Storm

 
  • Deutscher Titel: Storm
  • Original-Titel: Storm
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  • Regie: Mans Marlind, Björn Stein
  • Land: Schweden
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    Eric Ericson (Donny „DD“ Davidson), Eva Röse (Lova), Jonas Karlsson (Der Mann im Anzug), Sasha Becker (Helena), Peter Engman (Taxifahrer), Christian Hollbrink (Ronny), Sofia Hvitffeldt (Katta), Karl Norhall (Jippon)


Vorwort

DD, ein junger Mann Ende 20, führt in Stockholm ein anscheinend sorgenfreies Leben als Klatschreporter (und Computerspiele-Rezensent), ist auf allen angesagten Partys, wirft sich Drogen nach Belieben ein, nur sexuell verlässt er sich anstelle von komplizierten Beziehungen lieber auf ehrliche Handarbeit – bis eines Tages eine attraktive, rothaarige junge Frau, die von seltsamen Schlägertypen verfolgt wird, das von ihm belegte Taxi als Fluchtfahrzeug wählt. Ehe er sich’s versieht, steckt DD bis über beide Ohren in undurchschaubaren Schwierigkeiten: seine Wohnung wird von den unbekannten Mädchenverfolgern durchwühlt, ein kryptischer Hinweis der Rothaarigen führt ihn auf eine LAN-Party, wo er prompt unmittelbarer Zeuge (und für die Polizei Top-Verdächtiger) eines Mordes wird und die wieder auftuachende Rothaarige namens Lova gibt ihm einen kleinen silbernen Würfel – Objekt der Begierde der ominösen Fieslinge; bzw. das, was in dem Würfel drinsteckt. Öffnen kann DD den Würfel allerdings nur, wenn er sich zuvor, von Lova in eine verlassene, apokalyptische Version seiner kleinen Heimatstadt transportiert, den unverarbeiteten Schuldgefühlens einer Vergangenheit stellt…


Inhalt

Die Inhaltsangabe kann heute nur unzureichend wiedergeben, was in „Storm“, diesem schwedischen Mysterythriller, passiert, warum es passiert und wie es passiert – ein Kompliment kann man diesem Film auf jeden Fall machen: er überrascht den Zuschauer quasi an jeder Ecke und entscheidet sich beinahe permanent für die jeweils ungewöhnlichste, am wenigsten erwartete Möglichkeit, die Geschichte weiterzuerzählen.

Sichtlich (und zugegebenermaßen) beeinflusst von realitätsverzerrenden Klassikern beider Kategeorien (der „surrealen“ Lynch-Schule und dem eher straighten „es ist nicht so, wie es scheint“-Thrill a la Fincher) wie „Lost Highway“ und „The Game“ bauen die Co-Regisseure Marlind und Stein in ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm ein bizarres Szenario auf, verwandeln Stockholm (von allen Städten!) in eine dunkle, dystopische Welt und scheinen es darauf anzulegen, einen zynischen, trotz seiner Jugend verbitterte Besserwisser zufällig in ein „Spiel“ zu ziehen, das ihn überfordert, dessen Zusammenhänge er (wie der Zuschauer) nicht begreift, nicht begreifen kann, um ihm (dem Charakter DD also) zur Filmmitte endgültig den Boden unter den Füßen wegzuziehen, indem plötzlich klar wird, SPOILER voraus, dass seine Beteiligung an der ganzen Auseinandersetzung um den ominösen Würfel mitnichten ein Werk des Zufalls ist, sondern er von Anfang an der Hauptdarsteller, die entscheidende Figur auf dem Spielbrett, war und nun damit fertigwerden muss, dass die beiden offensichtlich übersinnlich begabten Repräsentanten von „Gut“ und „Böse“ (obgleich der Film zwischendurch schon mal die diesbezüglichen Rollenverteilungen hinterfragt) ihn auf ihre jeweilige Seite ziehen wollen. Die letztliche Auflösung des ganzen Mysteriums ist vergleichsweise banal (EXTREMSPOILER: schlussendlich ist es nicht einmal, wie man vielleicht vermuten könnte, der Kampf um DDs „Seele“, sondern „nur“ die verklausulierte Aufforderung, sich mit einigen im Unterbewusstsein eingeschlossenen bösen Erinnerungen auseinanderzusetzen und sie als Bestandteil seiner Persönlichkeit zu akzeptieren, was allerdings durchaus auch auf einer Line mit der Äußerung des „Manns im Anzug“ liegt, dass DD, sofern er den Würfel öffnet, „nicht mehr existieren wird“; so ist es auch, der verbitterte, zynische DD, den wir in der Auftaktphase kennengelernt haben, wird durch einen „vollständigeren“, ausgeglicheneren DD ersetzt).

