Technotise

 
  • Deutscher Titel: Technotise
  • Original-Titel: Technotise - Edit i ja
  • Alternative Titel: Technotise - Edit and I | Robot Metropolis |
  • Regie: Aleksa Gajic, Nebosja Andric, Stevan Djordjevic
  • Land: Serbien
  • Jahr: 2009

Vorwort

Belgrad im Jahr 2074… es hat sich eine Gesellschaft entwickelt, in der Mensch und Roboter nebeneinander leben (was aber auch bedeutet, dass Roboter die gleichen Probleme wie Menschen haben und als bettelnde Gossenpenner enden können). Edit Stefanovic, eine junge, begabte Psychologiestudentin, hat schon mal einen besseren Tag erlebt. Otomo, eins ihrer geliebten Robot-Haustiere, ist „gestorben“, und als Zugabe hat sie noch eine wichtige Prüfung an der Uni versiebt. Ihre Mutter sieht sie die lukrative Karriere eines Junkies einschlagen – naja, da der Dealer Herb zu ihrem engeren Freundeskreis gehört, ist das zumindest kein völlig abwegiger Gedanke. Ihr Boyfriend Bojan hingegen denkt nur an das eine, i.e. Sex. Dabei hat Edit auch noch anderes zu tun – nebenher jobbt sie als Volontärin im Forschungsinstitut TDR und ist dabei dem Autisten Abel zugeteilt. Abel ist ein genialer Mathematiker, verweigert aber jegliche Kommunikation mit der Außenwelt. Professor Dorijevic hält Edit für eine vielversprechende Kandidatin, mit ihrer psychologischen Ausbildung und ihrem Einfühlungsvermögen Abels Panzer zu durchbrechen. Und das wäre offenkundig auch eilig, denn die Regierung, die hinter der TDR finanzierenden Scheinfirma Megacorp steckt, erwartet in Person von Staatssicherheitspolizist Sergej zeitnah Ergebnisse.

Momentan ist Edits Priorität auf die Uni gerichtet – um die Prüfung endlich zu schaffen, lässt sie sich von Herb, der neben herkömmlichen Drogen auch mit Cybertechnik dealt, einen Mikrochip installieren, eigentlich entwickelt zur Behandlung von Schizophrenie, aber mit der für faule Studenten willkommenen Nebenwirkung, ein praktisch fotografisches Gedächtnis zu entwickeln. Und das Zeuch funktioniert. Nicht nur, dass Edit die Wiederholungsprüfung mit Glanz + Gloria besteht, es gelingt ihr auch, Kontakt mit Abel aufzunehmen. Zwar äußert Abel erst mal nur zwei Worte, aber die („Nicht rangehen!“ in Bezug auf einen noch nicht stattgefunden habenden Handyanruf) legen nahe, dass Abel in die Zukunft sehen kann. Dorijevic bestätigt diese Vermutung und weiht Edit in die tiefsten Geheimnisse von TDR ein. Abel hat vor einigen Jahren die von allen Wissenschaftlern aller Kategorien eifrigst gesuchte „Universaltheorie“ postuliert, aus der sich kurz gesagt der Zusammenhang von Allem mit Allem ergibt. Nach dieser Entdeckung hat sich Abel aber eben in den Autismus zurückgezogen und was man aus seinen Notizen und Aufzeichnungen hat rekonstruieren können, überfordert den stärksten Megacomputer – sobald sich ein Rechner mit Abels Formel beschäftigt, entwickelt er erst ein Bewusstsein und schaltet sich dann ab. Es braucht also offenkundig Abel, um mit der Sache weiterzukommen. Dorijevic zeigt Edit ein „Diagramm“ der Formel – das ist in Form und Farbe unbeschreiblich und löst bei Edit eine Art Epiphanie aus – die sie brühwarm, obwohl zur strengsten Geheimhaltung verpflichtet, ihrem desinteressierten Freundeskreis ans Knie nagelt.

