Running on Karma

 
  • Deutscher Titel: Running on Karma
  • Original-Titel: Daai Chek Liu
  • Alternative Titel: Da Zhi Lao | An Intelligent Muscle Man |
  • Regie: Johnnie To, Wai Ka-Fai
  • Land: Hong Kong
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Andy Lau (Big), Cecilia Cheung (Lee Fung-Yee), Eddie Cheung (Captain Chung), Karen Tong, Chun Wong, Yuen Bun, Hou Liang Sheng, Yu Wen Zhong


Vorwort

Bei der Razzia in einem Stripclub trifft die junge Polizistin Lee Fong Yee auf den umfangreichen Big. Der kann aber fliehen und rennt, wie Gott ihn schuf, durch die Straßen von Hong Kong, Lee immer auf den Fersen. Gleich um die Ecke verfolgen Beamte der Mordkommission einen Killer, und als sich die Wege kreuzen, wird Big von den Beamten verhaftet, Lee trifft dagegen auf den Mörder. Sie schießt auf ihn, doch der wendige Meuchler kann der Kugel ausweichen, so dass sie einen armen Hund, genauer gesagt einen Schäferhund trifft. Später eröffnet Big der Polizistin, dass er das Karma bald sterbender Menschen sehen kann, ihren Tod und/oder den Grund dafür. Er bietet seine Hilfe bei der Suche nach dem Killer an. Der ist auch noch ein Schlangenmensch und wird von der Polizei auf einem Busbahnhof in seinem Versteck gestellt. Doch die Beamten haben den Skills des indischen Assassinen nichts entgegenzusetzen, Big muss mit seinem unglaublichen Kung-Fu aushelfen und kann den Flüchtigen in der Belüftungsanlage festhalten. Lee ist sehr angetan von Big und schnüffelt in seiner Vergangenheit rum (typisch Frau); er war mal ein Mönch, bis seine Freundin umgebracht wurde. Die Suche nach dem Mörder bleibt erfolglos. In seiner Wut erschlägt er einen Vogel, meditiert ’ne Runde und verläßt sein Kloster, seine Heimat. Sie arbeiten noch einmal zusammen, Big sieht dabei ihren Tod voraus und rettet ihr das Leben. Doch ihr Weg zur Erlösung hat damit erst begonnen…


Inhalt

Ein wirklich toller Film, der allerdings ein wenig sprunghaft in seiner Tonart ist, was einige Zuschauer irritieren könnte. Er wechselt dabei episodisch zwischen verschiedensten Genres; ist er anfangs noch ein Action-Thriller mit einigen fantastischen Elementen, wie die übermenschlichen Kampfkünste der Kontrahenten, entwickelt es sich später zur tragischen Romanze und einem anrührenden Drama um Verlust, Schuld und Sühne, und von der Sinnlosigkeit von Gewalt und Rachegedanken. Der auf seine Art mit den grotesken Muskeln verunstaltete Big gibt sich nach außen immer gelassen und hilfsbereit, immer fröhlich, ist innerlich aber verkrüppelt, ein Wanderer ohne Ziel, der zudem noch von den Visionen des Todes gepeinigt wird. Umso tragischer ist es dann auch, wenn er, und mit ihm der Zuschauer, begreifen muss, dass, so er es sich auch wünscht und sich bemüht, das vorausgesehene nicht zu ändern ist. Auf jede Aktion folgt eine Reaktion, wenn nicht sofort, dann irgendwann in der Zukunft. Das Karma wird schon dafür sorgen, denn wenn bestimmte Ereignisse erst einmal in Gang gesetzt wurden, ist das Ende unabkehrbar.

Johnnie To und Wai Ka-Fai bedienen sich dabei an einer breiten Palette von Emotionen, Spaß und Vergnügen, Sympathien werden aufgebaut, zur Mitte des Films fliegt man geradezu leichtfüßig durch die Handlung. Und bis dahin gab es schon einen blutigen Tatort zu sehen und einer Frau wurde der Arm abgeschossen. Aber halb so wild, gelle? Aber man ist gerade beschwingt von den Entwicklungen in der Geschichte, hat die beiden ins Herz geschlossen, und da beschleicht einen am Ende einer Szene ein flaues Gefühl in Magengegend. Gleich darauf tritt einen der Film in diese, plötzlich suhlen wir uns wieder in Wut, in Gewalt und in Blut. Aber nicht lange, denn die Erlösung ist nahe, doch die Katharsis tut weh. Darauf folgt die Erkenntnis, der Abschluss. Und das Leben kann weitergehen.
„Running on Karma“ ist einer dieser Filme, wie sie nur im asiatischen Kino alle paar Jahre an die Oberfläche gespült werden und, wenn man Glück hat, auch unsere Breitengrade erreichen. Johnnie To ist nun auch hierzulande kein Unbekannter mehr, und trotzdem hat dieser Film, der immerhin 3 Hong Kong Awards (als bester Film, für die beste Regie, und einen noch für Andy Lau) abgesahnt hat, gute 7 Jahre nach Deutschland gebraucht.

