Shin Godzilla

 
  • Deutscher Titel: Shin Godzilla
  • Original-Titel: Shin Gojira
  • Alternative Titel: Godzilla Resurgance |
  • Regie: Hideaki Anno, Shinji Higuchi
  • Land: Japan
  • Jahr: 2016
  • Darsteller:

    Hiroki Hasegawa (Yaguchi), Yutaka Takenouchi (Akasaka), Satomi Ishihara (Kayoko Anne Patterson), Ren Osugi (Premierminister Okochi), Akira Emoto (Azuma), Kengo Kora (Shimura), Mikako Ichikawa (Ogashira), Jun Kunimura (Zaizen), Pierre Taki (Saigo), Kyusaku Shimada (Katayama)


Vorwort

Die Küstenwache ist gerade dabei, in der Bucht von Tokio ein führerloses Freizeitboot aufzubringen, als *etwas* passiert. Eine riesige Wasserdampfwolke drängt an die Wasseroberfläche, das Wasser verfärbt sich rot, eine Druckwelle droht Tunnel und Brücken zum Einsturz zu bringen.

Die Regierung trifft sich sofort zur Krisenbesprechung – die wichtigen Fragen: was ist passiert, was muss getan werden und, vor allem, wer ist zuständig und muss notfalls den Kopf hinhalten? Man ist gewillt, sich auf „unterseeische Vulkaneruption“ oder anderweitiges „geothermisches Ereignis“ zu einigen, auch wenn Yaguchi, stellvertretender Kabinettschef, dickschädliger junger Karriere-Politiker, dabei aber mit korrekt angeschraubter Denkmurmel, die Möglichkeit „riesiges Lebewesen“ ins Spiel bringt. Diese als wahnwitzig verworfene These erhält neue Nahrung, als die ersten Handyvideos im Internet auftauchen und einen gigantischen Tierschwanz zu zeigen scheinen. Eine rasch einberufene Expertenkommission stellt nach Sichtung des Materials fest, nichts zu wissen.
Das Tier schwimmt über einen kanalisierten Fluss in Richtung Innenstadt, dabei allerlei Schaden an Brücken und Infrastruktur anrichtend. Aber als riesiges Wasserlebewesen wird es ja wohl nicht an Land gehen könne, oder? ODER?? Natürlich ODER! Das Wesen kriecht an Land und richtet massive Schäden an, doch der zaudrige Premierminister kann sich nicht zu wirksamen Gegenmaßnahmen durchringen. Vor den Augen der verblüfften Öffentlichkeit mutiert das Vieh spontan vom Amphibium in eine eher reptiloide Form und haut danach ab zurück ins Meer.

Die Schäden sind enorm – und die Aussicht, dass das Biest in absehbarer Zeit wieder einen Landgang unternimmt, hoch. Yaguchi wird mit der Gründung einer Spezialabteilung beauftragt, die anhand des spärlichen Datenmaterials ergründen soll, was das Ding ist und wie man es bekämpfen kann. Yoguchi engagiert jeden freilaufenden Nerd, Spinner, Outsider-Wissenschaftler und sonstigen out-of-the-box-Thinker. Es wird festgestellt, dass die Gegenden, in denen das Tier sich umtrieb, schwach radioaktiv verstrahlt sind. Die bange Frage – bei den riesigen Energiemengen, die ein Koloss dieser Art braucht, hat es vielleicht eine Art internen Kernreaktor?

Unerwartete Unterstützung kommt aus den USA – auch hier gibt’s eine junge Karrieristin, Kayuka Patterson, die Yaguchi Informationen zuspielt. Das Boot, das zu Filmbeginn in der Bucht dümpelte, gehörte dem entehrten und nach Amerika geflohenen Wissenschaftler Maki, der offensichtlich die Existenz eines solchen Wesens, das er „Godzilla“ getauft hat, als Resultat der gedankenlosen Verklappung nuklearer Abfälle im Ozean, vorausgesehen hat. Aus einem komplexen Diagramm von Molekularstrukturen, das Maki auf seinem Boot zurückgelassen hat, wird aber niemand schlau. Yaguchi und seine Getreuen entwickeln einen Plan, die Körpertemperatur des Godzilla soweit herunterzufahren, dass er praktisch eingefroren wird, aber aufgrund der komplexen DNA-Struktur des Monsters ist die Entwicklung des passenden Präparats schwierig.

