Spirits of the Dead

 
  • Deutscher Titel: Außergewöhnliche Geschichten
  • Original-Titel: Histoires Extraordinaires
  • Alternative Titel: Tales of Mystery and Imagination |
  • Regie: Roger Vadim, Louis Malle, Federico Fellini
  • Land: Frankreich/Italien
  • Jahr: 1968
  • Darsteller:

    Jane Fonda (Contessa Frederique de Metzengerstein), Peter Fonda (Baron Wilhelm Berliftzing), Francoise Prevost (Frederiques Freundin), James Robertson Justice (Frederiques Berater), Serge Marquand (Hugues), Alain Delon (William Wilson), Brigitte Bardot (Giuseppina), Renzo Palmer (Priester), Umberto D’Orsi (Hans), Daniele Vargas (Professor), Katia Christina (Mädchen auf dem Seziertisch), Marco Stefanelli (William Wilson als Junge), Terence Stamp (Toby Dammit), Salvo Randone (Priester), Marina Yaru (Das Kind), Irina Maleeva (Zigeunerin)


Vorwort

Drei Episoden frei nach Edgar Allan Poe.

„Metzengerstein“. Die junge Komtess Frederique von Metzengerstein ist, obwohl erst 22 Lenze jung, eine tyrannische Herrscherin über ihr Reich. Ausschweifungen aller Art und Natur sind an ihrem Hof an der Tagesordnung. Der einzige, der es wagt, ihren Lebensstil zu kritisieren, ist ihr Cousin als einer ärmeren Seitenlinie der Familie, Baron Wilhelm Berliftzing.
Man geht sich soweit möglich aus dem Weg, doch eines Tages kommt es zu einer Zufallsbegegnung im Wald, als Wilhelm Frederique aus einer Bredouille helfen muss. Wie’s nicht anders sein kann, fühlt sich das Komtesschen vom einzigen, der nicht nach ihrer Pfeife zu tanzen beliebt, stark angezogen, doch auf ihre ehrlich gemeinte Einladung, sich näher zu kommen und das Kriegsbeil eventuell zu begraben, kassiert sie eine brüske Abfuhr. Jetzt ist das Mädel rachedurstig und lässt ihren Handlanger Wilhelms Stallungen anzünden, alldieweil der Baron seine Pferde offensichtlich mehr liebt als Frauen. Dummerweise und ungeplant wird Wilhelm beim Versuch, seine Gäule zu retten, zu Grilllfleisch. Praktisch im gleichen Moment taucht in Frederiques Schloss ein mächtiger schwarzer Hengst auf, der nur von der Komtess zu bändigen ist. Von Stund an machen ihr die Orgien und Quälereien keinen Spaß mehr und sie verbringt jede freie Sekunde mit dem Pferd (nicht, wie IHR denkt, Perverslinge!). Doch natürlich steckt hinter dem Pferd ein Geheimnis…

„William Wilson“. William Wilson ist ein Sadist, der mit Freuden andere Leute quält – doch es kann der Frömmste nicht in Frieden quälen, wenn er einen eigenen Quälgeist hat. Williams Leidensweg beginnt auf einer Militärschule, wo er der Anführer derjenigen ist, die den neuen Schüler nach bester Bully-Manier das Leben zur Hölle machen. Bis eines Tages jemand sich gegen ihn auflehnt – es ist… William Wilson! Ein Namensvetter und Doppelgänger… William, der Böse, will den Rivalen loswerden, doch sein Mordanschlag führt dazu, dass beide der Schule verwiesen werden.
Jahre später geht William aus reiner Neugierde auf die Uni und studiert Medizin. Die Lektion über das Sezieren eines Kadavers macht ihm offensichtlich soviel Freude, dass er das Gelernte am lebenden Objekt, einer jungen schönen Frau, nachvollziehen möchte. Doch ehe er das Skalpell todbringend ansetzen kann, kommt ihm *wieder* der andere William in die Quere.
William fliegt von der Uni und schließt sich der österreichischen Armee an, wo er mangels passender Kriege seinen guten schlechten Ruf durch Ausschweifungen und sexuelle Abartigkeiten aller Art aufpoliert. In einem Spielerclub wird er von der attraktiven Giuseppina verhöhnt. Wilson fordert sie zum Kartenspiel um höchste Einsätze, und sicherheitshalber schummelt er nach Kräften, als es um den allerhöchstenmöglichen Einsatz, Giuseppina selbst geht. Ob der andere Wilson eingreifen wird? Dumme Frage…