Das Regie-Gespann zieht hier also alle Register, und da es von allem nur häppchenweise etwas bietet, kann man den Film grob in vier Episoden gliedern: Kennenlernen, Beisammensein, Abschied und Erlösung. Jede gewichtet seine Elemente anders, allen gemein ist, dass alle dem geneigten Zuschauer größtmögliche Unterhaltung bieten sollen, egal wie ernst der Tonfall wird. Der Film ist bestimmt nicht für jedermann, man muss sich schon auf das Seherlebnis einlassen. Andy Lau als Muckimann, dessen Latexkostüm zuerst eher unecht wirkt, ist schon sehr gewöhnungsbedürftig, bei seiner Tanzeinlage zu Beginn funktioniert das Kostüm noch nicht richtig gut. Das wird aber besser. Und Lau entschädigt einen mit einer tollen Performance, ringt einem das ein ums andere Schmunzeln mit seiner Angewohnheit, vor jeder Spiegelung posieren zu müssen. Auch wenn der Film immer wieder kleine Gesten preisgibt, trägt er genauso gerne dick auf. Am Anfang stellt man sich auf eine krude Mischung aus Krimi mit Buddy- oder Romantic-Touch und blutiger Wire-Fu-Action an, wobei gesagt werden muss, dass letzteres (vielleicht sogar bewusst) nicht sehr überzeugend ist (Choreograph Yuen Bun ist jedenfalls ein Veteran des HK-Kinos, auch wenn er erst in den 80ern seine Karriere startete). Laus Big erweist sich dank seiner übersinnlichen Fähigkeit als veritabler Profiler. Danach lernt man Big im Laufe ihrer (kurzen) Nachforschungen besser kennen. Seine Fassade bekommt langsam Risse, wenn er nach einem Boxkampf einen Spind wie eine leere Dose zerquetscht. Der zweite Fall, an dem sie arbeiten, verläuft komplett unblutig ab -ein Fassadenkletterer, der sich mit Öl eingerieben hat; Big ist wieder „rein zufällig“ zur Stelle-, sodass man sich mehr auf ihre Beziehung konzentrieren kann. Als sie sich ein drittes Mal treffen und wieder trennen, und Lee dann ein „Lebewohl!“ über die Lippen rutscht, breitet sich schon das flaue Gefühl im Magen aus. Es soll alles noch sehr viel schlimmer kommen, bevor es besser wird. Man muss den Schmerz spüren, um ihn benennen zu können. Jeder Mensch ist seines Schicksals Schmied, das gilt für die Buddhisten auch für die Seele, die über unendliche Generationen und Träger lebt. Man kann sein Schicksal also auch in einem früheren Leben geschmiedet haben, das Karma vergisst nie. Man kann nur leben, so gut es einem möglich ist.

Johnnie To ist ein Virtuose des Hong-Kong-Kinos („Exiled“, „Election“ & „The Mission“ zählen zu meinen Lieblingen, nicht nur aus seinem Oeuvre, sondern des HK-Kinos allgemein) und stellt das hier auch wieder eindrucksvoll unter Beweis. Er und Kompagnon Wai Ka-Fai ticken ähnlich und ergänzen sich, wie zuvor schon bei „Fulltime Killer“ vorzüglich. „Running on Karma“ ist aber auch ein ungewöhnlicher Film, denn normalerweise ist man von beiden Regisseuren eleganteres und stringenteres Storytelling gewohnt. Gerade To inszeniert vornehmlich altmodisches Erzählkino (oft auch nach den Drehbüchern Wais), seine Charaktere sind vielleicht manchmal etwas verträumt oder auch auf der anderen Seite zementiert archetypisch, aber immer menschlich nachvollziehbar. Big und Lee sind anders, vor allem ihre Beziehung zueinander ist anders, sie bedingen sich gegenseitig, könnten kaum für sich alleine stehen. Wobei Big natürlich die Hauptfigur darstellt, am Ende ist es seine Geschichte. Die beiden Milchstraßen-Kumpels lassen ihre beide Helden durch die Geschehnisse gleiten, wie Big in seinen Kämpfen durch die Luft. Das ist dann nicht sehr realistisch und hat mit fortschreitender Dauer immer mehr traumwandlerischen Charakter. Sie verstehen es auch, die Abschnitte des Films ineinander übergehen zu lassen, ohne dass irgendetwas beliebig wirkt.

Fotografiert wurde das ganze mal wieder von Tos Stamm-Kameramann Cheng Siu-Keng, der wieder einige schöne Bildkompositionen (gerade bei Außendrehs) auf die Leinwand zaubert, allerdings auch viel mit Schnitt- und Gegenschnittposen beschäftigt war. Aber sein Talent wird vor allem in dem sichtbar, was man nicht sieht; nichts sieht hier nach Studio aus, alles wirkt (hingegen zu Laus Muskeln) sehr natürlich. In den Kampfszenen bleibt alles übersichtlich, selbst wenn mit schnellen Schnitten gearbeitet wird. Wir haben es hier ja auch mit einem flotten Abenteuer zu tun, und nicht mit einem Gangster-Epos wie „Election“.

