Störtebekers Geheimnis

 
  • Deutscher Titel: Störtebekers Geheimnis
  • Original-Titel: Limited Games - Störtebekers Geheimnis
  • Alternative Titel: Der Fluch des Störtebeker Schatzes |
  • Regie: Andreas Wuttke
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2007
  • Darsteller:

    Daniel Aichinger (Christopher), Vanessa Cook (Charlotte), Chris Crocker (Simon), Ruth Fröhner (Eve), Tokessa Möller-Martinius (Alexandra), David Lee Lyons (Staten), Tilman Borck (Professor Kent), Martin-Alexander Graf (Ingo), Ron Matz (Klaus Störtebeker), Tina-Jane Krohn (Hedda ten Broke)


Vorwort

Sommerzeit in Hamburg – ein Schwung ausländischer Studenten nutzt die Semesterferien, um an der „Sommer-Uni“ unter Anleitung eines studentischen Tutors ein Forschungsprojekt durchzuführen. Daniel ist Tutor für das Störtebeker-Projekt, für das sich die Brasilianerin Charlotte, der nerdige Ami Simon, die hauptsächlich mit ihrem Spiegel beschäftigte Schönlingin Alexandra aus Schweden, der britische Prolo-Säufer Staten und die selbsternannte Hexe Eve interessieren. Nach kurzem Brainstorming entscheidet sich das Sextett für Recherchen vor Ort auf Rügen wo der olle Vitalienbruder seinen Schatz vergraben haben soll – die Bergung dieses potentiell millionenschweren Reibachs scheint den Kids seriöses Forschungsprojekt genug zu sein. Was die Ausländer nicht wissen – Daniel ist nicht aus purem Jux und Dollerei ihr Tutor, nein, der Herr Psychologiestudent plant, den Campingtrip in den Rügener Wäldern für seine Diplomarbeit über das Verhalten isolierter gemischtgeschlechtlicher Gruppen weidlich auszunutzen. Scheint besser zu klappen als Dannyboy es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hat, denn nachdem speziell der sensible Simon und der Asi Staten mehrfach aneinandergeraten, stürtz sich Simon in suizidaler Absicht – und dabei erfolgreich – die Kreidefelsen runter. Auf der Grundlage, dass ein Abbruch des Projekts den Verdacht, mehr mit Simons Freitod zu tun zu haben, auf die Gruppe lenken könnte, wird beschlossen, die Schatzsuche nicht abzublasen. Keine gute Idee – Charlotte verschwindet spurlos, Daniel hat unerklärliche Aussetzer und rangelt mit Staten um die Alphamännchenposition und Eve, die per Hexen-Vision wissenschaftlich Charlottes Tod durch Enthauptung ermittelt hat, ist fest davon überzeugt, dass Störtebekers Fluch die Gruppe dezimiert…


Inhalt

Filme nach Cover einzukaufen ist doof. Trotzdem tu ich’s immer wieder – wenn mir beim Grabbeln im Supermarkt eine DVD in die Hände fällt, von deren Cover mir ein schwarzbärtiger Güteklassenpirat mit zwei gekreuzten Pistolen entgegenstarrt, und da drüber steht dann „Störtebekers Geheimnis“, gehe ich nicht unbedingt davon aus, dass ich die deutsche Antwort auf „Fluch der Karibik“ im Kino verpasst habe, aber es könnte ja durchaus sein, dass man einen halbwegs kompetenten TV-Event-Film, der in der Glotze irgendwie an einem vorbeigelaufen ist, nachkaufen könnte. Und der Störtebekers Klaus, Deutschlands berühmtester Seeräuber, wäre nicht nur wegen der Legende von seiner Enthauptung (und dem sprichwörtlichen „kopflos-an-der-Mannschaft-vorbeilaufen“) einen Film Wert.