„Toby Dammit“. Der britische Schauspieler Toby Dammit, sowohl begabter Shakespeare-Interpret als auch Nihilist, Alkoholiker und Junkie, hat sich breitschlagen lassen, in einem von der katholischen Kirche produzierten Italo-Western den in der Prärie wiedergekommenen Jesus zu spielen. Die Italiener hängen begeistert an Toby, der allerdings am liebsten mit einer Pulle Whiskey in Ruhe gelassen werden würde und sowieso psychisch nicht ganz auf der Höhe ist, fühlt er sich doch von der geisterhaften Erscheinung eines ballspielenden kleinen Mächens verfolgt.
Nach einem bizarren TV-Interview wird Toby zu einer nicht minder abstrusen Filmpreisverleihung geschleift, wo auch er einen „Goldenen Wolf“ überreicht bekommt. Doch auf der Bühne erleidet er im Alk- und Drogenrausch einen Zusammenbruch, schwingt sich in seinen brandneuen Ferrari (Gage für den Jesus-Film) und versucht irgendwie, nach Rom zu kommen. Das kann natürlich nur in einer Katastrophe enden.


Inhalt

Die drei Namen Vadim, Malle und Fellini liest man selten auf diesen heiligen Hallen. Gut, Vadim vielleicht dank Barbarella, aber die anderen Herrschaften…
„Histoires Extraordinaires“, ein französisch-italienischer Poe-Episodenfilm, hat’s in seinem Leben nicht leicht gehabt. In den USA wurde der Streifen unter dem reißerischen Titel „Spirits of the Dead“ von AIP verramscht, und damit auch dort noch der blödeste Hillbilly kapierte, was Sache ist, ließ Sam Arkoff noch Vincent Price eine Eröffnungs- und Schlussnarration rezitieren. In Deutschland lief der Film trotz der drei berühmten Regisseure nie im Kino, wurde 1992 einmal im Fernsehen ausgestrahlt und harrt noch heute einer Heimkinoveröffentlichung. Eine solche wiederum gab’s auf Video in England, da aber ließ man sicherheitshabler die Malle-Episode ganz weg (aus der kürzten auch die prüden Yankees einige, äh, heißere Szenen) – ausgerechnet meine speziellen Freunde von Arrow Film spendierten dem Ding jüngst eine ungeschnittene Blu-Ray-Version, die ich mir dann für recht günstig besorgte.

Wie sich auch das ausführliche Booklet äußert, ist sich die seriöse Filmkritik in der Beurteilung des Werks weitgehend einig: Vadim scheißdreck, Malle bassd scho, Fellini oh mein Gott wie genial. Das dürfte, meint ein Kritikamateur wie meinereiner, auch ungefähr der Wertschätzung der betreffenden Regisseure durch’s stolze Feuilleton entsprechen: Fellini der unangefochtene Gott des Kinos, Malle der akzeptierte Kunstfilmer zweiter Kategorie und Vadim der ewig geile schmuddlige Schmutzfink. Einem zeitgenössischen Kritiker wäre vermutlich eher der Schniedel abgefallen als dass er hypothetisch einen Vadim über einem Fellini angesiedelt hätte. Nun, hier in diesen heiligen Hallen weht ein anderer Wind und auch ein Fellini muss sich hier erst mal über die Hürde „ist der Kram unterhaltsam“ hieven.

