Schrei nach Leben

 
  • Deutscher Titel: Schrei nach Leben
  • Original-Titel: Die Screaming Marianne
  •  
  • Regie: Pete Walker
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1971
  • Darsteller:

    Susan George (Marianne Evans), Barry Evans (Eli Frome), Christopher Sandford (Sebastian Smith), Judy Huxtable (Hildegard), Leo Genn (The Judge), Kenneth Hendel (Rodriguez), Paul Stassino (Detective), Alan Curtis (Manager), Anthony Sharp (Standesbeamter)


Vorwort

Die 70er waren über den Daumen gepeilt keine gute Zeit für den britischen Horrorfilm. Hammer hatte, wie wir an dieser Stelle schon inflationär oft festgestellt haben, den Anschluss an das moderne Genrekino verpasst und der Versuch der legendären Gruselschmiede, mit ihren letzten drei Dracula-Filmen ihr Erfolgsrezept soweit zu modernisieren, um nach wie vor Kasse zu machen, wurde allgemein mit Nicht- bis Verachtung gestraft. Amicus hatte überhaupt nicht vor, die Grenzen des Möglichen auszutesten – es war das erklärte Prinzip der Anthologie-Spezialisten, das Gewalt- und Sexniveau deutlich unterhalb der Hammer-Konkurrenz anzusiedeln ( „Der Foltergarten des Dr. Diabolo“, hat deswegen auch ein grünes FSK-12-Papperl, wofür sich jeder anständige Horrorfilm ja schämen sollte), Tigon nicht die finanziellen Mittel. Da und dort versuchte noch ein Vincent-Price-Film, klassische Motive mit etwas räudigeren Effekten aufzupeppen, aber im Großen und Ganzen war da nicht viel, insbesondere, wenn man vom „Mainstream“ weg schaute, hin zu den unabhängigen Exploitation-Filmern. Und so konnte Pete Walker, bei aller Freundschaft sicher nicht das größte Regielicht unter seltener britischer Heimatsonne, zu so etwas wie des Königreichs führendem Exploitation-Filmer aufsteigen, primär auf der Basis von „Frightmare“, „Haus der Todsünden“ und seinem companion-piece „Haus der Peitschen“, die beiden letztgenannten dabei weniger Horror-Fun denn tiefschwarze morality plays.

Walker kam natürlich nicht aus dem Nichts – er hatte Ende der 60er mit einigen Sexfilmchen wie „The Four Dimensions of Greta“ eingermaßen Erfolg gehabt und sah sich nun in der Position, etwas „größere“ Filme mit „richtigen“ Schauspielern zu machen. Immer noch Low Budget, versteht sich, aber immerhin mit Auslandsdreh. Ein Psychothriller sollte es sein – und, okay, „Die Screaming Marianne“ ist ein Titel, der den potentiellen Zuschauer schon mal am Kragen packt und ordentlich durchschüttelt… Kucken wir also mal, ob Mariannchen wirklich schreiend stirbt…


Inhalt

Wir lernen Marianne (Susan George, MANDINGO, WER GEWALT SÄT, DIE RACHE DES NINJA) erst mal dezidiert nicht schreiend kennen. Hübsch, blond, 20 Jahre jung, verdingt sie sich in einer drittklassigen Kaschemme in Portugal (genauer gesagt, in der Algarve) als Halbnackt-Tänzerin. Die Konkurrenz in Sachen Amüsemang scheint vor Ort nicht umfangreich zu sein, der Chef des Ladens macht jedenfalls mit Marianne „The Hips“ MacDonald und ihrer englischen Staatsbürgerschaft ordentlich Werbung. Willkommener Benefit ihrer Anstellung scheint zu sein, dass sie attraktives Mannsvolk wie den jungen Seemann, der ob Zapfenstreichüberziehung am Morgen von der Militärpolizei abgeholt wird, nach der Show beschlafen kann.

Werbung mit Namen und Foto ist schön und gut fürs Geschäft, aber vergleichsweise kontraproduktiv, wenn man, wie Marianne (die zu ihrer Ehrenrettung nicht wirklich „MacDonald“ heißt) eigentlich auf der Flucht ist. Vor wem? Na, das wird sich noch herausstellen. Jedenfalls klopft an diesem Morgen ein eher grobschlächtiger Typ Marke Ein-Mann-Brutaltrupp an der Schänke Tür und verlangt unmissverständlich, zu der lieben guten Tänzerin geführt zu werden. Der Herr heißt, wie sich noch ergeben wird, Rodrigues (Kenneth Hendel, MÄNNER DER GEWALT, GEFANGENE DES UNIVERSUMS) und könnte zu diesem Zeitpunkt Mafiosi, Zuhälter, Privatdetektiv oder Cop sein. Dem Wirt gelingt es, Rodrigues lange genug hinzuhalten, damit Marianne sich ein Minikleid überwerfen, ihr Ränzel schnüren und durchs Fenster stiften gehen kann.

