Psycho (1960) vs. Psycho (1998)

 
  • Deutscher Titel: Psycho
  • Original-Titel: Psycho
  •  
  • Regie: Alfred Hitchcock - Gus van Sant
  • Land: USA
  • Jahr: 1960 - 1998
  • Darsteller:

    Anthony Perkins (Norman Bates), Janet Leigh (Marion Crane), Vera Miles (Lila Crane), John Gavin (Sam Loomis), Martin Balsam (Milton Arbogast) u.a.
    – Vince Vaughn (Norman Bates), Anne Heche (Marion Crane), Julianne Moore (Lila Crane), Viggo Mortensen (Sam Loomis), William H. Macy (Milton Arbogast) u.a.


Vorwort

Marion und Sam sind in ewiger Liebe entbrannt, doch kann er sich kein „respektables“ Leben mit ihr vorstellen, solange er Schulden ab- und Alimente bezahlen muss.
PSYCHO – 1960:

Als Marion in ihrer Firma den Auftrag bekommt, die happige Summe von 40’000 Dollar zur Bank zu bringen, schnappt sie sich die Kohle, verlässt damit Phoenix und macht sich auf in Richtung Fairwell, Wohnort ihres Geliebten. Nach einer Begegnung mit einem neugierigen Polizisten kehrt sie des Nachts in einem etwas abgelegenen Motel ein. Norman Bates, der den Laden schmeisst (wenn er nicht grad auf seine geistig kranke, herrische Mutter aufpasst), ist etwas seltsam drauf, aber aufgrund eines Gespräches mit ihm entscheidet sich Marion dazu, das Geld zurückzubringen. Ihr Pech, dass sie damit bis am nächsten Tag warten will und sich in ihr Zimmer zurückzieht…

Ihre Schwester Lila spürt einige Tage später der nunmehr Vermissten nach und fährt zu Sam nach Fairwell; der weiss von nichts. Privatdetektiv Arbogast, der ihr gefolgt ist, stösst nach einiger Rumfragerei auf Bates Motel, verschwindet daraufhin aber plötzlich. Lila und Sam entschliessen sich nach einem erfolglosen Besuch beim örtlichen Sheriff, dort selber nach dem Rechten zu sehen…


Inhalt

Ende der 1950er war Hitchcock längst ein Regie-Superstar, entschied sich aber (unter anderem inspiriert von den B-Filmen seiner Zeit), mal was ganz anderes zu machen, dass heisst, einen Low-Budget-Film. Als Vorlage suchte er sich Robert Blochs Psycho aus, ein Roman frei nach dem Fall des Serienkillers und unkonventionellen Schneiders/Möbelbauers Ed Gein, der ja erst 1957 aufgeflogen ist; pflichtschuldigst in ein Skript gegossen wurde das Ding von Joseph Stefano („The Black Orchid“, „The Outer Limits“, „Psycho IV – The Beginning“).
Paramount Pictures zeigte sich wenig begeistert, also realisierte Hitchcock den Film mit seiner eigenen Produktionsfirma Shamley Productions mit einem Budget von nur ca. 800’000 Dollar. Er schnappte sich sein Fernsehteam (im Gegensatz zu anderen Hollywood-Grössen sah er das Aufkommen des Fernsehens nicht als Bedrohung, sondern als faszinierende neue Möglichkeit, und produzierte die Krimiserie „Alfred Hitchcock Presents“, später „The Alfred Hitchcock Hour“) und kurbelte den Streifen in relativ kurzer Zeit runter (bei einzelnen Szenen, wie der Mord in der Dusche, auf den wir noch zurückkommen, liess man sich mehr Zeit). Als der Streifen dann 1960 in die Kinos kam, wurde er trotz teils eher verhaltener Kritiken schnell zum erfolgreichsten Werk Hitchcocks. Wer hätte das gedacht.

