Siedepunkt 9/11

 
  • Deutscher Titel: Siedepunkt 9/11
  • Original-Titel: 9/11 - The Greatest Lie Ever Sold
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  • Regie: Anthony J. Hilder
  • Land: USA
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Anthony J. Hilder, Lyndon LaRouche, Gary Busey, Will Thomas u.a.


Vorwort

Verschwörungstheorien sind eine feine Sache, vor allem für Verschwörungstheoretiker. Schließlich sind alle Verschwörungstheorien per Definition wahr und unwiderlegbar, denn wenn man einem Verschwörungstheoretiker zu einer seiner speziellen Theorien die Fakten auf den Tisch legt, bekommt man als Antwort voraussichtlich nur ein „ah-HAA, das ist es, was wir glauben SOLLEN!“ auf’s Brot geschmiert. Vom Kennedy-Attentat über die Mondladung zum Prinzessin-Diana-Unfall, nichts ist vor Verschwörungstheoretikern sicher, und, seien wir ehrlich, selbst wenn wir sie nicht ernst nehmen können oder wollen, hin und wieder legen sie ihre Finger durchaus in die ein oder andere Wunde, geben Denkanstösse und, if all else fails, sorgen für Unterhaltungswert.

Keine Frage, dass auch der 11. September 2001 mit seinen Terroranschlägen auf World Trade Center und Pentagon ein Fest für Verschwörungstheoretiker aller Colouer sind – der Staub der eingestürzten Twin Towers hatte sich noch nicht gelegt, da reckten sie bereits ihre Häupter und verkündeten der staunenden Öffentlichkeit, dass nie und nimmer arabische Terroristen, sondern der Mossad (schließlich wurden laut Verschwörungstheoretikern alle Juden, die im WTC arbeiteten, gewarnt, am 11.9. nicht zur Arbeit zu erscheinen – was natürlich Tinnef ist), der CIA, die Illuminaten, alle zusammen usw. usf. hätten die Anschläge organisiert Selbst zumindest mal früher ernstzunehmende Koryphäen wie der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, nach seinem Abschied aus der Politik unter die Vollzeitkonspirationisten gegangen, zweifelt bis heute öffentlich an der gemeinhin als Wahrheit akzeptierten Version der Ereignisse.

Nun ist es nicht so, dass die Attentate vom 11. September nicht einige Fragen aufwerfen würden (z.B. warum die US-Geheimdienste Warnungen befreundeter Dienste ignorierten oder im bürokratischen Dickicht zwischen den verschiedenen Organisationen versumpfen liessen), aber selbst der kaum der Sympathie zu George W. Bush zu verdächtigende Michael Moore beließ es in „Fahrenheit 9-11″ hauptsächlich bei kritischen Fragen zum „aftermath“ der Anschläge und den geschäftlichen Verbindungen des Bush-Clans zu den Saudis und Öl- und Rüstungsfirmen. Nicht so Anthony J. Hilder, gegen dessen politische Agenda Moore, der Vorzeige-Linke der Staaten, wie ein reaktionärer Faschist wirkt. Schon der Originaltitel des Films „9-11 – The Greatest Lie Ever Sold“ macht dem geneigten Zuschauer klar, woher und wohin der Hase läuft.


Inhalt

Hilder postuliert die These, dass die Anschläge ein „inside job“ waren, geplant und ausgeführt von den amerikanischen Geheimdiensten im Auftrag der Bush-Administration, um im erhofften Aufschrei nach Sicherheit und Terrobekämpfung unauffällig den lange vorbereiteten „patriot act“ und das Ministerium für „Homeland Security“ durchpeitschen und so mittelfristig den Aufbau eines totalitären Polizei- und Überwachungsstaates einleiten zu können. Schamlos zieht er Parallelen zwischen Bush und Hitler, vergleicht das Heimatschutzministerium mit der SS (und erweist sich damit schon als Torfkopf, wenn, müsste er es mit der Gestapo vergleichen. Amis…)