Mariandl ist klug genug sich auszurechnen, dass Rodrigues die Straßen überwachen wird und türmt quer durch die portugiesische Pampa, fällt dann jedoch dem schnöseligen britischen Touristen Sebastian Smith (sieht aus wie eine bulimische Hybridzüchtung aus Otto Waalkes und Mike Krüger, die dazu ausersehen ist, eine Sweet-Coverband zu gründen, ist aber Christopher Sandford, DEEP END, VAMPIRA)) vor den Kühlergrill seines Austin-Healey-Sportwagens. Basti schraubt sich beinahe in den Straßengraben – aber nach kurzem gegenseitigen Anzicken offeriert Sebastian eine Mitfahrgelegenheit. Und die führt bis nach London…

Nachdem wir im stylishen Vorspann die einzige echte Probe von Mariannes (unterwältigenden) Tanzeskünsten bestaunen dürfen, finden wir uns zwei Wochen später in London und Sebastians bisheriger Junggesellenbude wieder. Marianne ist unbürokratisch eingezogen, staunt aber dennoch nicht schlecht, als Seb aus dem Nichts kommend eine Eheschließung vorschlägt. Und zwar nicht in einem Jahr oder nächsten Monat, sondern HEUTE. Marianne weist darauf hin, dass man normalerweise nicht einfach zum Standsamt latscht und dort sofortige Vermählung beauftragt, aber Schelm Sebastian hat die notwendigen Arrangements bereits getroffen, einen Termin ausgemacht und seinen besten Kumpel Eli (Barry Evans, ALFRED DER GROSSE – BEZWINGER DER WIKINGER, DOCTOR IN THE HOUSE) als Treuzeugen zwangsverpflichtet. Der ordnungsgemäß ausgeübte peer pressure macht ein Nein schwierig. Zwar versucht Marianne noch vorm Amt auf Zeit zu spielen – schließlich braucht man zwei Trauzeugen, aber das Problem regelt Eli mit einer kleinen Spende an die halbsenile Blumenverkäuferin, die sich mit „vor dem Standsamt“ sicher nicht den allerschlechtesten Platz für ihr Gewerbe ausgesucht hat -, aber es nützt nix. Es wird geheiratet! Juchu!

Beim anschließenden Pub-Besäufnis allerdings kommt das böse Erwachen – zumindest für Sebastian. Wie sich der Heiratsurkunde ergibt, hat der zerstreute Standesbeamte Marianne nicht mit ihm, sondern mit Eli verheiratet! Whoopsie… Nicht so tragisch, meinen Eli und vor allem Marianne, die, so scheint es, das kleine Büroversehen durchaus mitbekommen, aber nicht korrigiert hat, sowas lässt sich ja mit ein bisschen Papierkram annullieren, aber Sebbi springt recht unverhältnismäßig heftig der Draht aus der Langhaarmatte. Vielleicht macht sein Horoskop sein zukünftiges Lebensglück einzig und allein davon abhängig, dass er HEUTE UND NIEMALS SONST den Bund fürs Leben schließt, jedenfalls ist er ausgesprochen pissig. So pissig, dass Marianne, die augenscheinlich noch nie einem Problem begegnet ist, vor dem sie nicht davonlaufen konnte, erneut ihre Siebensachen packt und auszieht. Der Tag hätte besser laufen können.

Sebastian reagiert besonnen wie erwartet, schmeißt den gesprächswilligen Eli raus, kauft sich ein Flugticket und verpisst sich. Eli beginnt nach Marianne zu suchen und entdeckt sie ziellos durch die Stadt latschend. Sein Vorschlag, dass Marianne, wo man rein rechtlich gesehen ja eh miteinander verheiratet ist, bis auf Weiteres erst mal in seine Bude zu ziehen, wird dankbar angenommen.