Schaut man sich den Film mal an, fällt einem die clevere Struktur auf: Zu Beginn, während sich Marion in der Mittagspause ein Schäferstündchen mit Sam leistet (gleich nach der genialen Vorspannsequenz von Saul Bass, der schon die zu „Vertigo“ oder „North by Northwest“ und bei weiteren Filmen wie „West Side Story“ oder „Alien“ gestaltete), bekommen wir das Notwendige an Exposition vermittelt, also dass Marion eine Schwester hat (was dann in der zweiten Hälfte des Filmes von Bedeutung ist), und, wichtiger noch, dass sich unsere Protagonisten in prekären finanziellen Verhältnissen befinden, was Marion das Motiv für ihr folgendes Handeln liefert. Sie stiehlt das Geld und macht sich damit auf die Flucht, beim Zuschauer werden gewisse Erwartungen im Bezug auf den Plot geweckt.

Mit dem Mord an Marion pünktlich zur Halbzeit wird dann aus heiterem Himmel die Hauptfigur um die Ecke gebracht (das ist grade das faszinierende an „Psycho“, dass der Film keinen durchgehenden Protagonisten hat), das Geld, dessen Wichtigkeit vorher immer wieder hervorgehoben wurde, spielt nun keine Rolle mehr und verschwindet zusammen mit der Protagonistin im Sumpf. Zusätzliches Überraschungsmoment ist natürlich, dass mit Marion ausgerechnet die Figur stirbt, die vom berühmtesten Star des Filmes gespielt wird; Janet Leigh war damals bekannt aus „Touch of Evil“ oder „The Vikings“ (und sollte später in “Night of the Lepus” zu sehen sein; für „Psycho“ erhielt die 2004 verstorbene Schauspielerin übrigens eine Oscarnomination) – ein Punkt, der sich für ein heutiges Publikum wohl etwas relativiert. Sie benimmt sich als Marion vielleicht etwas allzu verdächtig; kein Wunder, dass der Bulle (mit seiner Sonnenbrille schön als Bedrohung inszeniert) misstrauisch wird.
voyeuristisch

Nachdem Marion ausfällt, verlagern sich der Fokus und die Zuschauersympathie zu Norman, der scheinbar bloss versucht, seine geistig kranke Mutter zu schützen, indem er alle Spuren ihrer Taten beseitigt. Wenn er den Wagen im Sumpf versenken will, die Karre aber kurz stecken bleibt, fiebert das Publikum mit ihm mit. Ins Spiel kommen jetzt allerdings auch Marions Schwester (die hiermit zum ersten Mal im Film auftaucht, weswegen wir aber auch erst jetzt feststellen, wie ähnlich sie ihrer Schwester sieht – sie wird nicht nur implizit für den Freund ihrer Schwester zum Ersatzobjekt, sondern löst auch bei Norman am Ende einen erneuten psychotischen Schub aus), Sam (der seit seinem kurzen Auftritt am Anfang nicht mehr zu sehen war) und Arbogast, die herauszufinden versuchen, wo die Vermisste abgeblieben ist. Die verdächtigen bald Norman und gehen davon aus, dass seine Mutter über Marions Verbleib Bescheid weiss, während der Zuschauer sich sicher glaubt, dass es gerade die alte Frau war, welche die Vermisste auf dem Gewissen hat – bis nach Arbogasts Verschwinden der Sheriff unseren verbliebenen Helden erklärt, dass diese schon zehn Jahre tot ist. Dieses Mysterium (man könnte fast schon glauben, es mit einem Geist zu tun zu haben, wie es im Film auch kurz angesprochen wird) wird schliesslich in einer überraschenden Wendung aufgelöst, wenn Lila im Keller des Bates-Hauses die ausgestopfte Leiche der alten Frau findet.
Zum Abschluss folgt ein Nachklapp, in dem ein Psychiater sowie „die Mutter“ zu Wort kommen und uns hübsch aufgedröselt wird, war wir jetzt eigentlich gesehen haben.

