Synchronic

 
  • Original-Titel: Synchronic
  •  
  • Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead
  • Land: USA
  • Jahr: 2019
  • Darsteller:

    Anthony Mackie (Steve), Jamie Dornan (Dennis), Katie Aselton (Tara), Ally Ioannides (Brianna), Bill Oberst jr. (Looter), Devyn A. Tyler (Danika), Betsy Holt (Leah), Natasha Tina Liu (Christina), Carl Palmer (Jacobs), Shane Brady (Travis), Ramiz Monsef (Dr. Kermani), Sophie Howell (Stoner Clerk)


Vorwort

Die Rettungssanitöter Dennis (Jamie Dornan, 50 SHADES OF GREY, ONCE UPON A TIME) und Steve (Anthony Mackie, THE HURT LOCKER, CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR, INSIDE WIKILEAKS) haben alle Hände voll zu tun – mysteriöse Verletzungs- und Todesfälle, die auf den ersten Blick nicht erklärbar sind, halten sie auf Trab. Eine junge Frau wird in ihrem Hotelzimmer von einer Giftschlange gebissen, ihr Loverboy liegt dieweil zerschmettert auf dem Boden eines Fahrstuhlschachts; anderswo in einer Junkie-Höhle wird ein Kerl von einem mittelalterlichen Schwert durchbohrt aufgefunden. Nur dem aufmerksamen Steve fällt auf, dass an jedem Einsatzort die Verpackung von „Synchronic“, einer frei verkäuflichen Designerdroge, zu finden ist.

Andererseits hat Steve auch andere Dinge, um die er sich vorrangig sorgen muss – bei ihm wird ein ungewöhnlicher, nichtsdestoweniger inoperabler und in Bälde tödlicher Gehirntumor diagnostiziert. Mit seinem baldigen Ableben konfrontiert, stürzt sich Steve in eine innige Beziehung mit dem bösen Dämon Alkohol, und seinem besten Freund Dennis verschweigt er die böse Nachricht sicherheitshalber. Ganz gute Idee, denn auch Dennis und sein holdes Weib Tara (Katie Aselton, THE GIFT, THE SEA OF TREES), seinerzeit von Steve verkuppelt, haben’s plötzlich mit einer unerwarteten, dafür umso erschütternderen Krise zu tun – ihre Teenage-Tochter Brianna (Ally Ioannides, INTO THE BADLANDS, ANiMUS) ist verschwunden. Die letzte Spur führt zu einer Party mit Booze & Drugs und… Synchronic.

Steve kommt zur Überzeugung, dass Synchronic die Wurzel des Übels ist – es gelingt ihm, die Spur der Droge zu einem Vape-Shop, der als einziger in der Gegend den Kram verkauft, zurückzuverfolgen und dort die gesamten Restbestände aufzukaufen. Ein mysteriöser Typ (Ramiz Monsef) versucht ihm die frisch erworbenen Drogen zu einem horrenden Betrag wieder abzuluchsen, aber Steve bleibt unerschütterlich. Der mysteriöse Fremde sucht ihn aber in seinem trauten Heim ein und stellt sich als Dr. Kermani vor – er ist der Chemiker, der Synchronic zusammengepantscht hat. Wie er erklärt, ist das Geschäftsmodell seiner Auftraggeber, Designerdrogen zu verticken, die sich knapp innerhalb des Rahmens der Legalität bewegen und, sobald die Behörden auf den Trichter gekommen sind, das Zeug zu verbieten, durch eine neue unverbotene Variante mit gleicher oder ähnlicher Wirkung zu ersetzen. Bei der Entwicklung von Synchronic war Kermani aber unter Zeitdruck, konnte den Stoff nicht ausreichend testen und fand erst später heraus, dass es sich um eine absolute Fehlentwicklung handelt. Synchronic, muss man wissen, stimuliert die Teile von jugendlichen Gehirnen, die es ermöglichen, Zeit, wie sie wirklich ist, zu erleben. Die uns normalsterblichen vertraute Abfolge von Ereignissen ist, wie der Chemiker erläutert, eigentlich nur eine degenerative Hirnstörung. Will sagen, Synchronic ist dazu in der Lage, seinen Benutzer, so sein Brägen noch jung und unverbraucht ist, in eine andere Zeit zu versetzen. Kermani ist nun damit beschäftigt, alles freilaufende Synchronic aufzukaufen und zu vernichten. Steve behauptet wahrheitswidrig, er hätte den von ihm erworbenen Stoff bereits zerstört, womit Kermani sich zufriedengibt und, wie Steve wenig später aus den Fernsehnachrichten erfährt, schuldgebeutelt den Freitod wählt.