Zudem kehrt Godzilla – nunmehr als seiner selbst erkennbar – zurück nach Tokio, um dort größere städtebauliche Maßnahmen umzusetzen. Der Premier erlaubt endlich den Einsatz des Militärs, aber alles, was die japanischen Streitkräfte auf Godzilla werfen, juckt den wenig, und als die Amerikaner mit bunkerbrechenden Bomben aus ihren B2s nachhelfen, wird Godzilla allenfalls RICHTIG stinksauer. Für Yaguchi, der in der Regierungshierarchie dieweil unaufhaltsam aufsteigt, und sein Team beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, ihren Plan zu verwirklichen, bevor der Rest der Rest der Welt darauf besteht, dem Monster Atombomben auf den Kopf zu werfen…


Inhalt

Emmerich hin, Edwards her – das wahre Godzilla-Feeling stellt sich für einen Fan der größten Echse der Welt doch nur bei einem original-japanischen Serienbeitrag ein. Und als Toho zu allgemeiner Überraschung vor zwei Jahren ungefähr verkündete, trotz des finanziellen Erfolgs und der allgemein recht wohlwollenden Reaktionen auf den Edwards-„Godzilla“ wieder selbst ins Geschäft einsteigen zu wollen, war die Freude dementsprechend groß – zumal Toho wissen ließ, dass man (wieder einmal) Godzilla in Ishiro Hondas Sinne zu nichts anderem als einer gewaltigen, nahezu unaufhaltsamen Bedrohung machen wollte. Ich mag nun eine juxige Monsterbalgerei wie „Godzilla vs. Gigan“ wie der nächste Giant-Monster-Fan, aber ich habe auch ein großes Herz für „Return of Godzilla“ (aka „Godzilla ’84“), mit dem Toho schon einmal die Uhr zurückstellen wollte (und der zudem der bislang einzige Godzilla-Film war, den ich im Kino gesehen habe), und war gespannt, mit dem Caveat, dass Toho auch ankündigte, sein Monster auch technisch auf den Stand der Zeit zu bringen, den Gummianzug einzumotten und voll auf CGI zu setzen.

Nun, nach dem Special-Event-Screening, das von Splendid Film organisiert wurde, kann ich mich beruhigt zurücklehnen und verkünden: „Ja, Toho hat GELIEFERT.“ „Shin Godzilla“ ist alles, was ein Monsterfilm im 21. Jahrhundert sein sollte and then some.

Zunächst fällt auf, insbesondere, wenn man den Film wie ich im Double Feature mit Hondas Original gesehen hat, wie sehr sich „Shin Godzilla“ tonal am Original orientiert. Das ist nicht juvenile fun, dass ist knallharte Kriegsberichtserstattung im semi-dokumentarischen Stil (mit der Folge, dass „Shin Godzilla“ ein Film ist, der Insert-Allergiker innerhalb von drei Minuten ins Koma befördern wird. Wer Einblendungen von Namen, Örtlichkeiten, Fahrzeugen, Funktionen etc. nicht mag, sollte den Streifen weiträumigst meiden). Human interest-Gedöns? Fehlanzeige. Wo selbst Honda sich noch soweit den Konventionen ergeben musste und ein Dreiecks-Liebesverhältnis zwischen damals Ogata, Emiko und Serizawa einbaute, sind die Regisseure Shinji Higuchi („Attack on Titan“) und Hideaki Anno („Neon Genesis Evangelion“, auch Drehbuchautor) konsequenter. Wer nicht direkt etwas mit Godzilla und der durch ihn ausgelösten Bedrohung zu tun hat, der findet nicht statt. Es geht hier um eine realistische Herangehensweise an ein Phänomen wie einen marodierenden Godzilla – das ist nicht die Zeit für Liebesschwüre oder zur Selbstfindung, es ist die Zeit herauszufinden, wie man einem 120 Meter hohen Monster, dass mit radioaktiven Strahlen Wolkenkratzer zersägen kann, Herr wird.

