- Deutscher Titel: Sleepwalker
- Original-Titel: Sleepwalker
- Regie: Johannes Runeborg
- Land: Schweden/Norwegen
- Jahr: 2000
- Darsteller:
Ralph Carlsson (Ulrik Hansson), Tuva Novotny (Saga Hansson), Ewa Carlsson (Monika Hansson), Anders Palm (Inspektor Levin), Donald Högberg (Dr. Christian), Fredrik Hammer (Levins Kollege), Mats Rudal (Fredrik), Sylvia Rauan (Helen), Silke Lauren (Linn), Christoffer Edström (Erik), Aina Lesse (Maria), Peter Billengren (Makler)
Vorwort
Die Hanssons sind gerade aus dem Urlaub, verbracht bei regnerischem Wetter im eigenen Ferienhäuschen, zurückgekommen; eine ganz normale Familie, drei Kinder, die Älteste, Saga, ist nach einem Trip nach Goa unter die Hippies gegangen und ausgezogen. In der Nacht wacht Ulrik mit rasenden Herzbeschwerden auf – Ehefrau Monika will gleich mal den Notarzt holen, aber Ulrik wehrt ab.
Am nächsten Morgen findet er sich allein in einem blutbesudelten Bett wieder. Monika und die Kinder Erik und Linn sind spurlos verschwunden. Die hinzugerufene Polizei steht vor einem Rätsel – einziger Anhaltspunkt ist, dass Ulrik zwei Tage vorher ein Auto vor’m Haus hat stehen sehen, das nicht in die Nachbarschaft gehört. Ulrik stellt erstaunliche Dinge fest – in einem Schrank sind schmutzige Klamotten und Stiefel versteckt, jemand ist offensichtlich in der ominösen Nacht mit seinem Auto gefahren. In Ulrik keimt der Verdacht auf, er – ehemals rasend eifersüchtig und aufgrund Schlafstörungen unter Psychopharmaka stehend – könnte mehr mit dem Verschwinden seiner Familie zu tun haben, als ihm lieb ist. Schlafwandelt er etwa?
Ulrik verfällt auf die Idee, sich eine Kamera an den Körper zu binden – und tatsächlich stellt er eine Nacht später fest, dass er – im Tiefschlaf – zum Ferienhaus gefahren ist und dort irgendetwas in einen Brunnenschacht geworfen hat. Andererseits wird er von mysteriösen Anrufen behelligt, die er für Lebenszeichen Monikas hält; und als er probehalber am Bahnhof die Schalterbeamtin fragt, erzählt die ihm, dass Monika Hansson mit zwei Kindern tatsächlich mit dem Zug weggefahren sei. Die Sache wird für den schlafwandelnden Ulrik recht brisant – während er sich zu seiner Verblüffung im Nachtzug nach Oslo wiederfindet, entdeckt die Polizei in seinem Ferienhaus zerstückelte Leichenteile…
Inhalt
Ich wiederhole mich – wenn man bei 200 ungesehenen DVDs kein Risiko eingehen mag und mit der Gewissheit, etwas relativ vernünftiges sehen zu wollen, an die Filmauswahl geht, kann man schlechtere Entscheidungen treffen, als rein aus Prinzip zu skandinavischer Filmkost zu greifen. „Sleepwalker“, ein schwedischer Mysterythriler aus dem Jahr 2000, der mich via EpiX‘ Überraschungspaket erreichte, ist zwar auch für die Smörebröd-Verhältnisse ein Streifen aus der zweiten Liga, aber die ist ja meist besser als die Champions League der Teutonen.
Regisseur Johannes Runeborg und Drehbuchschreiberling Johan Brännström muss man wirklich, auch als Filmnerd, nicht kennen. Runeborgs größte Mainstream-Leistung dürfte sein, dass er für die aktuelle schwedische „Wallander“-Fernsehserie die Trailer schneidet und Meister Brännström hat als einzigen weiteren verifizierbaren Screenkredit einen siebenminütigen Horrorkurzfilm namens „Demoniac“ zu verbuchen. Aber immerhin behauptet die cinema, es handele sich um den spannendsten skandinavischen Film seit „Nachtwache“, und beim Festival in Sitges ergatterte er eine Nominierung für den „besten Film“. Aber bei aller Liebe – weder die cinema noch die Jury von Sitges steht bei mir im Ruf, von Genrefilmen – und noch dazu von „guten“ – mehr zu wissen als Guido Westerwelle von sozialer Gerechtigkeit. Hilft nix, ich muss mir wohl wieder eine eigene Meinung bilden.