Zu alledem gibt es dann ein paar schöne Spannungs- und Schockmomente. Berühmt und immer wieder kopiert ist der Duschmord, dessen Dreh sieben Tage dauerte – für zwei Minuten Film, davon 45 Sekunden für den eigentlichen Mord. Der schnelle Schnitt verbirgt, dass die Szene weder viel Blut noch das Eindringen des Messers in das Opfer zeigt; ein künstlicher Torso wurde hergestellt, aber nicht verwendet (es wurde übrigens auch sorgsam darauf geachtet, dass keine unzüchtigen Körperteile ins Bild geraten – Leigh sieht man eh nur von den Schultern aufwärts, die restlichen Szenen wurden mit einem Nacktmodell gedreht). Der Einfluss auf das erst noch kommende Genre des Slashers ist offensichtlich.
Der zweite Mord (gross ist der Bodycount jedenfalls nicht) kommt ein ganzes Stück harmloser rüber, zum Schluss wird aber wieder aufgedreht, wenn Lila die ausgestopfte und mumifizierte Leiche von Normans Mutter findet (auch das eine grosse Inspiration für künftige Filme, von Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ bis Nichtskönner Bethmanns Exitus Interruptus) – nicht zuletzt wird diese Szene eindrücklich durch das schwankende Licht, das entsteht, nachdem Lila gegen die Lampe stösst.
Auf eine andere Art gewagt ist die Szene, in welcher Marion ein Blatt Papier zerreist und in der Toilette runterspült, dies auch noch in Grossaufnahme – so was hatte es im US-Kino (zumindest im Mainstream) bis dahin nicht gegeben und die Zensoren liessen sie auch nur deshalb nicht rausschneiden, weil sie für die Handlung wichtig war.

Es gibt auch ein paar Dinge in dem Film, die mich eher irritieren. In seiner Todesszene stürzt z.B. Arbogast die Treppe runter, ein seltsamer Effekt (entstanden im Rückprojektionsverfahren), der aussieht, als würde er die Stufen hinunter schweben. Und wieso stolpert und überschlägt er sich nicht einfach?
Als er erstochen wird, endet die Szene dann seltsamerweise mit einer Schwarzblende; irgendwie würde ich an so einer Stelle eher einen harten Schnitt erwarten (Blenden sind so… weich und gemütlich). Das ist nicht die einzige Stelle im Film.
Schön sind dann wieder einige ausgefuchste Kamerafahrten und –winkel (z.B., wenn die „Mutter“ Arbogast umbringt oder Bates sie in den Keller bringt, wird das aus der Froschperspektive gefilmt); die lockern den manchmal etwas sehr studiohaften Eindruck des Filmes auf.

Grandios ist die Musik des 1975 verstorbenen Hitchcock-Regulars Bernard Herrmann („Citizen Kane“, „The Man Who Knew Too Much“, „Vertigo“, „Cape Fear“, “Taxi Driver”). Das nervöse Hauptthema sorgt für eine unruhige, bedrohliche Grundstimmung, das stakkatoartige “Geigenmassaker” in der Duschszene gehört zu den markantesten Tönen überhaupt. Aber auch die musikalisch ruhigeren Momente wissen zu gefallen. Eine wichtige Inspiration für Herrmann war übrigens die Dante-Sinfonie von Franz Liszt, und wenn wir schon von Inspiration sprechen: man höre sich mal Richard Bands Score für Re-Animator an. Der rippt Herrmann dreisterweise beinahe 1:1 ab, aber hörenswert ist die Version trotzdem.

Wie gesagt, grösster Star im Cast ist Janet Leigh, schauspielerisches Highlight ist aber eindeutig (der 1992 verstorbene) Anthony Perkins. Der bringt das Kunststück fertig, das stotternde, schüchterne, etwas weltfremde (besonders im Gespräch mit Marion merkt man, dass Norman nicht viel mit Menschen spricht) Milchbubi genau so überzeugend zu bringen wie den vollwertigen Psychopathen: ganz grosses Kino das Grinsen in seiner letzten Einstellung (man achte übrigens auf den kaum wahrzunehmenden, über sein Gesicht eingeblendeten mumifizierten Schädel seiner Mutter während der Blende zur nächsten Szene).
Grandios ist auch das Gespräch mit Marion, wo zum Beispiel der berühmte Satz „A boy’s best friend is his mother“ fällt. Und wenn er über seine Mutter sagt „She’s as harmless as one of those stuffed birds“, so ist das ein netter kleiner Hinweis auf das Ende. Seine aufgewühlten Worte über die Schrecken der Psychiatrie lassen dann denn Eindruck aufkommen, dass er solche Anstalten durchaus selber mal von innen gesehen hat.

