Shadow Boxing

 
  • Deutscher Titel: Shadow Boxing
  • Original-Titel: Boy s tenyu
  •  
  • Regie: Alexei Sidorov
  • Land: Russland
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    Denis Nikoforov (Artjom Kolchin), Andrei Panin (Valiyev), Yelena Panova (Vika), Dmitri Shevchenko (Nechaev), Alexander Kuznetsov (Zmei), John Amos (Hill), Pavel Derevyanko (Timokha), Sergej Bezrukov, Isaac Suleymanov


Vorwort

Der junge russische Boxer Artjom Kolchin gilt als „große weiße Hoffnung“ – als solche tritt er gegen den ungeschlagenen US-Champ Palmer zu einem Titelfight in Moskau an. Selbst Palmers Manager Hill ist angetan und schlägt Artjoms Promoter Valiyev eine ganze Kampfserie vor, letztlich mit Ausgang zugunsten des Amis. Valiyev, ein Ex-Boxer, der mit Artjom seine eigene gestrandete Karriere auszugleichen sucht, lehnt ab – freiwillig verloren wird nicht. Dabei hat Artjom ganz andere Sorgen – die junge und attraktive Sportärztin Vika macht Artjom klar, dass er ein paar Schläge zu viel an die Rübe bekommen hat. Noch ein-zwei Kopftreffer, dann kann Artjom zukünftig mit dem Blindenhund über den Roten Platz joggen. Nur widerstrebend schreibt Vika den Sportskameraden gesund, damit er sich mit Palmer prügeln kann. Es kommt, wie’s kommen muss – in einer großen Ringschlacht zieht Artjom aufgrund fortschreitender Sichtbehinderung den kürzeren und landet erblindet im Krankenhaus. Eine teure OP muss her, doch Valiyev lässt den Loser fallen wie die berühmte heiße Kartoffel. Vika erinnert sich ihrer Vergangenheit als Drogenjunkie und versucht, sich bei einer Unterweltgröße die nötigen Rubel zu pumpen, gerät aber dussligerweise genau in eine Polizeirazzia, in deren Verlauf ein gedungener Killer im Auftrag eines Gangsterrivalen, der rein zufällig auf den Namen „Valiyev“ hört, den Drogenbaron exekutiert. Vika steht nun einerseits als unerwünschte Zeugin auf der Abschussliste des rivalisierenden Kartells als auch als chronisch mordverdächtig auf der Verhaftungliste der Polizei. Da bei allen Beteiligten relativ schnell der Groschen fällt, dass zwischen Vika und Artjom ein Zusammenhang besteht, muss das bereits in Liebe entflammte Pärchen zusammen mit Vikas kleinem Bruder, einem verkappten sozialistischen Revolutionär, auf die Flucht – und das unter Zeitdruck, denn wenn Artjoms Augen nicht schnellstens gerichtet werden, sieht seine Zukunft zappenduster aus.


Inhalt

Russisches Kommerzkino hat’s in der Vergangenheit auf dem westlichen Markt nicht leicht gehabt. Klar, Arthouse von Tarkowski und Co. fand immer sein Baskenmützen-Publikum, das sich auf bedeutungsschwangere, vor Symbolik triefende Kunst-Epen wie „Stalker“ einen von der Palme wedelte, aber das, womit der Ivan Normalverbrauchov in den heimischen Kinopalast gelotst wurde, fand im Westen eher nicht statt (auch wenn es Ende der 80er mal einen kurzen Versuch gab, damals-noch-sowjetische Actionfilme in heftig gekürzten und teilweise sinnentstellend synchronisierten Fassungen auf bundesdeutsche Videotheken loszulassen).

Die Zeiten ändern sich und nachdem sich mittlerweile auch bei den internationalen Filmverleihern herumgesprochen hat, dass auch außerhalb Hollywoods technisch kompentente Genrefilme gedreht werden, finden nun auch russische Kommerzreißer den Weg in teutonische Lichtspielhäuser und Videotheken. Nach „Wächter der Nacht“ nun also, via Sunfilm, „Shadow Boxing“, dem Vernehmen nach ein echter Renner in den russischen Kinos (zumindest erfolgreich genug, um ein Sequel zu verdienen, das sich momentan in der Vorproduktionsphase befindet), eine, da man auch in Russland der Ansicht anhängt, ein Genre allein zu bedienen, reicht heute nicht mehr, Kombination aus Sportlerdrama, Action und Gangsterthriller; eine Mischung, die dem altgedienten Subgenre des Boxerfilms zugegebenermaßen nicht fremd ist.

