- Deutscher Titel: Screamplay
- Original-Titel: Screamplay
- Regie: Rufus Butler Seder
- Land: USA
- Jahr: 1985
- Darsteller:
Rufus Butler Seder (Edgar Allan), George Kuchar (Martin), Katy Bolger (Holly), Basil J. Bova (Tony Cassano), Ed Callahan (Kevin Kleindorf), George Cordeiro (Sergeant Joe Blatz), M. Lynda Robinson (Nina Ray), Eugene Seder (Al Weiner), Bob White (Lot)
Vorwort
Edgar Allan, ein junger, hoffnungsfroher Drehbuchautor, kommt in Hollywood an und wird noch in der Cafeteria des Bus-Terminals von der Inspiration genau zwischen die Augen getroffen – einen schönen, finsteren „murder movie“ will er auf seiner steinzeitlichen Underwood-Schreibmaschine tippen. Doch noch am gleichen Abend wird er auf dem Klo eines Kinos von einem rollerskatenden Transvestiten überfallen. Aus der Bredouille rettet ihn Martin, Eigner eines kleinen Appartment-Hauses, der ihn auch gleich als Hausmeister einstellt. Die „Welcome Appartments“ werden von einem Rudel Hollywood-Rejects bevölkert, die mit ihren Macken und Manien Edgars Schreibe zu weiteren mörderischen Höhenflügen anregt – die alternde B-Film-Aktresse Nina Ray und ihr junges Protegé Holly, die sich Hoffnungen macht, beim angesagten Jung-Regisseur Nicky Blair eine Hauptrolle einzuheimsen, Kevin Kleindorf, ein aufdringlicher Agent, Lot, ein ausgebrannter Rockstar, der jetzt als kiffender Apokalypsen-Prediger die anderen Mieter mit seiner E-Gitarre nervt. Edgar entwickelt Mordfantasien, die er in sein Script kanalisiert, doch als Nina Ray exakt so getötet wird, wie’s in seinem Drehbuch steht, macht Kleindorf, der Eddies Buch gelesen hat, dem verblüfften Autoren ein unmoralisches Angebot. Killt Edgar Lot wie in seinem Script, sorgt Kleindorf dafür, dass der Film gemacht wird. Edgar lehnt natürlich entrüstet ab, aber schon einen Tag später ist Lot drehbuchgemäß tot. Die Polizei in Person des gehbehinderten und frustrierten Sergeant Blatz, die Eddie eh schon für chronisch verdächtig hält, interessiert sich begreiflicherweise stark dafür, als Kleindorf die Geschichte mit dem Drehbuch durchblicken lässt – doch bevor er auspacken kann, ist auch der Agent tot. Ist Eddie tatsächlich ein schizophrener Psychokiller oder gibt es doch einen Anderen, der nach seinem Script mordet?
Inhalt
Troma. Ein Wort, das genügt, um manch einen begeistert um den Fernseher hüpfen zu lassen, andere aber ebenso mühelos durch bloße Erwähnung aus dem Fenster springen lässt. Die kleine Filmklitsche aus New Jersey hält sich nunmehr seit drei Jahrzehnten über Wasser – schon lange produziert Lloyd Kaufman keine B-Klassiker wie „Toxic Avenger“ mehr, aber alleine Kaufmans enormes und unbestrittenes Selbstdarstellungstalent sollte ausreichen, die Firma noch weiter am Leben zu erhalten… und wenn die Tromies schon keine richtig amtlichen neuen Filme mehr zustande bringt, so kann sie doch auf eine umfangreiche (wenn auch nicht qualitätstriefende) Library zurückgreifen und die ruhmreiche Vergangenheit auf DVD verhökern.