Aus Gründen der Dramaturgie natürlich etwas vereinfacht, wird in den Ausführungen des Psychiaters zum Ende in einer Art Kurzseminar nachvollziehbar gemacht, wie Norman seine dominante Mutter aus Eifersucht umbrachte und aus Schuldgefühlen wieder auferstehen liess, indem er sie erst ausstopfte und schliesslich immer mehr ihre Rolle übernahm (bzw. die Rolle des gehässigen und eifersüchtigen Zerrbildes, das er sich von ihr gemacht hat). Hinweise auf seine gespaltene Persönlichkeit geben schon früh die immer wieder auftauchenden Spiegel (am offensichtlichsten die im Zimmer seiner Mutter, wo dann Lila vor dem eigenen mehrfach gespiegelten Abbild erschrickt). Ein Vergleich mit Hitchcocks Spellbound, in dem psychologische Themen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, liegt nah, allerdings sind selbige in „Psycho“ weitaus eleganter eingearbeitet und wirken nie so lehrbuchartig.

Eine Schlüsselszene ist Normans Blick durch das Loch in der Wand. Zum einen wird hier das Thema des Voyeurismus auf die Spitze getrieben, indem mittels der Blickpunkteinstellung durch besagtes Loch der Zuschauer selbst explizit zum Voyeur wird – zu dem er bereits am Anfang geworden ist, wenn er Marion (im BH) und Sam (mit freiem Oberkörper) im Hotelzimmer sieht (wohlgemerkt, gleich nach vollendetem Austausch von Körperflüssigkeiten), der er als Kinozuschauer grundsätzlich ist. Zum anderen geht’s hier um unterdrückte Sexualität, weckt doch Normans Begehren nach Marion sofort die Mutter als eine Art züchtigendes Über-Ich. Das kann man leicht auch als Seitenhieb auf die zeitgenössische US-Gesellschaft verstanden werden, in welcher der Hays-Code die Kinoindustrie in ihren Darstellungsmöglichkeiten, gerade was die Sexualität anbelangt, stark einschränkt.
Die immer beobachtende Mutter zeigt sich auch in Normans Interesse für ausgestopfte Vögel, die mit ihren kalten Augen den Salon hinter dem Büro schön im Blick haben. Und dass es sich dabei vor allem um Raubvögel handelt, ist kein Zufall.

Anthony Perkins schaffte mit „Psycho“ seinen grossen Durchbruch, war dann aber auf eine gewisse Art von Rolle festgelegt, allerdings ohne gross darunter zu leiden – so spielte er dann auch in sämtlichen „Psycho“-Sequeln mit (deren erstes zwar erst 1983, drei Jahre nach Hitchcocks Tod, erschien, die restlichen folgten jedoch schnell nach). Ein bisschen was anderes war z.B. der Science-fiction-Klassiker „The Black Hole“.

Als Marions besorgte, aber auch durchsetzungsfähige Schwester Lila haben wir Vera Miles („Psycho II“, „BrainWaves“) – die aber, wie erwähnt, erst nach der Halbzeit auftaucht. Auch John Gavin („Spartacus“, „Jennifer“) hat als Sam erst dann richtig was zu tun, wenngleich er immerhin eben schon am Anfang als Marions Freund vorgestellt wird. In der Rolle des harten Detektivs, der Norman mit seinen Fragen in Bedrängnis bringt, haben wir hier Martin Balsam („12 Angry Men“, „Al Capone“, „Cape Fear“, „Little Big Man“).

Eine Hauptrolle der besonderen Art übernimmt der Schauplatz des Motels nebst dem alten Haus. Auf dem Gelände der Universal Studios (wo die Gebäude noch immer stehen, auch wenn sie etwas versetzt und das Motel inzwischen neu aufgebaut wurde) nach realen Vorbildern errichtet, macht der Ort im Film einen extrem düsteren Eindruck (nicht zuletzt deswegen, weil wir ihn vor allem bei Dunkelheit und Regen sehen) und weckt Erinnerungen an Geisterhäuser.