Dann legt man daheim den Film in den Player und stellt mit einer Mischung aus Entsetzen und morbider Faszination fest, dass man sich doch nur wieder einen ganz besonders dämlichen „Independent“-Teenie-Slasher (bzw. einen „Pseudo“-Slasher) hat andrehen lassen. „Störtebekers Geheimnis“, in seiner originalen Inkarnation modisch-englisch „Limited Games“ genannt, ist, wenn man’s genau nimmt, sogar ein besonders dreister Fall von Etikettenschwindel, denn Leben und Werk des pfeffersackjagenden Schreckens der Nord- und Ostsee sind nicht mal lausiger MacGuffin, sondern für die eigentliche Story vollkommen ohne Belang – ob unsere Studenten nun dem Schatz des Störtebeker, Nazigold oder dem Bernsteinzimmer nachjagen, tut absolut nichts zur Sache. Statt eines horriblen Abenteuerfilms (wenn wir schon keinen echten Piratenfilm bekommen) erwartet uns also nur wieder ein unbeholfener Versuch, Slashermotive mit „Blair Witch Project“-Mechaniken (wenigstens aber ohne subjektive Kameraführung) zu verquicken – und selbst in dem Punkt versagt „Störtebekers Geheimnis“ ziemlich kläglich. Wir verschwenden viel zu viel Zeit mit der Etablierung der verschiedenen Personalities (ja, normalerweise würde ich darüber meckern, dass ein Script seine Charaktere nicht etabliert, aber hier sind sie erstens nicht sonderlich interessant und werden zweitens * eh * von Christopher per voice-over mit ihren herausragenden Charakterzügen vorgestellt); ein hehres Anliegen, fraglos, aber es äußert sich in ausschweifenden Zelebrierungen von Belanglosigkeiten, die man böswillig auch „Zeit totschlagen“ nennen könnte.
Ein Besuch im sicherlich als Filmlocation ansprechenden „Hamburg Dungeon“ könnte sinnig sein, würde Andreas Wuttke dann wenigstens auf die Idee kommen, die dortigen Störtebeker-Installationen (und dazu gibt’s dort ’nen ganzen Themenkomplex) zu nutzen, da die Sequenz aber weder für die hypothetische Piraten-Schatzsuchen-Backstory noch für die Charakter-Interaktionen wichtig sind, ist sie komplette Zeitverschwendung. Endlose Besprechungen der Gruppe, was sie wann wo als nächstes recherchieren könnten (mit so grandiosen Einfällen wie dem, z.B. mal in der Uni-Bibliothek nach Störtebeker-Materialien zu kucken) helfen auch nicht weiter und auch, wenn sich die Plotte endlich aus Hamburg nach Rügen verlagert, tut sich nicht viel, als dass die Gesellen planlos rumlaufen (gerne durch Wälder), sich von alten Bürgermeistern Geschichten um verrückte Schatzsucher erzählen lassen, am Strand rumlümmeln, Beachvolleyball spielen, Zelte aufbauen, sich aufgrund der Charakterunterschiede auf den Keks gehen, potentielle Sexpartner innerhalb der Gruppe auskucken usw. usf.

Das Haarsträubende – wenn nach einer guten halben Stunde dann langsam mal so etwas ähnliches wie ein Plot sein müdes Haupt hebt – ist, dass der Streifen seine eigene Prämisse offenbar nicht kennt. Der „Clou“ der Geschichte ist ja, dass Christopher angeblich die Gruppe zum Dienste seiner Diplomarbeit bewusst in Konfliktsituationen hineinmanipuliert. Wäre ein tauglicher Filmplot, würde er zwei kleine Dinge beachten: 1. Er sollte es nicht schon nach gefühlten fünf Minuten verraten (indem eine unbeteiligte Kommilitonin Christophers Diplommanuskript im Drucker liegen sieht) und 2. Christopher sollte zumindest dann und wann etwas * TUN *, das zumindest halbwegs nach einer solchen Manipulation aussieht. Kann sein, dass ich irgendwann nicht mehr ganz aufmerksam vor der Glotze saß, aber nichts von dem, was die Situation „eskalieren“ lässt, wächst auf Christophers Mist. Den Grund dafür bietet der „Twist“, den auch weniger geübte Genrekenner sicherlich schnell erahnen werden, sicherheitshalber diskutiere ich das aber erst nach einer SPOILER-Warnung aus.

Der „raffinierte“ Twist der Story ist, dass die Studenten von Anfang an wissen, dass Christopher sie zu manipulieren beabsichtigt und den Spieß umdrehen. Bis zum „Showdown“ gibt es keinen einzigen echten Todesfall (was auch einleuchtet, weil kein „Tod“ tatsächlich gezeigt wird; es wird nur darüber erzählt, spekuliert oder in – nach Scriptlogik schlicht erfundenen – „Visionen“ Eves ermittelt, dass mal wieder jemand ins Gras gebissen hat). Ausgesprochen clever, sofern man nie „The Game“ gesehen hat, wobei „Limited Games“ wenigstens die Traute hat, die Fincher nicht hatte – als Christopher endgültig in den Wahnsinn getrieben ist, findet er Eves * vielleicht * getürktes Tagebuch, zieht die falschen Schlüsse und tötet Alexandra, die letzte „Mitüberlebende“, sie für die Mörderin haltend, mit Statens erbeuteter Harpune, schleppt sich in die nächste Ortschaft, findet in der erstbesten Gaststätte die quicklebendigen Studenten (abzüglich freilich Alexandra), die sich ob des gelungenen Streichs beömmeln und landet in der Nervenklinik (was ungeschickterweise als Teaser verbraten wird).

