Sexmission

 
  • Deutscher Titel: Sexmission
  • Original-Titel: Seksmisja
  •  
  • Regie: Juliusz Machulski
  • Land: Polen
  • Jahr: 1984
  • Darsteller:

    Olgierd Lukaszewicz (Albert Starski), Jerzy Stuhr (Maximilian Paradys), Bozena Stryikowna (Lamia Reno), Boguslawa Pawelec (Emma Dax), Hanna Stankowna (Tekla), Beata Tyskiewicz (Berna), Ryszarda Hanin (Dr. Jadwiga Yanda), Barbara Ludwizanka (Julia Novack), Janusz Michalowski (Professor Viktor Kuppelweiser)


Vorwort

Hibernation ist der neueste technische Durchbruch von Universalgenie Professor Kuppelweiser – als Versuchskaninchen lassen sich Albert und Max für die überschaubare Dauer von drei Jahren auf Eis legen, in der Hoffnung auf triumphales Auftauen und ergötzlichen finanziellen Gewinn. Doch als man die beiden Burschen aus dem Kühlschrank holt, staunen sie Bauklötze – sie sind ausschließlich von Weibsvolk umzingelt, und das aus gutem Grund. Man hat die Jungs nämlich 50 Jahre auf Eis liegen lassen, da die Gesellschaft aufgrund akuten Kriegs, der die gesamte männliche Weltbevölkerung per biologischer Waffe (entwickelt von… Professor Kuppelweiser) ausgerottet hat, sie völlig vergessen und nun zufällig wiedergefunden hat. Prima, denkt sich da so ein verhinderter Stecher wie Max, da kommen zwei potente Samenschleudern doch glatt wie gerufen – Paradies, wir kommen!
Denkste Puppe – nicht nur sind die Frauen unter der Fuchtel ihrer diktatorischen „Exzellenz“ mit der allgemeinen Männerlosigkeit recht zufrieden (frau vermehrt sich inzwischen via Parthenogenese), einer kleinen radikalen Geschichtsumschreibung sei dank sind Männer nunmehr für alle Schlechtigkeit der Welt verantwortlich (seit Kain „Abla“ tötete, gell). Die beiden Outsider sind also chronisch überflüssig – stellt sich nur die Frage, unterzieht man sie einer Geschlechtsumwandlung oder „beseitigt“ man sie gleich radikal?
Max und Albert halten keine der Optionen für sonderlich erstrebenswert und versuchen, mit Hilfe von Lamia, die ihnen einigermaßen vertrauensvoll erscheint, auszubüxen. Doch Lamia hintergeht sie, nachdem sie ihnen einen Blick auf die zerstörte und überlebensuntaugliche Erdoberfläche (weswegen die Frauen in einer unterirdischen Stadt leben) gewährt hat.

Max und Albert sollen organtechnisch ausgeschlachtet werden, aber das geht Lamia dann doch ein bis zwei Schritte zu weit – sie verhilft ihnen zur erneuten Flucht…


Inhalt

Das Leben in einer Diktator regt die grauen Zellen der unterdrückten Künstler an – keine bahnbrechend neue Erkenntnis, aber auch für „Sexmission“ zutreffend. Wir dürften uns darüber einig sein, wer 1983 in Polen zu schlimmsten Zeiten der Jaruzelski-Militärdiktatur mit der Gesamtsituation unzufrieden war (und das waren bekanntlich nicht wenige), konnte, so er Filmemacher war, schlecht einen Streifen „Kommunisten sind doof“ produzieren und ins Kino bringen, sofern er nicht Bock darauf hatte, für die nächsten 10-20 Jahre bestenfalls die Betriebsausflüge des nächsten Arbeitslagers abzufilmen. Also ließ sich auch Juliusz Michalski, der 1981 mit der Krimikomödie „Alles auf eine Karte“ erste filmische Meriten verdiente, etwas einfallen – was auf den ersten Blick nach harmloser SF-Klamotte und mit nackter Haut aufgepeppte Variante von Woody Allens „Schläfer“ aussieht, ist eine noch nicht mal sonderlich aufwendig getarnte Totalitarismus-Parabel, die offensichtlich vollkommen unter dem Radar der kommunistischen Zensurbehörden durchlief, in Polen ein überwältigender Publikumserfolg wurde (und erst kürzlich unter die dreißig besten polnischen Filme aller Zeiten gewählt wurde) und sogar ins sozialistische Ausland exportiert wurde – meinereiner wurde des Streifens so um ’86-’87 rum im DDR-Staatsfernsehen habhaft. Irgendwo schimmelt das alte VHS-Tape mit der SECAM-Ost-Aufnahme tatsächlich noch rum…