Von Stund an wird Edit aber von Halluzinationen geplagt, eine seltsame Gestalt, die ihr immer wieder erscheint, auf die sich aber keinen Reim machen kann. Sicherheitshalber lässt Edit sich den Implantat-Chip wieder entfernen, aber auf ihre Visionen hat das keinen Einfluss. Zudem entwickelt Edit einen erstaunlichen Heißhunger auf Eisentabletten, die ihr geradezu einen euphorischen Kick verleihen. Auf Anraten ihrer Freunde sucht sie eine Klinik auf und das Computertomogramm bringt es an den Tag – in ihrem Körper befindet sich etwas aus Metall… Beunruhigend, und vor allem unerklärlich.

Als Edit mitgeteilt, dass ihre Prüfungsarbeit verschwunden ist, und sie ihren Uniprof zur Rede stellen wird, vertrimmt sie mit ungeahnten Martial-Arts-Fähigkeiten ein paar Wachtposten. Und ihr erstaunliches CT findet seinen Weg zur TDR. Dorijevic und Sergej sind sich einig, dass Edit dringend für die weiteren Forschungen an der Universaltheorie gebraucht wird.

Bei ihrer Flucht vor Polizeischergen manifestiert sich die Gestalt nun deutlich vor Edit und gibt sich als ein künstliches Bewusstsein zu erkennen – geboren aus dem Implantat-Chip und ausgelöst durch den Anblick der Universaltheorie. Dieses künstliche Wesen hat in Edits Körper nun ein paralleles, künstliches und metallisches Nervensystem geschaffen, das weiter wächst und dafür die Eisenzufuhr benötigt. Beider Leben ist unweigerlich aneinandergekoppelt – und irgendwie hängt eben alles mit Abels Theorie zusammen. Dorijevic bietet ihr eine Operation zur Entfernung des Fremdkörpers an, aber die KI warnt – Edit würde diesen Eingriff zweifellos nicht überlegen. Edit nimmt erneut Reißaus, sie und die von ihr Edi genannte KI in ihr drin, die im Bedarfsfall auch Edits Körper kontrollieren kann, fassen den Enschluss, Abel zu befreien. Der waghalsige Plan gelingt, aber der Autist ist zunächst nicht sonderlich hilfreich. Zudem verschlechtert sich Edits Gesundheitszustand rapide – und Edi kann es schließlich nicht weiter verleugnen – ohne es zu wollen, wird sein weiteres unvermeidliches Wachstum Edit binnen kürzester Zeit töten…


Inhalt

Anime aus Serbien. Auch nicht gerade die Genre-/Land-Kombination, die einem auf Anhieb einfallen würde (auch wenn ich mich irgendwie düster erinnere, dass „Film Noir“ auch serbische Wurzeln hatte). „Technotise“ ist ohne Zweifel eine labour of love, von Aleksa Gajic als Fortsetzung seiner eigenen Graphic Novel mit einem minimalen Team von 10, 15 Leuten (voice cast nicht eingerechnet) im wahrsten Sinne des Wortes im heimischen Wohnzimmers über die Dauer von fünf Jahren und mit Kosten von fast einer Million Dollar zusammengepfriemelt. Da will man eigentlich schon aus Prinzip nichts schlechtes drüber sagen.

Nun, ich darf vorwegnehmen, dass „Technotise“ jedenfalls kein vollständiger Sockenschuss wie so manch anderer europäischer Animationsfilm modernen Zuschnitts wie z.B. der unsägliche Schwedenschmu „Metropia“ geworden ist. Ja, „Technotise“ hat seine Macken, und auf die werden wir noch eingehen, aber eins ist er alle mal – watchable.

Was als erstes Erwähnung finden sollte, ist das elegante worldbuilding. „Technotise“ braucht keine Expositionsorgien, um seine Welt zu etablieren, sondern verlässt sich ganz auf seine Bilder. Das gemeinsame Zusammenleben von Robotern und Menschen ist eine Selbstverständlichkeit und zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten – dramaturgisch ist der kurze Ausflug auf den Roboterfriedhof, auf dem Edit ihren Otomo begräbt, nicht nötig, gibt aber einen kleinen weiteren Einblick in die Struktur dieser Gesellschaft (und beschreibt auch Edits Einfühlungsvermögen, da sie auch zu einem Haufen Blech und Zahnräder in süßem Gewand eine emotionale Beziehung aufgebaut hat, vielleicht eine emotionalere, als sie zu den meisten Menschen in ihrem Umfeld entwickelt hat). Wir sehen Menschen bei ihren alltäglichen Verrichtungen und wie sie ggf. durch Technologie vereinfacht werden (Brillen z.B. sind rein virtuell), bei ihrem Freizeitbeschäftigungen, und dieweil die politische Ordnung dieser Welt nur indirekt angesprochen wird, können wir uns eine gewisse Vorstellung darüber machen. Aus dieser Welt reißt nur ein ziemlich unnötiger Flashback von Edits Großvater zur serbischen Revolution des Jahrs 2000, wo er Zeuge wurde, wie Slobodan Milosevic ein Tentakelmonster aus der Stirn gebar, ehe er sich verzupftet. Das ist als politischer Kommentar sicher für Serben schärfer als für uns…

