Running Time

 
  • Deutscher Titel: Running Time
  • Original-Titel: Running Time
  • Alternative Titel: Der fast perfekte Überfall |
  • Regie: Josh Becker
  • Land: USA
  • Jahr: 1997
  • Darsteller:

    Bruce Campbell (Carl), Jeremy Roberts (Patrick), Anita Barone (Janie), William Stanford Davis (Buzz), Gordon Jennison Noice (Donny), Art LaFleur (Warden), Dana Craig (Mr. Muller), Curtis Taylor (Prison Guard), Bridget Hoffman (Receptionist), David Kirkwood (Security Guard), Jules Desjarlais (Bagman)


Vorwort

Nach langjähriger Knaststrafe ist’s an der Zeit für Carl, wieder ungesiebte Luft zu atmen. Sein Gefängnisdirektor ist begeistert – aus dem aufmüpfigen Nogoodnik ist ein Mustergefangener geworden, der Stein und Bein schwört, fortan auf ehrliche Weise sein Geld zu verdienen. Sure thing…
Sein Kumpel/Komplize Patrick holt Carl vom Knast ab und als Willkommensgeschenk hat er zum Abbau jahreszeitlich bedingter sexueller Gelüste auch ’ne Nutte dabei, die Carl noch direkt im Van flachlegen darf. Postkoital fällt’s Carl aber wie Schuppen aus den Haaren – die Nutte ist niemand anderes als seine High-School-Flamme Janie! Man verabredet sich für später, denn jetzt hat Carl erst mal wichtigere Dinge zu erledigen, i.e. die akute Aufbesserung seines Bargeldbestandes. Uns Kalle hat nämlich mitneffen und -nichten die Anwandlung, seriös zu werden, sondern plant vielmehr, niemand anderes als seinen Gefängnisdirex, der sich mit der knasteigenen Wäscherei eine goldene Prostata verdient, um die Früchte ebenjener Knacki-Arbeit zu bringen. Einziger Haken: der Coup muss jetzt oder nie sofort und auf der Stelle durchgezogen werden, da Carl nur für den Augenblick für die Akkuratesse seiner Informationen garantieren kann. An Safeknacker Buzz soll’s nicht scheitern, nur Fluchtwagenfahrer Donny, seines Zeichens erstens von Patrick aufgegabelt und zweitens Junkie, lässt bei Carl sämtliche Alarmglocken bimmeln. Aber’s hilft nix, wat mutt, dat mutt.

Et mutt Carl dann aber feststellen, dass Patrick seinen Teil der Informationsbeschaffung (das Ausspionieren des zu beklauenden Büros) outgesourced hat, mit der Folge, das anstelle des von Buzz erwarteten leicht knackbaren Tresors schwereres Gerät auf den Safeknacker wartet – ob er den in der knappen Zeitspanne, bis der Direx mit seinen bewaffneten Wärtern vorbeikommt, aufkriegt, weiß er nicht. Carl muss mit ansehen, wie sich sein eleganter Plan vom Raubüberfall ohne Komplikation oder Ballerei vor seinen Augen in seine Bestandteile auflöst – erst recht, als Patrick in einer Kurzschlussreaktion den alten Security Guard erschießt, Donny mit dem Fluchtwagen spurlos verschwunden ist und Buzz nach getaner Arbeit, weil körperlich bedingt nicht gut zu Fuß, auf der Flucht von Uniformträgern totgeschossen wird.
In seiner Verzweiflung fällt Carl nichts anderes ein, als sich bei Janie zu verstecken, bis Patrick (hoffentlich) mit der Kohle und einem neuen Fluchtauto auftaucht. Das bietet zumindest die Gelegenheit, die gemeinsamen High-School-Zeiten aufzuarbeiten…


Inhalt

Der Wortvogel ist schuld – der hat unser heutiges Filmchen grad besprochen und da fiel mir ein, dass ich die DVD ja auch seit ein paar Monaten im Regal stehen habe. Da könnte man das Ding ja glatt mal ankucken – wobei ich mich jetzt dem Problem gegenüberstehe, zur Materie noch etwas *neues* zu sagen. Andererseits hat der Herr Dewi ja keine Ahnung von Filmen und liegt daher vermutlich eh völlig falsch…