Nun wissen wir alle, dass Troma, selbst für Trash-Verhältnisse, eine hit-or-miss-Angelegenheit ist, und das hit/miss-Verhältnis im Allgemeinen günstiger ist, wenn der Film von Troma nicht selbst verbrochen, sondern nur ins wenig diskriminierende Vertriebsprogramm aufgenommen wurde (so fand ja auch, was ich immer wieder gern erwähne, der ambitioniert gegen die Wand gefahrene Versuch einer deutschen Horror-Splatter-Schwulen-Komödie, „Kondom des Grauens“, eine angemessene Heimstatt im US-Katalog von Troma). „Screamplay“ fällt ebenfalls in diese Kategorie und stellt das Erst- und Einzlingswerk von Regisseur/Autor/Star Rufus Butler Seder dar, der nach diesem Film das Business prompt verließ und nunmehr ein gutes Auskommen als weltweit einziger Kreateur von „Lifetiles“ (Glasmalereien, die durch optische Täuschung den Eindruck von Bewegung erwecken) hat. Troma-Vertrieb, einziger Film, drei wichtige Positionen in Personalunion bekleidet und danach, schockschwerenot, unter die „Künstler“ gegangen, das könnte in einem gepflegten Desaster enden, aber, liebe Leser, „Screamplay“, der selbst im reichhaltigen Troma-Ouevre eine Außenseiterstellung einnimmt, ist, Überraschung, ein richtig richtig guter Film und einer, der mit dem typischen Troma-Output weniger zu tun hat als Paris Hilton mit intelligentem Auftreten in der Öffentlichkeit und, wäre er eben nicht bei Troma erschienen, vermutlich ein critic’s darling und sein Regisseur ein gefeierter Filmemacher wäre.
Wieso, fragt Ihr, treue Leser, an dieser Stelle vermutlich – und wenn nicht, solltet Ihr es tun. „Screamplay“ ist ein Film, der das Troma-Stammpublikum zutiefst erschüttert und unbefriedigt zurücklassen wird (und man sich als aufgeklärter Zuschauer schon fragt, wieso um aller Publisher Willen sich ausgerechnet Kaufman & Herz berufen fühlten, den Streifen zu releasen…) – er hat keinerlei Troma-Trademarks zu bieten: es gibt keine blutig-splatternde Gewalt, keine einzige Darstellerin hält großformatig ihre Möpse vor’s Objektiv, anstelle des üblichen gross-out–allerlowester-aller-lowest-common-deminatoren-Humors (uff) blitzt nur gelegentlich subtiler, schwarzhumoriger Witz durch (allerdings hat „Screamplay“ die grandioseste Abschluss-Line der Filmgeschichte), technisch gesehen ist „Screamplay“ noch nicht mal ein echter Horrorfilm (der DVD-Klappentext bemüht sich krampfhaft, das „Drehbuch, das irgendwie zum Leben erwacht“-Klischee in den Mittelpunkt zu stellen und damit eine Horror-Connection herzustellen, aber, und da spoilere ich jetzt nicht übermäßig, am Ende hat hier alles eine absolut un-übernatürliche, straighte Auflösung) – und überdies ist der ganze Kram dann auch noch in Schwarz-Weiß!
Und dieses s/w ist auch eine bewusste Entscheidung, denn „Screamplay“ ist eine Hommage. D.h. eigentlich nicht eine Hommage, sondern drei Hommagen in einem – filmtechnisch eine Hommage an den billigen 50er-Jahre-B-Film-Kintopp a la Ed Wood, drehbuchmäßig eine Hommage an den Film Noir mit seinen melodramatischen Figuren, vielleicht im Ton ein wenig vergleichbar mit Ray Bradburys Hollywood-Romanen wie „A Graveyard for Lunatics“, und künstlerisch-stilistisch, und jetzt wird’s wirklich bizarr, eine Hommage an den deutschen expressionistischen Stummfilm. Dass Seder ein Bewunderer von Wegener, Murnau & Co ist, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass er als sein eigener Protagonist ein Triple-Feature von „Dr. Caligari“, „Der Golem und wie er in die Welt kam“ und „Nosferatu“ im Kino ansieht. Seder zeigt ein geschicktes Händchen im Umgang mit expressionistischen Schattenspielen, klare geometrischen Formen (das Haupt-Set des Appartmenthaus-Innenhofs!) und ebenso klare, der s/w-Fotografie angemessene Farbgebung (mit einer Vorliebe für gestreifte Props und einfarbige, räumliche Tiefe verleugnende Hintergründe).“Effekte“ werden noch auf gute altmodische Art und Weise erzielt – fallender Regen wird, wie damals bei Opa und Oma, noch in solider Handarbeit auf das Filmmaterial gekratzt, die Kamera-set-ups sind statisch, bewusst durchschaubare Rückprojektionen ersetzen Hintergründe, Sets und Locations – und trotz der billigen Machart schimmert auch hier Finesse durch, wenn ein Darsteller vor einem rückprojizierten Hintergrund agiert, hinter dem ein weiterer Darsteller vor einem weiteren rückprojizierten Hintergrund agiert, alles klar durchschaubar, freilich (und gewollt so), aber doch bemerkenswert.
