Stuck

 
  • Deutscher Titel: Stuck
  • Original-Titel: Stuck
  •  
  • Regie: Stuart Gordon
  • Land: Kanada
  • Jahr: 2007
  • Darsteller:

    Stephen Rea (Thomas Bardo), Mena Suvari (Brandi), Russell Hornsby (Rashid), Rukiya Bernard (Tanya), Carolyn Purdy-Gordon (Petersen), Patrick McKenna (Joe Lieber), Lionel Mark Smith (Sam), Wayne Robson (Mr. Binckley)


Vorwort

Unterschiedlicher könnte ein Tag nicht verlaufen – während Brandi, Hilfsschwester in einem Altenheim und dort sowohl bei Vorgesetzten, Kollegen und Bewohnern, ausgesprochen beliebt, aufgrund erwiesener Kompetenz einer Beförderung ins Auge sieht (auch wenn freiwillige Wochenendarbeit vorausgesetzt wird) und sich solchermaßen aufgebaut unbekümmert ins wilde Nachtleben mit Disco und Ecstasy stürzen kann, bricht für Thomas Bardo die ganze Welt zusammen – er wird aus der schäbigen Bude, die er bewohnt, rausgeworfen, der Jobvermittler unterrichtet ihn nach dreieinhalb Stunden Wartezeit, dass er unmöglich einen Termin haben kann, weil er nicht im Computer steht und die notgedrungen angedachte Übernachtung auf der Parkbank endet durch Vertreibung seitens der uniformierten Freunde und Helfer. Die Wege dieser beiden Menschen kreuzen sich im Wortsinne, als Brandi, zugedrogt und mit ihrem Handy hantierend, den gerade bei Rot die Straße überquerenden Neu-Obdachlosen frontal aufs Korn nimmt und der bedauernswerte Tom Kopf voraus durch die Windschutzscheibe kracht. Panisch fährt Brandi (mit dem Eingeklemmten auf der Motorhaube) nach Hause. Tom hat den Unfall wider Erwarten überlebt und plädiert in Brandis Garage verständlicherweise auf medizinische Hilfe, die seitens des Mädels aber verweigert wird, in der Hoffnung, das Problem wird sich bald auf mehr oder weniger natürliche Weise erledigen. Tom will und will aber nicht abkratzen, auch nicht, als Brandi mit ein paar gezielten Bretterschlägen nachhilft. Während Brandi ihren Gangsta-Boyfriend Rashid eher kryptisch um Hilfe angeht, kämpft Tom, dem (u.a.) ein Scheibenwischer bis zum Anschlag im Gekröse steckt, verzweifelt ums Überleben…


Inhalt

Hossa. Wer geglaubt hat, dass Stuart Gordon, seine David-Mamet-Adaption Edmond ins Kalkül gezogen, sich von seinen (filmischen) Roots als Splatterfilmer gänzlich verabschiedet hat, um sich eine eigene Ecke irgendwo zwischen Mainstream und Arthouse einzurichten, dürfte sich nach dem Genuss von „Stuck“ verdutzt die Augen reiben. Mit der (erschütternderweise nach einer wahren Begebenheit ausfabulierten) kruden Geschichte um den Mann in der Windschutzscheibe widmet sich der Schöpfer des (überschätzten) ersten Re-Animator den drei großen „B“ – Böse, Bizarr, Blutig. Und liefert damit im Vorbeigehen den zweifellos bislang besten Film seiner Karriere ab (und den nochmal zu übertreffen, das wird verdammich schwer).

Es ist wirklich eine Seltenheit, aber „Stuck“ ist diese ultrarare Art Film, an der mir keine ernsthaften Kritikpunkte einfallen wollen (der einzige minimale wird später noch erwähnt, versprochen). „Stuck“ ist nahe an der Perfektion. Wir haben eine grandiose Grundidee (auch, ich wiederhole mich, wenn es verdammt schockierend ist, dass sich kein pervers veranlagter Lohnschreiberling sowas ausdenkt, sondern die raue Realität), ein exzellentes Drehbuch, kongenial umgesetzt. Es stimmt einfach alles – das Script nimmt sich zu Beginn ausreichend Zeit, die beiden zentralen Charaktere vorzustellen (ohne dabei exorbitant Zeit schinden zu müssen. Die Handlung spielt sich in insgesamt gut 36 Stunden ab und beginnt, na, so ca. 12 Stunden vor dem Crash) und auch wenn die Sympathien natürlich eindeutig verteilt werden, malt „Stuck“ Brandi nicht als eindimensionales Monster, sondern als dreidimensonale Figur (dass die Frage, welche Motivation Brandi eigentlich antreibt, nicht wirklich beantwortet wird, passt in diesem Fall, weil einem nun mal wirklich kein plausibler Grund einfallen will und auch das reale Vorbild lapidar „drugs and alcohol“ als Grund für ihren geistigen Totalkurzschluss angab). Die Dialoge sind ausgezeichnet und, wenn sie sein müssen (und da „Stuck“ der morbiden Idee zum Trotz sich durchaus auch als harsche Komödie versteht, sind sie das öfters), pointiert, die Nebenfiguren, auch wenn sie nur kurze Auftritte haben, keine throwaways (und dienen gerne zu geharnischter Gesellschaftskritik; dass „Stuck“ sich die Verteidigung der sozial Schwächsten auf die Fahne geschrieben hat, ist keine Überraschung). Obwohl sich die Geschichte schwerwiegend auf zwei Charaktere und nur wenige Locations beschränkt, hat der Film genügend Dynamik, hat keinerlei Längen, keinerlei Auszeiten. Da kann man schlicht nichts kritteln (der Doc wird noch arbeitslos…).