Ich weiß nicht, ob Bruce Campbell manchmal nachts in sein Kopfkissen heult und sich ärgert, seinem alten Kumpel Sam Raimi zugesagt zu haben, bei einem kleinen Horrorfilmchen namens „Evil Dead“ mitzuspielen. Obschon die Ash-Rolle den guten Bruce in den Annalen der kultigen Horror-Stars verewigt hat, hat sie ihn unbestrittenermaßen auch auf den Ash-Typus festgelegt – und das macht die, ähem, schauspielerische Entwicklung schwer. Wer in „Alien Apocalypse“ spielt, tut dies nicht, weil man von ihm oscar-reife Leistungen erwartet, sondern weil man sich produzentenseits bei der „Evil Dead“-Fanschar anbiedern will. Will sagen – ob Bruce über seine erprobte und ja auch absolut freudenbringende Ash-Persona hinaus als Schauspieler ‚was drauf hat, blieb dem großen Publikum lange verborgen (zumindest bis zu seinem Serien-Engagement in „Burn Notice“; „Brisco County Jr.“ und „Jack of all Trades“; seine Hauptrollen-Serien-Versuche, waren ja leider Flops).

Weitgehend unbeachtet von zählbarer Audience (inklusive der erwähnten „Evil Dead“-Crowd) spielte Bruce 1997 die Hauptrolle in einem kleinen Gimmick-Film von Josh Becker, der freilich ebenfalls aus dem Raimi-Umfeld stammt, an „Evil Dead“ mitwerkelte, „Thou Shalt Not Kill… Except“ drehte, von Raimi bei „Hercules“ und „Xena“ beschäftigt wurde und, gottverdammich, ein paar Jahre später… „Alien Apocalypse“ schrieb und inszenierte.
Der Legende nach hauptsächlich mit Geld, das Becker für den Verkauf eines (bis heute nicht verfilmten) Drehbuchs einnahm, bastelten Becker und Kollegen in 10 Tagen ein Ultra-Low-Budget-Wunder, das sich zudem noch explizit als stark beeinflusst von Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ behauptet. Nun, da die obige Inhaltsangabe und das, was mir von „Rope“ noch in Erinnerung ist, nicht wirklich viele Berührungspunkte haben, gehen wir mal gepflegt davon aus, dass Becker damit die „one-shot“-Technik meint, d.h. zumindest erfolgreich so zu tun, als wäre der Streifen in einem Rutsch, ohne sichtbaren Schnitt, am Stück gedreht worden (ein Konzept, an dem sich zuletzt, mit technisch erstaunlichem, inhaltlich dafür aber um so hohleren Resultat der uruguayanische Gruselthriller The Silent House versuchte). Damit einher geht verständlicherweise die Schilderung der Handlung in Echtzeit. Mehr als eine Stunde netto hat Becker sich – ein unerwarteter Anfall filmemacherischer Bescheidenheit – nicht vorgenommen, das spricht schon mal für ihn.

Die Geschichte selbst – der außer Kontrolle geratene Raubüberfall – ist natürlich ungefähr so originell wie „Frau und Mann treffen und verlieben sich“, aber für Becker und seinen ausführenden Drehbuchschreiberling Choi geht’s hier sichtlich stärker darum, ein probates Spielfeld für das Echtzeit-one-shot-Experiment und damit die inszenatorische Fingerübung aufzubauen denn um Schaffung eines innovativen, neuartigen Szenarios. Damit ein Film mit diesem Gimmick funktioniert, muss das Script extrem dicht, extrem präzise sein (das ist auch eins der Probleme, das „The Silent House“ versenkte. „In Echtzeit“ durch ein finsteres altes Haus schlappen ist per se nicht sonderlich spannend) und in dieser Hinsicht überzeugt „Running Time“ völlig. Keine Sekunde wird verschwendet, jede Situation, jede Dialogzeile (mal abgesehen von den four-letter-words, die man sich selbstredend bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an den Kopf wirft – und selbst die sind manchmal Bestandteil witziger Gags: Ein Strafgefangener ruft dem gerade den Knast verlassende Carl ein beherztes „Fuck you“ hinterher. Carl antwortet grinsend: „Not today.“) führt irgendwo hin, ist wichtig, beleuchtet die Hintergründe der Charaktere und ihr Beziehungsgeflecht, ohne dass aufdringlicher „expository dialogue“ benötigt wird, flüssig, folgerichtig und natürlich aus den Situationen heraus. Aus schlichten, potentiell austauschbaren Figuren werden so, obwohl wir nur an einer Stunde ihres Lebens teilhaben, echte, greifbare *Charaktere* im Wortsinne.