Der Kunstgriff, in s/w zu drehen, sorgt in Verbindung mit dem eigentümlichen Script, das weniger an Tempo und Spannungsentwicklung interessiert ist denn an seinen schrägen Charakteren und der Zustandsbeschreibung eines düsteren, hoffnungslosen Lower-Class-Hollywoods, das Hollywood der „has-beens“ und der „never-will-be-anyones“, ohne sich über diese „Hollywood rejects“ lustig zu machen, sondern sie mit großer Sympathie zu zeigen (selbst eine bizarre Figur wie der Rock-Prediger Lot ist ein tragischer, bemitleidenswerter und nicht zu verlachender Charakter), für eine surreale Atmosphäre. Seder datiert die Geschichte nicht – sie scheint in der relativen Gegenwart zu spielen, aber das Hollywood, das gezeigt wird, ist das Hollywood von Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre – vom generellen „Feeling“ über die Charaktere selbst bis hin zu Details wie Set-Gestaltung, Requisiten und Kostümen (ohne sich dabei zu schade zu sein für einen vermeintlichen Anachronismus wie Blatz‘ Sonnenbrille und lässig-offenes Hawaiihemd tragenden Partner, der eher wie die Karikatur eines 80er-zeitgenössisischen-TV-Cops wirkt).
Stichwort Anachronismus – auch Edgar Allen selbst ist ein Anachronismus und ein Außenseiter, denn er (bzw. Seder als sein eigener Star) ist der einzige, der auch so gespielt wird wie ein Stummfilmstar aus den frühen 20ern – theatralische Gestik, munter entgleisende, augenrollende Mimik, voller Pathos, im Vergleich zu seinen Mitstreitern, die im Stile der, hm, „kommerziellen“ Theatralik von 50er-B-Film-Stars und -sternchen agieren, sich weniger über ihre künstlerische Interpretation der Rolle, sondern über die „informed attributes“, die Kostüme, die verwendeten Props definieren (Martin, der intellektuell eher trübe Appartment-Eigner, läuft ständig im Unterhemd rum, Nina Ray, das verblühende Starlet, umgibt sich mit Relikten ihrer Karriere, pflegt im Kleidungsstil den eigentlich längst verblassten Glamour, Nicky Blair ist der coole, belederjackte Pseudorebell)
Die Story selbst ist in dieser satirischen, aber stets liebevollen Hommage mehr oder weniger untergeordnet – bis zum ersten „echten“ Mord (der also nicht nur in Edgars Drehbuchvisionen geschieht) dauert’s gut 50 Minuten. Für Seder ist die Geschichte eindeutig weniger wichtig als das Setting, die Atmosphäre, die Stimmung und der Stil; was nicht heißt, dass die Story nicht durchdacht wäre (der „Twist“ ist vergleichsweise schlüssig), aber „Screamplay“ bietet keine nägelbeißende Nervenzerfetzer-Spannung, ist im Tempo gemächlich und lässt den geneigten Zuschauer weniger auf die Auflösung des Mysterys warten denn auf den nächsten Einfall des Regisseurs.
Die Musik von Basil Bova ist sicherlich nicht das, was ich mir als Soundtrackalbum jeden Tag anhören würde, aber schwankt stimmungsförderlich zwischen stummfilmartiger Klavierbegleitung, dissonanten Klängen und schon fast lässigen Bossa-Nova-Rhythmen.
An echten „Horror“-Effekten gibt’s einen kruden, aber simplen Make-up-Trick, eine abgetrennte Hand und im Finale ein wenig dickflüssiges Kunstblutschmoddern.