Problematisch daran ist also nicht wirklich die Zusammenstellung an sich, sondern vielmehr die Art und Weise – „Shadow Boxing“ trennt seine Themenkreise deutlich: nach dreißig Minuten Haudrauf-Boxeraction, in denen foul play nur durch das übliche Gezerre um Kampfschiebereien angedeutet wird, wechselt der Streifen nach Artjoms fatalem K.O. komplett die Spur und wird zum reinrassigen Actionthriller, in dem der Box-Hintergrund nur noch eingeschränkt von Bedeutung ist (d.h. die Ausrede für ein paar Kloppereien, die Artjom im erblindeten Zustand absolviert, liefert). Und, ich weiß nicht, ob das ein Kompliment ist, vermutlich aber eher nicht, ein russischer Actionthriller unterscheidet sich heutzutage nicht mehr furchtbar von einem amerikanischen, japanischen oder englischen Actionthriller…

Zunächst mal zum Box-Part, der für recht viel Frohsinn sorgt, spielt er sich doch als quasi als umgekehrte Variante von „Rocky IV“ – ein lieber netter guter „all russian boy“ gegen einen arroganten, überheblichen, brutalen Ami (der fröhliche Sprüche wie „I’m here to destroy“ von sich gibt). Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es dramaturgisch nötig war, die Auftaktphase als halbstündige Parallelmontage des Kampfs und seiner Vorgeschichte durchzuziehen, aber damit kann man leben. Nach dem Fight ergibt sich das Script den üblichen Klischees (und trägt dabei manchmal arg dick auf – dass Vika sich in Artjom verliebt, mag ja nun noch angehen, aber dass sie dann auch noch eine ehemalige Drogensüchtige ist… jeez) und spult das gewohnte Programm eines „unschuldig-auf-der-Flucht-vor-beiden-Parteien“-Szenarios ab. Wir erfahren, dass russische Drogenbarone auch nicht anders drauf sind als amerikanische, sich anstelle ehemaliger CIA-Killer eben ehemalige KGB- bzw. FSB-Killer als Henchmen halten usw. usf. Der Film schenkt uns nicht gerade eine neue Perspektive, sondern überträgt relativ zwanglos althergebrachte Hollywood-Mechanismen nach Russland (am „exotischten“ ist neben der immer noch recht „frischen“ Kulisse Moskaus noch die Tatsache, dass die Polizisten sich untereinander mit „Genosse Oberst“ u.ä. anreden, wie in guten alten kommunistischen Zeiten). Was ich beinahe erwartet hätte, bis auf den eher nebensächlichen Charakter von Vikas Bruderherz, der hauptsächlich in bolschewistischen Phasen wie „Der Revolutionär ergibt sich nie“ parliert, aber weitgehend außen vor bleibt, ist ein Kommentar zum Wildwuchs des russischen Kapitalismus – muss aber auch nicht sein, dafür schwingt eine gehörige Prise Nationalstolz mit, was ja auch völlig in Ordnung ist, macht Hollywood ja ständig. Schmerzhaft sind nur gelegentliche Dialoge wie aus dem schlechten Poesiealbum (Vikas Mutter meint ernsthaft an einer Stelle: „Ihr Kinder seid aufgewachsen wie Gras im Wind“. Da ist mir dann doch beinahe die Kippe aus der Hand gefallen…).

Von der Regieseite her weiß Alexei Sidorov, der bislang keine international auffälligen Großtaten zu verantworten hat, mit den modernen technischen Mitteln durchaus umzugehen. Der Streifen hat einen sehr polierten Look (und einen einheitlich glatteren als der stellenweise etwas auch optisch konfuse „Wächter der Nacht“) und besticht speziell durch die ausgezeichnete Kamerarbeit. Technische Gimmicks werden stellenweise etwas zu übertrieben eingesetzt – ist zwar irgendwo schön zu wissen, dass auch die Russen einen coolen Gangsterauftritt in extremer Superzeitlupe geschmeidig inszenieren können, andererseits sehen wir das in den US-Produkten alle Nase lang; es beeindruckt also kaum mehr und vor allem ist’s halt mittlerweile Klischee. Dass die Boxszenen mit „Matrix“-mäßigen Timefreeze-Effekten garniert werden, ist heutzutage wohl unvermeidlich. Die Technikverliebtheit erweist sich zuweilen als regelrecht kontraproduktiv – ein im Showdown in SuperSlowMo zelebrierter Stunt käme m.E. in Normalgeschwindigkeit deutlich „cooler“ rüber. But that’s just me. Generell kämpft „Shadow Boxing“ mit dem grundsätzlichen Problem, eine Ecke zu lang zu sein – ein Stück über zwei Stunden ist immer noch eine Menge Holz, und eine Strecke, die erst mal gefüllt werden will. Für einen Nonstop-Actiontrillride hat „Shadow Boxing“ erheblich zu wenig Action – diese Sequenzen sind zwar absolut professionell inszeniert und bemühen sich immerhin um Originalität (es gelingt nicht immer), aber für einen Zweistünder, der sich als Actionfilm versteht, ist’s quantitativ nicht genug; die Folge – da die dramatischen Elemente nicht wirklich der Rede Wert sind (die obligate Liebesgeschichte hat keine echte Substanz, charakterlicher Tiefgang bei der Schurkenfigur wird nur angedeutet und nie ausformuliert) und, da alle Fragen für den Zuschauer verhältnismäßig schnell beantwortet sind, sich Suspense allenfalls auf die schlichte Überlebensfrage reduziert, stellt sich doch ab und zu Leerlauf ein; nicht genug, um offensiv zu langweilen, aber doch ausreichend, um den Zuschauer dann und wann zu Nebenbeschäftigungen zu veranlassen.