Das Hundsgemeine an Mystery-Thrillern, zumindest für Rezensenten, ist, dass man Vorzüge oder Doofheiten des Scripts nicht so breittreten darf, wie man’s vielleicht gerne möchte, und „Sleepwalker“, ein Film, der sich sehr darin gefällt, sehr offensichtliche Theorien anzubieten, um sie dann wieder über den Haufen werfen zu können, ist ein extremer Vertreter des Genres (das geht, wie einst bei „Wild Things“, soweit, dass die absolut entscheidende Stelle, ohne die ich den Streifen ohne weiteres in die Shyalaman-Gefilde der stupiden Twistenden einsortiert hätte, erst im Nachspann aufgedeckt wird). Für Freunde der spoilerfreien Reviews belasse ich es an dieser Stelle bei dem Hinweis, dass sich „Sleepwalker“ trotz einiger Klimmzüge zumindest schlüssig auflöst (ob befriedigend, ist Geschmacksfrage. Hab mich da selbst noch nicht ganz entschieden), die, die sich nicht beherrschen können, finden ganz unten, unter der Bewertung, noch eine ausführlichere Beschäftigung mit Plot und Lösung des Rätsels (die allerdings auch * fast * alles ausplaudert).
Erfreulich ist, dass „Sleepwalker“ einer derjenigen Filme ist, der „normale“ Leute mittleren Alters in den Mittelpunkt stellt (auch etwas, was die Skandinavier, siehe Restless Souls, wesentlich besser hinbekommen als das speziell im Genre-Bereich besonders jugendwahnsinnige Hollywood) – Ulrik und Monika sind lauschige Mitt- bis End-Vierziger, ihre Ehe ist (ungeachtet einer wichtigen Plotentwicklung) nicht ob der miteinander verbrachten Jahre zerrüttet oder in Verachtung umgeschlagen, aber auch nicht idyllisch-pastellmäßig heile Welt; von Grundkonstrukt her glaubhafte Charaktere, und etwaige Inkonsistenzen in der Charakterisierung erklären sich durch den Twist (der an mehreren Stellen im „Hauptfilm“ ebenso subtil vorbereitet wird wie vermeintliche Plotentwicklungen plakativ vorgeschlagen werden).
Die Dialoge sind, wie es einem Film aus dem hohen Norden angemessen zu Gesicht steht, lakonisch-knapp und oft genug reicht Runeborg eine stille Einstellung auf ein Gesicht, ein reaction shot, der mehr sagt als tausend Worte es in der entsprechenden Situation könnten. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist ein relativ harter Bruch in der Erzählstruktur, der dramaturgisch allerdings kaum zu umgehen ist – sofern man das Mystery bewahren will -, allerdings unter Berücksichtigung des unten gespoilerten Geheimnisses an sich problematisch wird. Ulrik, unsere nominelle Hauptfigur, verschwindet im Mittelakt aus der Handlung und der Fokus verschiebt sich auf die Ermittlungen Levins (der sich hierfür der Mithilfe Sagas versichert); wie gesagt, es fällt mir auf Anhieb auch keine clevere Lösung ein (außer vielleicht stärker einen parallelen Ablauf der Ereignisse um Ulrik und um Levin filmisch darzustellen), es ist jedoch eben auffällig, dass aus einem Film, der bis dahin ein eher introvertiertes Charakterdrama um das langsame Abgleiten des Protagonisten in Paranoia, Selbstzweifel und Schuldgefühle war, eben ein „normales“ Kriminalstück wird, ehe sich diese beiden Handlungsstränge zum Finale hin eher unter Ächzen und Stöhnen des Storymechanismus verbinden.
Von der inszenatorischen Seite erledigt Runeborg einen praktikablen, wenn auch nicht überwältigenden Job. Immerhin ist ihm ein recht guter Nutzen für die Passagen aus subjektiver Kamerasicht eingefallen und selbige eine ganz geschickte dramaturgische Krücke dafür ist, dass sein schlafwandelnder Hauptcharakter die entsprechenden Sequenzen nicht selbst „miterleben“ kann und sie daher auf diese Weise künstlich der Erkenntnisstand von Zuschauer und Hauptfigur gleich gehalten wird (ansonsten wäre das Mystery ja keins). Auch übertreibt er mit diesem Stilmittel nicht – „Sleepwalker“ ist kein „Blair Witch“-Derivat. Das schon angesprochene Problem mit dem erzählerischen Bruch durch den Perspektivenwechsel kann er allerdings nicht übertünchen – es ist ein, wie gesagt sicherlich notwendiger, nichtsdestotrotz aber enorm auffällig und störend, und so recht erholt sich „Sleepwalker“ vom Wechsel von intimem Psychogramm zu vergleichsweise „gewöhnlichem“ Krimi/Thriller nicht mehr.