Die DVD von Universal ist annehmbar. Bild und Ton (Englisch und Deutsch) überzeugen, Untertitel gibt’s auf Englisch, Niederländisch und Schwedisch. Das Bonusmaterial ist nicht gerade von barocker Grosszügigkeit, es gibt bloss den Trailer (der aber wirklich lustig und gut gemacht ist), ein paar Texttafeln und ein dünnes Booklet. Die einzig besser ausgestattete deutsche Alternative wäre die Scheibe in der Hitchcock-Box, soweit ich das feststellen kann. Wäre übrigens schön, es gäbe mal die völlig ungekürzte Fassung auf DVD (seltsamerweise kann man die vollständige Kinofassung bisher nur im Fernsehen betrachten, auf allen Videos, Laserdiscs oder DVDs fehlen, entsprechend der damaligen Cut-Fassung der Wiederaufführung, Einzelheiten wie eine Einstellung in der Voyeur-Szene, in der Marion ihren BH abstreift, oder zwei weitere Einstiche auf Arbogast).

Sehr lange Rede, kurzes Fazit: „Psycho“ dürfte wohl so ziemlich Hitchcocks bester sein und nimmt zu Recht seinen Platz als Klassiker der Filmgeschichte ein. Die clevere Grundstruktur, die psychologischen Hintergründe, der gruselige Schauplatz, Herrmanns Musik, Anthony Perkins, das alles und mehr macht den Film zu einem Streifen, den man unbedingt mal gesehen haben muss.

5/5

PSYCHO (1998):

Marion und Sam sind unsterblich verliebt (sogar ineinander), doch solange er die Schulden seines Vaters abarbeiten und seiner Ex-Frau Alimente zahlen muss, möchte der gute Sammy mit einer Ehe oder sonstwie engeren Verbindungen lieber noch zuwarten.

Als sie dann für ihren Chef Bargeld im Wert von 400’000 Dollar auf die Bank bringen soll, ergreift Marion die Gelegenheit beim Schopf und verlässt Phoenix zusammen mit der Kohle in Richtung Fairfax, wo ihr Geliebter seine Heimstatt hat. Nach einer beunruhigenden Begegnung mit einem Cop und einem Autowechsel kehrt sie des Nachts in einem fernab vom Schuss gelegenen Motel ein, das von einem gewissen Norman Bates geleitet wird. Aufgrund eines Gesprächs mit demselben ringt sich unsere Heldin zu der Entscheidung durch, das geklaute Geld wieder zurückzubringen. Doch es kommt anders, als geplant…

Ein paar Tage später fährt Lila, Marions Schwester, nach Fairfax, wo Sam ihr versichert, keine Ahnung davon zu haben, wo die inzwischen Vermisste abgeblieben ist. Auch Privatdetektiv Arbogast muss damit Vorliebe nehmen, in der Gegend herumzufragen, stösst aber schliesslich auf Bates Motel. Nachdem er sich entgegen anderslautender Abmachung bei Sam und Lila nicht mehr gemeldet hat, gehen die beiden nach einem erfolglosen Abstecher zum örtlichen Sheriff selber dorthin…

Eines der liebsten Hobbys heutiger Filmfans ist ja, sich über die Welle an Remakes aufzuregen, die Hollywood in letzter Zeit angeblich vermehrt in die Welt setzt und die auch vor den Klassikern des Horror-Genres nicht Halt machen („The Haunting“, „13 Ghosts“, „The Texas Chainsaw Massacre“, „Halloween“, etc. pp.). Mir persönlich ist das Schnurz, denn kein Film ist schlecht, bloss weil er ein Remake ist – dass viele Remakes schlecht sind, ist dann wieder eine andere Sache.
Immer für einen Extra-Aufreger ist dabei gut, dass die Macher von Neuverfilmungen gerne mal frei mit der Vorlage umgehen – nicht so Gus Van Sant („My Private Idaho“, „Good Will Hunting“, „Elephant“, „Milk“), der Regisseur und Produzent von „Psycho“, dem Remake des Hitchcock-Klassikers. Der hielt sich genau an das Originaldrehbuch von Joseph Stefano und kopierte das Vorbild beinahe 1:1 (einmalig in der Filmgeschichte). Was dann allerdings auch wieder nicht recht war, denn der Film wurde von der Kritik zerrissen, vom Publikum gemieden und von bösen Menschen mit zwei Goldenen Himbeeren für den schlechtesten Regisseur und das schlechteste Sequel ausgezeichnet (Anne Heche war zudem als schlechteste Schauspielerin nominiert).

