Piratenkapitän Mary

 
  • Deutscher Titel: Piratenkapitän Mary
  • Original-Titel: Le avventure di Mary Read
  • Alternative Titel: Queen of the Seas | Fluch der Piraten |
  • Regie: Umberto Lenzi
  • Land: Italien/Frankreich
  • Jahr: 1961
  • Darsteller:

    Linda Gastoni (Mary Read), Jerome Courtland (Peter Jennings), Walter Barnes (Kapitän Proof/Poof), Agostino Salvietti (Großvater Read), Germano Longo (Ivan)


Vorwort

England, so um 1700 rum. Mary Read und ihr Großvater schlagen sich als Straßenräuber durch – das immerhin erfolgreich genug, um Mary als „gefürchtet“ gelten zu lassen. Aber das schützt vor einem dummen Zufall nicht – bei einer Routineinspektion wird sie auf frischer Tat ertappt. Zu ihrem Glück trägt sie gerade Männerkleidung, bleibt unerkannt und wird als „McDonald“ in den Knast eingeliefert. Ihr Zellenkumpel ist ein gewisser Peter, der einen Lord Goodwin beklaut haben soll. Peter ist im Gegensatz zu den meisten anderen Charakteren im Film mit einer halbwegs funktionierenden Denkmurmel ausgestattet und durchschaut die Maskerade schnell – und ebenso schnell hat sich das Pärchen ineinander verknallt.

Nun ist Peter aber nicht irgendwer, sondern der Junior-Lord Goodwin, der nur aufgrund eines Missverständnisses eingeknastelt wurde. Dies wird schnell behoben – als Abschiedsgeschenk verehrt Peter Mary ein Familien-Medaillon, ohne ihr aber reinen Wein einzuschenken. Als Mary wenig später aus dem Knast ausbüxt (und dabei ausnutzt, das Gefängniswärter meist nicht gerade Intelligenzbolzen sind) und in einem unerwarteten Aufwallen von Ehrlichkeit das Medaillon dem rechtmäßigen Eigentümer zurückbringen will, entdeckt sie die schändliche Wahrheit, dass Peter ihr einen stattlichen Bären aufgebunden hat. Frustriert von der Männer- und Aristokratenwelt beschließt sie an Ort und Stelle, in die Dienste des berühmten königlichen Korsaren Kapitän Proof (der im Original juxigerweise „Poof“ heißt, was den deutschen Synchronschreiberlingen offenbar zu dämlich war. Allerdings haben sie die Umbenennung nicht konsequent durchgehalten, so dass der Herr Kapitän mit einem fröhlichen Durcheinander von „Poof“ und „Proof“ angeredet wird) zu treten. Opa muss mit, ob er will oder nicht.

Proof findet auch rasch Gefallen an der Kratzbürste und unternimmt diverse, aber routiniert gecockblockte Annäherungsversuche, bis er drauf geht, als sein Schiff von einem spanischen Kriegsschiff hops genommen wird. Die Mannschaft wird gefangen genommen, doch Mary nutzt eiskalt aus, dass auch der spanische Kapitän kein Kostverächter ist, was Mädels angeht, befreit die Crew und schickt die Spanier über Bord. Mary schwingt sich zur Kommandantin auf und beschließt zukünftig die Laufbahn einer freischaffenden Piratin einzuschlagen – der Name „Proof“, den sie annimmt, soll für den notwendigen Respekt bei Feinden und zukünftigen Opfern sorgen.

Dieweil Mary und ihre Piraten schnell zur Geißel der Karibik werden und mit einem wagemutigen, dafür aber unblutigen Raubzug den Vizekönig von Florida mitsamt Hofstaat ausnehmen, hat Peter Goodwin andere Sorgen. Seinem Vater ist das Herumscharwenzeln des nixnutzigen Juniors langsam aber sicher ein Dorn im Auge – da Peter nicht Priester werden will, gibt’s ein väterliches Ultimatum: entweder heiratet Peter die reiche Schabracke Baroness Louisa oder Militärakademie. Peter entscheidet sich für das kleinere Übel Militär und schafft’s tatsächlich, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen und das Kommando über ein Schiff zu erhalten – mit dem soll er auf Piratenjagd gehen…

Nummer 1 auf der Abschussliste ist natürlich niemand anderes als Kapitän Proof. Einen cleveren Plan hat er auch auf Lager – nur blöd, dass er den in aller Ausführlichkeit Mary erzählt, die sich mal wieder in Verkleidung in den Gouverneurspalast geschlichen hat und mit der Peter mit Freuden wieder herumpoussieren möchte. Logischerweise endet die Piratenjagd mit einer Totalen Katastrophe (TM) und einem durch Peter versenkten Schiff des Gouverneurs. Peter ist entehrt, verliert sein Kapitänspatent und potentiell auch seine Rübe, doch er schwört, Proof – von dem er immer noch glaubt, dass er irgendwie Mary benutzt – zur Strecke zu bringen…


Inhalt

Man muss deutsche DVD-Publisher eigentlich schon fast lieb haben, wären sie nicht eine Bande halbkrimineller Kundenverarscher. „Piratenkapitän Mary“, ein italienischer Abenteuerfilm und Frühwerk des späteren Gore-Bauern Umberto Lenzi, wird, seit Johnny Depp als Captain Jack Sparrow durch die Karibik flucht, ungelogen als „Fluch der Piraten“ verscherbelt, um arglos-tumbe Konsumenten zur Investition von ein-zwei Euro in den vermeintlichen Blockbuster zu bewegen.

