Stratosphere Girl

 
  • Deutscher Titel: Stratosphere Girl
  • Original-Titel: Stratosphere Girl
  •  
  • Regie: Matthias X. Oberg
  • Land: Deutschland/Großbritannien/Niederlande/Schweiz/Italien
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Chloé Winkel (Angela), Jon Yang (Yamamoto), Rebecca R. Palmer (Rachel), Tuva Novotny (Monika), Tara Elders (Polly), Linda Steinhoff (Ella), Filip Peeters (Kruilman), Togo Igawa (Oshima), Peggy Jane de Schepper (Larissa), Alan Westaway (Scotty), Burt Kwouk (Papa-san)


Vorwort

Angela, eine begabte Comic-Zeichnerin, sieht sich nach dem Abi der unerwünschten Aussicht, in der Steuerkanzlei ihres Onkels arbeiten dürfen zu müssen, ausgesetzt. Da setzt ihr Yamamoto, der nette japanische DJ auf der Abifete, den Floh ins Ohr, doch einfach nach Tokio zu fliegen und dort in einem Club als Hostess zu arbeiten. Leicht zu beeindrucken sitzt Angela umgehend im nächsten Flieger und quartiert sich bei Monika, einer Bekannten Yamamotos, die mit einigen Mit-Hostessen in einem schuhschachtelgroßen Appartment eine WG führt, ein. Auch mit dem Job klappt es – nach leichten Anlaufschwierigkeiten – ganz gut, die japanischen Geschäftsmänner, die sich nach einem langen Arbeitstag in weiblicher Gesellschaft entspannen wollen, stehen auf ihren Lolita-Charme. Ihr spontaner Erfolg führt zwangsläufig in einer primär vaginal geprägten Umgebung zu Neid und Mißgunst, da findet Angela schon mal in ihrer Nudelsuppe eine Glasscherbe.
Noch schwerwiegender ist allerdings ihre zufällige Entdeckung, dass Larissa, ein russisches Mädchen, das auch mal in Monikas WG gelebt und im gleichen Club gearbeitet hat, verschwunden ist und polizeilich gesucht wird. Angela wittert ein Verbrechen und vermutet, dass Kruilman, ein europäischer Kunde besonders schmieriger Art, der bei den Mädchen keine Popularitätswettbewerbe gewinnen könnte, in die Sache verwickelt ist. Ella berichtet auch von einer seltsamen Party bei einem japanischen Millionär, nach der Larissa nicht mehr gesehen worden sei. Angela beschließt, den auf Besuch in der Heimat befindlichen Yamamoto ins Vertrauen zu ziehen, allein, es fehlen die Beweise…


Inhalt

Die verdienstvollen Burschen von Rapid Eyes Movies, die lange Zeit ja sprichwörtlich als Einzelkämpfer die Fahne des asiatischen Kinos hochhielten, bevor der cineastische Asia-Snack plötzlich hip, cool und angesagt wurde, machen sich ihr Lizenzstock-Backprogramm zu Nutze und erfreuen des Konsumenten Herz mit einer neuen DVD-Reihe, die uns die Vielfalt des fernöstichen Lichtspielwerks nahebringen soll und daher in verschiedene Sub-Reihen („Edition Asien“, „Nippon Classics“, „Edition Anime“ und „Nippon Erotica“) unterteilt ist. Kurioserweise scheinen gerade die ausgemachten Experten die Definition „asiatischer Film“ ausgesprochen weit zu sehen, denn „Stratosphere Girl“, in der „Edition Asien“ erschienen, ist nun eigentlich unter keinem Gesichtspunkt sonderlich zielführend dem Fernost-Kino zuzuordnen, handelt es sich doch um eine unter deutscher Federführung entstandene internationale Koproduktion, die letztlich nur relativ „zufälligerweise“ überwiegend in Japan spielt. Aber was weiß ich schon – ich bin nur der Reviewer, die Auskenner sind bei REM.

In seinem dritten Film (von seinen vorhergehenden Werken dürfte „Unter der Milchstraße“ mit einem jungen Fabian Busch der bekanntere sein) kombinierte Filmemacher Matthias X. Oberg eine Idee, die ihm schon seit längerem vorschwebte (junge Frau klärt ein Verbrechen auf, „während“ sie es in Comic-Form zeichnet) mit einer Anekdote einer Bekannten, die in Japan als Hostess gearbeitet hatte und dem Zickenterror ihrer dortigen (europäischen) Kolleginnen ausgesetzt war. „Stratosphere Girl“ entspinnt sich dann praktisch folgerichtig als eine Art „Lost in Translation“ mit Thrillerelementen.