Zehn Tage vergehen und Marianne ist einigermaßen verwundert, dass Eli bislang nicht versucht hat, ihr an die Wäsche zu gehen. Eli begreift das zutreffenderweise als eine dienstliche Aufforderung und so landen die Jungvermählten tatsächlich in einer Art Ehebett. Und Marianne macht sogar ein paar Andeutungen über ihre Vergangenheit – denn dass sie vor irgendetwas oder –wem wegläuft, begreift sogar Eli. Viel mehr, als dass alles mit einem gewissen Richter (as in der Profession, nicht dem Namen) zu tun hat, kann er ihr aber nicht aus der Nase ziehen.

Sebastian überrascht uns indessen – er ist in Portugal gelandet und wird bei einer Villa vorstellig. Auf sein Einlassbegehren öffnet niemand anderes als Rodrigues, der aber nicht der Hausherr ist. Das ist vielmehr der bewusste Richter (Leo Genn, QUO VADIS, MOBY DICK, DER LÄNGSTE TAG), und der ist, na sieh mal einer guck, niemand anderes als Mariannes werter Vater. Hier residiert er aber nicht allein, sondern mit Hildegard (Judy Huxtable, UNSER MANN VOM SECRET SERVICE, RUNTER MIT DEM KEUSCHHEITSGÜRTEL), seiner anderen Tochter (von einer anderen Frau), einem leicht anorexisch wirkenden, nichts destotrotz aber einigermaßen steilem Zahn. Und jener Zahn ist, der Schlag soll mich treffen, Sebastians Ex. Das lässt tief blicken, zumindest dahingehend, dass Sebastians Aufgabelung der türmenden Marianne nicht so zufällig war wie wir das bislang vermutet haben.

Es ist jedenfalls klar – Marianne ist auf der Flucht vor dem Richter und Hildegard, die beiden dagegen wüssten das Mädchen gerne wieder in ihrer Obhut. Der Grund ist, wie so oft, schnöder Mammon in der Höhe von 700.000 englischen Pfund (umgerechnet also mehrere Fantastilliarden Euro), und wenn uns das wie und warum noch nicht aufgetischt wird, so teilt der Richter mit, dass die Zeit drängt. In vierzehn Tagen hat das liebe Kind Geburtstag (wir vermuten, und das richtigerweise, den 21.) und bis dahin muss Marianne hier sein. Es wird nicht ganz deutlich, ob Sebastians angedachte Heirat mit Marianne seine eigene Idee war, oder im Auftrag des Richters oder gar von Hildegard geplant war, jedenfalls verplappert sich Sebastian insoweit, dass er Elis Namen fallen lässt, und nun rastet Hildegard aus. Eli könnte sich als zusätzliche Komplikation erweisen, aber der Richter macht deutlich, dass dem versehentlichen Ehemann kein Haar gekrümmt werden soll. Und Sebastian – der soll gefälligst Marianne herbeischaffen, wie auch immer, dafür spuckt der alte Herr auch 3000 Pfund Prämie aus.

Eli hat allerdings grad ganz andere Probleme – er wird von der Straße weg von zwei Polizisten in Gewahrsam genommen, die ihn in ein wenig vertrauenserweckendes Apartment schleifen und dort erst mal – nichts tun. Der eine verlässt die Wohnung, der andere beginnt mit seiner Pistole und seinem – sicherlich polizeidienstgenehmigten – Schalldämpfer zu spielen und beginnt dann demonstrativ, aus einer Wäscheleine eine Würgeschnur zu falten. Als Eli aus dem Fenster spitzt und beobachtet, dass der andere Polizist gerade einen Teppich aus einem Auto zerrt, in dem man bequem einen Mann einrollen könnte, fällt verspätet, aber immerhin, der Shilling. Hier ist Mord geplant! Eli nimmt die Beine in die Hand und, weil er wie jeder ordentliche britische Jungmensch ein Schnappmesser in der Hosentasche hat, kann selbiges dem Teppichträger-Cop in die beachtliche Plauze rammen. Das Erlebnis bedrückt Eli verständlicherweise und mit Marianne ist er sich einig, dass höchstwahrscheinlich der Richter hinter dem Attentat steckt.

Während Eli in der Nacht den Schlaf der Ungerechten pennt, tut Marianne das, was sie in solchen Dingen immer zu tun pflegt – Koffer packen und verschwinden. Die just bevor Sebastian eintrifft, der, woher auch immer, weiß, dass Marianne bei Eli eingezogen ist und ganz den guten Verlierer und Kumpel spielt, und auch gerne bereit ist, dem verzweifelten Eli bei der Suche nach Marianne zu assistieren.