Fangen wir aber chronologisch mit dem Vadim an – ein Projekt, dass Keule Roger unmittelbar nach „Barbarella“ in Angriff nahm und, Junge, das merkt man. Obwohl Poe-Scholaren es gerne abstreiten, ist „Metzengerstein“ eine ziemlich werkgetreue Adaption – gerade im Vergleich zu den Corman-Filmen. Vadim und sein Co-Autor Pascal Cousin doktorn natürlich an Poes Geschichte über eine ungarische-deutsche Familienfehde (obschon Poe die Story in Ungarn ansiedelte, trägt sie den Untertitel „An Imitation in German“, womit wahrscheinlich gemeint ist, dass Poe sich an Konventionen deutscher Schauergeschichten orientierte und sie satirisch zu überhöhen gedachte) herum. Aus Frederick von Metzengerstein wird Friederike, und die Familie der Berliftzings wird nicht nur von Rivalen zu Verwandschaft gemacht und auf eine Person, nämlich den Baron und Cousin Wilhelm, reduziert – das impliziert natürlich, dass der Katalysator der Film-Geschichte, nämlich Friederikes Hingezogensein zu Wilhelm, eine Vadim-Erfindung ist (und durch den genialen und/oder wahnsinnigen Schachzug, Freiderikes Cousin durch Jane Fondas leibhaftigen Bruder Peter spielen zu lassen, bringt er noch eine Inzest-Komponente ins Spiel, die freilich nur im Kopf des Zuschauers stattfindet), doch der Rest, Friederikes Schreckensherrschaft, die Brandstiftung und Wilhelms Tod, das Auftauchen des schwarzen Hengstes und die (oben in der Inhaltsangabe nicht erwähnte) Prophezeihung des Wandteppichs, das alles ist 1A-Original-Poe-Plot.

Vadim wäre aber der letzte, der an einem geradlinigen gothic horror-Plot interessiert ist (und abgesehen davon ist er Opfer von Post-Produktions-/Pre-Release-Schnitten, die z.B. die Eröffnungsszene ziemlich unverständlich machen). Ein voice-over versucht, Handlungslücken zu schließen (ist aber meistens damit beschäftigt, nochmals zusammenzufassen, was wir eh schon gesehen haben), oft genug reiht Vadim nur montageartig Szenen ohne Dialogton aneinnander, so dass der Sinn des Unterfangens oft auf der Strecke bleibt. Gut, man kann sich einiges zusammenreimen (dass der Hengst die Reinkarnation Wilhelms ist, wird zwar weder im Film noch in der Story offen ausgesprochen, liegt aber auf der Hand), so kompliziert ist der Plot nun mal nicht, anderes bleibt aber doch verborgen (dass der Wandteppich, der Friede ins Bockshorn jagt, eine Prophezeihung darstellt, erfährt der Filmkucker nicht).

Vadim ist aber nunmal sowas wie Jess Franco in besser – kein Geschichtenerzähler, sondern ein Voyeur. Und auch wenn er hier mit gebremstem Schaum agiert (Malle wird sich überraschnderweise als offenherziger herausstellen), Voyeurismus *kann* er (auch, weil er weiß, wierum man ’ne Kamera aufstellt, newa, Herr Jesus Franco Manera?). Die Schilderung von Friedes Exzess-Herrschaft wirkt wie eine abgemilderte Version des Reichs der Tyrannin von Sogo aus „Barbarella“ – was allerdings auch das vielleicht größte Problem des Films hervorruft. Wer die Fonda als naives Sexpüppchen, das von allen und jedem manipuliert wird, aus „Barbarella“ kennt, kann sie kaum als furchterregend-grausame Bosheit in Person sehen, wie „Metzengerstein“ es behauptet (was auch daran liegen kann, dass Jane die Friederike nicht grundlegend anders spielt als die Barbarella; Bruder Peter ist in seinen drei knappen Szenen deutlich ausdrucksstärker. Für Filmbuffs: es ist übrigens der einzige Film, in dem Jane und Peter Fonda zusammen spielen).
Zwar ist alles weitgehend jugendfrei (ein nackter Frauenrücken ist das unanständigste, was ich in dieser Episode ausgemacht habe), aber auch implizierter Sleaze ist Sleaze :). Und dann wären da noch die Kostüme… wow. Die stammen von Jacques Fonteray und jedes einzelne Kleidungsstück, das Jane Fonda trägt, wäre in „Barbarella“ als spaciges Weltraumagentinnenoutfit glaubwürdiger denn als mittelalterliche Gräfinnenkluft des 16. oder frühen 17. Jahrhunderts. Not that I would complain, denn alles, was Jane Fondas unwerfende Figur und ihre wundervollen Beine betont, findet mein absolutes Wohlgefallen.

Des Weiteren besticht die Episode durch ausgesucht schöne bretonische Locations (und in der Bretagne werden spannende Naturkulissen en gros geliefert), gewohnt gute Kameraarbeit von Routinier Claude Renoir und einen überraschend „eerie“ Score von Jean Prodromides).
The face of the devil?

Für den Kollegen Malle war’s keine Herzensangelegenheit, bei diesem Film mitzumischen, sondern Mittel zum Zweck, um Geld für sein nächstes eigenes Projekt aufzutreiben. Dafür war er dann auch willens, Kompromisse mit Produzent Raymond Eger einzugehen. Malle wollte ursprünglich dichter an der Poe-Vorlage bleiben, Eger vermutlich etwas mehr Exploitation. Poes klassische Doppelgängergeschichte „William Wilson“ war schon 1913 erstmals unautorisiert, wie’s damals im deutschen Stummfilmkino gang und gäbe war, als „Der Student von Prag“ semi-adaptiert worden (die deutsche „Version“ von Hanns Heinz Ewers machte die Geschichte etwas zensurfreundlicher, in dem die „gute“ Seite der Hauptfigur Protagonist war und zudem mit dem „Pakt mit dem Teufel“ eine Moral-von-der-Geschicht eingeführt wurde; bei Poe sind wir von Anfang an beim „bösen“ Wilson und einen Grund für das Doppelgängertum bekommen wir nicht serviert).
Von allen drei Geschichten ist die von Malle die, die sich am deutlichsten als gothische Schauergeschichte definiert. Auch wenn Vadim verhältnismäßig eng an der Vorlage bleibt, so ist sie ihm nicht wirklich *wichtig*, wenn er statt dessen ein paar schöne und/oder geheimnisvolle Bilder zeigen kann, sein „Metzengerstein“ ist bestenfalls „gothic mystery“. „William Wilson“ macht von Anfang an klar, dass es hier unheimlich und mörderisch wird – der verzweifelt durch die Gassen einer Stadt des frühen 19. Jahrhunderts hetzende, blutende Alain Delon, der in eine Kirche stürzt und den Pfaffen zu einer akut notwendigen Beichte nötigt, dazwischengeschnitten ein Mann, der sich vom Kirchturm stürzt oder gestürzt wird; es ist ein Auftakt, der packt. Dass Malle von hier aus die Geschichte in drei längeren Rückblenden anpackt, ist ausnahmsweise mal eine gute Entscheidung (und durch das Plot Device der Beichte gedeckt).

Den nächsten Höhepunkt nach der Eröffnungs-tour-de-force findet die Story in der zweiten Rückblende mit Wilson als Medizinstudenten. Es überraschte zumindest mich, dass Malle derjenige ist, der die nudity-and-violence-Karte ausspielt und mit der versuchten Vivisektion der schönen jungen Frau die vermeintlich niederen Instinkte bedient (keine Angst, bevor hier irgendwas weggeschnippelt werden könnte, was frau oder man noch brauchen könnte, schreitet der Doppelgänger zur Tat).
In der dritten Rückblende verliert mich Malle zunächst mit der ausschweifenden Schilderung eines Kartenspiels, dessen Regeln ich nur ansatzweise verstanden habe (so muss es wohl vielen Kinogängern beim Craig-„Casino Royale“ gegangen sein). Da hilft auch nicht viel, dass es sich um ein Aufeinandertreffen von Alain Delon und Brigitte Bardot (schwarzhaarig!) handelt – erst, als dieses Duell in die entscheidende letzte Runde geht, wird’s wieder spannend.
Schließlich bietet uns Malle in der Folge das unerwartete Visual, dass Delon die Bardot mit einer Gerte auspeitscht (ratet mal, welche Szene in der US-Kinofassung fehlte)! Dieser Film wird langsam ein Fall für Bethmanns nächstes Frauenfolterfilmbuch. Schlussendlich läuft’s natürlich auf die finale Konfrontation der beiden Wilsons hinaus, und mit welcher Pointe die ausgeht, naja, das sollte sich jeder, der mit Schauergeschichten ein wenig vertraut ist, ausmalen können.
Berechtigte Frage: ist das hier Schauspiel oder hat man Terence Stamp nur gerade von der Hotelbar abgeholt?