Eines der Lieblingspuzzleteile der 9/11-Verschwörungstheoretiker, dem demzufolge auch Hilder breiten Raum gibt, ist der hierzulande wenig bekannte Einsturz des Gebäudes WTC 7, einen Block von den Twin Towers entfernt, am späten Nachmittag des 11. Septembers, Stunden nach seiner Evakuierung. Sowohl Internet-Hobby-Konspirationisten wie auch Hilder verweisen darauf, dass das Gebäude dem vorliegenden Bildmaterial nach „kontrolliert gesprengt“ wurde, vermutlich, um Beweise zu vertuschen, da die CIA im WTC 7 großflächig Räumlichkeiten gemietet und ihr Rechenzentrum für den Bundesstaat New York untergebracht hatte. Nach Verschwörungs-Logik ist das eindeutig – wenn’s irgendwo Beweise für eine CIA-Mitwirkung am Attentat gegeben hätte, dann dort, also mussten diese Beweise verschwinden… Auch bei den Twin Towers selbst geht Hilder von einer Sprengung im Inneren der Türme aus und versucht dies anhand von Filmmaterial zu dokumentieren. Wie üblich wird die Identität der Attentäter angezweifelt – ohne einen Funken beweiskräftiger Aussagen wird behauptet, sieben der identifizierten Attentäter würden sich noch bester Gesundheit erfreuen, ein weiterer sei schon 2000 gestorben, und überhaupt hätten die Araber nie im Leben ein Flugzeug steuern können, weil sie dafür als Kameltreiber schlicht und ergreifend zu blöde waren (dass Mohammed Atta z.B. lange Jahre in Hamburg lebte und studierte und Kamele höchstens in Hagenbecks Tierpark gesehen hat, KÖNNTE man wissen, wenn man länger als zwei Sekunden recherchiert) – Grundlage hierfür ist nichts als ein laxes Zitat eines Fluglehrers, wonach sich einer der Attentäter in der Flugschule dämlich angestellt habe (Mr. Hilder – die Attentäter brauchten VIER Piloten und waren 19 Mann. Es war also überhaupt nicht nötig, dass jeder der Terroristen ein Flugzeug steuern konnte und, wie jeder MS-Flugsimulator-Spieler, im Gegensatz zu dem herangezogenen „Experten“ Will Thomas, bestätigen kann, das Steuern einer Maschine im Flug ist kein Kunststück. Start und Landung sind schwierig, nicht der Teil dazwischen). Lustig ist dann schon wieder, dass Hilder keine zwanzig Minuten später behauptet, die Araber wären viel zu intelligent, um sich mit den Vereinigten Staaten anzulegen (also was nu? Hirnlose Kamelhirten oder Schlaubi-Schlümpfe?). Auch der gute alte gefaltete 20-Dollar-Schein (der die „brennenden Twin Towers“ zeigt) muss herhalten. Gähn.

Selbstredend muss ein Verschwörungstheoretiker keine Beweise vorlegen. Es reicht völlig, wenn er sagt „es ist so, und das ist der Beweis“. Seine Interviewpartner sucht Hilder sorgfältig aus, dass sie in sein Denkschema passen. Diejenigen, die namentlich identifizierbar sind, sind ebenfalls Verschwörungstheoretiker und/oder Autoren, die ihre teils selbstpublizierten Pamphlete (mit hanebüchenen Theorien, wobei das Highlight sicherlich ist, dass Bush und seine Bande den Luzifer anbeten und eine tausendjährige Herrschaft des Teufels vorbereiten würden) promoten möchten, oft genug fragt man sich, WER die interviewten Figuren überhaupt sind, weil sie ohne jegliche Vorstellung auf den Schirm geklatscht werden (z.B. eine „Erika“ in London. Wer ist die? Was macht die? Was hat die mit der Sache zu tun? Ist das einfach nur eine x-beliebige Passantin, die Hilder in einem Pub aufgegabelt hat und der er seinen Nonsens für bare Münze verkauft). Natürlich bemüht sich Hilder in Gesprächen mit Leuten, die nicht hunderprozentig seine Meinung vertreten, um manipulative Fragestellung: „Wenn es so wäre, wie ich es sage, würde das nicht bedeuten, dass?“ Was will ein armer Interviewter auf so eine Frage schon antworten… Spaß für Filmfreunde bringen die über den Film verteilten Auftritte niemand geringeres als Gary Busey (der auch den Türken-Propagandaschinken „Tal der Wölfe“ zierte), der – ziemlich derangiert wirkend – allerhand Schwachfug, der Hilder einigermaßen in den Kram passt (ob Buseys Monologe gescripted sind oder tatsächlich auf seinem eigenen Mist gewachsen sind, ist auch schon egal. Traurig genug, wenn mal als prominentesten Verfechter seiner Ansichten gerade mal einen abgehalfterten B-Film-„Star“ vor die Kamera zerren kann).