Steve denkt jetzt erst recht nicht daran, Synchronic zu zerstören – er will es vielmehr dazu nutzen, um Brianna, die offensichtlich in der Zeit verloren ist, zurückzubringen. Sein durch den Tumor empfängliches Gehirn erlaubt es ihm, Selbstversuche zu unternehmen, und in der Tat gelingt es Steve, durch couragiertes Synchronic-Schlucken ohne Rücksicht auf das eigene Risiko, die Regeln des Synchronic-Konsums festzulegen. In welche Zeit man reist, ist abhängig vom Ort, an dem man die Pille schluckt – schon kleinste Veränderungen können sich in Jahrhunderten auswirken. Es ist möglich Gegenstände oder andere Lebewesen mitzunehmen, aber nur, wenn man sie tatsächlich körperlich berührt. Und wer nach sieben Minuten nicht am exakt gleichen Ort ist, an dem er materialisiert, der verpasst seine Rückfahrkarte in die eigene Zeit.

Steve macht so die Bekanntschaft mit spanischen Conquistadoren und lynchwütigen früh-amerikanischen Siedlern und geht seines geliebten Wuffwuffs verlustig, doch nach einer Reihe von Feldversuchen fühlt Steve sich gewappnet, seine Erkenntnisse an Dennis weiterzugeben. Überzeugungsarbeit verrichten dabei die Videos, die Steve von seinen Experimenten geschossen hat. Dennis möchte nun selbstverständlich persönlich zu Briannas Rettung schreiten, aber unter Verweis auf sein sowieso schon vorprogrammiertes Dahinscheiden kann Steve den Freund überzeugen, dass es sinnvoller ist, wenn er das Risiko eingeht. Allerdings hat Steve beinahe seinen gesamten Synchronic-Vorrat für die Tests aufgebraucht, Nachschub ist dank Kermanis Tod nicht in Aussicht, was bedeutet, dass Steve nur einen Versuch hat…


Inhalt

Wenn’s neben JOJO RABBIT einen Film gab, dem ich bei der 2020er-Ausgabe der FFF-White Nights mit gewisser freudiger Erwartung entgegentrat, dann war’s SYNCHRONIC, der neueste Streich der ehemaligen Mumblecore-Wunderknaben Justin Benson und Aaron Moorhead (SPRING, und natürlich vor allem THE ENDLESS). Für dieses Indie-Darling-Duo ist SYNCHRONIC ein großer Schritt in Richtung Mainstream – zwar nicht mit einem üppigen, aber einem zumindest messbaren Budget gesegnet, und mit echten Hollywood-Stars, nicht unbedingt totale A-Lister, aber zumindest respektable Zweite-Reihe-Namen wie Christian Grey Jamie Dornan und MCU-Falcon Anthony Mackie. Nicht von Ungefähr schlug dann auch Universal Pictures zu, um SYNCHRONIC generalstabsmäßig zu vertreiben.

THE ENDLESS war, um es in Erinnerung zu rufen, der letzte wirklich einprägsame „mindfuck“-Movie, der bei mir nachhaltig Eindruck schinden konnte. Man braucht schon Talent dafür, mit Realitäts- und Zeitebenen zu jonglieren, Zuschauer auf völlig falsche Fährten zu führen und am Ende mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten und den Zuschauer trotzdem hochzufrieden zu entlassen, und THE ENDLESS zeigte, dass Benson und Moorhead dieses Talent in Tüten besitzen. Trotzdem gibt’s da natürlich noch einen Unterschied zwischen einem Low-Budget-Ultra-Indie-Film, der kompromisslos die Vision seiner Macher umsetzen kann, weil er per Definition gar kein großes Publikum ansprechen will und muss, und einem Film wie SYNCHRONIC, der schon darauf angewiesen ist, mehr als nur die Indie- und Festivalcrowd ins Boot zu holen und auch für Otto Durchschnittsfilmkucker zugänglich bleiben muss. Es ist eine Gratwanderung zwischen kommerziellem Interesse und künstlerischer Integrität.