Und damit sicherlich eher ein Film für die Arthouse-Fraktion als für die Freunde adrenalinhaltigen Thrillerkinos – schließlich und endlich kreist das gesamte Storykonstrukt um die Frage, welche Ereignisse, die Angela uns (von voice-over-Narration begleitet) berichtet, tatsächlich stattgefunden haben und welche nur Ausdruck ihrer comic-begeisterten Fantasie sind (wenn man sich im Internet so umhört, gehen die Meinungen in der Hinsicht gewaltig auseinander – von den Extremen „alles ist wahr“ bis „ab dem ersten Treffen mit Yamamoto ist alles nur Angelas Vorstellung“ ist die ganze Bandbreite vertreten, ich persönlich halte eigentlich nur die „alles-ist-wahr“-These für unmöglich, für alle anderen Varianten lassen sich mehr oder weniger passende Argumente und „Sollbruchstellen“ im Film finden).
Diese bewußte Erzählweise, also das Aufweichen der Grenzen zwischen (filmischer) Realität und Fiktion, erlaubt natürlich gewisse Freiheiten: Charaktere müssen sich nicht immer konsistent verhalten, nicht jede Wendung der Story entfaltet sich logisch (vor allem „stört“ ein bisschen die sehr gedrängte Timeline des Films, die die Geschehnisse in gerade mal drei-vier Tage packt) – was schon bei der Prämisse (18-jährige Abiturientin setzt sich nach kurzem Gespräch mit Japaner ins Flugzeug, um in Tokio als Hostess anzuheuern, ohne irgendjemandem etwas davon zu erzählen) beginnt. Man sollte wohl, auch wenn man gewisse Teile des Films als „real“ bezeichnet, schon allein aufgrund des unreliable-narrator-Prinzips die komplette Geschichte als zumindest möglicherweise imaginär betrachten – dazu passt dann auch die manchmal traumwandlerische Stimmung des Streifens, der – trotz der knappen Laufzeit von gut 80 Minuten – ganz gewiss kein Tempo-Burner ist, sondern sich Zeit nimmt, seine Hauptfigur (und nur um Angela geht es letztlich) zu entwickeln, die sich – das aber wirklich „imaginär“ – ihre Zweitidentität als „Heldin/Detektivin“ (aus deren Sicht der voice-over erzählt wird), die das Rätsel lösen muss, ohne die möglichen Konsequenzen für die eigene Person zu bedenken.

Die „Thrillerhandlung“ selbst ist nicht spektakulär und ein wenig vorhersehbar (was aber auch wieder insofern „stimmig“ ist, wenn wir die Handlung als „Jungmädchenfantasie“ verstehen), entbehrt aber nicht einer gewissen Spannung (um deren „Auflösung“ man aber durch das ebenso abrupte wie intendiert verwirrend angelegte Finale betrogen wird), überzeugender ist der Streifen in seiner Schilderung des Mikrokosmos des „Hostessen“-Diensts (bei dem es nicht, oder zumindest nicht primär, um Sex geht – die Kunden der Girls suchen einfach junge Frauen, mit denen sie den Abend verbringen, sich unterhalten, tanzen, Karaoke singen…) vor und hinter „den Kulissen“ – die unterschiedlichen Gäste, die Egos und Zickereien der Mädchen, das ist gut getroffen (wobei vielleicht auch ein bisschen problematisch ist, dass die Schurkenrolle einem Europäer zugeschoben wird) und auch einfühlsam inszeniert.

Oberg beweist speziell in den Außenaufnahmen ein geschicktes Händchen für interessante, unverbrauchte Bildkompositionen und Szenen-set-ups, zieht guten Nutzen aus dem Ambiente des nächtlichen Tokio (wobei sich die Außendrehs offenkundig nicht unkritisch gestalteten – Oberg wollte ohne Handkamera arbeiten, andererseits wohl auch nicht in Drehgenehmigungen investieren, so dass sich die Dreharbeiten unter ständiger Beobachtung der Polizei und, schwerwiegender, der Yakuza vollzogen, das Oberg letztlich zur Entscheidung trieb, die Innenaufnahmen nicht, wie ursprünglich geplant, auch in Japan, sondern doch lieber in Deutschland im Studio zu drehen). Die Interiors selbst wirken überraschend authentisch und teilweise ästhetisch beeindruckend (der „white room“, in dem Yamamoto seine Zelte aufgeschlagen hat und der Schauplatz der dramaturgisch vielleicht nicht unbedingt notwendigen, aber eben unter „Fantasie“-Gesichtspunkten verständlichen Sexszene ist).
Insgesamt gelingt Oberg das Kunststück, über die praktisch komplette Laufzeit geschickt auf dem schmalen Grat zu balancieren, der sowohl (ich weiß, dass ich auf diesem Umstand herumreite, aber er ist nun mal auch der *Punkt* des Films) Realität als auch Fiktion möglich erscheinen lässt. Nicht ganz neu, aber immer wieder effektiv – und im Filmkontext auch „sinnvoll“ – ist der Kniff, (hübsch gezeichnete, aber interessanterweise überhaupt nicht im Manga-Stil gehalten, wie man vielleicht erwarten könnte), Comic-Panele als Szenenüber- und -einleitungen zu verwenden.

Nicht zu unterschätzen für die Stimmung ist der Score des norwegischen Jazz-Trompeters Nils Petter Molvaer, sich um die Verbindung von Jazz und elektronischer Musik verdient gemacht hat; die chilligen Ambient-Klänge passen zu Obergs ästhetischen, größtenteils eher kühlen Bildern.

