- Deutscher Titel: Sieben Tage Frist
- Original-Titel: Sieben Tage Frist
- Alternative Titel: School of Fear |
- Regie: Alfred Vohrer
- Land: BR Deutschland
- Jahr: 1969
- Darsteller:
Joachim Fuchsberger (Hendriks), Konrad Georg (Fromm), Horst Tappert (Klewenow), Karin Hübner (Frau Muhl), Petra Schürmann (Fräulein Gabert), Hilde Brand (Lonny), Bruno Dallansky (Herr Muhl), Paul Albert Krumm (Stallmann), Robert Meyn (Direktor), Otto Stern (Kurrat senior), Wolfgang Stumpf (Fremder), Frithjof Vierock (Sickelcka), Arthur Bichelmann (Kurrat junior), Günter Beth (Hensen)
Vorwort
Ein Elite-Internat an der Nordseeküste – Kurrat ist der anerkannte Chef unter den Schülern, und nicht mal ein vom Direktor auf sein Zimmer verlegter Aufpasser (Genschke) kann verhindern, dass Kurrat und seine speziellen Spezl des Nächstens nach Belieben ein- und ausgehen und gar fröhliche „Herrenabende“ in der offiziell um die Uhrzeit geschlossenen Kneipe der freizügigen Lonny verbringen. Zumindest bei Oberstudienrat Fromm ist das Treiben der Kurrat-Gang ein offenes Geheimnis, im Gegensatz zu seinem jung-progressiven Kollegen Henricks, der zwar durchaus dafür ist, den jungen Burschen nicht NUR preußische Tugenden zu vermitteln, aber andererseits Kurrats Treiben nicht gutheißen mag.
Nun, Fromm findet rasch auch einen Grund, mit Kurrat aneinanderzugeraten (der Grund hat vier Beine, kackt auf den Bürgersteig und ist Fromms Köter) und ihm ein paar ausnahmsweise mal unverdiente Ohrfeigen zu verpassen. Erstaunlich genug für 1969 – es ist ein Vorfall, der den Lehrkörper und Kurrat senior nicht glücklich stimmt. Fromm gibt unter kollegialem Druck zu, möglicherweise vielleicht ein klein bisschen überreagiert zu haben, aber seinem freundschaftlichen „schwamm-drüber“-Vorschlag scheint Vater Kurrat nicht uneingeschränkt positiv gegenüber zu stehen.
Wenig später verschwindet Kurrat junior spurlos – Fromm überredet den Direx, die Einschaltung von Ordnungshütern einstweilen zurückzustellen, vielleicht ist doch nur alles ein dummer Streich. Allerdings gibt einer von Kurrats Gewährsschülern zu Protokoll, dass der Abgängige sich kurz zuvor mit Fromm an der Schleuse getroffen habe. Henricks reicht das zumindest mal, um Fromm grundsätzlich für verdächtig zu halten. Mittels von Kurrat jr. angefertigter Tonbandaufnahmen kommen die nächtlichen Eskapaden ans Licht – und ein übles Gerücht, wonach Lehrer Stallmann ein etwas ZU intimes Interesse an jungen Knabenkörpern entwickle. Stallmann pumpt sich mit Beruhigungstabletten voll und ist so kaum aussagefähig, als Henricks und Fromm ihn zur Rede stellen – aber immerhin kommt bei dem Gespräch heraus, dass Kurrat bei Stallmann war, NACHDEM er mit Fromm an der Schleuse war.
Uneingeladen platzt nun doch die Polizei ins Internat – Klewenow, der Inspektor, sucht eigentlich Kurrat senior, denn auch der hat sich ohne Andeutung einer Spur verkrümelt. Die Leiche, die wenig später angeschwemmt wird, ist aber keine der Kurrats, sondern Stallmann! Nicht, wie vielleicht zu erwarten, geselbstmordet, sondern von fremder Meuchelmörder Hand erschossen.
Bei Stallmanns Beisetzung erspäht Henricks Kurrat junior im Hintergrund herumlungernd – Klewenow und dem Lehrer gelingt es, den Ausreißer dingfest zu machen, der sein Bedauern über Stallmanns Tod äußert, ansonsten aber erst mal Auster spielt. Nur seinen Kumpels vertraut er an, dass am nächsten Mittag eine Bombe platzen wird.
Die Bombe platzt auch – doch es ist davon auszugehen, dass Kurrat nicht meinte, dass er selbst tot aus der Dusche gezogen wird…
Inhalt
Wenn man sich den deutschen Kriminalfilm der Spät-60er/Früh-70er vor Augen führt, denkt man einerseits an die letzten Ausläufer der Wallace-Reihe, bevor die Italiener sie zu Grabe trugen, und die vergleichsweise räudigeren St.Pauli-Kolportagereißer. Mit „Sieben Tage Frist“ ruft sich via Filmjuwelen nun ein Film in Erinnerung zurück, der weder mit der einen noch der anderen Formel wirklich was am Hut hat, sondern sich trotz der Beteiligung vieler üblicher Verdächtiger (Blacky Fuchsberger und Horst Tappert ermitteln, Alfred Vohrer führt Regie und Luggi Waldleitner produziert den ganzen Krempel) wohltuend vom damaligen Mainstream abhebt und vielleicht, hätte man den Roman von Paul Henricks ein paar Jahre später verfilmt, gut in die experimentiellere „Tatort“-Phase der 70er gepasst, wo nicht zwingend der Kommissar im Mittelpunkt stehen musste.