Eigentlich ist es ja eine durchaus spannende Idee, einen alten Filmklassiker mit zeitgenössischen technischen Mitteln, aber vorlagentreu neu aufzulegen (so dürften es auch die Rechteinhaber von Universal Pictures, die Hitchcock-Erben oder Stefano gesehen haben, die sich durchaus nicht dagegen sperrten, als Van Sant die Idee an sie herantrug).

Neu ist erst einmal, man würde es fast nicht merken, wenn man es nicht wüsste, die Farbe. Der neue Film geht in dem Punkt richtig in die Vollen (damals verlangten budgetäre Beschränkungen schwarzweisses Bild, Van Sant hatte etwas mehr finanzielle Abstützung) und wirkt manchmal geradezu bonbon-bunt, besonders schön kommt da natürlich der zentrale Duschmord zur Geltung (die fast schon strahlend weissen Oberflächen im Bad als Kontrast zur Blutfarbe gesetzt). Farbenfroh auch die – allerdings seltsam altmodischen (und was sollte der Sonnenschirm beim Wagentausch?) – Kleider, in denen Anne Heche („Volcano“, „Six Days Seven Nights“, „Everwood“) in ihrer Verkörperung der Marion rumläuft. Heche (hier mit einer neckischen Kurzhaarfrisur, wenigstens die ist eindeutig modern) wirkt alles in allem etwas sehr gut aufgelegt, so gar nicht schuldbewusst, sondern eher so, als würde sie sich über ihre eigene Verkommenheit freuen. Eine interessante Neuinterpretation (obwohl sie die gleichen Handlungen vollführt und die gleichen Worte spricht, wirkt ihre Marion doch ganz anders als die der Janet Leigh), allerdings ist angesichts dessen ihre Besinnung nach dem Gespräch mit Norman weniger nachvollziehbar. Dafür zeigt sie mehr nackte Haut, allerdings auch nicht viel mehr als einen sekundenbruchteilkurzen Side Boob Shot und die nackte Hinteransicht (aber erst, wenn sie tot umfällt, was den Reiz doch etwas mindert – zumindest für einige Leute).

Sowieso ist das Remake allgemein etwas freizügiger, ob jetzt in der Bettszene am Anfang das Gestöhne anderer Paare im Hintergrund zu hören ist, Norman masturbiert, während er Marion heimlich beobachtet (wohl die umstrittenste Änderung; darauf kommen wir noch zurück), oder Lila in Normans Zimmer ein Sexheft findet. Analog zu Heche zeigt auch Viggo „Aragorn“ Mortensen (der übrigens fast zeitgleich in dem Michael Douglas/Gwyneht Paltrow-Vehikel „A Perfect Murder“, das Remake eines anderen Hitchcock-Filmes, „Dial M for Murder“, zu sehen war) mehr her als dazumal John Gavin (den nackten Arsch nämlich und Beinahe-Full-Frontal-Nudity). Ansonsten dünkt mich, dass Mortensen irgendwie ziemlich schmierig wirkt – besonders mit der 50er-Jahre-Gedächtnis-Haartolle. Der funktioniert für mich weder als Love Interest noch als Sympathieträger im zweiten Teil des Films so richtig.