Und ich bin mir heute, immerhin schon anderthalb Wochen nach dem Festivalscreening, immer noch nicht ganz sicher, ob Benson und Moorhead diese heikle Übung nun geschafft haben oder nicht. Natürlich ist SYNCHRONICs Story für nicht sonderlich genre-affine Zuschauer einigermaßen schräg und zunächst verwirrend, aber im Vergleich zu THE ENDLESS (sorry, dass ich inflationär auf den direkten Vorgängerfilm zurückgreife) ist die Geschichte eine ziemlich geradlinige Zeitreisegeschichte (deren Gimmick schon ein ganz klein wenig an Klassiker wie TWELVE MONKEYS oder dessen direkte Inspiration LA JETÉE denken lässt), die, und das macht den Hauptunterschied aus, am Ende keine Fragen offen lässt, sondern ihre Karten komplett auf den Tisch legt. Das macht den Film nicht automatisch „schlecht“, doch wenn man seinen Spaß auch oder sogar primär aus dem Rätseln über das „was, wie und warum“ zieht, lässt einem SYNCHRONIC da recht wenig Ansatzpunkte für Hirnmartereien – die Zeitsprünge sind kein Vergleich zu den Realitätsvexierspielen, die THE ENDLESS so virtuos betrieb.

Die angebotene Erklärung für die Zeitreisen ist immerhin ein netter quantenphysikalischer Denkansatz – dass Zeit kein „Fluss“ ist, und sich die Dinge nicht ordentlich nacheinander abspielen, so wie wir sie erleben, sondern es auf die Wahrnehmung des Einzelnen ankommt, ob und ggf. dass man sich in der Zeit wie im Raum frei bewegen kann, würde Schrödinger gefallen, auch wenn die Umsetzung im Film nicht unbedingt zwingend logisch ist (müssten, wenn es, wie postuliert, wirklich auf die individuellen Fähigkeiten des Synchronic-Benutzers, sich in der Zeit zu bewegen, ankommt, die Zeitsprünge nicht wesentlich willkürlicher sein, sprich zwei Synchronic-User, die an der exakt gleichen Stelle „springen“, nicht eigentlich an unterschiedlichen, mehr oder minder zufälligen Zeitpunkten herauskommen?).

Aber, und da sind wir bei der Krux des Ganzen, am Ende des Tages ist weder das Zeitreisen an und für sich noch die Art und Weise derselben im Speziellen das „Herz“ des Filmes. SYNCHRONIC – übrigens neben CODE 8 und VFW einer von gleich drei Filmen im diesjährigen White-Nights-Line-up, in dem Designerdrogen eine Rolle spielen, wobei SYNCHRONIC der einzige davon ist, in dem der Stoff dann auch tatsächlich plotrelevant ist -, ist, seinem Aufhänger zum Trotz ein Film über Freundschaft und wie weit man zu gehen bereit ist, um seinen Freunden zur Seite zu stehen. Für Steve ist Dennis der einzige echte Freund und damit ein wichtiger sozialer Anker – ansonsten ist Steve einigermaßen beziehungsunfähig, hangelt sich von one-night-stand zu one-night-stand und weigert sich, sich über seinen Hund hinaus zu binden. Dennis ist als sein Freund für ihn eine Art idealisiertes Ersatz-Ich, an dem er sein eigenes halbwegs verkorkstes Leben ausgleicht. Er hat Dennis und Tara (in deren Ehe es heftig kriselt, ohne dass Steve davon etwas mitbekommt, und nach Briannas Verschwinden droht die Beziehung ihrer Eltern komplett auseinanderzubrechen) zusammengebracht, er ist für Brianna eine Art zweiter Vater, beinahe folgerichtig, dass er alles zu tun bereit ist, damit seine Ersatz-Familie, erst recht, nachdem er nun weiß, dass er selbst nicht mehr lange als ausgleichendes Element zur Verfügung stehen wird, zusammen bleibt. Dass zwischendurch die tiefe Männerfreundschaft auch noch direkt auf die Probe gestellt wird (Steve pfeift sich seines Tumors wegen Codein-Pillen wie Smarties ein, und da gleichzeitig aus den Rettungswagen in rauen Mengen Morphium geklaut wird, sieht Steve für seinen Buddy wie ein 1-A-Verdächtiger aus), macht die Sache nicht einfacher und erzwingt, dass Steve und Dennis sich die Dinge, die sie sich – auch und gerade aus Freundschaftsgründen – bislang nie gesagt haben, offen aussprechen, bevor sie daran gehen können, Brianna zu retten.