Das will nicht heißen, dass der Streifen nicht auch seine Schwächen hat – die aber oft schon darin begründet liegen, dass Marlind und Stein ihre Karten nicht von Anfang an klar bzw. klarer ausspielen wollen. Glaubt man der internen Logik des Films, ergibt die Prologsequenz, in der Lova von den Schergen des Manns im Anzug durch finstere, feuchte Gänge gejagt wird, eigentlich keinen Sinn (ich würde gerne genauer ausführen, warum, aber dann müsste ich noch mehr spoilern, als ich es guten Gewissens vertreten kann) – in den kommentierten deleted scenes kann man sich zu Gemüte führen, wie die Auftaktsequenz ursprünglich geplant war; sicherlich stimmiger im Sinne der Story, aber eben auch (im Nachhinein) durchschaubarer. Die Gretchenfrage, ob man als Autor und Regisseur lieber das zentrale Geheimnis, das „mystery“ seines Films und damit letztendlich sein Gimimck, ein wenig länger verborgen hält oder lieber die selbstaufgestellten Regeln einhält, beantworten Märlind und Stein mit einem klaren Plädoyer für die erste Variante, und während ich sonst Filme dafür verteufele, wenn sie sich nicht an ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten halten, bin ich bereit, einem Mysterythriller, der ganz bewusst „rubber reality“-Anklänge aufweist und die Unvorhersehbarkeit zum Prinzip erklärt, in der Hinsicht ein wenig „wiggle room“ zu verleihen, wenn’s der Sache, in dem Fall der Hinauszögerung der Auflösung und der Atmosphäre an sich, dienlich ist. Nicht ganz so vergebend bin ich bezüglich einiger anderer Unklarheiten bzw. offener Fragen – es bleibt schlussendlich völlig offen, wer oder was Lova und der „Mann im Anzug“ und ihre jeweiligen Verbündeten eigentlich sind (Lova gehört auch zu einer größeren Gruppe, ist aber schnell die letzte Überlebende ihrer Fraktion) und ob sich der ganze Terz nicht vielleicht komplett in DDs Kopf abspielt – dagegen spricht allerdings, dass der Mord auf der LAN-Party durchaus real ist (und – noch’n HEFTIGER SPOILER – ein sehr hübsches Ende ermöglicht, das zwar prinzipiell „happy“ ist, indem das Geheimnis gelüftet und DD mit sich selbst wieder im Reinen ist, aber erkennen muss, dass seine Schwierigkeiten deswegen noch lange nicht vorbei sind).

Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist auch das Pacing, das nach einer fast schon atemberaubenden, im Höllentempo absolvierten erste Hälfte in Halbzweit Zwo das Tempo zunächst mal enorm herunterschraubt und eine sehr ruhige, bedächtige Phase folgen lässt, die in ihrer schwermütigen Langsamkeit schon fast wieder zu viel des Guten ist, ehe im Showdown dann wieder die Adrenalinspritze ausgepackt wird. Das ist eigentlich taktisch durchaus richtig gedacht, jedoch ist diese ruhige Phase schon beinahe zu ruhig und stört ein wenig den Fluss des Films, da man als Zuschauer quasi mit einem komplett neuen Film konfrontiert wird. Möglicherweise wäre es dramaturgisch geschickter gewesen, diese (für die Geschichte essentiell wichtigen) Enthüllungen nicht en bloc, sondern über den Film verteilt zu präsentieren, aber – und das ist eben das schon im letzten Absatz angesprochene Problem – diese Vorgehensweise hätte das Mystery zu schnell gelöst.

Egal – ein Debütfilm ist selten perfekt, also wollen wir kleine Kunstfehler mal großmütig übersehen (und feststellen, dass es schon erstaunlich ist, dass schon nach einem Abendfüller in Schweden Hollywood das Regieduo rief und es dort gegenwärtig mit einem 22-Mio-Dollar-Budget und Julianne Moore den Horrorthriller „Shelter“ – nach einem Drehbuch des „Jack Frost“ [des Killer-Schneemann-„Jack Frost“]-Autoren Michael Clooney realisieren lässt; die Produktion kam übrigens in die Schlagzeilen, weil die Casting-Agentin stilsicher nach „inzüchtig“ aussehenden Komparsen fragte und nach den sich pflichtschuldigst einstellenden Protesten gefeuert wurde). Stilistisch jedenfalls sind Marlind und Stein absolut auf der Höhe der Zeit – von „Matrix“-styled Actionszenen über neo-noir-Atmosphäre bis hin zu Comic-, Zeichentrick- und Computerspielsequenzen, Texteinblendungen mit Charakter-„bullet points“ und den einerseits ruhigen, andererseits aber apokalyptischen (und etwas an „28 Days Later“ erinnernden) Aufnahmen der verlassenen Kleinstadt haben die Regisseure alles drauf, was in die Trickkiste des modernen Genre-Filmemachers gehört und sie haben’s nicht nur drauf im Sinne von „schon mal wo gesehen, das machen wir jetzt auch“, sondern im Sinne von „gesehen, begriffen, wie man’s einsetzt und versiert im Umgang damit“. Optisch ist „Storm“ allererste Sahne, sei es durch die Kameraführung von Linus Sandgren (der bislang alle Marlind/Stein-Werke, also auch ihre Fernseharbeiten und Kurzfilme, fotografierte und u.a. mal bei Zero Tolerance als Kameraassistent anfing), den Schnitt von Co-Regisseur Stein, das Set Design von Roger Rosenberg und behutsam eingesetzten Spezial- und Digitaleffekte.

