Rakete 510

 
  • Deutscher Titel: Rakete 510
  • Original-Titel: First Man into Space
  •  
  • Regie: Robert Day
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1959
  • Darsteller:

    Marshall Thompson (Commander Charles „Chuck“ Prescott), Marla Landi (Tia Francesca), Bill Edwards (Lt. Dan Prescott), Robert Ayres (Capt. Richards), Bill Nagy (Wilson), Carl Jaffe (von Essen), Roger Delgado (Ramon de Guerrera), John McLaren (Harold Atkins)


Vorwort

Die US-Navy testet ein neues Raketenflugzeug, mit dem es möglich sein soll, die Erdatmosphäre zu verlassen. Ein wenig nervös ist Navy-Officer Chuck Prescott, denn der Pilot ist niemand anderes als sein Bruder Dan. Chuck geht’s weniger darum, dass der Testflug selbstverständlich arschgefährlich ist, sondern befürchtet eher, dass Dan die Sache versauen wird. Der ist zwar der anerkannt beste Pilot, den die Navy in ihren Diensten weiß, aber auch einer von der Sorte, der Befehle bestenfalls als unverbindliche Ratschläge betrachtet.

Und so kommt es auch – Dan ignoriert die Order, bei einer erreichten Höhne von 50 Meilen umzudrehen und verliert postwendend die Kontrolle über sein Gefährt. Professor von Essen, der teutonische geistige Vater des Projekts, kann ihm die Gewalt über das Flugzeug zwar wieder herbeireden, aber im Landeanflug kommt Dan vom Kurs ab und crasht seinen Flieger in der Pampa von New Mexico.

Und weil Dan ein erstklassiges Arschloch ist, verpisst er sich unverletzt von der von lokalen Cops bewachten Absturzstelle, um sich in die Arme seiner italienischen Flamme Francesca, einer Mitarbeiterin von Essens, zu werfen und für die besorgten herbeigeeilten Navy-Fuzzis, Chuck allen voran, ein dekoratives Luftloch zu bilden. Kein Wunder, dass Chuck seinen bruchgelandeten Bruder erst mal von der MP abführen lässt.

Nichtsdestotrotz war der Flug ein enormer Propagandaerfolg, der dazu führt, dass das Pentagon den nächsten Start zur Priorität erklärt und auch zu Chucks gelinder Angepisstheit darauf besteht, dass Dan wieder am Steuerknüppel sitzt (this obviously having no resemblance to any serious military operation ever). Zumindest ist er ein wenig mit der Affäre seine Bruders versöhnt, als man ihm verklickert, dass Francesca keine hergelaufene Dorfschlampe ist, sondern eine wertvolle wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts.

Vor dem neuerlichen Start gelobt Dan sorta-kinda-unverbindlich Besserung, was Befehlserfüllung angeht, nur, um seinem Bruder dann erneut geflissentlich vor’s Knie zu treten. Wieder verweigert Dan nach Erfüllung des Missionsziels von 100 Meilen Höhe die planmäßige Rückreise, steigt weiter und schaltet die Fernsteuerung aus, mit der Chuck den renitenten Bruder wieder auf die gute alte Mutter Erde holen will. Weit jenseits der 250-Meilen-Marke gerät Dans Vogel in eine Art Meteoritensturm und lässt sich zudem auch nicht mehr auf Heimatkurs drehen. In seiner Not sprengt Dan die Nase mit dem Cockpit ab, um sich (wissenschaftlich sagen wir mal, eher zweifelhaft) mit dem Fallschirm zur Erde zurücktragen zu lassen.