Andy Lau ist mal wieder das Herz des Films. Im ersten Viertel des Films ist er der Held wider Willen, muss aber unter seiner starken und gutmütigen Oberfläche die Narben seiner Vergangenheit und die Sinnlosigkeit seines Handelns widerspiegeln. Und zum Ende hin wird seine Performance geradezu herzzerreißend. Er ist einer der wirklich großen Mimen dieser asiatischen Traumfabrik, die an guten Darstellern nicht gerade arm ist. Außer von Johnnie To und Wai Ka-Fai wird er außerdem regelmäßig von Jing Wong gecastet, ist einer der bestbeschäftigten Stars. Und nebenbei noch ein Cantopop-Star mit Millionen verkaufter Silberlinge und etlichen Konzerten im Jahr (ich hatte mal eine CD von ihm, der ist ziemlich gut; allerdings ist der Pop nicht gerade dafür bekannt, besonders abwechslungsreich zu sein). Meine persönlichen Faves sind seine Rolle als aalglatter Triaden-Spitzel in „Infernal Affairs“ und als asiatischer Quasi-Sherlock-Holmes in „Detective Dee und das Geheimnis der Phantomflammen“. Ich kenne allerdings auch nur einen Bruchteil seiner mittlerweile mehr als 150 Rollen.

Cecilia Cheung als Lee ist gegen jemanden wie Lau eher ein Leichtgewicht, und das in mehrerer Hinsicht. Auch wenn sie mal den HK Award for Best Newcomer einstreichen konnte, ist ihre mimische Palette eher beschränkt. Aber das macht nichts, sie darf hier eh meistens die Frohnatur raushängen lassen. Und wenn wir ehrlich sind, sind gutgeschriebene Frauen-Rollen im action-betonten HK-Blockbuster sehr rar gesät (und auf die ist schon Maggie Cheung abonniert). Aber neben Stephen Chows „Shaolin Kickers“ und Tsui Harks lustig-lächerlichen „Zu Warriors“ stehen auch Chain Kages „Wu Ji – Reiter der Winde“ und der hochgelobte Thriller „One Nite in Mongkok“ in ihrer Filmographie; letztere habe ich aber leider noch nicht gesehen. Nebenher ist sie, wie sollte es auch anders sein, ein Cantopop-Sternchen.

Der Rest des Casts ist leider so weit nicht zu eruieren, ein altes Problem bei Filmen aus dieser Ecke der Welt. Es fällt hier aber auch keiner aus dem Rahmen.

Der Film kam hier erst 2011 durch Splendid Films auf den Markt. Er scheint hier (leider) auch nicht sehr gut angekommen zu sein, denn den Preisen, die dafür aufgerufen werden, nach zu urteilen, stapeln die sich in den Lagern diverser Online-Händler. Also, wer den Film jetzt gerne erwerben möchte, wird sicherlich fündig werden (sprich, der wird einem geradezu hinterher geschmissen). Technisch ist alles im grünen Bereich, gutes Bild, guter Ton. Als Extras gibt es aber nur einen Trailer zum Film und eine kurze (8 Minuten) Interview-Runde zum Film mit verschiedenen Beteiligten (ohne Andy Lau).

Ich war zuerst am zögern, das Review hier auf Badmovies online zu stellen, weil ich mir nicht sicher war, ob das passen würde; aber wenn man bedenkt, dass die Herren aus Hong Kong zwar mehr Geld zum Verbraten haben als die Kollegen aus Japan, hat der chinesische Filmemacher, so er nicht am Investitionstrog der Volksrepublik hängt (siehe John Woos Schlachten-Epos „Red Cliff“), abzüglich der Gagen für die Topstars kaum mehr Geld und technische Mittel wie ein gutbudgetiertes B-Movie westlicher Herkunft zur Verfügung, was man dann auch hier und da mal sieht. Davon ab ist es ein toller Film, wildes, innovatives Kino mit Tiefgang, dass dem Zuschauer auch eine gewisse Offenheit abverlangt. Fantasy-Action, Krimi-Komödie, Rache-Drama; hier haben To und Wai Stoff für mindestens drei oder vier Filme reingepackt. Und mit seinen 85 Minuten kann er bei soviel Inhalt gar nicht langweilig werden. Wer vom HK-Kino mehr sehen mag als Martial Arts, Heroic Bloodshed, Gangster-Epen und Polizei-Thrillern, sollte hier unbedingt mal reinschauen. Ich war sogar ehrlich versucht, ihn gleich ein zweites Mal zu schauen.

PS: Der tolle englische Alternativtitel ist mir gerade erst aufgefallen. Auf den Punkt gebracht. Nicht.


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 8


mm
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