Demzufolge ist „Shin Godzilla“, soweit es um Godzilla und seine Angriffe geht, todernst – zwar ist die Feststellung interessant, dass Honda 1954, was die Darstellung des „carnage“, des Verlusts an Menschenleben, angeht, drastischer vorging (wobei nun auch Honda näher dran am realen Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der Bombe war), aber auch „Shin Godzilla“ lässt (u.a. mit dem Mittel der Audio-Montage und Streifzügen durch die verwüsteten Staddteile – was nicht von ungefähr an die Bilder des Tsunami erinnert, der vor einigen Jahren zum Atomunfall in Fukushima führte – war „Godzilla“ eine Metapher für Hiroshima, ist „Shin Godzilla“ fraglos eine solche für Fukushima) nicht vergessen, welche Opfer Godzillas Rampage durch Downtown Tokio fordert – und auch, welche volkswirtschaftlichen Schäden und Spätfolgen eine Katastrophe dieses Ausmaßes nach sich zieht. Was uns zum überraschenden Punkt in „Shin Godzilla“s Herangehensweise bringt.

Die One-Sentence-Charakterisierung des Films wäre nämlich tatsächlich „Godzilla meets House of Cards“ – auch wenn sich das erst mal komisch liest, es trifft die Sache ziemlich gut, denn „Shin Godzilla“ ist mindestens soviel exzellenter Monsterfilm wie gallige Polit-Satire. Die Politik ist seit Heisei-Zeiten zumindest immer ein Randgebiet der Serie gewesen, hier aber kleben wir an den politischen Entscheidungs- und Bedenkenträgern – wir erleben das Zauseln und Zaudern des Premierminister, das Hin- und Herschieben von Zuständig- und Verantwortlichkeiten, das irrwitzige Festhalten an Prozederes und Protokollen (so muss der Krisenstab öfter mal zwischen Büro des Premiers und Kabinettssitzungssaal umziehen, weil das Protokoll das eben so verlangt), das Verzweifeln ohne Präzedenzfälle, das Taktieren der Karrieristen, aus der Katastrophe persönliches Aufstiegs-Kapital schlagen zu können, um vielleicht beim Wiederaufbau einen einflussreichen Posten belegen zu können – das ist die innenpolitische Ebene, aber auch die Außenpolitik bleibt nicht außen vor. Wie reagiert die internationale Gemeinschaft auf eine Bedrohung wie Godzilla? Überlässt man es Japan, mit der Lage umzugehen? Entzieht man dem Land lieber Teile der Souveränität? Wie kann Japan im Angesicht der Katastrophe seine No-Nukes-Doktrin verteidigen? Ist Godzilla ein Kandidat für den Bündnisfall? Und, ganz generell eine unangenehme Frage, stößt die Staatsform der Demokratie im Angesicht einer solchen Bedrohung, vielleicht an ihre natürlichen Grenzen?

Wie schon gelegentlich in der Serie seit dem Heisei-Neustart schwingt eine gewisse Prise Anti-Amerikanismus mit, die aber vergleichsweise pragmatisch gehandhabt wird – man will sich verständlicherweise von den Yankees nicht vorschreiben lassen, wie man mit der Situation umgeht, kann sie aber auch nicht außen vor lassen, weil, wie sich im Filmverlauf herausstellt, Godzilla durchaus auch ein amerikanisches Problem ist, und betrachtet sie als das kleinere Übel im Vergleich zu Russen oder Chinesen, die ganz andere Partikularinteressen haben als der Ami. Passend zur auch in Japan herrschenden Stimmungslage versucht „Shin Godzilla“ auch ein positives Nationalgefühl herauszuarbeiten, das nicht unbedingt auf Vormachtstellung hinaus will, aber auf Selbständigkeit, die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und das Hintanstellen persönlicher Interessen gegenüber den Interessen von Volk und Nation.

Dieser Fokus auf den politischen Umgang mit einem Problem wie Godzilla sorgt in der Tat für zynischen Humor, der, ist man für diese Art Witz empfänglich, die ernste Stimmung gekonnt und mit Widerhakten versehen auflockert.