Marianne hat sich bis nach Brighton durchgeschlagen und versucht, als Tänzerin ein Engagement zu finden, doch der einzige Interessent, der schmierige Scheff der Ramschdisco „Sloopy“ (Alan Curtis, THE CORRIDOR PEOPLE, IST JA IRRE – EIN TOTAL VERRÜCKTER URLAUB, DOCTOR WHO: THE WAR MACHINES), sieht in einer Bikini-Tänzerin in erster Linie ein Objekt zur eigenen sexuellen Befriedigung. Marianne sieht von einem Arbeitsvertrag ab und kehrt stattdessen nach London zurück und krabbelt ins Ehebettchen, in dem allerdings Sebastian liegt! Zum Glück entstehen keine tieferen Missverständnisse, und auch wenn Marianne Sebastian keinen Meter Feldweg weit traut, stimmt sie nach längerer Überlegung dessen Vorschlag, gemeinsam nach Portugal zu reisen und alle bestehenden Unstimmigkeiten in einem direkten Gespräch mit dem Richter zu klären, zu. Eli und Marianne sind sich allerdings auch einig, dass Seb nicht zu trauen ist und man auch im Umgang mit dem Richter und Hildchen äußerste Vorsicht walten lassen wird.

Zunächst scheint’s aber keinen Anlass für gesteigertes Misstrauen zu geben. Der Richter gibt sich extra scheißfreundlich und ganz der friedvolle Papa auf der Suche nach allgemeiner Famlienversöhnung, und auch wenn Hildegard, die augenscheinlich nichts lieber hätte als ein inzestuöses Verhältnis mit dem Herrn Vater (und auch der wäre wohl nicht abgeneigt, hält es aber für etwas unschicklich), herumzickt, der Richter verdonnert sie dazu, sich mit Sebastian zu amüsieren und sich ansonsten erst mal zurückzuhalten.

Es wird langsam Zeit aufzudröseln, worum es nun eigentlich genau geht. Well, listen. Der Richter war einst schwer verliebt in Ruth, Mariannes Mum, aber das beruhte augenscheinlich nicht auf völliger Gegenseitigkeit. Was auch wieder daran liegen mag, dass der Richter in seinem Job ein ziemliches Arschloch war, der bemerkte, dass gewisse Elemente bereit sind, ordentlich Kohle springen zu lassen, wenn ein, sagen wir mal, empfänglicher Richter dafür etwas vom Strafmaß abkratzt. Des Richters üblicher Tarif war 10.000 Pfund pro Jahr weniger Knast. Natürlich fiel das irgendwann mal auf, aber um einen Justizskandal zu verhindern, wurde kein Fass aufgemacht, sondern der Richter nur in den Ruhestand versetzt. Was ihm durchaus getaugt hätte, alldieweil er nun seine unverdiente Kohle verprassen können, aber da war Ruth vor, die sich mit den ergaunerten 700.000 Pfund PLUS einer umfangreichen Notizsammlung, die die halbe britische High-Society als Mitwisser und Komplizen impliziert, abgeseilt hat. Geld und Aufzeichnungen liegen nun in einem Schweizer Bankschließfach, dessen Nummer nur Marianne kennt, und das erst ab ihrem 21. Geburtstag geöffnet werden kann. Hildegard bedrängt Marianne, die Nummer doch herauszurücken – Hildchen ist primär an der Penunze interessiert, aber Väterchen hätte doch gern die Gewissensruhe, dass die geheimen Geheimnisse geheim bleiben. Marianne bleibt standhaft.

Womit Hildegard nun aber nicht gerechnet hat ist die beginnende Altersmilde des Vaters. Der hält Eli nämlich auch zur eigenen Überraschung für einen echt netten Kerl und geeignetes Ehegattenmaterial (und er entschuldigt sich auch für das Attentat in London. Das wäre nicht ernst gemeint gewesen, sondern sollte Eli nur ein bisschen erschrecken. Das wird den abgestochenen falschen Cop sicher arg trösten). Sogar seine Weinkennerschaft will er mit Eli teilen, nur ist der beste Tropfen gerade ausgegangen, Eli soll neuen in der nächsten Stadt, Faro, besorgen.