Ebenfalls hilfreich: das ganze Szenario ist angenehm „low-key“ – unsere Gangster türmen keine Leichenberge auf, reißen dabei kesse Sprüche und erbeuten 1000 Fantastillionen Dollar. Der Coup, den Carl geplant hat (und der trotz seiner „Bescheidenheit“ etwas mehr ist, als Carl eigentlich abbeißen sollte), bringt stolze 250.000 Dollar ein (kein Kleingeld, aber weder Danny Ocean noch Mr. Pink würde sich dafür die Schnürsenkel zubinden), „cool“ ist weder Carl noch irgendeiner seiner Mitstreiter, und der body count beschränkt sich auf 2 (plus ein mögliches zusätzliches Opfer aufgrund Herzinfarkt). Es ist eine kleine Geschichte, mit „kleinen“, dafür aber lebendigen, glaubhaften Protagonisten.

Becker inszeniert diese Story „noir-ish“ – stilecht in schwarz/weiß, auch wenn „Running Tme“ mangels existentiell notwendiger Bestandteile/Charaktere (es gibt keine „femme fatale“ im Genre-Sinne und Carl ist mit Sicherheit auch nicht der „hard-boiled“-Protagonist) kein echter film noir ist; die s/w-Fotografie verleiht dem bei hellem Tageslicht spielendem Streifen eine Art artifizieller Düsternis, die dem Stoff (der ansonsten beinahe etwas *zu* leicht behandelt würde) gut tut.
Mit dem „one-shot“-Gimmick kommt Becker sehr gut zurecht – die Kameraarbeit (von Kurt Rauf, an den sich Campbell für „My Name is Bruce“ erinnerte, und der natürlich auch zum erweiterten Raimi-Zirkel gehört) ist überwiegend exzellent (gerade die Eröffnungsszene! *schwelg*); nur einmal erhascht man eine Reflektion des Kameramanns in Fenster eines vorbeifahrenden Autos und die Schnittpunkte sind beeindruckend geschickt gesetzt (d.h. man muss schon gezielt nach Stellen, an denen unauffällig geschnitten werden konnte, Ausschau halten, im Flow des Films sind sie ansonsten unmerklich. Die Takes sind allerdings auch so verdammt lang… der Durchschnitt liegt laut Becker bei fünf Minuten). Becker weiß nicht nur, dass er seinen Film nicht krampfhaft auf 90 Minuten strecken sollte, sondern auch, dass es einen guten Grund geben kann, die selbstgewählte Erzählstruktur aufzubrechen: kurz vor Toresschluss verlässt die Kamera Carl, an dem sie bislang geklebt hat, für eine kritische Szene und bleibt statt dessen bei Janie, womit er a) eine besser dramatische Wirkung erzielt und b) sich sogar eine gewisse Ambivalenz, *was genau* während Carls „Ausflug“ passiert ist, vorbehalten kann.
Der Novitätenwert des semi-dokumentarischen single-camera-Stils hat sich in Zeiten von Reality-TV freilich ein wenig abgenutzt, aber das s/w-Styling bringt eine gewisse filmische Atmosphäre, die sich ansonsten durch die Drehs an nicht sonderlich attrakiven locations wohl nicht eingestellt hätte.

Den vergleichsweise minimalistischen Score verantwortet Raimi-Stammkraft Joseph LoDuca (abseits der diversen Raimi-Franchises auch tätig für „Der Pakt der Wölfe“, „Leverage“, „Spartacus“ oder Soldiers of Fortune).