Die FSK-16-Freigabe resultiert aus einer kleinen Gewaltszene (die auch im Filmkontext imaginär ist) und der schon erwähnten recht ausführlichen Sexszene.

Das Acting scheint mir, um mal wieder einen nicht wirklich gut übersetzbaren Anglizismus zu verwenden, etwas „uneven“ zu sein, was bei einem multinational zusammengesetzen Ensemble, bei dem offenkundig die allermeisten Akteure nicht in ihrer Muttersprache agieren konnten, nicht überrascht. Speziell Hauptdarstellerin Chloé Winkel (für die dieser Film den einzigen Filmcredit darstellt) wirkt über weite Strecken etwas „entrückt“, was einerseits ganz gut dazu passt, dass ihr Charakter ja möglicherweise alles „erfindet“, aber sie wirkt trotzdem/deswegen eben nicht überzeugend. Dass sie der Typ ist, auf den gesetzte japanische Geschäftsmänner abfahren können, kann man ihr hingegen abkaufen.
Jon Yang als Yamamoto haut mich durch seine Schauspielkunst auch nicht permanent vom Hocker, das kann aber auch bei ihm fehlende Routine sein.
Rebecca Palmer („Quills“, „Red Rose“, „Blood Trails“), Tuva Novotna (Sleepwalker, „Jalla! Jalla!“) und Tara Eldes („Europäische Visionen“), die wesentlichen „Mithostessen“ sind überwiegend adäquat (Novotna) bis richtig gut (Palmer). Der britische Fernsehakteur Alan Westaway macht sich als Scotty, „Bank“ der Hostessen (die als „Illegale“ schlecht Konten eröffnen können), recht gut.
Nippon selbst wird würdig durch Routinier Togo Igawa („Die Geisha“, „Speed Racer“, „Der letzte Samurai“) vertreten und erfährt Unterstützung durch den legendären Burt Kwouk (Cato in den „Pink Panther“-Filmen), der, obwohl eigentlich Chinese (noch eigentlicher Brite, aber da wollen wir mal nicht übermäßig kritisch sein), den im Rollstuhl sitzenden Club-Betreiber mimt.
Filip Peeters, zuletzt großartig in Loft, außerdem schon im Zaak Alzheimer, De am Werke und regelmäßiger Gast im deutschen Fernsehen, ist mal wieder sein schmierigstes (wenn auch eindimensionales) Ekelselbst.

Bildqualität: REM bringt den Film in schlichtweg exzellentem anamorphen Widescreen (1.85:1), an dem ich schlicht nix zu meckern habe. Farben, Schärfe, Kontrast, Kompression – passt alles wie die Faust aufs Auge.

Tonqualität: Wahlweise deutscher oder englischer Ton in Dolby 5.1 (das Cover spricht anstelle des englischen von japanischem Ton, aber das würde natürlich keinen Sinn ergeben). Der deutsche Ton ist sehr differenziert, speziell im Musikmix überzeugend.

Extras: Es gibt ein ausführliches Making-of mit diversen Cast- und Crew-Interviews (englisch mit Untertiteln) sowie eine Bildergalerie, über ein kurzer Text von Regisseur Oberg (nicht auf die Bilder, sondern allgemein auf Hintergrund und Dreh des Films gerichtet), dazu den Trailer.

Fazit: „Stratosphere Girl“ (der Titel bezieht sich darauf, dass Kruilman Angelas „unschuldige“ Erscheinung als „überirdisch“, „wie aus der Stratosphäre herabgestiegen“, bezeichnet) ist ein ungewöhnliches Stück Film, ein bisschen Thriller, ein bisschen Liebesfilm, ein bisschen Arthouse-Drama, nichts so ganz richtig und insgesamt vielleicht etwas weniger als die Summe seiner einzelnen Teile. Es mag daran liegen, dass der Schluss – die Ambivalenz des ganzen Narrative mal beiseite gelassen – nicht ganz befriedigend ist, oder dass speziell Hauptdarstellerin Winkel nicht die Routine hat, um eine ganz auf die Hauptfigur zugeschnittene Inszenierung zu tragen, aber es kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Stratosphere Girl“ einige wunderschöne Momente und eine durchgehend eigentümliche Stimmung, die vielleicht aus dem Kontrast zwischen der Hochglanz-Ästhetik der Inszenierung und der traumartigen „Watte“-Konsistenz der Geschichte herrührt, aufweist. Ich hätte mir vielleicht einen etwas runderen Abschluss gewünscht – ein schlechter Film ist „Stratosphere Girl“ keineswegs, aber einer, der mit zehn-fünfzehn Minuten mehr Laufzeit (die man sowohl für’s Finale als auch für eine etwas griffigere Etablierung des Mysterys hätte nutzen können) deutlich besser, zwingender hätte sein können. Arthouse-Freunde mit Faible fürs Japanische dürfen aber gerne zuschlagen.

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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