„Sieben Tage Frist“ (ein Titel, der sich erst mit der Auflösung erklärt) scheint zunächst ein eher psychodramatisch orientierter Blick in den Mikrokosmos eines Jungen-Internats zu sein, in dem Lehrkörper und Schüler sich weder unter- noch gegeneinander grün sind und mit dem Hausmeisterehepaar Muhl noch eine dritte „Partei“ im Spiel ist, deren Loyalität zur einen oder anderen Seite weit auseinandermäandern kann, ein Szenario nicht völlig unähnlich dem im nicht sehr bekannten, dafür aber unterschätzten Richard-Burton-Film „Absolution“ (aus der Feder von „Wicker Man“-Autor Anthony Shaffer). Misstrauen und Machtspiele prägen auf jeder „hierarchischen“ Ebene die Atmospäre im Haus und über allem schwebt die ständige Furcht vor einem „Skandal“, der die Reputation der Lehranstalt beschädigen könnte. Bevölkert von einem Rudel Halbstarker, die gerade dabei sind herauszufinden, was es mit diesem ominösen „Sex“ und dem anderen Geschlecht so auf sich hat, ist das eine Gemengelage, zu deren Explosion es nur einen nichtigen Anlass braucht, und den bietet dann eben Fromms Watschenbaum.
Doch das ist nur das set-up, der Film schwenkt nach dem Besuch von Kurrats Vater und dem Verschwinden des Sohnes in eine andere Richtung und wir ahnen – nein, das wird sich hier nicht nur alles auf der psychologischen Ebene abspielen, hier wird auch noch echte Gewalt passieren. Und das tut sie dann, wenn auch wieder völlig anders als man denkt, wenn als erste Leiche nicht, wie man glauben könnte, der junge Kurrat, sondern Stallmann angeboten wird. Haben nun dessen vermeintliche Schwulitäten etwas mit der ganzen Affäre zu tun? Ist er nur ein Zufallsopfer? Oder wusste er zuviel?
Geschickt lässt das Script dem Zuschauer am langen Faden zappeln, erlaubt ihm keinerlei Wissensvorsprung vor den Charakteren, sondern baut lieber immer neue Verwerfungen auf, die alle Verdächtigungen, die man bislang aufgestellt hat, in neuem Licht erscheinen lassen. Was soll man mit der Information anfangen, dass Henricks ein Verhältnis mit der Lehrerin Fräulein Gabert hat? Oder hat doch der kleine Spitzel Genschke ’ne Meise unterm Pony behütet?
Vohrer nutzt für das Genre und die Zeit vergleichsweise ungewöhnliche Mittel – es gibt viel Handkameraeinsatz, bedeutungsvolle Zooms und eine geradezu herausragende „Verhörsequenz“, in der Horst Tappert als Klewenow die Schüler auseinandernimmt; der Kontrast zwischen dem beinahe intimen Stil der Innenaufnahmen und den weiten Exteriors des zugefrorenen Wattenmeers verfehlt seine Wirkung ebensowenig wie der ausgesprochen zurückhaltend eingesetzte Score (so zurückhalten, dass ich mich nach dem Film ernsthaft fragte, ob er überhaupt musikalische Untermalung hatte) – ich hab das schon öfter gesagt, aber die Erkenntnis, dass auch und gerade die *Abwesenheit* von Musik Stimmungen erzeugen kann, ist weitgehend in Vergessenheit geraten, und „Sieben Tage Frist“ ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie gut es funktionieren kann, in elementar wichtigen und wuchtigen Sequenzen einfach mal Stille sprechen zu lassen.
Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg gut. Blacky Fuchsberger kennen wir als Lehrer ja aus dem „Fliegenden Klassenzimmer“, hier sehen wir, einige Jahre älter, quasi eine „seriöse“ Version von Justus – einen Lehrer, der seinen Schülern Verständnis entgegenbringt, aber auch will, dass sie was lernen und deswegen auch Disziplin verlangt. Horst Tappert ist grandios als ständig zigarrequalmender (und Zigarrenstummel ausspuckender) Inspektor, und Konrad Georg, zumeist als Polizist oder ähnliche Autoritätsfigur unterwegs (u.a. in der frühen Krimiserie „Kommissar Freytag“), ist bedrückend zurückgenommen-intensiv (wenn verständlich wird, worauf ich hinauswill), als Blackys primärer Antagonist. Neben Karin Hübner („Der Mann mit dem Glasauge“) vertritt Ex-Miss World Petra Schürmann kompetent die Damenwelt und unter den Schülern verbirgt sich so manches bekannte oder zumindest semi-prominente Fernsehgesicht der 70er und 80er.
Filmjuwelens DVD ist nicht optimal – der Print ist doch schon etwas angeschrammelt und könnte eine Ecke Kontrast mehr vertragen, die Extras sind wieder knapp (zwei kurze Berichte über die Premiere und die Einreichung beim Filmfestival von Moskau), das Booklet zwar vorgeblich umfangreich, aber nicht viel mehr als eine Credit-Auflistung aller Beteiligten (ich will nicht angeben, aber ich glaube, so einen Booklet-Text stelle ich in 20 Minuten zusammen).
Der Film allerdings ist ausgezeichnet – eine mehr als respektable Kombination von Psychodrama, Thriller und Krimi mit einem wirklich gelungenen, überraschenden Schlussakt (den ich deswegen auch nicht gespoilert habe…). Sollte man gesehen haben!
4/5
(c) 2017 Dr. Acula
Review verfasst am: 02.04.2017