Julianne Moore („The Fugitive“, „Nine Months“,„The Big Lebowski”, „Magnolia”, „Hannibal”) bringt die Lila gut rüber, ihre Strenge passt gut zu der Rolle einer energischen Frau, die herausfinden will, was mit ihrer Schwester passiert ist. Wobei sie mit dieser verdammt wenig Familienähnlichkeit verbindet (dabei ist im Original ja gerade ein wichtiger Punkt, dass Lila ihrer Schwester sehr ähnlich sieht und somit bei Norman einen erneuten psychotischen Schub auslöst)…
Als Arbogast wurde hier William H. Macy („Fargo“, „Pleasantville“, „Magnolia“, The Cooler, Edmond) besetzt. Der macht einen recht sympathischen Eindruck, einen etwas zu sympathischen für einen harten Privatdetektiv – wenn er Norman auf den Zahn fühlt, wirkt das nicht so recht. Und sein Anzug (plus Hut) wirkt auch wie aus den 60ern rübergerettet.
In einer kleinen Nebenrolle sieht man Robert Forster („The Black Hole“, Alligator, „Supernova“) als Psychiater – der spielte übrigens, wie Mortensen, im selben Jahr in einem weiteren Hitchcock-Remake mit, bei ihm war es „Rear Window“ (mit Christopher Reeve).

Wie man sieht, bin ich von der Besetzung, resp. von den Leistungen der Darsteller (abgesehen Moore) nicht wirklich begeistert. Kann sein, dass ich da bloss zu sehr an den originalen Schauspielern hänge, aber mir scheint hier tatsächlich das Problem zu bestehen, dass die Interpretation der Darsteller nicht in den (eng gesteckten) Rahmen von Handlung und Dialogen zu passen scheinen. Es passt einfach nicht zusammen.

Ach, einen hätte ich jetzt fast vergessen, und zwar Vince Vaughn („Swingers“, „Dodgeball“, „Wedding Crashers“), der sich hier die Bürde aufhalst, eine Rolle zu übernehmen, die von Anthony Perkins stark vorgeprägt wurde. Dessen Breite im Ausdruck fehlt Vaughn dann auch eindeutig (Norman verändert sich bei Perkins der gespaltenen Persönlichkeit entsprechend stark, bei Vuaghn ist er immer etwa auf demselben Niveau) und seine doch recht kräftige Statur passt nicht wirklich zu einem Muttersöhnchen, das schnell mal nervös wird, wenn man ihm zu nahe rückt (schon lustig, dass ihm der nette kleine Macy angeblich Angst macht). Ihm gegenüber wirklich unfair ist allerdings, dass ich es wirklich nicht schaffe, bei der Sichtung des Thrillerdarstellers Vaughn den Komödiendarsteller Vaughn zu vergessen.
Tja, und dann die Masturbanten-Szene. Für mich hat der psychologische Zustand Normans Bates viel mit unterdrückter Sexualität zu tun (immerhin wird der erste Mord durch seine Erregung im Bezug auf Marion ausgelöst), das macht aber wenig Sinn, wenn er dazu in der Lage ist, sich auf die Art einen „Ausgleich“ zu verschaffen. Mal abgesehen davon, dass damit ein Stück Ambivalenz und Geheimnis aufgegeben wird, das sich im Original noch findet – und das Schlacker-Geräusch lächerlich wirkt.
Eine genauere Betrachtung von Normans Geisteszustand (sowie der Erzählstruktur oder der verarbeiteten Themen) spare ich mir mal und verweise auf das Bit zu Hitchcocks Version (das alles bleibt sich bei Originalfilm und Remake ja weitgehend gleich).

Nicht alle Änderungen sind schlecht. Zum einen konnte Van Sant einige Dinge umsetzen, wie sie Hitchock nicht möglich gewesen sind, beispielsweise die Plansequenz am Anfang, in welcher die Kamera über Phoenix und hinein ins Hotelzimmer schwenkt (übrigens folgt das Remake zwar sehr oft, aber längst nicht immer haargenau dem Vorgänger, was Kameraführung oder Schnitt anbelangt). Oder folgende Dialogszenen, die Hitchcock von der Zensur noch verboten worden war:

Mary: „I’m going to spend this week-end in bed.”
Cassidy: „Only playground that beats Las Vegas!“