Wie gesagt, das wäre in den Händen eines fähigen Autoren und Filmemachers gar nicht mal so übel, nur bei Andreas Wuttke erschöpft sich das Prozedere in langwierigen Dialogszenen, die nirgendwo hin führen (und die Dialoge sind teilweise * schlimm *), aufgeblähten Nichtigkeiten der dümmeren Art (ein Meerwasser-Wettsaufen? Wohl bekomm’s…) und jeder Menge planlosem Durch-den-Wald-Laufen. Plotholes sind natürlich reichlich zu finden (wieso haut Simon Staten „versehentlich“ in „echt“ ein Messer durch die Hand, wenn die Sache doch eh abgekartet ist? Wie genau wird Christopher unter Drogen gesetzt? Und warum macht Alexandra im Showdown eine Bewegung, die so aussehen MUSS, als zöge sie eine Waffe, wenn ihr gegenüber ein mittelschwer durchgeknallter Typ mit einer geladenen Harpune steht?). Oder kurz gesagt – es ist ziemlich langweilig, da die „Action“, weil im Scriptsinne ja gar nicht existent, nicht on-screen stattfinden kann (zwei Kills werden uns als Visionen der „Hexe“ Eve geliefert, und dann hätten wir halt noch den „Showdown) und die Figuren bei aller Liebe nicht interessant genug sind, um 90 Minuten unterhaltsam zu bestreiten.

Wuttke fällt leider auch inszenatorisch nicht sonderlich viel ein – da hat er wirklich gute bis großartige Locations wie das Dungeon und, ganz besonders, auf Rügen diverse Bunker in Ruinen und die KdF-Urlaubssiedlung Prora, und macht nicht’s draus. Dem Prora-Monster steigt die Party kurz auf’s Dach und kuckt auf’s Meer, Christopher darf ein paar akustische Führer-Reden halluzinieren, und das war’s dann. Um die Verbindung zu Klaus Störtebeker nicht ganz zu verlieren, darf Christopher in regelmäßigen Abständen Traumsequenzen mit Mini-Episödchen aus Störtebekers Leben, stilecht in Sepiafarben gehalten, miterleben, aber auch da passiert nichts aufregenderes als eine Runde Armdrücken. Die Kameraführung ist für einen deutsche Indie-Film passabel, kein Ausbund an Dynamik, aber wenigstens mit dem Versuch, per Raimi-POV ein paar ärmliche false scares zu erzeugen, dafür gibt’s aber eine Fülle von teils sehr schmerzhaften Achsensprüngen und inflationäre Schwarzblenden zur Szenenüberleitung. Die letzte Viertelstunde entwickelt zur Auflösung hin leidlich Spannung, bis dahin ist aber eine Menge Leerlauf zu überstehen. Aus dem insgesamt nicht wirklich memorablen Score sticht in negativer Hinsicht ein eher unterdurchschnittlicher deutscher Hip-Hop-Song, für den laut Nachspann niemand seinen Namen hergeben will, heraus.

Ach ja, Effekte gibt’s auch. Immerhin zweieinhalb Splattereffekte (darunter den bildtechnisch dokumentierten recht akzeptablen rollenden Kopf) sind zu bewundern, so dass Gorehounds sich de Kram nicht unbedingt mit Priorität auf die Einkaufsliste malen lassen müssen.

Der Cast schlägt sich übrigens mit der englischen Sprache (dank der internationalen Besetzung) herum, die deutsche Synchro ist gerade eben noch so tragbar, könnte aber deutlich lippensynchroner und emotionaler sein. Aber zu den Darstellern selbst. In der Hauptrolle versucht Daniel Aichinger zu retten, was zu retten ist – Aichinger ist in der Rolle des notorisch erfolglosen schleimigen Intriganten Dr. Axel Schwarz einer der wenigen Gründe, die mittlerweile zur Daily Soap aufgeblasene Ex-Telenovela „Alles was zählt“ nicht gleich wegzuschalten („AWZ“ hat, auch wenn die übergreifenden Storyarcs genauso dämlich sind wie bei der Konkurrenz, erstaunlich gute, sprich witzige Dialogautoren, und Aichinger ist häufig an einem Ende dieser pointierten Dialoge zu finden). Wenn man sich vorstellt, Christopher wäre die studentische Ausgabe des Doktors, ist das ein paar Minuten lang ganz amüsant. Natürlich kämpft Aichinger letztlich einen Kampf auf verlorenem Posten gegen ein schwaches Script und einen massiv unter-schriebenen Charakter, aber er müht sich redlich.
Tokessa Martinius („GZSZ“, „Verbotene Liebe“) bringt ebenfalls einschlägige Daily-Soap-Erfahrung mit, ist nett anzusehen und fällt schauspielerisch nicht total durch den Rost, das überlässt sie lieber der mit der Klischee-Rolle der Wicca-Hexe gestraften Ruth Fröhner („Playlist“, einige TV-Auftritte in Serien wie „SOKO 5113“) und der überforderten Vanessa Cook (der das Cover einen Auftritt in „Alexander der Große“ andichten will. Die IMDb weiß davon nix).
David Lee Lyons (dem Cover nach bekannt aus „Peter Pan“, „Robinson Crusoe“ und „Fame“ – ich will mal fast raten, dass es sich dabei eher um Bühnenwerke handelt) ist als Staten ein britischer-Mallorca-Tourist-Zerrbild.
Eine interessante Frage stellt sich bei der Person Chris Crocker – wenn die IMDb stimmt, handelt es sich dabei um den YouTube- und MySpace-Star, der mit seinem „Leave Britney Alone!“-Video zur Internet-Celebrity wurde (und eben mit diesem Britney-Video einen Cameo-Auftritt in „Meine Frau, die Spartaner und ich“ hatte). Nun steht in der IMDb auch gerne mal Blödsinn, aber was ich an Fotos von Crocker ohne seine Video-Outfits gefunden habe, sieht dem hiesigen Simon nicht unähnlich – frage mich dann aber schon, warum jemand, der bei Fox mittlerweile ’ne eigene TV-Show machen darf, für eine verhältnismäßig kleine Rolle in einem Independent-Horrorfilm über den großen Teich hüpfen sollte. Vielleicht weiß einer meiner Leser mehr als ich.
Ron Matz, der mit dem historischen Störtebeker in den Flashback/Traum-Einsprengseln nicht viel anzufangen weiß, ist routinierter TV-Profi mit Auftritten in „Die Motorrad Cops“, „Alpha Team“, „Rosenheim Cops“ und „Großstadtrevier“) am Gürtel.

Bildqualität: Best Entertainment macht’s möglich und bringt den Film in erträglichem ca. 1.85:1-Widescreen (anamorph). Bei einem ziemlich neumodischen digital geschossenen Film kann selbst ein Grabbeltischfabrikant wie Best nicht SO viel falsch machen – man kann sich das Resultat tatsächlich noch auf dem 107-cm-Flatscreen ankucken, ohne dass einem das Essen aus dem Gesicht fällt. Solide Schärfe, passable Farben, durchschnittlicher Kontrast, unauffällige Kompression.

Tonqualität: Deutscher und englischer Ton steht in Dolby 2.0 zur Verfügung. Obwohl die Qualität der deutschen Synchro, wie oben gesagt, besser sein könnte, ist sie der englischen Sprachfassung vorzuziehen – die besteht nämlich aus dem nicht nachbearbeiteten Liveton und wird doch mal gerne unverständlich (und die Dialoge sind im Original auch nicht besser, wirken manchmal sogar im negativen Sinne improvisiert).

Extras: 18 Minuten Making-of und 5 Minuten Outtakes

Fazit: Der Versuch, einen Psychothriller mit Slasherelementen, ein wenig Blair-Witch-Feeling und einer Prise Seemansgarn zu kombinieren, ging hier aber mal ziemlich ins Höschen. „Störtebekers Geheimnis“ ist nicht nur eine Mogelpackung (wobei Regisseur und Autor Wuttke immerhin insoweit freizusprechen ist, dass „Störtebekers Geheimnis“ ursprünglich nur der Untertitel war, aber auch da war er schon deplaziert, da die Hook des Films mit dem Piraten nun mal nichts zu schaffen hat), sondern auch an sich ziemlich langweilig, unlogisch und mit handwerklichen Schwächen gesegnet. Auch dieser Film ist wieder so ein Fall, bei dem der Regisseur vielleicht mal jemanden mit schreiberischer Erfahrung (und Qualität) über die nicht untaugliche Grundidee drüberkucken und ein patentes Script draus machen lassen sollen. Die Schauspieler geben sich Mühe (speziell Aichinger und Martinius), aber das Script ist nie zupackend, die Locations werden nicht genutzt, und insgesamt wirkt der ganze Spaß einfach nicht stimmig. Schade drum, da wär‘ mehr drin gewesen.

1/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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