Wie schon gesagt, Louis Malle ist von unseren drei Regisseuren derjenige, der versucht „Horror“ oder wenigstens „Grusel“ zu liefern – vielleicht, ach was, wahrscheinlich genau deswegen, weil er derjenige ist, der persönlich keinen echten Bezug zum Projekt hatte und als „gun for hire“ arbeitete. Er hat einen gut aufgelegten Alain Delon, der einen wohltuend überraschend fiesen Sadisten abgibt, zur Verfügung, eine etwas hölzern wirkende Bardot, hervorragende Kostüme und authentische Locations, aber da und dort ein paar Pacing-Probleme (sowohl die Schul-Rückblende – bei der man allerdings Bauklötze staunt, welch fulminant überzeugenden Junior-Delon man da aufgetrieben hat – als auch die Kartenspiel-Rückblende könnte man deutlich straffer, spannender gestalten; in der Schul-Szene läuft übrigens auch „Perry Rhodan“-Film-Crest John Karlsen mal durch’s Bild), dafür aber den erklärten Willen, ein bisschen auf die Kacke zu hauen, was die Nacktheit und die Gewalt angeht. Sergio Leones Stamm-Kameramann Tonino Delli Colli liefert hübsche Bilder, Diego Massons Score ist unmemorabel, und heftige Abzüge gibt’s für den lächerlichsten Stunt-Dummy seit Zombies unter Kannibalen (ja, ich weiß, der ist neuer. Aber ich kenn ihn länger).

So, und jetzt zu Fellini. Ich muss meine Credibility (sowas hab ich, ja!) gleich mal untergraben – ich bin zwar durchaus geneigt, ab und zu die Baskenmütze aufzusetzen und ’nen Arthouse-Film zu sehen, aber ich bin absolut kein Fellini-Experte. Spätwerke wie „Ginger und Fred“ oder „Schiff der Träume“, gerne, aber „La Strada“, „La Dolce Vita“, „Satiyricon“… ich geb’s zu, ich hab die nicht gesehen und hab auch keine Intention (man muss sich im Leben nun mal entscheiden – man wird Fellini- ODER Tomas-Tang-Komplettist; und ich gebe zu, dass ich wenigstens „8 1/2“ schon noch sehen möchte, bevor ich dereinst abtrete). Nichtsdestotrotz glaube ich, dass ich Fellini schon künstlerisch einzuordnen vermag und auch seine Themen einigermaßen kenne.

Wer sich nun wundert, dass Fellini einen Ausflug ins Horror-Genre unternahm – nun, es kam letztlich daher, weil er kurz vorher damit gescheitert war, für uns aller Lieblings-Dino de Laurentiis einen Science-fiction-Film zu drehen und beim Filmmogul in der Kreide stand. Dino verkaufte – mit Fellinis Einverständnis – den virtuellen Schuldschein an „Histoires“-Co-Producer Alberto Grimaldi und sicherte so die Mitwirkung des Regie-Genies an der Poe-Kollektion (manche Quellen behaupten, dass Fellini Ersatz für Orson Welles war, der wieder mal abgesprungen war, um ein eigenes Luftschloss zu verfolgen anstatt endlich mal was fertigzumachen; andere sagen, die ursprüngliche Planung sah Welles, Luis Bunuel und Fellini als Regisseure vor, wonach dann Vadim und Malle von der Ersatzbank eingewechselt worden wären). Fellinis Geschichte, von ihm mit Bernardino Zapponi, der quasi als Nebenjob zu seiner Tätigkeit als Fellinis Haupt-Autor auch Argentos „Profundo rosso“ schrieb, erdacht, hat weder mit Poe im Speziellen noch Horror/Grusel im Allgemeinen viel zu tun. Selbst die Credits geben zu, dass es sich bei der „Toby Dammit“-Episode um eine äußerst freie Bearbeitung der Poe-Short Story „Never Bet the Devil Your Head“ (von der bleibt nur der Charaktername als auch die Schlusspointe übrig) handelt.