Also zum Film – ich muss darauf zurückkommen, der zuständige Politkommissar des polnischen Ministeriums zur Erfüllung des Kulturfünfjahresplans muss damals echt einen schlechten Tag gehabt haben oder er hat nach Michalskis Eröffnung „wir machen was lustiges mit Titten“ nicht mehr weiter hingehört haben (oder Michalski gab ihm nur die ersten zehn Seiten des Drehbuchs zu lesen, die man mit ein bisschen gutem Willen, den üblichen zugedrückten Hühneraugen und hinter dem Rücken gekreuzten Fingern als milde Medien- und Kapitalismuskritik sehen kann). „Sexmission“ beschreibt ein System, das auf Lug, Trug, blinder Obrigkeitshörigkeit mit Personenkultwahn, Orwell’scher retroaktiver Geschichtsumschreibung, Bürokratismus, permanenter Überwachung, katastrophalem Zustand der Technik und jeder Menge Selbstverleugnung basiert. Hätten Michalski und seine Co-Autoren nicht eine feministische Diktatur geschildert (und ihrer „Exzellenz“ vielleicht noch ’n hübsches Offiziersmützchen und ’ne Ordensspange angetackert), ginge das Ding quasi als Dokumentation „Warum Kommunismus scheiße ist und alle Nase lang der Strom ausfällt“ durch.

Als narrative Filmerzählung im Wortsinne ist „Sexmission“ Kappes – die „Handlung“ besteht daraus, dass Max und Albert, zwei nicht gerade hochintelligente Vertreter der XY-Chromosom-Fraktion, sich im Allgemeinen genau so doof aufführen wie es die wenigen Frauen, die ihre Rübe angeschraubt haben, befürchten, zwar durch die Blödheit ihrer Bewacher und die diversen Unzulänglichkeiten des Systems gelegentlich ausbüxen können, wieder eingefangen werden, wieder ausbüxen, lather, rinse, repeat. Man merkt’s – mehr als eine ausgesprochen rudimentäre Geschiche hatte Michalski nicht im Sinn… und bei aller Freundschaft und Verständnis für sein – zumindest von mir vermutetes – eigentliches Ansinnen, unauffällig Systemkritik zu üben – es ist zunehmend repetetiv, nicht sonderlich spannend, dank der nicht gerade überwältigend sympathischen Protagonisten auch nicht speziell emotional anrührend, bestenfalls mittelprächtig flott erzählt und dabei auch für einen geprüften Güteklassen-Kapitalisten noch nicht mal wirklich lustig im Sinne von „alle zwei Minuten kommt ein Lacher“.

Michalski nutzt seine Protagonisten nicht als Handlungsträger, sondern quasi als Repräsentanten für das Publikum, um es durch die von ihm postulierte dystopische Welt zu führen. Dabei kommt hin und wieder auch ein gelungener Gag durch, über den man sich auch amüsieren kann, ohne eigene Erfahrungen mit totalitären Regimen gemacht zu haben; die haben dann zumeist damit zu tun, dass die durchweg attraktive Weiblichkeit aus einem nichtigen Anlass zum Stielaugenmachen unserer Helden aus den Gewändern fahren (z.B. beim „traditionellen Trikottausch“ nach einer skurrilen Mannschaftssportveranstaltung, deren Ziel es offensichtlich ist, mit einem Ball in der Hand in eine Röhre zu springen. Whatever stirs your coffee, Ma’am) oder die gefilde puren, unverfälschen Slapsticks zu erkunden.