Von der technischen Seite gleichfalls kein Reklamationen – wie mit „Edmond“ schon angedeutet, hat sich Gordon seit seinen Anfangstagen als Schmodderfilmer um zigtausend Prozent gesteigert. Da herrscht kein Leerlauf mehr, da geht in „dramatischen“ Charaktersequenzen dem Maestro nicht mehr die Puste aus; Gordon kann mittlerweile auch eine nicht-horribel-splattrige Comedy-Sequenz mit präzisem Timing inszenieren. Selbst die Passagen im von Demenzkranken bevölkerten Altenheim sind stimmig und gekonnt eingebaut, obwohl sie nicht wirklich zur Story gehören (ich denke da speziell an Mr. Binckley, der ein gewisses Inkontinenzproblem hat). Optisch lassen sich vielleicht einige nicht ganz souveräne Digital-FX bemängelnd (die aber in einer Traumsequenz vorkommen und daher dem Film nicht zum Strick gedreht werden), die Kameraführung von Denis Maloney („Witchcraft 6/7“, „The Contender“) gewinnt keine Innovationspreise, ist aber in ihrem Pragmatismus absolut gelungen. Lästig ist nur der extrem hip-hop-lastige Soundtrack, von dem man sich aber nicht abschrecken lassen sollte.

Stellt sich die Frage nach der Härte… wie schon angedeutet, ist „Stuck“ keinesfalls „for the squeamish“. Gordon nimmt sich genug Zeit für Gore feinster Güte und dank des extremen Realismus der Situation verstärkt sich die Wirkung der saftigen Sudeleien enorm – selbst das sicherlich abgebrühte FFF-Publikum, sonst dafür bekannt, jeden noch so dumpfen Splattereffekt johlend zu beklatschen, wand sich in sichtlichen (und hörbaren) Qualen (z.B. wenn Tom sich in einer LANGEN Sequenz den Scheibenwischer aus der Plauze entfernen muss). Hier vermengen sich ernsthafte, an die Nieren gehende krude Effekte mit gewollt auf den Lacher hin inszeniertem Slapstick (wobei Gordon, wie auch schon gesagt, den Humor nicht mehr aus dem Splatter ziehen muss, sondern das eine ohne das andere bewerkstelligt). „Stuck“ war von den neun Filmen, die ich dieses Jahr beim FFF gesehen habe, sicher der Härteste (gut, ich hab „The Signal“ und die anderen apostrophierten Splattergranaten nicht gesehen, aber was kann ich für die Programmplanung?). Wenn das Ding mit weniger als KJ aus der FSK kommt, kann man mir schon mal den Besen bereit legen. Und ’ne Tube Salz.

Was „Stuck“ natürlich ebenfalls extrem hilft, ist, dass nicht irgendwelche hergelaufenen Nasen die Hauptrollen spielen, sondern ECHTE Schauspieler mit Gütesiegel. Der gorßartige Stephen Rea, der sich nie zu schade ist, eine hochgelobte Arthouse-Rolle („The Butcher Boy“, „The Crying Game“) nach einem schnellen Euro für Kommerzfilme (The Musketeer, „Feardot.Com“) zu spielen, verbindet hier sozusagen das für den Zuschauer Angenehme mit dem Nützlichen; Rea liefert eine große Performance ab, sowohl „vor“ dem Unfall als vom Leben gepeinigter Loser als auch danach als vom unbändigen Lebenswillen gepeinigtes Opfer (was das Brillante an dem Charakter ist, den er spielt – obwohl er eigentlich überhaupt keinen Grund hat, am Leben zu hängen, gibt er nicht auf). Phänomenal, und wenn die einschlägigen Filmjurys sich Genrefilme ansehen würde, müsste man ihn für diverse Preise fix buchen…

Mena Suvari („American Beauty“, „American Pie 2“, „The Musketeer“ [aha!]“), die schon in „Edmond“ agierte, steht Rea nur in Wenig nach. Die schwierige Aufgabe, aus Brandi kein reines verachtenswertes Miststück zu machen, meistert sie in Kooperation mit dem Script, ausgezeichnet. Gleichfalls überzeugend: Russell Hornsby (auch ehr schon in „Edmond“ dabei, aber auch im 50-Cent-Machwerk „Get Rich or Die Tryin'“). In kleinen Auftritten leisten Lionel Mark Smith („King of the Ants“), Carolyn Purdy-Gordon („Re-Animator“, „Dolls“, „RobotJox“… das wird doch nicht des Meisters Angetruate sein?) Beachtliches.

„Stuck“ war für mich neben „Fido“ definitiv das Highlight des Festivals und sicherlich der noch bessere, „bedeutendere“ Film als die charmante Zombie-Comedy. Sollte es mir zu denken geben, dass die beiden großen Gewinner aus Kanada kommen? Offenbar haben die Genrefilmer dort inzwischen nicht nur lohnende Filmförderprogramme, sondern mittlerweile auch die technischen Möglichkeiten (die berüchtigte kanadische TV-Optik, die noch vor zwei-drei Jahren beinahe jede Produktion aus dem Land des Eishockeyrekordweltmeisters „auszeichnete“, scheint ein Ding der Vergangenheit zu sein), ihre Ideen auch mit den nötigen Budgets und Hilfsmitteln umzusetzen. „Stuck“ jedenfalls ist eine wunderbare, bitterböse Komödie, bei der einem das Lachen gern mal im Halse stecken bleibt (weil der Magen grad nach oben kraucht…). I repeat: mit absoluter Sicherheit das Beste, was Stuart Gordon je gemacht hat – brillant geschrieben, brillant gespielt, brillant gefilmt. Zugabe!

5/5
(c) 2007 Dr. Acula


mm
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