Härtetechnisch ist nichts Gravierendes zu erwarten – die Prügeleien sind FSK-16-angemessen. Prinzipiell nicht schlecht, auf die Dauer etwas repetetiv ist der Score; allerdings darf ich schon mal anmerken, dass es mir zumindest mit ravig-rockig unterlegten Kampfszenen jetzt auch wieder reicht.

Die schauspielerischen Leistungen sind adäquat – Newcomer Denis Nikoforov strahlt die notwendige Sympathie und Natürlichkeit aus, könnte aber noch etwas am emotionalen Ausdruck arbeiten. Yelena Panova ist hübsch genug anzusehen und deutet in einigen Szenen richtiges Talent an. Wie immer haben die Bösen am meisten Spaß – Andrei Panin ist ein schön fieser Schurke, ohne exzessives Overacting auspacken zu müssen. Hollywood-Leihgabe John Amos hat als korrupter US-Box-Manager auch seinen Fun, verabschiedet sich leider halt nur mitsamt dem gesamten Box-Angle nach einer halben Stunde aus dem Film.

Bildqualität: Sunfilm bringt „Shadow Boxing“ in anamorphem 1.85:1-Widescreen auf die Mattscheibe. Der Transfer ist störungs- und verschmutzungsfrei und für Normal-TV-Gerät-Besitzer sicher absolut zufriedenstellend. Qualitätsfanatiker, die hochauflösendes Equipment verwenden, werden aber feststellen, dass Detail- und Kantenschärfe sich eher im durchschnittlichen Bereich bewegen und der Kontrast doch ein bisschen deutlicher hätte ausfallen können (speziell im Weiß-Bereich). Die Kompression ist zufriedenstellend.
Tonqualität: Sunfilm bietet die übliche Auswahl an Tonspuren – deutscher Ton wird in Dolby 5.1 und dts geliefert, O-Ton, ergo russisch, in Dolby 5.1. Ich habe mich ausnahmsweise hauptsächlich für die deutsche Synchronfassung interessiert; die ist sprachqualitativ überzeugend, könnte vielleicht ein Eck dynamischer sein – die Musik könnte etwas fetter aus den Boxen schallen. Alles in allem aber auch hier: nicht High End, aber gut zu goutieren. Deutsche Untertitel gibt’s natürlich (teilweise fest, weil die deutsche Sprachfassung auch einiges an englischsprachigen Dialogen aufweist).
Extras: Neben dem Originaltrailer gibt’s ein ca. viertelstündiges Behind the Scenes von eher mauem Informationswert sowie die obligatorische Trailershow.

Fazit: „Shadow Boxing“ ist gewiss kein schlechter Film – ein handwerklich voll professionelles Hochglanz-Actionthrillprodukt, das sich hinter amerikanischen Produktionen gleichen Kalibers nicht zu verstecken braucht. Die Frage ist halt: BRAUCHEN wir NOCH eine Filmindustrie, die den gleichen Kram verzapft wie Hollywood? Denn letztlich ist „Shadow Boxing“ auch verdammt austauschbar, eine spezielle russische Note schwingt da kaum mit. Aber das soll letztlich auch nicht unsere Sorge sein; russisches Blockbusterkino ist also genauso gut oder schlecht wie das amerikanische. In diesem Fall heißt das – slick gemacht, okay gespielt, aber deutlich zu lang und zu arm an echter Action. Sunfilms DVD könnte bild- und tontechnisch leicht zulegen, reicht für den Hausgebrauch aber völlig aus.

2/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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