Überraschenderweise knapp geht Hilder auf den Einschlag im Pentagon und das vierte entführte Flugzeug, den in Pennsylvania abgestürzten Flight 93, ein. Bezüglich des Pentagon bestreitet Hilder, im Gegensatz zu den meisten seiner Verschwörungs-Kollegen (und sogar des Zusatzmaterials auf der DVD) nicht den Einschlag eines Flugzeugs, sondern behauptet, die Maschine wäre vom Boden, genauer gesagt von der Luftverteidigungszentrale NORAD aus, ferngesteuert worden.

Verantwortlich sind, laut Hilder und seinen zweifelhaften Geistesbrüdern, eine ominöse „Bruderschaft des Todes“, bestehend aus Bush, Cheney, Rumsfeld, Ashcroft, Wolfowitz und Konsorten, hervorgegangen aus einem Yale’schen Studentenbund namens „Skulls’n’Bones“ mit Verbindungen zu Illuminaten und Freimaurern, im Bestreben, einen Polizeistaat zu errichten und von diesem aus die Reduzierung der Weltbevölkerung um grob 4/5 zu erreichen (und dass das verbleibende Fünftel nach Möglichkeit weiß ist, können wir voraussetzen). Wie schon gesagt – Fakten auf den Tisch zu legen legt Hilder fern (einer „Beweisführung“ nähert er sich am ehesten, wenn er zum Beleg seiner Thesen ein paar Zeitungsausschnitte vorlegt, die völlig aus dem Kontext gerissen natürlich auch keinerlei Verifizierbarkeit unterliegen) Er behauptet – er interpretiert nicht mal irgendwelche Dokumente, die er uns zeigen könnte, sondern lässt einfach völlig unkritisch jeden Schwachsinnigen, der eine depperte Anti-Bush-These zu bieten hat, seinen Schmarrn absondern und nickt dazu begeistert Beifall. Wenn ich’s nicht besser wüsste, ich würde „Siedepunkt 9/11″ gern für ein Mockumentary a la „This is Spinal Tap“ und eine überzogene Michael-Moore-Parodie halten, aber es steht ernstlich zu befürchten, dass Anthony J. Hilder seinen Kram ernst meint. Bekanntlich stehe ich der Bush-Administration ausgesprochen kritisch gegenüber, aber Filme wie „Siedepunkt 9/11″ mit ihren völlig unreflektierten hanebüchenen, unsauber oder gar nicht recherchierten Abseitigkeiten stellen den ernsthaften Anti-Bush-Aktivisten nur ein Bein.

Was für ein Geselle Hilder ist, offenbart sich, wenn man fünf Minuten Google- oder Wikipedia-Recherche betreibt und sich vor Augen hält, wen er da alles zu Wort kommen lässt. Exemplarisch sei Lyndon LaRouche genannt, der von manchen Kommentatoren „Kultanführer“ genannt wird und im Laufe seiner sort-of-politischen Laufzeit von Marxismus, Trotzkismus bis hin zu Sozio-Faschismus so ziemlich jede Spielart durch hat, mit seiner Ehefrau Helga Zapp das umstrittene „Schiller-Institut“ als Kaderschule aufgebaut hat (man spricht von gehirnwäscheähnlichen Praktiken, die dort betrieben werden), verurteilter Betrüger und ewiger Präsidentschaftskandidat ist (2000 erzielte er in den Vorwahlen der Demokraten überraschende Achtungserfolge gegen Al Gore).