Ausgezeichnet ist auch der treibende, pulsierende Score von Carl-Michael Herlöffsson.

Härtetechnisch muss „Storm“ nicht in vordergründigen Effekten waten, sondern beschränkt sich auf einige wenige (gelungene) Make-up-FX.

Auf der Darstellerseite gibt’s zu bemängeln, dass Eric Ericson als Hauptdarsteller leider (relativ gesehen) ein Schwachpunkt ist. Ericson, der in Schweden ein geregeltes Auskommen als Co-Star einer auf Video erscheinenden Krimiserie („Detective Irene Huss“) ist und international vielleicht am ehesten in dem coming-of-age-Drama „Tsatsiki: Friends Forever“ auffällig wurde, mangelt es für meine Begriffe etwas an Ausdruckskraft – seine drehbuchgemäß verschiedenen „Persönlichkeiten“ haben für den außenstehenden Betrachter wenig durch darstellerische Leistung geprägte Unterschiede. Eva Röse („Kops“) ist lecker anzusehen und macht ihre Sache durchaus gut. Die beste darstellerische Leistung bietet für mich Jonas Karlsson als „Mann im Anzug“, der sicherlich noch undurchschaubarer wäre, wenn nicht die schon oben angesprochene Prologsequenz wäre.

Bildqualität: Bei Sunfilm, die uns „Storm“ im schicken Steelbook nahelegen wollen, ist man Qualität gewohnt und bekommt sie auch in diesem Falle geliefert. Der anamorphe 2.35:1-Print zollt dem grandiosen Look des Films klaglos den notwendigen Respekt – gestochen scharf, ausgezeichneter Kontrast, keinerlei Störungen, Defekte oder Verschmutzungen.

Tonqualität: Wahlweise gibt’s deutschen oder schwedischen Ton in Dolby Digital 5.1, wie auch bei Sunfilm gewohnt, gibt’s die Synchrontonspur auch im dts-Format. Sowohl der schwedische O-Ton als auch die (gut synchronisierte) deutsche Fassung überzeugen durch einwandfreie Sprach- und Musikqualität, angenehme Musik- und Effektabmischung und völlige Rauschfreiheit.

Extras: Neben dem (englischsprachigen) Audiokommentar der Regisseure gibt’s ein unkommentiertes behind-the-scenes-Segment, einen Storyboardvergleich, deleted scenes mit Audiokommentar (es lohnt sich durchaus, diese Szenen mal anzusehen, da sie die Story eindeutig klarer machen, was aber, wie gesagt, eben dem Mystery an sich abträglich ist und daher auch verdeutlichen, warum sie letztlich aus dem fertigen Film wieder rausflogen) sowie die obligate Trailershow. Rundes Package.

Fazit: „Storm“ spielt sicher nicht in einer Liga mit den ganz großen Genre-Highlights aus dem Hause Fincher (der zugänglicheren Sorte) und/oder Lynch (der abgefahreneren Sorte), erweist sich aber für ein Kino-Erstlingswerk und noch dazu eins aus europäischer Produktion als erstaunlich gelungener Mysterythriller. Wer klar strukturierte Storys schätzt, in denen sich Ereignis B schlüssig aus Vorgang A ergibt, sollte „Storm“ meiden wie der Gottseibeiuns das sprichwörtliche Weihwasserbecken, aber wer ein Faible für ungewöhnliche, unvorhersehbare Filme, die mit der (Film-) Realität spielen, sollte mal reinschauen. Visuell überzeugend ist der Streifen allemal und seine kleineren Schönheitsfehler (und den verbeserungsfähigen Hauptdarsteller) kann man mit einem halb zugedrückten Auge ja mal hinwegsehen. Einmal mehr ein Indiz dafür, dass das skandinavische Kino zum Besten gehört, was Europa zu bieten hat. Reinguckempfehlung!

3/5
(c) 2008 Dr. Acula


mm
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