Mehr als die Unterhaltung des unvorbelasteten nicht-kommunistisch erzogenen Publikums interessiert sich Michalski (neben eben der Tatsache, bei jeder sich bietenden Gelegenheit hübsche Frauenzimmer in äußerst sparsamer Bekleidung oder gar keiner zu zeigen) für den Entwurf einer in sich stimmigen „Welt“, die als Übertreibung des real existierenden sozialistischen Systems erkennbar ist, ohne den Machthabern eben direkt an den Kittel zu urinieren. Da wird dann eben permanent jederfrau überwacht, aber weil die Geräte alle Nase lang kaputt gehen, steht die „Staatssicherheit“ oft genug aus dem Schlauch, da bekämpfen sich die Apparatschicks aus den unterschiedlichen Abteilungen nach Kräften, weil Abt. XIIIb selbstverständlich Abt. IVd nicht das Schwarze unter’m Fingernagel gönnt, da werden diejenigen, die der „Gesellschaft“ keinen Nutzen mehr bringen, in gefängnisartige „Altenasyle“ abgeschoben, wo sie vor sich hin vegetieren, da gibt’s im Wortsinne einen Untergrund, die Obrigkeit hält die breite Masse über die wahren Verhältnisse in der „Außenwelt“ bewusst im Unwissen (da sonst die eigene Machtbasis wegbröckeln würde), und natürlich lebt die Obermotzin (die gelungene Schluss-Schlussüberraschung mal gar nicht ins Kalkül gezogen) nicht nach den Regeln, die sie für’s gemeine Fußvolk aufstellt.

Das ist alles durchaus pfiffig, manchmal schlecht gealtert (aber das Rollerskates DAS Fortbewegungsmittel OF THE FUTURE~~! sind, haben schon ganz andere vermutet), aber aus der Rückschau sicher als Zeitkapsel für die Befindlichkeiten des „ganz normalen“ Ostblock-Arbeiters von der Straße interessanter denn als Unterhaltungsfilm an sich. Aber da hat Regisseur Michalski ja mitgedacht und deswegen die ganze Angelegenheit mit nackten Tatsachen durchsetzt…

Der betriebene Aufwand ist durchaus beachtlich – „Sexmission“ ist ersichtlich keine Low-Budget-Produktion, die irgendwo in zwei leerstehenden Fabrikhallen runtergekurbelt wurde, an teilweise beeindruckenden futuristischen Sets wurde nicht gespart; auch gibt’s einige interessante Kamerakniffe, um die Bauten noch eindrucksvoller und größer wirken zu lassen, wobei Michulski durchaus bestrebt ist, der unterirdischen Frauenwelt eine bedrückende, opressive Enge und klaustrophobische Stimmung, in der es keinen wirklichen Raum für Privatsphäre gibt, zu verleihen. Im Vergleich zur typischen Hollywood-Produktion fehlt den Bauten vielleicht etwas an Substanz (es sieht aufwendig aus, aber trotzdem noch irgendwie nach Kulisse).

Das handwerkliche Rüstzeug ist bei Ostblock-Regisseuren normalerweise vorauszusetzen und Michulski macht keine Ausnahme. Kamera und Schnitt sind unspektakulär, aber stets professionell; der größte fühlbare Unterschied zu einer vergleichbaren West-Produktion ist sicherlich, dass „Sexmission“, wie so viele Ost-Filme, ein ruhiges Erzähltempo bevorzugt, auch aus potentiell tempotauglichen Szenen keine rechte Dynamik gewinnen will; so etwas wie Erzählbeschleunigung durch Schnitt, kurze Kameraeinstellungen oder überraschende Perspektivwechsel findet nicht statt, es ist mehr die point-and-shoot-Schule und jenseits der einen Absatz weiter oben angesprochenen durchaus gelungenen Versuche, den Bauten durch den ein oder anderen Kameratrick mehr „scope“ zu verleihen, gibt es keine größeren Bemühungen, über die optische Schiene etwas herauszuholen. Dafür gefällt der überraschend (für 80er und Ostblock-Kino) moderne Score, der gelegentlich sogar mal schüchtern in Richtung zahmer Poprock-Punk schielt (und auch für eine Jazz-Einlage ist Zeit genug).

Interessant ist sicherlich auch, dass „Sexmission“ ein (nomineller) Science-fiction-Film ist, der ohne jegliche Spezialeffekte auskommt. Alles „Futuristische“ wird über Bauten und Kostüme erledigt, visuelle FX werden nicht benötigt und auch nicht vermisst.