Wieder wird das abgestürzte Flugzeug in der Provinz von New Mexico gefunden, allerdings in einem eher seltsamen Zustand – eine Schicht unbekannten Materials hat fast das komplette Flugzeug überzogen, und von einem Piloten ist trotz geöffneten Cockpits nichts zu sehen. Dieweil sich die Untersuchung der Navy mangels Piloten auf das mysteriöse Material von outer space konzentriert und Chuck versucht, der hysterischen Francesca klar zu machen, dass das alles ganz gewiss nicht seine Schuld war, weil er eh dagegen war, dass Dan fliegt, kommt es im nahen Städtchen zu einem brutalen Mord. Der Nachtschwester einer Blutbank wurde die Kehle aufgerissen – und die Blutkonserven praktisch komplett aufgeschlabbert. Detective Wilson schaltet in einem unerwarteten Geistesblitz Chuck ein, und der entdeckt in der Wunde der Schwester eine glitzernde Substanz, die sich nach entsprechenden Tests als „Meteorstaub“ entpuppt.

In Chuck keimt ein furchtbarer Verdacht auf – schließlich weiß niemand genau, was kosmische Strahlen mit dem menschlichen Organismus anfangen. Was, wenn Dan sein Weltraumabenteuer zwar überlebt hat, aber in ein Monster verwandelt wurde, das Blut zum Überleben braucht?


Inhalt

Ende der 50er Jahre hatte Hollywood den Science-Fiction-Film fein säuberlich in die B-Schublade gepackt, neben den Horrorfilm, den Juvenile-Delinquent- und/oder Rock’n’Roll-Film. Anstatt Wissenschaft und technischen Fortschritt für ein breites Publikum aufzuarbeiten, diente das Genre als Drive-in-Entertainment für ein jugendliches Publikum, dem es im Zweifelsfall völlig wurscht war, was da von der Leinwand flimmerte, solang sich die Mädchen dabei erschrecken und die Jungs den starken Beschützer spielen konnten.

In der Alten Welt, so schien’s, nahm man die Sache noch etwas ernster, z.B. der britische Autor Nigel Kneale, der für die BBC die Figur des genialen und eigenwilligen Wissenschaftlers Dr. Quatermass ersann. 1955 brachte Hammer die Kinoadaption seines ersten Abenteuers, „The Quatermass Xperiment“ auf den Markt, der auch in Amerika als „The Creeping Unknown“ Eindruck schinden konnte. Damalige Filmemacher hatten den gelinden Vorteil, dass es noch kein Heimvideo gab und ein Film, war er einmal im Kino gelaufen, aus dem Sinn war, bis er vielleicht mal im Fernsehen auftauchte. Und so kamen findige (oder windige) Produzenten vier Jahre später auf die Idee, dass man ja für wenig Geld eine Garagen-Version von „Quatermass“ in Auftrag geben und damit ein schnelles Pfund Sterling verdienen könnte. Und so kam es zu „First Man into Space“, dem für meine Begriffe erstaunlichen Fall, dass eine britische Produktion eine andere britische Produktion abrippte.

Für die Story zeichnet niemand anderes verantwortlich als Wyott Ordung, der eigentlich für sein Script zum unvergeßlichen „Robot Monster“ für alle Zeiten von Schreibmaschinen hätte ferngehalten werden müssen (aber jedenfalls ist mir jetzt klar, wie sich die Zeile „you’re not here to play house“ ins Buch geschlichen hat), Die Produzenten John Croydon („Frankenstein ’70“) und Charles F. Vetter („Battle Beyond the Earth“) legten unter Pseudonymen noch mal Hand ans Script (ich kann mir nicht vorstellen, dass sie’s verschlechtert haben), und Robert Day, der sich mit den beiden Karloff-Kloppern „Grip of the Strangler“ und „Corridors of Blood“ eine Art Namen gemacht hatte, durfte auf dem Regiesessel Platz nehmen.