Das kommt nun allerdings zur Unzeit, denn Sebastian und Hildegard ist nun endgültig der Geduldsfaden gerissen, es sollen andere Seiten aufgezogen werden. Sebastian drängt Eli daher selbstlos seinen Austin-Healey für die Besorgungstour auf. Rodrigues allerdings hat offenbar etwas mitbekommen, was er nicht hätte mitbekommen sollen und zerrt Eli aus der Karre. Eli fragt natürlich, was der Käse soll, und Rodrigues lädt ihn ein, einmal die Bremse zu betätigen. Eli betätigt, und tritt ins Leere. Rodrigues, der mittlerweile vom Richter den Auftrag hat, auf Eli aufzupassen, drängt sich als Chauffeur auf. Zufall? Anschlag? Wer war das Ziel?

Jedenfalls wird jetzt eskaliert – Hildegard überredet Marianne zu einem Saunagang, aber natürlich nur, um sie dort ordentlich zu kochen und per Hitzefolter an die Schließfachnummer heranzukommen. Der Richter, der mittlerweile einen 180-Grad-Schwenk vollzogen hat, versucht dies zu unterbinden, wird aber von Sebastian daran gehindert. Der Ruf nach Rodrigues verhallt ungehört, weil der ja mit Eli in Faro ist. Um Hilfe zu holen, schwingt sich Leo in den Austin-Healey… uh-oh…

Die zutreffendste Bewertung von „Die Screaming Marianne“ liefert vermutlich Pete Walker selbst, der im Begleitmaterial den Streifen als keins seiner Highlights und „nicht gut, aber ganz interessant“ klassifiziert. Geschrieben von Murray Smith, einem Möchtegernschreiberling, der im richtigen Leben eigentlich Bühnenmanager in einem kleinen Filmstudio war, und den Walker in einem Pub kennenlernte, will der Film eine Art „brit noir“ sein, wie ihn Hammer in den 60ern mit Sachen wie „The Snorkel“ oder „The Nanny“ öfter mal in die Kinos brachte. Die Zutaten sind durchaus vorhanden – ein Geheimnis aus der Vergangenheit, eine manipulierende femme fatale, ein ihr höriger Helfershelfer, das arme Opfer und der unschuldige kinda-sorta-Held, der unwissentlich in die Sache hineingezogen wird, das sind alles bewährte Bausteine, die auch einigermaßen routiniert zusammengesetzt werden.

Das große Problem des Films ist, dass er uns viel zu lange im Unklaren lässt, WAS überhaupt Sinn und Zweck des Ränke- und Intrigenspiels ist. Natürlich sorgt es zunächst mal schon für Interesse, wenn wir quasi „mitten in die Geschichte“ hineingeworfen werden und sich das Gesamtbild erst langsam zusammensetzt, aber andererseits fällt die Identifikation mit Marianne schwer, wenn wir lange genug keinen Anhaltspunkt haben, ob ihre Flucht wirklich einen vernünftigen Grund hat oder sie einfach nur eine rebellische Rotzgöre ist, und ihr einziger Problembewältigungsansatz des Weglaufens verbunden mit ihrer Flatterhaftigkeit, mit der sie sowohl Sebastians unangebrachten Antrag annimmt, ihn vielleicht sogar bewusst sabotiert und ihn dann in die Wüste schickt, nur um sich dann beim gutmütigen Eli einzunisten, das alles macht sie über weite Strecken nicht sonderlich sympathisch. Eli hingegen ist als Protagonist einfach zu passiv – abgesehen von seiner überraschenden Gegenwehr gegen die falschen Polizisten (eine der besten Szenen des Films, die praktisch ohne Dialog, nur mit Mimik und Gestik transportiert wird), ist er mehr Passagier als „Fahrer“, der staunend verfolgt, was um ihn herum so alles passiert.

Die Schurkenfraktion ist deutlich besser gezeichnet, wenn auch mit dem groben Pinsel. Sebastian ist ein widerliches rückgratloses Wiesel, der sich, obwohl schon einmal von ihr geschasst, wieder mit Hildegard ins Bett legt (sowohl metaphorisch als auch sprichwörtlich), obwohl er wissen muss, dass sie ihn nur als Spielfigur in ihrem Schlachtplan benutzt, Hildegard eine geradezu entzückend hassenswerte Bitch und der korrupte Alt-Richter, der sich spät und zu seinem empfindlichen Nachteil entscheidet, seine Pläne aufzugeben (ohne dies allerdings seinen Komplizen mitzuteilen), sind ein angemessen fieses Dreigestirn des Bösen (dass am Ende Rodrigues, uns eingeführt als tumber Auftragsschläger, der einzige Charakter im Film zu sein scheint, der eine scharfsinnige Beobachtungsgabe, einen gesunden Moralkompass und ein eingeschaltetes Gehirn zu besitzen scheint, ist eine kleine, feine Überraschung).