Der low-key-Ansatz des Films setzt sich erfreulicherweise auch bei den Schauspielern durch – gerade Campbell ist durchaus anfällig für’s gepflegte Chargieren und Grimassieren, um so erfreulicher ist es, dass er hier zeigt, auch die leiseren, zurückgenommeneren Töne zu beherrschen. Es ist nicht ganz die Offenbarung, die manche traf, als sie feststellten, dass hinter dem Gummigesicht Jim Carreys ein vorzüglicher dramatischer Schauspieler versteckt war, aber es geht zumindest in diese Richtung (aber es gibt natürlich auch die ein oder andere Gelegenheit für einen etwas aufbrausenderen, emotionalen Campbell).
Jeremy Roberts, ein routinierter Neben- und Charakterdarsteller, der u.a. in „Practice – Die Anwälte“, „Renegade“ und „Veronica Mars“ auftauchte, macht sich als konfus-überforderter Patrick ganz patent (ich spüre eine leichte Tom-Savini-vibe); Anita Barone („Familienstreit de luxe“, „Shake It Up – Tanzen ist alles“, „The Jeff Foxworthy Show“) ist als Janie ebenfalls in Ordnung; es sind in den Nicht-Bruce-Campbell-Rollen durchweg Leute am Start, die sicher nicht gewohnt sind, derart große Rollen zu spielen (das trifft ebenso für Stan Davis zu, der kleine Parts in „Stadt der Engel“ oder „God’s Army III“ vorweisen kann, wie auch für Gordon Jennison, der i.a. in „Virtousity“ und „Rules of Engagement“ kleine Auftritte hatte). Es liegt nahe, dass ihnen etwas die Selbstsicherheit für Große Screenpräsenz (TM) fehlt, aber das macht sie im Rahmen dieses Films, beinahe noch glaubwürdiger.
In der kleinen Rolle des Gefängnisdirektors schindet Art LaFleur (Trancers, ,“Tycus“, „The Rig“) Eindruck.

Bildqualität: „Running Time“ gibt’s mittlerweile in verschiedenen deutschen DVD-Auflagen – mir liegt die Version von Evolution vor (augenscheinlich OOP). Die bringt den Film in passablem 4:3-Vollbild (intended, der Film wurde auf 16 mm gedreht und dann auf 35 mm aufgeblasen) mit passablem Kontrast und mittelprächtiger Schärfe. Ein paar kleinere Defekte sind auch zu verzeichnen, aber bei der Ultra-low-budget-Herkunft wohl einzukalkulieren.

Tonqualität: Dem Vernehmen nach ist die deutsche Synchronfassung (Dolby 5.1) grauenhaft ausgefallen, so dass ich gleich beim englischen O-Ton (Dolby 2.0) geblieben bin. Der ist gut verständlich und solide-unspektakulär abgemischt. Aufgepasst: angabegemäß haben die aktuell erwerbbaren Fassungen von KSM, Starlight und ScreenPower allesamt nur die Synchronfassung auf der Disc.

Extras: Diverse Behind-the-scenes-, Artwork- und Still-Galerien, ein Rudel von Teasern und Trailern, Filmografien, eine Trailershow sowie ein auf dem Cover nicht vermerkter, gut gelaunter und informativer Audiokommentar mit Josh und Bruce.

Fazit: Wer von Josh Becker nur „Alien Apocalypse“ kennt, wird sich wundern – „Running Time“ ist ein unterhaltsamer, reduzierter kleiner Gangsterfilm, dessen technisches Gimmick erstaunlich gut funktioniert, dabei aber auch solide geschrieben und hochanständig gespielt wurde. Da muss man jetzt sicher nicht bei Becker und Campbell Abbitte leisten und sie retroaktiv mit Filmpreisen überschütten, aber als kleiner Happen für Zwischendurch ist „Running Time“ ideal; mit seiner guten Stunde Laufzeit hat der Streifen keine Chance, langatmig zu werden oder sein Gimmick zu überreizen. Kein weltbewegender, aber ein grundsolider Film, der zeigt, dass Becker ein besserer Regisseur und Campbell ein besserer *Schauspieler* (und nicht nur „Ash-Darsteller“) ist als ihre jeweiligen Rufe behaupten. Für ’ne richtig hohe Bewertung fehlt mir vielleicht der entscheidende, mitreißende Hook, doch für’n paar Euro kann man die Scheibe bedenkenlos mitnehmen (wenn man die mit O-Ton findet).

3/5
(c) 2012 Dr. Acula


mm
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