Filmisch versucht Hilder, der mit 25 Minuten vermutlich einen neuen Weltrekord für die längste Pre-Titel-Sequenz aufstellt, den Michael-Moore-Stil mit geringstem Aufwand zu kopieren, mischt Dokumentar- und Archivaufnahmen mit Interviewsegmenten und Bildmanipulationen. Da werden dann schon Bush-Reden mit anderen Texten unterlegt, Bush-(der übrigens konsequent von Hilder „Osama Bin Bush“ genannt wird)-TV-Auftritte im Stile alter Nazi-Wochenschauen dargeboten usw. Alles primitiver und weniger wirkungsvoller, da leicht als Manipulation durchschaubar. Überdies geht die Gleichstellung von Bush-Clan und Nazi-Herrschaft mit inflationärem Gebrauch von NS-Symbolik nach einer Weile schwer auf den Wecker.

Bildqualität: Marketing-Film legt den Film im 4:3-Format vor. Die Bildqualität ist schwankend, was nicht verwundert, da der Streifen aus einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen zusammengeschustert wurde, von schlecht mitgeschnittenen Videoaufnahmen, abgefilmten Websites, künstlich verschlechtertem Archivmaterial, Vergrößerungen, etc., alles ist dabei. Da darf man natürlich keine Beamer-Qualität erwarten und hält sich mit detaillierten Analysen zurück. Man kann’s anschauen. Die neugedrehten Interview-Sequenzen kommen in passablem Videolook daher.

Tonqualität: Es liegen der US-Originalton sowie eine deutsch übersprochene (leider mit zu wenigen Sprechern, da kann man nicht immer unterscheiden, „wer“ eigentlich gerade spricht) Fassung, jeweils in Dolby 2.0 vor. Der englische Ton ist schwankend in der Lautstärke und aufgrund offenbar unzureichenden Equipments gerne mal von störenden Nebengeräuschen überlagert, der deutsche Ton ist klar verständlich und rauschfrei.

Extras: Neben dem Trailer legt Marketing drei Bildergalerien bei. Eine widmet sich dem Einschlag im Pentagon (und greift dabei, wie erwähnt, Verschwörungstheorien auf, die der Film überhaupt nicht anspricht), eine den Twin Towers und die letzte in Textform den Anschlägen vorhergehende Verdachtsmomente gegen die US-Regierung aufzählt.

Fazit: Für ernsthaft an den Terroranschlägen des 11. September interessierte Dokuzuschauer ist „Siedepunkt 9/11″ natürlich nichts, die sollten sich dann doch lieber an den ebenfalls voreingenommenen, aber wenigstens ehrlichen und ernsthaften „Fahrenheit 9/11″ halten (auch wenn der Streifen nicht Moores beste Arbeit ist). „Siedepunkt 9/11″ ist eine derart hirnrissige Aneinanderreihung abstrusester und in keinster Wiese belegter Idiotien (spätestens, wenn Hilder und ein Interviewpartner die Teufelsanbetungen Bushs ernsthaft diskutieren, schaltet sich ein Gehirn eh auf Durchzug), wie sie ihresgleichen sucht. Alles, was der Film vielleicht wirklich an validen Punkten machen könnte (lag der Patriot Act tatsächlich schon vor dem 11.9. in der Schublade? Wieso versagten die Geheimdienste? Nutzt die Bush-Regierung das Klima der Angst bewusst für ihre Zwecke?), geht in dem heillosen Kuddelmuddel wirrer Dummheiten unter. Selbst für „a jolly good laugh“, den man auf Kosten von Verschwörungstheoretikern gerne mal machen hat, taugt „Siedepunkt 9/11″ kaum – dafür ist der Streifen mit 126 Minuten viel zu lang, zu redundant, zu repetetiv. Ich würde den Film ja fast schon unter der Kategorie „gefährlicher Hetzfilm“ einstufen, aber das bringe ich nicht ganz über’s Herz, und sei’s wegen Gary Buseys charmant-besoffenen Auftritten (sollte man als „Single“ auskoppeln). Nicht ganz ohne Kuriositätenwert, aber auch ohne jeglichen darüber hinausgehenden Wert…

1/5
(c) 2008 Dr. Acula


mm
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