnen in entsprechend gestalteten Zimmern. „She’s very color-coordinated“, merkt eines von Rubys „Opfern“ auch treffend an), die Kostüme für die Klone sind einfach toll, der Look insgesamt ein sehr edel-unterkühlt und trotzdem farbenfroher. Einige Sets (vor allem eben die Wohnstube der Klone) verdienen sich Extra-Sonderpunkte. Nicht ganz so überzeugen können die visuellen Effekte. Die Computergrafiken für diverse Displays und Monitore (übrigens bekommt Apple mächtig Product Placement) wirken unecht (nicht, weil sie überzogen sind, sondern weil sie einfach nicht wie Grafiken auf Displays, sondern eben wie aufkopierte Effekte aussehen) und die Szenen, in denen Tilda Swinton mit sich selbst interagiert, scheinen nicht auf dem allerletzten Stand der Technik zu sein.

Unbenommen bleibt allerdings, dass Tilda Swinton (bekannt auch aus „Female Perversions“ und der anspruchsvollen, aber beeindruckenden Virginia-Woolf-Verfilmung „Orlando“) eine hervorragende Leistung in der Vierfach-Rolle der Rosetta Stone und ihrer drei Klone abliefert. Jede ihrer Inkarnationen sieht nicht nur anders aus, sondern hat auch einen ganz eigenen Charakter (wir haben die weltfremde, auf Äußerlichkeiten nicht achtende Rosetta und die Klone: blond-naiv, rothaarig-schwierig und dunkelhaarig-berechnend) – die Szenen, in denen sie gegen sich selbst spielt, sind schauspielerisch, trotz der leichten technischen Schwächen, ein Genuss – dass Swinton durchaus ein Gespür für Komik hat, ist eine doch eher überraschende Erfahrung. Jeremy Davies („Secretary“) mimt Rubys Freund Sandy eher eindruckslos, eine 08/15-Slacker-Performance ohne Höhen und Tiefen – man könnte böse sagen, die Rolle hätten tausend andere Schauspieler auch spielen können, Davies drückt der Rolle keinen persönlichen Stempel auf. Schon wesentlich erfreulicher ist James Urbaniak (Robert Crumb im grad besprochenen „American Splendor“) als FBI-Ermittler „Rosebud Hopper“, der die Rolle mit witzigem Understatement angeht. Und schlicht und ergreifend immer wieder sehenswert ist die unverwüstliche Karen Black als zu den Ermittlungen hinzugezogene Privatdetektivin „Dirty Dick“ – leider hat sie, wie so oft in letzter Zeit, eher „special guest“-Status und nur drei richtige Szenen.

Einen Rüffel erteile ich übrigens für das DVD-Cover, dessen Motiv (die Beine einer Frau, an eine Bondage-Spreizstange gefesselt), eindeutig falsche Erwartungen weckt. Ich schätze, dass „Secretary“ für das Label (verdientermaßen) gut gelaufen ist und man sich erhoffte, die Käufer gleich zu „Teknolust“ zu lotsen (das US-DVD-Cover kommt dem Film und auch seinem künstlerischen Anspruch schon eher entgegen).

Bildqualität: Der 1.78:1-Widescreen-Transfer (selbstverständlich anamorph) ist, wenig verwunderlich, ausgezeichnet (HD-Video-Master, da MUSS ja auch was gehen). Die Farben sind schlicht brillant und auch in den restlichen Disziplinen Schärfe/Kontrast/Kompression hat der Rezensent kaum was zu meckern. Selbstverständlich ist das Material frei von Verunreinigungen und Defekten, allerdings stellen sich ein paar Störblitze ein. Nicht wirklich nervig, ist aber bei Sunfilm auch schon eine Weile nicht mehr vorgekommen.

Tonqualität: Es darf gewählt werden zwischen der deutschen Synchronfassung und dem englischen O-Ton, jeweils in Dolby 5.1. Da die Dialoge, wenn ich nach den (teilweise übrigens auch eher gruslig übersetzten) Untertitlen gehe, in der deutschen Fassung deutlich an Witz und Spritzigkeit verlieren, würde ich eindeutig zur Originalversion raten. Die ist ausgezeichnet verständlich und gut abgemischt, ohne Dolby-Anlagen vor eine Zerreißprobe zu stellen.

Extras: Leider etwas mager, abseits des durchaus informativen (aber etwas langatmigen) Audiokommentars der Regisseurin findet sich nur noch der Originaltrailer sowie Biographien für Swinton und Leeson. Interviews mit den Darstellern oder ein Blick hinter die Kulissen hätten mich hier durchaus interessiert. Eine Sunfilm-Trailershow ist obligatorisch.

Fazit: „Teknolust“ ist, Zeus sei’s getrommelt und gepfiffen, kein Experimentalfilm geworden, wie man angesichts des Backgrounds seiner Schöpferin ja hätte befürchten können. Die künstlerischen Aspekte einerseits und die inhaltliche Auseinandersetzung mit aktuellen Themen (die insgesamt eher flach ausfüllt) muss man nicht würdigen, um dem Film einen soliden Unterhaltungswert zuzumessen – dafür ist der Streifen schon mal zu witzig und Swintons schauspielerische Leistung zu groß. Vielmehr verleihen die hochkonzeptuelle Farbgebung und die ausgezeichnete Kameraarbeit dem Film eine zusätzliche Note, über die der Cineast sich freuen kann, während der reine Konsument sich an den pointierten Dialogen und eben Tilda Swinton (sowie der auch in kleinen Rollen immer sehenswerten Karen Black) erfreuen kann. Was die inhaltliche Komponente angeht – ich würde nicht so weit gehen wie der ansonsten von mir hochgeschätzte Reviewerkollege Ziggy, der den Film als „food for thought“ einstuft; dafür sind mir die Problemstellungen und die angebotenen Lösungen zu simpel gestrickt und die zweite Hälfte des Films, rein storytechnisch, zu konventionell. „Teknolust“ reüssiert letztlich als nicht vollends geglückte, aber unterhaltsame Mixtur aus Kunstfilm und frecher SF-Komödie, und damit kann man schon recht gut leben. Der DVD von Sunfilm hätte eine etwas umfangreichere Ausstattung nicht geschadet.

4/5
(c) 2005 Dr. Acula


mm
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