Mir gefällt auch, dass die zentrale Einstellung des Finales, in der Lila den Stuhl, auf dem Normans Mutter sitzt, umdreht, ohne Schnitt auskommt (und die Spinne, die dabei aus dem Mund der Mumie krabbelt, ist ein wirklich netter Zug). Dass Sam und Lila sich da zudem etwas mehr Mühe geben müssen, um Norman zu überwältigen, ist ebenfalls eine echte Verbesserung.
Ohne Schnitt kommt im Remake zudem die Kamerafahrt rauf in die Vogelperspektive aus, in der Szene, in welcher Norman seine Mutter in den Keller bringt.
Nett ist der Abspann, der noch ein bisschen ausspielt, wie das Auto aus dem Sumpf geholt wird. Die modernistische Variation der Musik, die da drüber gelegt wird, ist allerdings eher schauerlich…

Apropos Musik: der klassische Score von Bernard Herrmann wurde von Danny Elfman („Batman“, „Good Will Hunting“, „Spider-Man“) und Steve Bartek („Coldblooded“, „An Extremely Goofy Movie“, „Carolina“) neu aufgenommen. Wirkt subtiler und moderner, teils aber auch etwas zerfahrener, weniger klar. Und, wie gesagt, die Variation zum Abspann (mit E-Gitarre, glaub ich) ist eher von der fürchterlichen Sorte, weil ziemlich planlos.
Neu auf der Tonspur sind einige beunruhigende Stellen mit bedrohlichem Flüstern, Kinderstimmen, etc. Wirkt ganz gut. Ein ähnliches, eher unterschwelliges Bedrohungspotential haben sekundenbruchteilkurze Zwischenbilder in den Mordszenen (ein bewölkter Himmel bei Marion, eine halbnackte Frau und ein Stier auf einer Strasse bei Arbogast). Was genau die jetzt aber bedeuten sollen, ist mir nicht ganz klar (Erinnerungsbilder aus Sicht der Opfer? Oder aus Sicht des Täters?).

Wir stellen fest, ein paar Einzelheiten macht das Remake tatsächlich besser… Die meisten Änderungen und Unterschiede stellen sich allerdings eher als Verschlimmbesserungen dar und insbesondere die Schauspieler passen irgendwie so gar nicht rein. Der Teufel liegt im Detail, legt aber trotzdem das Gesamtwerk lahm.
Kommen die Dinge hinzu, die nicht funktionieren, weil sie nicht geändert, bzw. konsequent modernisiert wurden. Die Kleidung der Figuren hab ich schon erwähnt. Dass heutzutage ein uneheliches Paar immer noch „unrespektabel“ ist und sich heimlich in Stundenhotels treffen muss, mag ich nicht glauben. Und die Dialoge wirken manchmal schon etwas unzeitgemäss „theatralisch“ (damals hat’s halt gepasst, aber heute…). 38 Jahre sind vielleicht doch etwas zu viel für eine 1:1-Adaption.

Schlussendlich schleckt keine Geiss weg, dass (zumindest bei mir persönlich) der Schatten des Originals übermächtig über dem Remake liegt. Keine Szene, die ich beim Gucken nicht direkt mit dem Vorbild verglichen habe. Und da selbiges in den meisten Einzelpunkten besser abschneidet (das ist ja das Problem einer solchen Beinahe-1:1-Neuverfilmung, dass man es in seinen Einzelpunkten mit dem Original vergleichen kann), stinkt das Remake trotz einiger Vorzüge augenfällig ab. Mit einer sich stärker entfernenden Herangehensweise, die vielleicht keine bessere, aber zumindest eine wirklich neue Sicht auf den Stoff liefern würde (wie gesagt, einige Dinge, die beibehalten wurden, hätte man ändern müssen), kann es ja nicht punkten, und verliert so seine Existenzberechtigung. Interessant wäre allerdings, den Film aus einem unbelasteten Blickwinkel heraus, ohne Kenntnis des Originals, zu sehen.

2/5

(c) 2009 Gregor Schenker


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
älteste
neuste beste Bewertung
Inline Feedbacks
View all comments