Der Astronaut, der von seinem Weltraumausflug ein gar grausliges Geheimnis mitbringt, ist mittlerweile ja ein etabliertes Trope (denken wir nur an Kram wie „The Incredible Melting Man“ oder „Dark Universe“), war aber damals noch relativ frisch (und, wie gesagt, es fehlten ja auch die Vergleichsmöglichkeiten). „First Man into Space“ bemüht sich zunächst aber, falsche Fährten zu legen und sich als seriöses Forscher- und Technik-Drama aufzubauen. Unter Verwendung einigermaßen plausibler technischer Möglichkeiten der Zeit (man bemüht einiges an stock footage der amerikanischen X-1 als offensichtliches Vorbild für das Raketenflugzeug) scheint es zunächst primär um den Konflikt zwischen freigeistiger Abenteuerlust (repräsentiert durch Dan) und wissenschaftlicher und militärischer Disziplin (Chuck) zu gehen, wobei die Moral der ersten Filmhälfte vorgeblich ist, dass wahre Höchstleistungen nur durch oberflächlich unvernünftiges Eingehen hoher Risiken zu erreichen sind. Dabei ist das Problem allerdings, dass Dan als dermaßen unverlässlicher, egoistischer Spacken gezeichnet ist, den man – wie Chuck – mit Freuden persönlich feuern oder einknasteln würde, weil er seiner persönlichen Reiz- und Triebbefriedigung (in jeder Hinsicht) alles unterordnet.

Die Wende von der „harten“ Techno-Utopie zum frühen Vertreter des SF-Horrors macht der Streifen ungefähr zur Halbzeit und mit dem zweiten Testflug Dans, der im Sternen-Koller beinahe full Major Tom geht und in Kontakt mit einer außerirdischen Substanz gerät. Natürlich fällt der Film mit diesem Genre-Twist praktisch völlig auseinander, da von der seriösen Natur der ersten Filmhälfte nicht mehr viel übrig bleibt, wenn wir nun ein bluttrinkendes Monster haben, mit dem wir uns rumschlagen müssen, aber Day versucht zumindest, trotzdem einen vergleichsweise ernsten Grundton zu halten. Die Charaktere verhalten sich einigermaßen vernünftig, ziehen nachvollziehbare und richtige Schlussfolgerungen, und verdrängen die Möglichkeit, dass es gerade Dan ist, der als Monster umherkraucht, nicht aus Unglauben. Die Wahrheit wird schnell akzeptiert (schließlich hat der Film auch nicht wahnsinnig viel Zeit für seinen Horrorpart), dann geht’s um die Möglichkeit, wie man der Bedrohung Herr wird. Selbstredend darf man bei einem Horrorfilm aus dem Jahr 1959, noch dazu einem aus britischer Herkunft, wo die Filmzensur immer noch ’nen Tacken giftiger war als anderswo in der zivilsierten Welt, keine wüsten Splattereien erwarten, es wird eben nur angedeutet und über die Grausamkeiten gesprochen, aber immerhin erlaubt die s/w-Fotografie Day zumindest ein paar Ruppigkeiten anzudeuten, die in einem Farbfilm mutmaßlich niemals durch die Zensur gegangen wären (da wäre z.B. der aufgerissene Hals eines Dan zum Opfer gefallenen Rindviechs – bovinen Zuschnitts – zu nennen oder die von Dan verwüstete Blutbank, in der ja geradezu zwangsläufig herumgesuppt werden musste).

Der Monster-Suit ist für die Ära ganz anständig – und die „Ausrede“, dass die außerirdische Substanz schlicht alles überzieht, ob organisches Material oder nicht, und Dan also noch in seinem Raumanzug steckt, erlaubt es dem FX-Department, ein paar Shortcuts nehmen zu können, ohne damit negativ aufzufallen. In Farbe sähe das Pizzakrater-Early-Freddy-Krueger-Design sicher hübsch eklig aus.

Schwachpunkte des Streifens sind sein eher langmütiges Pacing – trotz der eigentlich charmant kurzen Laufzeit von 76 Minuten ist die Sache schon eher auf der anstrengenden Seite und die Klimax ist dann auch ein längeres „talky bit“ anstatt einer richtigen Actionsequenz. Ziemlich furchtbar ist auch das Hinein-“shoehornen“ einer sort-of romantischen Beziehung mit dem fürcherlich überflüssigen Francesca-Charakter (der auch nicht dadurch besser wird, dass seine Darstellerin Marla Landi ziemlich furchtbar ist).