Strukturell wird der Film dadurch geplagt, dass er naturgemäß dadurch, seine Karten erst spät aufdecken zu wollen, seine Eskalation ziemlich gedrängt in die letzten 15 Minuten packen muss, in denen eigentlich (bis auf die erwähnte Szene mit den falschen Bullen) alles passiert, was kinematisch berichtenswert ist. Der Film ist vorab nicht langweilig – sofern man in der richtigen Stimmung ist und miträtselt, was überhaupt Sache ist, wer der ist, der er zu sein scheint und wer vertrauenswürdig ist), aber selbstredend kein Tempobolzer. Dass Walker im zweiten Akt zwischen den Handlungsebenen London und Portugal umschalten kann, bringt ein wenig Schwung ins Prozedere – und besonders Portugal gibt natürlich auch einen pittoresken Backdrop ab, aus dem der Film einigen Gewinn zieht.

Vielleicht für manche überraschend ist der Streifen sehr zurückhaltend inszeniert, was Gewalt und Sex angeht. Susan George ist zwar in allerhand ultrakurzen Kleidchen zu sehen, aber alles bleibt sehr züchtig (selbst in der Sauna wickeln sich Marianne und Hildegard in Handtücher, unter denen sie noch BH und Slip tragen), und die gewalttätigste Szene ist Elis Einstechen auf den Fake Cop. Wenig Grund für Zensoren, etwas zu schneiden (der amerikanische Vertrieb fühlte sich offensichtlich verpflichtet, auf Teufel komm raus die Schere anzusetzen und eliminierte nach eigenem Gutdünken 15 Minuten).

Die Schauspieler, abgesehen von Leo Genn, jung, hip und undiszipliniert (was Pete Walker dazu genervt dazu veranlasste, an einem Freitagabend der überraschten Crew zu verkünden, dass er den Film aufgebe und dies auch einigen gedungenen Journalistenschergen in die Blöcke diktierte, und seinen Cast am Samstag in einen Flieger nach London zu setzen, wo sie bereits von der neugierigen Presse erwartet und gelöchert wurden. Am Montag ging der Drehbetrieb dann ohne weitere Störungen wieder los), sind okay. Susan George muss entgegen ihrem Ruf als eine der führenden 70er-Scream-Queens nur einmal wirklich laut kreischen und trägt ansonsten hauptsächlich ihren Body, Schmollmund und leicht entrückten Gesichtsausdruck spazieren, Barry Evans bleibt relativ blass, bis auf die erwähnte „Pantomimen“-Szene mit den Cops, Christopher Sandford, ein Hungerhaken vor dem Herrn, gibt das Ekel Sebastian überzeugend; auch Jody Huxtable möchte man zwangsernähren, aber auch sie ist eine prima Schlampe. Leo Genn, ein Veteran und Oscar-Nominent, war zwar ein Casting-Coup für Walker, ist allerdings auch ein Detriment für den Film (sieht man ihn in der englischen Fassung), weil er seine Lines dermaßen garblet, warblet und marblet, dass ich als selbsternannter verdammt-gut-Englisch-Versteher bestenfalls ein Drittel seiner Lines ausmachen kann. Walker ist im Bonusmaterial des Lobes voll über Genn, also gehe ich mal nicht davon aus, dass der in Drehpausen primär alle erreichbaren Spiritousenflaschen geleert hat, aber… wenn man davon redet, dass ein Schauspieler so klingt, als wäre er hackedicht, dann passt das hier auf Genn.

Die Blu-Ray von Screenbound bringt den Film erstmals im intendierten 1.85:1-Format. Genn drehte den Film in 1.33:1 in der Absicht, später auf Widescreen zu maskieren, kam dann aber nie dazu, d.h. erst jetzt mit dieser Veröffentlichung sind die Bildkompositionen so, wie der Regisseur sie beabsichtigt hat. Der Ton ist gut (für Genns Genuschel kann die Tonspur nichts), als Extra gibt’s einen Audiokommentar und ein Videointerview mit Pete Walker.

It’s by no means a perfect picture… der Plot braucht einfach zu lange, um in die Spur zu kommen, und es fehlt eine richtige greifbare positive Identifikationsfigur, aber es ist ein ganz clever konstruiertes kleines finsteres Thrillerchen, das zum Ende auch ganz schön nasty wird und macht sich letztlich als Fingerübung für Walkers spätere Thriller und Horrorfilme dann doch ganz gut.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 4

BIER-Skala: 6


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