Verlassen wir mal die politische Ebene und wenden uns der Monsterebene zu. Hier ist erst mal festzustellen, dass „Shin Godzilla“ ein kompletter Reboot des Franchise ist. War bislang gelebter status quo, dass alle Godzilla-Sequels aus der Toho-Werkstatt zumindest den 54er-Honda als kanonisch betrachteten, haben wir es hier mit einer völlig neuen Origin-Story zu tun und demzufolge auch einem neuen Godzilla mit neuen Fähigkeiten – vor allem mit einem Godzilla, der spontan neue Evolutionsstufen erklimmen kann (einer der Outsider-Wissenschaftler in Yoguchis Team versteigt sich zu der Theorie, dass Godzilla schlechterdings unkaputtbar und unsterblich ist, weil er, anstatt evolutionäre Fortschritte quasi zu vererben, diese an sich selbst durchführt und eine Vermehrung praktisch nicht mehr nötig hat. Er liegt falsch, aber es ist ein interessanter Gedanke). Das, was ursprünglich aus dem Wasser kraucht, hat mit unserem altbekannten Godzilla nicht viel Ähnlichkeit und sieht, zugegeben, auf den ersten Blick auch albern und wie ein übriggebliebendes spätes Showa-Monster aus, bis wir uns daran erinnern, dass wir mittlerweile einiges neues über Dinosaurier und andere ausgestorbene Lebensformen wissen und daher auch erfahren haben, *dass* diese Tiere für unsere Begriffe ziemlich albern ausgesehen haben (und es natürlich auch heute noch Amphibien und Reptilien gibt, die recht lustig aussehen). Drei Evolutionssprünge weiter haben wir dann den neuen „klassischen“ Godzilla, mean spirited, there to kick ass and chew bubble gum and all out of gum – and, of course, wie seine vorigen Evolutionsmodelle, all CG (per motion capture). Und verdammt noch mal, Toho muss sich in dem Department nicht mehr hinter Hollywood verstecken (sofern man dem auf Japanisch gehaltenen Nachspann entnehmen kann, war hier auch ein solides Dutzend VFX-Studios am Werke). Nicht nur Godzilla sieht famos aus, auch die CG-Zerstörungssequenzen, die nicht mehr die geringste Erinnerung an die auch in den ernst gemeinten Toho-Godzillas of yore immer durchschaubaren Modelltricks zulassen – wenn jetzt Autos fliegen, Schiffe durch enge Kanäle geschoben werden, Züge durch die Luft wirbeln und Wolkenkratzer tranchiert werden, kann ein Emmerich nicht mehr überheblich lachen.

Natürlich kann der neue Godzilla auch mehr als nur von einer Erscheinungsform in eine andere mutieren – neben dem bewährten Killer-Atem schießt er Strahlen aus seinem Rücken-Kamm und sogar der Schwanzspitze, aber – und auch hier hebt der Realismus mal wieder sein Haupt – das kostet auch ihn Energie und so kann „Shin Godzilla“ es sich erlauben, sein Monster über fast den kompletten dritten Akt dormant zu halten (weil er eben „aufladen“ muss als wär er ein iPhone) und die Spannung über die Frage, ob die multinationale Allianz jetzt Tokio mit Kernwaffen plätten wird oder doch noch Yaguchis Plan zum Zuge kommt, halten (das heißt, dass die spektakulärste Monstersequenz vergleichsweise „früh“ kommt, aber das war erstens auch im Original-„Godzilla“ so und zweitens heben sich Higuchi und Anno trotzdem einige der herausragendsten FX-Sequenzen für’s Finale auf).

Die Schauspieler machen sich gut – vom asiatischen Overacting kaum eine Spur. Eine Fülle Aktiver hat Higuchi von „Attack on Titan“ mitgebracht, so Hiroki Hasegawa (Yoguchi) und Satomi Ishihara (Kayoko). dazu kommen Routiniers wie Kitano-Veteran Ren Osugi („Hana-bi“, „Audition“) oder Akira Emoto („Der Aal“, „Zatoichi – Der blinde Samurai“). Wer regelmäßig im japanischen Film unterwegs ist, wird viele bekannte Gesichter in teilweise ganz kleinen Rollen wieder erkennen.

Also, was sagen wir? „Shin Godzilla“ ist wirklich das geworden, was ich gehofft habe – eine amtliche technische Modernisierung, die trotzdem nicht der Hollywood-school-of-storytelling verfällt, sondern sich an das erinnert, was Ishiro Honda 1954 ursprünglich mal wollte und mit zeitgemäßen satirischen Elementen verfeinert. It truly is Godzilla for the 21st century!


BOMBEN-Skala: 1

BIER-Skala: 9


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments