- Deutscher Titel: Spuk im Morgengrauen
- Original-Titel: Spuk im Morgengrauen
- Regie: Dieter Munck
- Land: BR Deutschland
- Jahr: 1969
- Darsteller:
Günther Neutze (John), Rosel Schäfer (Margaret), Michael Ashe (Mann im Garten), Ursula Lyn (Frau am Telefon)
Vorwort
Böse Überraschung für John und Margaret, ein gut situiertes englisches Ehepaar in den mittleren Jahren – auf nächtlicher Odyssee nach einem Glas Wasser stellt Margaret fest, dass jemand das Paar im Schlafzimmer der Landvilla eingeschlossen hat. John meint zwar zunächst, dass sein Ehebesen nach drei bis fünf mehrstöckigen Whiskey zuviel am Abend zuvor suffbedingt vergessen hat, persönlich den Schlüssel umgedreht zu haben, doch die Anzeichen, dass unerwünschter Besuch auf einen kleinen Einbruch vorbeigekommen ist, verdichten sich – draußen vor der Schlafzimmertür herrscht Getrappel, der Hörer des Haustelefons im Salon ist abgehoben worden und verhindert das erfolgreiche Telefonieren, und last, but not least, wäre da noch diese creepy Totengräbergestalt, die im Garten energisch ein größeres Loch buddelt.
Während John die mysteriöse Angelegenheit für einen etwas makabren Scherz irgendwelcher Dorf-Nachbarn hält, geht seine Holde zunehmend mental aus dem Leim – und verplappert sich schließlich soweit, dass der Gartenbuddler die Leiche nicht finden werde. Leiche? Da wird John jetzt doch ein misstraurisch. Wessen Leiche? Es geht um Karin, das Schweizer Au-pair-Girl, das vor zwei Jahren während einer von Johns zahlreichen Geschäftsreisen Hals-über-Kopf zwecks dringender Eheschließung in die Heimat zurückgekehrt sei. Ebenjene Karin, erläutert Margaret eher unwillig auf Nachfrage, sei eben nicht heimgefahren, sondern habe sich selbst gemördert und sei dann im Garten verscharrt worden. John, der sich seinerzeit der halbherzigen Vorwürfe, mit dem hübschen blonden Gift eine Affäre gehabt zu haben, erwehren musste, fehlt da – nachvollziehbarerweise – der logische Zusammenhang.
Ein-zwei hysterische Anfälle später muss Margaret zugeben, dass Karin ermordet wurde. Von wem? Von ihr? Von John? Von Margarets Hausfreund Harold? Und wer zum Geier sind nun die geheimnisvollen unbekannten Hausinvasoren?
Inhalt
Ich will eigentlich nicht wieder wie der typische „früher-war-alles-besser“-Grinch klingen, aber dass der Qualitätsmedian des deutschen Fernsehens in den letzten Jahren eher nicht nach oben gegangen ist, darüber dürfte Konsens zu erzielen sein. Und, so gern ich es ob der gelatzten GEZ-Gebühren auch täte, davon kann ich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (wäre man zynisch, würde man an dieser Stelle anmerken, dass im Wort „Sendeanstalt“ das Problem schon drin steckt) nicht ausnehmen. Oder sind Daily Soaps, milliardenschwere Sportübertragungsrechte und auf den inflationären Dritten inflationär gesendet „Die 10 nervigsten ‚Die 10-nervigsten‘-Shows“ wirklich das, was wir von „unserem“ (ja, technisch gesehen gehören uns die öffentlich-rechtlichen Sender ja wirklich) Fernsehprogramm erwarten? Reichen dafür nicht die Privatsender?
Vor langer, langer Zeit, als der gewöhnliche TV-Kunde noch mit drei Programmen (wenn er Glück hatte und in irgendeinem Grenzgebiet lebte, vielleicht noch zwei ausländische Sender mehr) vorlieb nehmen musste, gönnten sich die Öffis das von mir schon an anderer Stelle betrauerte, mittlerweile praktisch ausgestorbene Format des Fernsehspiels – bevor dieses Zwischending aus abgefilmtem Theaterstück (da meist reine Studioproduktionen) und richtigem Film in den 80ern zur Spielwiese publikumsaverser Autoren- und Experimentalfilmer wurde, deren Erzeugnisse auch der kulturfreundlichste Sender nur noch heimlich mitternachts nach dem Testbild verklappen konnte, ohne wütende Klagen wg. Gebührenverschwendung auszulösen, war das Fernsehspiel ein mehr als nur respektables Format. TV-Klassiker wie Flug in Gefahr, interessante (zeit-)geschichtliche Stücke wie Titanic – Nachspiel einer Katastrophe und, natürlich, Krimis und Thriller, gerne nach englischen Vorlagen (bis heute hat sich nichts daran geändert, dass deutsche Produzenten gerne in britannischen Gefilden wildern – entweder wird beherzt geklaut, wie bei „The Office“, oder zumindest ordentlich eingekauft. Man lese z.B. mal die Autorennamen bei Sketchcomedy-Serien wie „Die dreisten Drei“, „Sechserpack“ oder „Ladykracher“. Viel englischklingendes Genamse dabei…), flimmerten über die Mattscheiben.
Und das schöne daran – weil das Programmkorsett dabei – mit Ausnahme der Tagesschau um Acht – noch nicht so festgezurrt war, mussten die Stoffe nicht krampfhaft in 90- oder 120-Minuten-Sendeplätze gestaucht werden, man konnte auch mal einen Theater-Einakter oder eine Kurzgeschichte adaptieren. Womit wir dann endlich beim Thema wären…
„Spuk im Morgengrauen“ (der Titel ist so ziemlich das schlechteste an der ganzen Angelegenheit) ist ein knapp einstündiges Zwei-Personen-Stück, erdacht vom Briten Michael Ashe (der einiges für die BBC geschrieben hatte und auch zur Hammer-Studios-TV-Serie „Journey to the Unknown“ beitrug) und nach den mir vorliegenden Informationen sowohl als Theaterstück als auch in Printform verbreitet worden – quasi als besonderen Gag hat man sowohl Schreiberling Michael Ashe als auch der Übersetzerin Ursula Lyn kleine cameo-Auftritte in die Fernsehfassung geschrieben. Ashe ist der mysteriöse Gartenbuddler, Lyn seine Komplizin am Haustelefon.
Abgesehen davon ist das Stück minimalistisches Krimitheater in Reinkultur – zwei Dialogrollen, ein Set, praktisch keine Requisiten, keine Kostüme, die über ’nen Pyjama hinausgehen (abgesehen bei den Ausblicken aus dem Fenster in den Garten, aber die sind ja streng genommen nicht notwendig, alldieweil sie auch in Dialogform vermittelt werden könnten). Was als Mystery beginnt, mit der Option auf einen frühbundesrepublikanischen „Terrorfilm“ im Stile von „Them“ oder „Cape Fear“ (ja, ist ja gut, völlig ernst mein ich das nicht), entwickelt sich rasch in ein „who-, why- and whatdunit“, als John, von ein paar irrational wirkenden Reaktionen seines Ehebesens aufgeschreckt, schnallt, dass sie mehr weiß, als sie zugeben will. Der Rest des Films, der die externe Ebene (also die Eindringlinge im Haus) völlig vernachlässigt (was, wie die Auflösung verrät, aber durchaus Sinn macht), gestaltet sich zu einem einzigen Verhör, in dem John seine Frau ausquetscht und ihr immer mehr Puzzleteile aus der Nase zieht; anfänglich anscheinend allein im gerechten Zorn des sort-of-betrogenen Ehemanns, doch mit zunehmender Laufzeit kommen dem geneigten Zuschauer doch leichte Zweifel, ob John wirklich so ahnungslos und schockiert ist, wie er Margaret gegenüber behauptet…
Ohne irgendwelche „kinematische“ Action zieht die Dialogschlacht zwischen John und Margaret, teilweise im Maschinengewehrtakt, teilweise ruhig und gelassen, teilweilse laut, wütend und/oder hysterisch, den Zuschauer in ihren Bann – dieweil relativ schnell auf der Hand liegt, dass John selbst mehr über den ominösen Vorfall weiß, als er Margaret gegenüber versichert, bleibt das „wie“ und „warum“ doch außerordentlich spannend – ich bog auf eine falsche, dezent angedeutete Fährte ab, so dass ich trotz der Ahnung, dass eine Schlussüberraschung kommen *muss*, über deren Art doch angemessen überrascht sein konnte. Es ist kein außergewöhnlicher mindfuck, den Ashe da postuliert, sondern eine logische, schlüssig aufgebaute Kriminalgeschichte mit einer befriedgenden Lösung.
Filmisch ist das, wie gesagt, eher minimalistisch. Regisseur Dieter Munck, der in den 60ern eine Handvoll TV-Filme mit recht großen Stars wie Inge Meysel, Paul Dahlke, Louise Martini oder Klaus Schwarzkopf inszenierte und normalerweise eher im Drama zuhause war denn im Krimisujet, lässt seinen beiden Schauspielern breitestmöglichen Raum zur Entfaltung – wenig lenkt von deren Performance ab, aber optische Langeweile verhindert die für ein 60er-Fernsehspiel flotte und ziemlich einfallsreiche Kameraführung von Anton Stupica (der nach einer zehnjährigen Schaffenspause 1979 dann für die Ulrich Schamoni-/Wolfgang Menge-Kollaboration „Was wären wir ohne uns“ wieder zur Kamera griff).
Trivia am Rande – Muncks Regieassistent war ein gewisser Dieter Dirks, der später ein nicht völlig unbekanntes Studio gründete und langjähriger Produzent einer nicht ganz unbekannten Rockcombo mit dem albernen Namen „Scorpions“ wurde…
Wo wir gerade beim Thema „Musik“ sind, einen Score erspart sich „Spuk im Morgengrauen“, sondern setzt stattdessen akustische Akzente durch spärlich eingebaute, dadurch aber umso auffälligere dissonante elektronische Soundeffekte.
Dass bei der knappen Laufzeit und dem damit einhergehenden Verzicht auf langwierige Charakter-, Location- und Plotetablierung sowie einen echten wrap-up keine Längen aufkommen können, darf vorausgesetzt werden.
Die beiden hauptamtlichen Darsteller müssen den Streifen notgedrungen im Alleingang tragen – Günther Neutze, schon im legendären „Flug in Gefahr“ in tragender Nebenrolle dabei, in Mini-Serien wie „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ oder „Im Busch von Mexiko“ (wo er den geheimnisumwitterten Romancier und Anarchisten B. Traven spielte) zu sehen und später noch TV-Kommissar in der wohlgelittenen Krimiserie „Dem Täter auf der Spur“ , brilliert als mal aufreizend unaufgeregter, dann wieder unfair-hart erscheinender John, doch die Schau stiehlt die vergleichsweise wenig bekannte Rosel Schäfer („Menschen im Netz“, „Auf Engel schießt man nicht“, „Zu viele Köche“) als anfänglich nervig-überdreht erscheinende Margaret, die, wie sich erweist, wenn sie von John in die Defensive gedrängt wird und sich in Widersprüche verwickelt, allen Grund dazu hat, aufgeregt und überdreht zu sein. Highlights sind zweifellos die zwei-drei Szenen, in denen Neutze und Schäfer sich in enormem Tempo Wortgefechte erster Güte liefern.
Bildqualität: Pidax, wer sonst, hat sich in Zusammenarbeit mit dem Archiv des SWR, der als Nachfolger des Südfunks Stuttgart die Hoheit über dieses Werk hat, an die Veröffentlichung gemacht. Der 4:3-Vollbildprint ist ziemlich gut ausgefallen – es gibt ein paar kleine Pumper, Wischer und Störungen, die wohl auf Beschädigungen der zugrundeliegenden MAZ zurückzuführen sein dürften, aber insgesamt geht das völlig in Ordnung.
Tonqualität: Der deutsche Dolby 2.0-Mono-Ton ist sicherlich auch nicht dazu angetan, bei Nachbarn für schlaflose Nächte zu sorgen, aber er ist zweckmäßig, praktisch rauschfrei und mit passabler, leicht schwankender Sprachqualität.
Extras: Leider nichts, wäre aber auch sicherlich nicht ganz so einfach, hier passendes Zusatzmaterial aufzutreiben (angesichts der nicht ganz billigen Releases der Fernsehspiele möchte ich an dieser Stelle aber mal ein Boxset anregen – vier solcher Kurz-Fernsehspiele auf zwei DVDs zu packen und das für zwanzig Euronen zu verscherbeln schiene mir auch kommerziell sinnvoller als die recht teuren standalone-Veröffentlichungen).
Fazit: An „Spuk im Morgengrauen“ stört mich, ich wiederhole mich, eigentlich wirklich nur der deplazierte und an DDR-Kinderkram wie „Spuk unterm Riesenrad“ erinnernde Titel. Der Film selbst ist ein weiterer Beweis dafür, dass unsere Eltern (oder Großeltern… ich bin ja mittlerweile selbst in einem gewissen Alter, hüstel) vielleicht weniger Programme, aber dafür ab und zu mal sender-eigenproduzierte Qualität in der Glotze vorfanden. „Spuk im Morgengrauen“ bietet ein solides Mystery, eine spannende, sich dabei auf ihre Schauspieler verlassen könnende Inszenierung und eben ein bestens aufgelegtes Darstellerduo – klassische Krimiunterhaltung, wie sie auch heute noch gut anzusehen ist.
4/5
(c) 2012 Dr. Acula