Die Hauptrolle spielt mit Marshall Thompson ein späterer TV-Superstar. Nachdem er sich durch die üblichen B-Kriegsfilme und Western geballert hatte, machte er 1958 erstmals Bekanntschaft mit außerirdischem Gesocks in „It! The Terror from Outer Space“ und mit entkörperten Supergehirnen in „Fiends without a Face“. Zum Star wurde er als Hauptdarsteller der legendären Fernsehserie „Daktari“, auch wenn er vermutlich nur der zweitgrößte Star der Reihe nach dem schlielenden Löwen Clarence gewesen sein dürfte. Während seines „Daktari“-Stints spielte er auch in dem von mir abgöttisch verehrten „Unter Wasser rund um die Welt“. Von seinem dortigen Charisma zeigt er hier noch nicht viel, wobei die Rolle eines disziplinierten Navy-Officers auch nich arg viel hergibt.

Die Italienerin Marla Lindi ist, wie erwähnt, recht grausig. Es war die Phase, in der sich fast jeder B-Film mit irgendeiner „exotischen“ Darstellerin aus fremden Landen zierte (z.B. die gefühlt 150 schwedischen Schönheitsköniginnen, die in US-Roughies oder -Horrorfilmen tätig waren). Sie tauchte in der Hammer-Version des „Hunds von Baskerville“ und dem ebenfalls von Hammer produzierten Abenteuerfilm „Die Piraten vom Todesfluss“ wieder auf. Ich hoffe, sie war dort besser.

Dan wird gemimt vom hölzernen Bill Edwards, der üblicherweise kleinere Rollen in größeren Filmen spielte, so z.B. in „Die Gräfin von Hongkong“, „Zwischenfall im Atlantik“ oder „Goldfinger“. Wieder mit dem Weltraum zu tun hatte er es in „Auch die Kleinen wollen nach oben“, der Fortsetzung des Comedy-Klassikesr „Die Maus, die brüllte“. Carl Jaffe, einer der zahlreichen deutschen Emigranten, spielt den deutschen Wissenschaftler von Essen. Hätte vermutlich jeder gekonnt, der einigermaßen einen deutschen Akzent und eine Hornbrille aufsetzen kann.

Einen überraschenden Cameo absolviert der späteren „Master“ aus der Jon-Pertwee-Ära von „Doctor Who“, Roger Delgado, als mexikanischer Diplomat, der sich beschwert, dass er ständig irgendwelche verloren gegangenen amerikanischen Raketen aufklauben darf. Wenn man so will, sind die drei Minuten seines Auftritts das einzige an „comic relief“, was sich der Film erlaubt.

Die mittlerweile schon betagte US-DVD von Image bietet solides, wenn auch nicht überragendes s/w-Bild (4:3) und brauchbaren Mono-Ton. Als Extra gibt’s nur den Kinotrailer, und ein Menü hat man sich komplett gespart. Der Film startet sofort nach dem Einlegen, danach läuft der Trailer, und dann wieder von vorn…

Selbstverständlich ist „The Quatermass Xperiment“ in jeder Hinsicht der bessere Film, zumal sich „First Man into Space“ auch letztendlich vor einem Statement drückt, ob die Weltraumforschung unter den gegebenen Risiken Sinn macht (wir erinnern uns: Quatermass‘ Reaktion darauf, dass seine erste Weltraumrakete beinahe den Weltuntergang verursacht hat, ist so schnell wie möglich eine zweite ins All zu schießen) und damit die Ebene „cheap entertainment“ gar nicht verlassen will. Freunde des klassischen s/w-Kintopps können mal reinschauen. Man darf keine Wunderdinge erwarten – der Streifen fällt nicht in die „so bad it’s funny“-Kategorie, sondern in die „unambitionierter Durchschnitt“-Schublade.

© 2018 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 6

BIER-Skala: 4


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