Stattdessen widmet sich Fellini lieber einem seiner Lieblingsthemen – Kino bzw. Filmemacherei an und für sich und den Umgang mit dieser Kunstform, und dies auf eine suspekt-psychedelisch-poppige Art (ich weiß nicht, ob Fellini jemals auf LSD gearbeitet hat, wenn ja, dann allerdings hier). Es sind gleich mehrere thematisch verwandte Baustellen, an denen Fellini sich abarbeitet – Starkult, selbstbeweihräuchernde Branchen-Preise und die neuen, wilden Schauspieler modernen europäischen Zuschnitts, die saufen, huren, Drogen konsumieren, dabei aber immer noch brillant schauspielern und sich als Popstars feiern lassen – quasi die Kinskis, Reeds, McDowells und O’Tooles, die hier in der Figur des Toby Dammit zusammengefasst werden (und in der Tat sollte ursprünglich Peter O’Toole den Toby spielen. Nach seiner Absage liess sich Fellini von der angeheuerten Agentur die „dekadentesten Schauspieler“ schicken. Die Agentur schickte Terence Stamp und James Fox, Fellini entschied sich für Stamp); dabei vergisst Fellini nicht, Cinecitta‘ noch eins mitzugeben und kurz das dort immer wieder gern gepflegte Anheuern abgetakelter internationaler Ex-Stars zu thematisieren (nicht von ungefähr soll Dammit, der bei seinem Zusammenbruch zugibt, über ein Jahr nicht mehr gearbeitet zu haben, weil er für die britischen Filmer zu unzuverlässig wurde, einen Italo-Western drehen, ein Genre, das wie ein paar Jahre zuvor die Sandalen-Filme und später Giallos und Horrorfilme dem ein oder anderen englischen oder amerikanischen Altmimen die Rente aufbesserte).

Ohne mich weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, aber ich spekuliere mal… all dies war Fellini ein Greuel. Und so inszeniert er seine Episode – Dammits Ankunft per Flugzeug ist ein farbgefilteter Alptraum, Dammit selbst inszeniert sich lichtscheu wie ein Vampir. Das Fernsehinterview ist ein inquisitorisches Verhör, in dem intimste persönliche Fragen genauso gestellt werden wie nichtssagende Promotion-Platitüden, die Preisverleihung ist die reinste Geisterbahnfahrt. Kein Wunder, dass der eh schon labile Dammit in dieser Bizarrowelt (zu der auch eine Band gehört, die gekleidet ist wie die Beatles zu Sgt.-Pepper-Zeiten, und vor der Preisverleihung schon mal als Penner im Schutt der Ruinen, an denen Dammit vorbeikutschiert wird, sitzt) ausrastet – und nachdem er seine Hauptfigur aus seinem Umfeld gelöst hat (quasi also seinen kritisch-satirischen Punkt gemacht hat), erlaubt er dem Horror-Genre für die letzten zehn Minuten die Hauptrolle. Dammits verzweifelter Versuch, aus einem Labyrinth der Sackgassen, Umleitungen und mysteriösen Wege, die wieder zurück an den Ausgangspunkt führen, auszubrechen, nimmt entsprechende Eskapaden aus Lovecraftesquer Tradition wie in „Die Mächte des Wahnsinns“ vorweg (wobei Fellini schon geschickt offen lässt, ob sich einiges davon nicht einfach in Dammits drogen- und alkumnebeltem Hirn abspielt) und für die Schlusspointe, den einzigen echten bezug auf die Poe-Kurzgeschichte, packt ausgerechnet Fellini den einzigen echten Splattereffekt des Films aus. Surprise surprise.

Fellinis Story ist ähnlich wie die von Vadim nicht auf Plot ausgelegt, aber auch nicht auf Voyeurismus, sondern auf seltsame, psychedelische Imagery; skurille Farben, Farbfilter und bewusst „billige“ Effekte (bis auf die allerletzte Szene zeigt praktisch keine Sekunde von Dammits Amokfahrt tatsächlich *die Fahrt*. Entweder wir sehen ein statisches Bild von der Motorhaube des Ferraris aus auf den Fahrer im Cockpit oder Stoßstangensicht auf die Straße bzw. die stock footage derselben), extreme Kontraste unterschiedlichster Ausprägungen (Nonnen mit Sonnenbrillen, Rabbis und betende Moslems im Flughafen; die Preisverleihung schwelgt vordergründig im Luxus, doch backstage sitzen die Stars zwischen Obstkisten) bestimmen das Bild; das ganze Unternehmen hat etwas von einer alptraumhaften Vision, fraglos, auch wenn es nicht direkt Horror ist. Fellinis Stamm-DOP Giuseppe Rotunno liefert die Bilder (nicht immer völlig überzeugend, wenn ich kritteln darf), Nino Rota („Der Pate“, „Satyricon“, „Fellinis Rom“) besorgt einen Score, der dezent unpassend wirkt und vielleicht gerade deswegen so gesetzt wurde (integriert wurde eine Ray-Charles-Interpretation des Standards „Ruby“).