Man sieht, das SF-/Zeitreisegimmick treibt den Plot zwar voran, ist aber nicht integral wichtig für die eigentliche Geschichte, die Benson und Moorhead erzählen wollen. Und wiewohl ich es respektiere, dass das dynamische Duo sich hier nach Kräften bemüht, eine konventionellere Geschichte zu erzählen, um ein größeres Publikum zu erreichen, ohne ihren Sinn für das Schräge und Abgefahrene k.o. zu schlagen und an einen Stuhl zu fesseln, ist dem kritischen Geist in mir die Nummer am Ende etwas zu banal, etwas zu einfach, etwas zu sehr dem Willen an eine mainstreamtaugliche Story geschuldet. It’s not bad, it’s just that I expect … more.

Technisch gibt’s an SYNCHRONIC nichts auszusetzen. Moorhead ist als Kameramann des Teams gut genug, um einige eindrucksvolle Bilder, speziell bei einigen der Übergängen zwischen den Zeiten (wobei die ersten Zeitsprünge die interessantesten und visuell spektakulärsten sind) – der Film sieht ausgesprochen poliert und glatt aus, was vielleicht auch ein wenig zu seinem Detriment ist, denn es fehlen so ein bissl die Indie-Ecken und Kanten, wie sie der ungeschliffene und dadurch mit kleinen Widerhaken versetzte THE ENDLESS mitbrachte. Auch das wirkt schon nach einer kleinen, feinen Anbiederung an den Kommerz-Mainstream, und, da wiederhole ich mich, obwohl ich den Filmemachern grundsätzlich nicht böse sein kann und will, weil ich ihnen auch kommerziellen Erfolg herzlich gönne, kann ich mich des Eindrucks nicht verwehren, dass SYNCHRONIC, zu den Bedingungen von THE ENDLESS entstanden, ein vielleicht nicht so slicker, aber dafür interessanterer Film geworden wäre.

Am Cast liegt’s auf keinen Fall. Mackie und Dornan sind absolut überzeugend und glaubwürdig als Best Buddies (weswegen es schade ist, dass die beiden nicht mehr gemeinsame Screentime haben, denn ihre Chemistry ist bemerkenswert), Mackie kommt auch in seinen Solo-Szenen sehr gut damit zurecht, seinem Charakter einerseits dramatische Tiefe zu geben, ohne ihn zu einem weinerlichen Jammerlappen zu machen. Katie Aselton hat als Tara nicht wirklich viel zu tun, erledigt ihren Job aber klaglos, was auch für Ally Ioannides (die man als junge Kampfamazone in INTO THE BADLANDS einfach lieben musste) gilt. Es ist aber in erster Linie die Mackie- und in zweiter Linie die Mackie- und Dornan-Show.

Also noch mal kurz zusammengefasst – SYNCHRONIC ist kein schlechter Film und wer ein Herz für etwas abgefahrenere Zeitreisegimmicks hat, wird hier durchaus gut bedient, auch dank der zwei ausgezeichneten Hauptdarsteller. Als Einstiegsdroge für Neulinge und Neugierige in das Benson/Moorhead-Universum ist der Streifen absolut geeignet, aber wenn man weiß, dass die Herrschaften wesentlich komplexer, wesentlich wilder (und auch anstrengender, zugegeben) auftischen können, ist der Film eine klitzekleine Enttäuschung. Aber auf ziemlich hohem Niveau…

© 2020 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 6


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