Der Großteil des Ensembles, rekrutiert, wie ich das sehe, von der Bostoner Kunsthochschule und einer Theatertruppe, hatte weder vor noch nach diesem Film Berührung zum Kino, dafür erledigen sie aber einen guten Job. Katy Bolgar gefällt als Holly, Ed Callahan (wenn man der IMDb glauben darf, hauptamtlich immerhin Soundmann von Cannon und bis heute in großen Produktionen im Geschäft) gibt einen hübsch schlemigen Kleindorf ab, M. Lynda Robinson (die wenigstens gelegentlich Bit-Parts spielt) gefällt als Nina Ray (und lässt als einzige Darstellerin mal einen Nippel durch Badeschaum blinzeln, für das Ex-Starlet ist sie mir fast noch ’ne Nummer zu attraktiv), Bob White (im wahren Leben mittlerweile Uni-Professor in Boston) bringt den durchgeknallten Lot auf den Punkt. „Bekanntester“ Name im Cast ist der Underground-Filmer George Kuchar (der über 200 Kurzfilme inszenierte), dessen größtes Werk das Drehbuch zum semikultischen Horror-Comedy-Porno „Thundercrack!“ sein dürfte und der hier den schmierig-tumben Martin durchaus überzeugend darstellt. Der Regisseur selbst brilliert als besessener, latent wahnsinniger Drehbuchautor ganz im Sinne des expressionistischen Stummfilmstils.
Bildqualität: „Screamplay“ ist bislang ausschließlich in den USA auf DVD erschienen (wenigstens aber ohne Regionalcode). Der s/w-Vollbildtransfer ist nicht fair zu beurteilen; wir haben es hier ja mit einem Film zu tun, der absichtlich so aussieht, als wäre er in den 50ern gedreht worden. Schärfe- und Kontrastwerte sind allerbestenfalls durchschnittlich, aber das passt natürlich wie die Faust aufs Auge zur künstlerischen Intention und sollte daher nicht gegen den Film und die DVD sprechen.
Tonqualität: Leichtes Grundrauschen ist zu vermelden, die Dialoge sind aber einwandfrei verständlich.
Extras: Neben einer erstaunlich unlustigen Introduction von Lloyd Kaufman mit Debbie Rochon (deren Gimmick es ist, dass Kaufman und Rochon keine Ahnung haben, welchen Film sie ankündigen, von und mit wem er ist usw. und daher diese Namen immer von einem Off-Sprecher „eingefügt“ werden) gibt’s einen Audiokommentar von Seder sowie eine Featurette über seine „Lifetiles“-Installationen. Der Rest des vordergründig umfangreichen Zusatzmaterials ist nicht filmbezogen und nicht der Rede wert: „Make your own damn movie“, angekündigt als „film school in a box“ ist nicht mehr als ein Werbefilmchen für das gleichnamige Buch von Kaufman, der „special tribute to Rue Morgue magazine“ auch nichts anderes als ein zwanzigsekündiger Werbeclip, darüber hinaus gibt’s Trailer für „Citizen Toxie“ und „Tales from the Crapper“, den „Radiation March“, diverse weitere Troma-Shills und, völlig zusammenhanglos und rätselhaft auf die DVD gelangt, ein Interview (bzw. für meinen Geschmack einen Ausschnitt aus einem längeren solchen) mit dem Regisseur Vincent Sherman, der in den 40ern verschiedene Errol-Flynn-Filme dirigierte. Kurios.
Fazit: Ich bleibe dabei – wäre „Screamplay“ nicht bei Troma erschienen, man würde Rufus Butler Seder feiern und würde heute keine Troma-DVD, sondern eine Criterion- (oder zumindest Anchor-Bay- oder Blue-Underground-)Scheibe besprechen müssen. Die Idee, mit den filmischen Mitteln des billigen 50er-Jahre-B-Kintopps in den 80ern das Feeling, die traumwandlerische Stimmung eines expressionistischen Stummfilms zu simulieren und das Ganze noch in eine film-noir’esque Hommage an das düstere, dreckige Hollywood abseits des glimmernden Boulevards zu packen, verdient schon allerhöchsten Respekt und Seders Ausführung steht der Prämisse in nichts nach – ein ausgezeichneter Film, der höchstens einen etwas besseren, weniger plumpen Titel verdient hätte. Cineasten, die sowohl etwas für expressionistisches Kino als auch Poverty-Row-Hollywood übrig haben, die ganze Angelegenheit nicht bierernst sehen, sollten sich vom Umstand, es mit einer Troma-Veröffentlichung zu tun zu haben, nicht abschrecken lassen; ein Film, der 23 Jahre nach seiner Entstehung noch seiner Entdeckung harrt. Ein eigentümlicher, bemerkenswerter, einfallsreicher und origineller Film – kurz: ein echter Geheimtipp!
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(c) 2008 Dr. Acula