„Sleepwalker“ ist, wie viele der im Gegensatz zu US-Ware eher ruhigen skandinavischen Genrevertreter, keine Tempogranate – das Erzähltempo ist betulich, Kameraführung und Schnitt sind professionell-zweckdienlich, ordnen sich aber klaglos der Geschichte und den Charakteren unter, ebenso wie der Score. Nicht ganz einig bin ich mir noch, ob und ggf. wie sehr mir die Taktik von Regisseur und Autor gefällt, sich in Andeutungen zu ergehen, die recht offensichtliche Schlussfolgerungen zulassen, nur um dann doch in eine andere Richtung weiterzufabulieren (was durch das im unten Gespoilerte eine gewisse inhaltliche Rechtfertigung hat), andererseits aber die Charaktere manchmal etwas dumm dastehen lässt und manchmal noch nachträglich Spannung aus einer Szene herausnimmt.
In Sachen Gewalt hält sich „Sleepwalker“ – trotz einer FSK-16-Freigabe – merklich zurück. Von den Gewaltakten selbst sehen wir nichts bis maximal sehr wenig und mehr als eine on-screen-Leiche und ihren entkörperten Kopf bietet Runeborg auch nicht, dafür aber einige großflächige Blutverteilungen in Autos, Badezimmern und auf Bettlaken. Würde ich beinahe schon für FSK-12-tauglich halten, aber zum Glück für diese unsere Gesellschaft bin ich ja auch kein FSK-Prüfer.
Die Darsteller, auch für schwedische Verhältnisse eher der Mittelklasse zuzuordnen, agieren zufriedenstellend. Ich würde niemanden für einen Oscar vorschlagen, aber auch keinem Veränderung des Berufsfeldes ans Herz legen. Ralph Carlsson („Mein Leben als Hund“, „Bei Einbruch der Dunkelheit“, „Verdammnis“) ist als problembehafteter „everyman“ angemessen, könnte aber die Zerrissenheit seines Charakters ein wenig mehr herausarbeiten.
Tuva Novotny („Jalla! Jalla!“, „Stratosphere Girl“, „Die Rückkehr des Tanzlehrers“) als seine Filmtochter Saga ist dagegen mit ihrem einerseits unaufgeregten, andererseits glaubwürdig-emotionalen Spiel eine Entdeckung.
Ewa Carlsson („Die Kinder von Bullerbü“) leidet darunter, dass ihre Figur massiv „underwritten“ ist (was aber auch wieder beim gewählten Storykonstrukt kaum zu vermeiden ist); eine verdammt gute Performance leiert sich für meine Begriffe Anders Palm („Miffo – Frisch getraut ist halb geschieden“, „Hakan Nesser – Das falsche Urteil“, „Wallanders letzter Fall – Die Pyramide“) als Polizeiinspektor Levin aus dem Kreuz.
Der routinierte Donald Högberg („Die Tote im Gota-Kanal“, „Arn – Der Kreuzritter“) rundet als Dr. Christian das Ensemble einigermaßen prägnant ab.
Bildqualität: Epix legt hier einen mediokren Transfer vor – der anamorphe 1.85:1-Print ist von der eher grobkörnigen Sorte und neigt gelegentlich zu unübersehbarem Blockrauschen. Schärfe- und Kontrastwerte bewegen sich auf der gut durchschnittlichen Seite, Verschmutzungen sind nicht zu verzeichnen, aber auf Flachbild-Equipment sieht das ganze insgesamt dann halt doch eher grieselig aus (und nicht nur in den „Video“-Passagen, wo das ja durchaus gewollt ist).
Tonqualität: Deutscher Synchronton und schwedische Originalsprachfassung jeweils in Dolby 2.0, mit in der O-Ton-Fassung nicht ausblendbaren Untertiteln (da sich der Anteil derjenigen, die der schwedischen Sprache fließend mächtig sind, hierzulande aber in Grenzen halten dürfte, ist das nicht so sonderlich bedeutsam). Kein Ausbund an Frequenzdynamik oder monumentaler Tonmischung, aber absolut praktikabel für einen kleinen Mysterythriller.