Trotz des Titels und der des durchgängigen Motivs der „Freizügigkeit“ ist „Sexmission“ kein Sexfilmchen – lediglich gen Ende erlaubt sich Michulski eine kleine angedeutete Sexszene (schließlich ist das Thema des Films, dass die Frauen ja die Männer gar nicht mehr haben wollen und sowieso nicht mehr wissen, was dieses Sexdingens eigentlich ist. Das geht soweit, dass Max, sicher ohne ein besonders qualifizierter Don Juan zu sein, als „Offensivwaffe“ Frauen bewusstlos küssen kann), aber wie schon gesagt – durchaus ankuckbare Frauen mit recht wenig bis gar nichts am Körper (und, thus being a polish film from the 80’s, durchweg in Naturalzustand ohne Silikone) gibt’s zuhauf.

Die schauspielerischen Leistungen sind okay – Olgierd Lukaszewicz (bei dem ich ein gewisses Bruce-Campbell-Feeling habe) und Jerzy Stuhr sind nicht die allergrößten Komiker auf der Welt (bzw. ihr Material ist unter der oben geschilderten Maßgabe, dass man sicherlich mehr davon hatte, wenn man „dabei“ gewesen ist eher speziell komisch), aber sie machen ihre Sache recht gut, speziell Stuhr. Beide waren 1984 durchaus schon erfahrene Schauspieler und beide sollten sich wenig später bei Krysztof Kieslowski wiederfinden – Lukaszewicz spielte im „Dekalog“-Eintrag „Ein kurzer Film über das Töten“, Stohr in „Dekalog Zehn“ und „Drei Farben: Weiss“.
Bozena Strykowna debütierte 1981 im DEFA-Film „Wäre die Erde nicht rund…“ und hatte 1987 noch eine kleine Rolle in „Mutter Krol und ihre Söhne“. Als Lamia ist sie durchaus nett anzuschauen und liefert darstellerisch zumindest eine solide Performance ab.
In weiteren wichtigen Rollen finden sich Wieslaw Michnikowski („Ein Jahr der ruhenden Sonne“, „Die Akademie des Herrn Klecks“) als „Exzellenz“, Hanna Stankowna („Die Wölfin“, „Wo immer du bist“) und Boguslawa Pawelec („Der Zufall – möglicherweise“) als Lamias Konkurrentinnen.

Bildqualität: Ostalgica legt den Film in 4:3-Vollbild (dürfte intendiert sein, zumindest sieht’s nicht so aus, als würden Bildinformationen fehlen) vor. Die Print-Qualität ist nicht spektakulär – das Bild ist insgesamt recht weich und speziell bei grünen Farbflächen stellt sich teilweise enormes Blockrauschen ein. Ob besseres Ausgangsmaterial verfügbar war, ist fraglich. Zumindest ist der Print recht sauber und störungsfrei. Insgesamt ein „durchschnittlich“.

Tonqualität: Deutscher Ton in Dolby Digital 2.0 ist alles, was wir zu bieten haben. Auch hier gilt: unspektakulär, aber insgesamt brauchbar, rauschfrei, aber nicht von sonderlicher Dynamik gekennzeichnet.

Extras: Da gibt’s einiges – diverse deleted scenes, Trailer, Bildergalerie, einige Informationen auf Texttafeln zum Thema Parthenogenese und Produktionsnotizen, ebenfalls in Textform, sowie Werbung für anderweitiges Ostalciga-Programm. Akzeptabel.

Fazit: „Sexmission“ ist wieder mal ein Film, der aus filmhistorischen und nostalgischen Gründen interessanter ist denn als Film per se; er ist ein Kind seiner Zeit und seines Ursprungslandes und wer, wenn schon nicht persönlich Bürger einer sozialistischen Diktatur, dann wenigstens Zeitzeuge dieser Epoche war, wird mit dem Streifen vermutlich nicht viel anfangen können, da er sein Gimmick der SF-Sexkomödie mehr oder weniger nur als Lockmittel und Tarnung einsetzt, um sich dann, durchaus bissig und recht unverblümt, der Systemkritik widmen zu können. Wer sich nur zwei Stunden Spaß mit leicht- bis unbekleideten Mädchen machen will, sollte lieber zu Jäger der verschollenen Galaxie oder Gefangene im Universum greifen – „Sexmission“ bietet zwar nackte Frauen, aber weniger entspannten Sex denn vielmehr schlitzohrig servierte Politkritik, deren Objekt fünf Jahre später schon Geschichte war. Das lag zwar vermutlich doch deutlich mehr an „Solidarnosc“ denn an „Sexmission“, ist aber immer noch plausibler als David Hasselhoffs „ich-hab-die-Mauer-weggesungen“-Theorie…

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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