Terence Stamp („Superman II“, „Young Guns“) ist als Dammit eine Traumbesetzung – von weinerlich-selbstdestruktiv bis arrogant-eitel hat er die komplette Bandbreite eines Möchtegern-Klaus-Kinskis/Oliver-Reeds drauf. Wieviel davon Schauspiel, wieviel „echt“ war das wird nur er selbst beantworten können. Die Episode ist weitestgehend eine one-man-show, andere Darsteller haben kaum Gelegenheit, sich zu präsentieren.

Bildqualität: Arrow Films bringt die Blu-ray in 1.85:1-Widescreen (regionalcodefrei). Speziell die Vadim-Episode sieht einfach „gorgeous“ aus; dagegen geht der Print gerade bei Fellini, der gerne mal die Nebelmaschine anwirft, dass Fulci grün und gelb vor Neid wird, oder einen Farbfilter auspackt, gern ein bisschen aus dem Leim und wird ziemlich grieselig. Da wir’s aber mit der ersten ernsthaft-ungeschnittenen Heimkinoumsetzung zu tun haben, will ich aber nicht überkritisch sein.

Tonqualität: Der Konsument hat die Wahl zwischen einer rein französischsprachigen Fassung mit optionalen englischen Untertiteln, einer „multilingualen“ Version (Episode 1 ist auf Englisch gedreht, Episode 2 auf Französisch, Episode 3 auf Italienisch und Englisch), zu der sich natürlich auch englische Untertitel schalten lassen, und einer englisch durchsynchronisierten Spur. Die multilinguale Version ist etwas verwirrend, weil sie nicht „im Filmsinne“ multilingual ist, d.h. speziell in der Fellini-Episode antwortet Stamp z.B. locker auf Englisch auf eine auf Italienisch gestellte Frage, die er gemäß seiner Rolle nicht verstehen dürfte. Geschmacksfrage. Beide Tonspuren bringen leichtes Grundrauschen im Dialogton mit und sind in Musikfragen nicht gerade superdynamisch (alles PCM).

Extras: Die Blu-ray selbst beherbergt nur die oben erwähnte Vincent-Price-Narration der amerikanischen Kinofassung (gut 45 Sekunden), das Booklet ist aber stolze 36 Seiten stark und bietet jede Menge Informationen zum Film und speziell zur Fellini-Episode. Zu bemerken wäre weiterhin die großartige Verpackung – die Blu-ray kommt im Pappschuber mit „Guckloch“, durch das man eines von vier per Wendecover frei auswählbaren Plakatmotiven durchkucken lassen kann (zwei amerikanische, ein überkandidelt-überladen japanisches und ein typisch groteskes polnisches Poster stehen zur Wahl). [Memo: Die Erstauflage scheint offenbar ein ausführlicheres Booklet, das auch die drei in Frage kommenden Kurzgeschichten umfasst, zu haben].

Fazit: Ein faszinierender Film – drei Regisseure, von denen keiner speziell für Horror oder Genre steht (am ehesten noch Vadim, der neben „Barbarella“ ja wenigstens mit „…und vor Lust zu sterben“ noch einen Ausflug ins Vampirfach unternommen hatte) mit drei völlig unterschiedlichen Herangehensweisen; Vadim mit seinem voyeuristisch-traumwandlerischen Stil, Louis Malle als matter-of-factly eine Schauergeschichte präsentierender Auftragsarbeiter, Fellini, der auf seine typisches Meta-Thema „Film“ eine gute Prise Psychedelia und eine Poe-Pointe draufsetzt, das muss 1968 das Publikum ziemlich vor den Kopf gestoßen haben und ist auch heute sicher kein „runder“, in sich stimmiger Film, aber ein geradezu irrwitziges Experiment. Kein Film für reine Horror-Fanatiker und auch Poe-Fans werden sicher nicht ganz glücklich mit der Materie werden (auch wenn „Metzengerstein“ und „William Wilson“ in Sachen Werktreue ganz gut wegkommen. Da kennt man anderes…). Wer Filmkunst mit großem K gerne mit Phantastik kombiniert, der dürfte hier aber seine helle Freude dran haben. Ich hab’s genossen – es ist der Beweis, dass sich künstlerischer Anspruch und auteur-Kino auf der einen und phantastisches Genre auf der anderen Seite sich nicht zwingend beißen müssen; es mag keine Liebesheirat sein, aber mit gutem Willen lässt sich viel daraus machen!

4/5
(c) 2013 Dr. Acula


mm
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