Extras: Das ist ein wenig mager – der Trailer, Biografien, eine Trailershow sowie drei kurze Texttafeln über den Somnamubilismus…
Fazit: Insgesamt hinterlässt „Sleepwalker“ bei mir den Eindruck einer „mixed bag“. Die Idee des Films ist nicht so clever, wie es Autor Brännström und Regisseur Runeborg vielleicht dachten, die Ausführung ist okay, aber nicht weltbewegend, und in Sachen Spannung kann der Streifen (auch und besonders unter Berücksichtigung der Auflösung) nicht mit den Highlights des skandinavischen Thriller- und Mysterykinos mithalten. Zwar wird „Sleepwalker“ solide gespielt und droht nie, das Interesse des Zuschauers zu verlieren, aber zum Ende hin verliert Runeborg meiner bescheidenen Ansicht nach im Interesse, einerseits mainstreamkompatibel zu einem thrill- und aktionsorientierten Finale zu kommen, andererseits aber auch durch das Twistende dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ein wenig die Übersicht, so dass weder das eine noch das andere wirklich befriedigend ausfällt. Als B-Film aus subpolaren Gefilden sicherlich nicht * so * schlecht, aber eben auch kein echtes Highlight. Mittelmaß eben…
3/5
© 2010 Dr. Acula
SPOILER – SPOILER – SPOILER
Uns Ulrik findet im Verlauf des Films heraus, dass Monika ein Verhältnis mit Fredrik (einem Bekannten, mit dem und dessen Familie die Hanssons in Urlaub waren) unterhielt, das Monika zu beenden gedachte (sie hat sich mit den Kindern abgeseilt, um in Ruhe zu kontemplieren, was sie will). Ulrik hat – warum auch immer – Fredriks Frau und Kinder getötet und zerstückelt und offenbar später auch Fredrik (alles im Zustand des Schlafwandelns). Als Monika mit den Kindern zurückkommt und sich erklärt, übernimmt seine „dunkle Seite“ im Schlaf erneut die Kontrolle – er fährt zum Ferienhaus, um Fredriks Leiche zu beseitigen. Mittlerweile vermutet aber Saga, dass ihr Vater sich dort umtreibt. Sie wird von Ulrik angegriffen und in einen Brunnenschacht geworfen. In letzter Minute taucht Levin auf…
…und dann erfahren wir, dass – leider – genau zu dem Stilmittel gegriffen wird, das wir von Anfang an befürchtet haben. Beinahe der komplette Film war eine Koma-Fiktion Ulriks, der nach dem Herzinfarkt im Krankenhaus liegt; der Inspektor, der Doktor, ein Mädchen im Nachtzug nach Oslo – alles waren nur Ärzte, Pfleger und Schwestern des Hospitals. Was aber nicht heißt, dass nicht ein paar Sachen aus seiner Koma-Vision nicht doch stimmen… (SUPEREXTREMMEGASPOILER: Das Verhältnis Monika-Fredrik existierte tatsächlich, tja, und Fredrik, den hat er tatsächlich gekillt.)
Das ist natürlich ein verflucht überraschendes Ende, hat man „Jacob’s Ladder“ nie gesehen (oder den kläglichen deutschen Independent-Versuch, einer solchen Thematik beizukommen, Strip Mind) – was bei Adrian Lynes 80er-Schocker noch frisch war, ist aber mittlerweile zu einem ähnlich ärgerlichen Klischee wie das „Sixth Sense“-“Surprise! You’re dead!“-Finish und, ehrlich gesagt, uneleganter antelegraphieren (bzw. nach einem solchen Antelegraphieren noch die Frechheit zu besitzen, das tatsächlich so auszuspielen; zur Steigerung dieses Duh-Faktors trägt bei, dass Runeborg und Brännström, als wir Ulriks Herzanfall schon fast vergessen haben, Levin die Zeile „ich war fünf Jahre Krankenwagenfahrer“ in den Mund legt. Da dies eher selten der Startschuss zu einer kriminalistischen Karriere ist, ist das eine ziemlich schmerzhafte Erinnerung daran, dass die Kreativköppe sich wirklich die unkreativste Lösung vorbehalten), als Runeborg es hier tut, geht kaum; zumal man sich rein von der dramaturgischen Umsetzung schon fragen kann, „wie“ Ulrik die Parts, an denen er nicht beteiligt ist (sprich die komplette polizeiliche Ermittlung) zusammenträumen will. Es ist letztlich doch nur ein recht billiger Cheat, für den ich beinahe einen kompletten Punkt abgezogen hätte.