Die eigentliche Storyline ist durchaus interessant – natürlich ist es nicht wahnsinnig originell, Fragen nach dem Wesen der „Menschlichkeit“ aufzuwerfen, aber die Art der Verbindung von Mensch und Maschine ist in diesem Fall schon recht untypisch fürs Genre und die Verknüpfung der künstlichen Intelligenz mit unterbewussten Erinnerungen ihres menschlichen Wirts denkwürdig. Was „Technotise“ etwas schwierig in der Handhabung macht, ist eine gewisse Uneinigkeit des Scripts, ob man die Sache nun als Action-Thriller angehen will oder doch lieber die philosophischen und psychologischen Aspekte in den Mittelpunkt stellen will. Das fügt sich nicht alles glatt und fugenlos zusammen. Dass Gajic die Universaltheorie nicht erklären will, ist verständlich, ihr einen spirituellen Anstrich zu geben („der direkte Draht zu Gott“, wie Dorijevic sich ausdrückt) wurmt mich persönlich ein wenig (es ist quasi eine Schöpfungsgeschichte, wenn die KI Edi durch den bloßen Anblick einer graphischen Umsetzung der Formel zum Leben erwacht. Ob eine Gleichstellung von „Göttlichkeit“ und „Mathematik“ etwas ist, womit ich mich anfreunden kann, wage ich noch nicht abschließend zu beurteilen. Aber es ist immerhin ein nicht zu Tode fabulierter Ansatz), aber ebenso vage bleibt es, warum die Entschlüsselung der Theorie, soweit es Abel und Edi angeht, ein No-Go ist, welche Gefahren von ihr ausgehen, bleibt unausgesprochen. Und dieweil ich den Zusammenhang zwischen Abels Entdeckung und seinem Autismus durchaus verstehe, trägt die Figur zur abgebildeten Geschichte nicht arg viel bei – außer um als deus ex machina im Finale dienen zu können (was wir als clevere Zuschauer längst vermutet haben).

Was sich mit dem spirituellen Bezug (der sogar ein „afterlife“ für Maschinen postuliert) beißt, ist die starke Sexualisierung von Edit. Ich hab nun gewiss nichts dagegen, wenn Anime für Erwachsene Sex aufgreifen (I’ve seen enough hentai… hüstel), allerdings ist es schon ziemlich problematisch, wie sehr Edit sexualisiert und in die Rolle eines Sexobjekts hineingedrängt wird, und das dann noch manchmal für den Lacher inszeniert wird, wenn Abels Kommunikationsversuche damit gepaart werden, dass er ihr an die Möpse oder den Hintern grabscht (Bojan ist scheinbar der einzige, der damit ein Problem hat, aber das wird als Ausdruck seiner krankhaften Eifersucht gezeigt). Im Filmverlauf schickt sich Edit auch an, ihrem Uniprof einen zu blasen (allerdings will sie das wohl hauptsächlich zur potentiellen Erpressung ihres Lehrmeisters nutzen), selbstredend gibt es Zeichentrick-Nudity in Form einer überflüssigen Duschszene, Edi manifestiert sich soweit körperlich, dass er mit Edit Sex haben kann, und wie sich herausstellt, ist Edis Erscheinungsbild eine Projektion ihres Unterbewusstseins aus der Kindheit und Resultat eines verdrängten Doktorspiel-Erlebnisses. Dass Edit nur gerettet werden kann, wenn sie vollkommen nackt ist, erscheint dann schon gar nicht mal mehr so außergewöhnlich…

Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass einige etwas hart wirkende Handlungssprünge (obwohl „Technotise“ durchaus beabsichtigt gewillt ist, nicht alles, was von Bedeutung ist, auch wirklich zu zeigen – wie Edit Abel befreit, müssen wir uns nämlich auch selbst ausmalen) auf Kürzungen gegenüber der ursprünglichen Festival-Fassung zurückzuführen sind. Die IMDb rapportiert eine Laufzeit von 100 Minuten, und wiewohl ich die Datenbank gerade bei Filmen dieser Couleur nicht für das Maß aller Dinge halte, sei es doch angemerkt, dass die Retail-Version von Infopictures bei 86 Minuten ihren Abschluss findet.

Zu den technischen und handwerklichen Aspekten – das Tempo des Films ist hoch, da und dort auch mal zu hoch, um die Ideen und Philosophien, die angerissen werden, sacken zu lassen. Der Animationsstil ist erfreulich realistisch (abgesehen davon, dass Edit eine supersexy Figur zugeteilt wird), nicht cartoonig, „künstlerisch“ (wie die Bigheads aus „Metropia“) oder dem japanischen Stil nachempfunden. Die 2D-Animation ist flüssig und detailreich, die Hintergründe ebenfalls bemüht, ein realistisches Bild einer nicht zu weit entfernten und doch ein wenig fremd wirkenden Zukunft zu zeigen (und Belgrad ist, ob nun 2019 oder 2074, auch nicht gerade ein Motiv, das man tagtäglich vor die Glotzer bekommt). Ziemlich auf die Nerven geht das penetrante product placement für die den Film co-finanzierende Erste Bank – an jeder Ecke des künstlichen Belgrads findet sich eine Werbetafel für die Dienstleistungen des Instituts. Nicht wirklich geglückt ist der Einbau von 3D-animierten Elementen wie Fahrzeugen oder anderen „Nebenobjekten“ – gerade, wenn es um relativ große Objekte wie Busse o.ä. geht, wirken die nicht glaubhaft in die 2D-Umgebung integriert, sondern wie Fremdkörper, die auf einer anderen „Realitätsebene“ agieren (und wenn sie sich bewegen, sieht das nicht nach „natürlicher“ Bewegung auf, sondern nach dem uneleganten Umsetzen eines Modells). Allerdings ist es ein netter Gag, dass die Polizeifahrzeuge alte Yugos sind, die notdürftig auf Hover-Technologie umgebaut wurden (und ja, „Back to the Future“-Fans: Hoverboards spielen eine große Rolle in „Technotise“).

Die Actionszenen sind durchaus rasant inszeniert, insbesondere die Verfolgungsjagden, die Martial-Arts-Einlagen sind eher kurz und pointiert. Allerdings ist in einigen Sequenzen der Schnitt etwas unübersichtlich (in der großen Hoverdome-Sequenz ist es nicht ganz einfach, Sinn und Zweck des dort gespielten Spiels nachzuvollziehen, weil dort nichts einer schlüssigen In-Game-Logik folgen würde).

Mehr als passabel ist der Score, der mit fetzigem Rave für Adrenalinschübe sorgt.

Die deutsche Synchronfassung ist gut gelungen (DD 5.1, serbischer O-Ton liegt in DD 2.0 vor, deutsche Untertitel werden geliefert), es stören aber arge Lautstärkeschwankungen. Die Bildqualität (1.85:1 anamorph) ist ausgezeichnet.

„Technotise“ flößt zweifellos Respekt ein – für ein totales Indie-Projekt ist das Resultat visuell mit den Einschränkungen der 3D-Animationen überzeugend, baut eine eigenständige Welt auf und spricht durchaus interessante philosophische und psychologische Fragen an, laboriert aber letztendlich an einem Überschuss an unnötigen Nebenfiguren, einer nicht immer stringenten Erzählstruktur und dem fehlenden Commitment, entweder eine rasanter Action-Film oder eine tiefgründige philosophische Studie sein zu wollen. Ich muss mal wieder sagen, it’s more interesting than it’s good, aber der Film hat seinen Unterhaltungswert. Fans adulter Animation mögen noch ’ne Schippe Plusbewertung drauflegen.

© 2019 Dr. Acula


mm
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