Nun muss ich zugeben, dass ich grundsätzlich wenig Mitleid mit Leuten habe, die glauben, einen starbesetzten 200-Millionen-Film in der Grabbelkiste bei KiK oder Woolworth für 1,99 EUR zu finden, aber man tut damit natürlich auch den Filmen, die so umgetitelt werden, keinen Gefallen. Wer Depp, Bloom, Knightley & Co. erwartet, wird wohl kaum glühende Reviews schreiben, wenn er statt dessen mit Gastoni, Courtland und Barnes („Wer?“, hör ich es zu Recht aus dem Auditorium erschallen) konfrontiert wird, und dabei wird vergessen, dass auch ein kleiner Italo-Fetzer aus den frühen 60ern durchaus seine Meriten hat und auf seinen eigenen Beinen stehen kann, wenn man ihn denn lässt.

Geschrieben von Ugo Guerro („Der Dämon und die Jungfrau“) und Luciano Martino („Der Koloss von Rhodos“) mit unkreditierter Unterstützung von Ernesto Gastaldi („Mein Name ist Nobody“, „Nobody ist der Größte“) behandelt der Streifen vorgeblich die wahre Geschichte der Piratin Mary Read. Mit den historischen Tatsachen hat die Story – welch Überraschung – herzlich wenig zu tun, denn auch wenn Mary Read eine der bekanntesten Piratinnen (neben Anne Bonny, die zur gleichen Crew gehörte) sein dürfte, ist ihre Laufbahn als Freibeuterin reichlich unspektakulär und dauerte auch nicht mal ein Jahr. 1719 zuerst bei der Überfahrt in die Kolonien von Piraten überfallen und in deren Dienste gezwungen, schloss sie sich 1720 der Crew von „Calico Jack“ Rackham an, der aber noch im gleichen Jahr aufgebracht und mitsamt seiner Mannschaft gefangen genommen und zum Tode verurteilt wurden. Bonny und Read entkamen dem Strang durch die damals beliebte „pleading the belly“-Verteidigung (i.e. schwanger zu sein). Read starb noch 1721 im Gefängnis. Ich will Mary Read hier nicht kleinreden, aber ihre „Verdienste“ erwarb sie sich deutlich vor ihrer Piratenzeit, als sie – in Männerkleidung – im britischen und später holländischen Militär diente und „ihren Mann stand“, aber was das Herumpiraten auf dem Meer angeht, ist sie im geschichtlichen Kontext ein sehr sehr kleines Licht.

Aber die Geschichte von der Frau, die sich (vermeintlich) in der Männerwelt der Piraterie durchsetzt, ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Macher gewinnorientierten Kommerzkinos (nur falls jemand auf den Dampfer „feministisches Statement“ gestiegen ist. Nix lag Lenzi und seinen Produzenten ferner).

Nun, auf diesen Seiten ist uns gewöhnlich herzlich wurscht, wie frei ein Film mit historischen Fakten umgeht, solang dabei ein unterhaltsames Lichtspielwerk ‚bei rumkommt. Und mit „Piratenkapitän Mary“ gelang Lenzi wirklich ein kurzweiliger Abenteuerstreifen. Das Script erfindet sicherlich keine neuen Genrestandards, aber es funktioniert zufriedenstellend vom witzigen meet-cute der Hauptfiguren im Knast, die kuriosen Umstände ihres Wiedersehens und die völlig falschen, aber natürlich für ihn naheliegenden Schlüsse, die Peter Goodwin daraus zieht. Ebenso findet das Script eine ganz ordentliche Lösung für den unwahrscheinlichen Umstand, dass Mary sich ohne große Erfahrung zur Anführerin einer Piratenmannschaft aufschwingen kann.
Peters Plan zur Piratenvernichtung ist auch gar nicht mal so dumm, wird halt nur leider von ihm selbst und seiner Quasselschnauze untergraben.

Am Ende ergibt sich der Film zwangsläufig den Gesetzen des Zeitgeists – dass die Piraten am Ende gewinnen dürfen, obwohl sie klar die wahren Helden des Stücks sind, kommt natürlich nicht in Frage, und für Mary gibt’s das Schicksal des anständigen Frauenzimmers, sie darf heiraten und mit Peter glücklich werden. Heutzutage würde ich so ein FInale als reaktionären Schwurbel verdammen, aber ’61 darf man das halt nicht so eng sehen. Antihelden kamen erst später in Mode.

Lenzi hat die Sache als Regisseur gut im Griff, obwohl’s erst sein zweiter Spielfilm in Eigenverantwortung war. Alles wird flott vorangetrieben, Leerlauf und Langeweile ist die Sache des Films nicht, die Actionszenen sind ordentlich dosiert und auf dem üblichen 1961-swashbuckler-Kompetenzstandard. Augusto Tiezzi, ein Routinier hinter der Kamera, der auch schon mit einschlägigen Korsarenfilmen seine Erfahrungen gemacht hatte, sorgt für gute Bilder (sofern der übel verhackstückte beschnittene Letterbox-Print das repräsentativ beurteilen lässt), und auch die Musik von von Gino Filippini („Der schwarze Brigant“), der leider wenig später verstarb, bringt die richtige Stimmung.

Obwohl sicher nicht in Lire und französischen Francs gebadet sieht die Produktion auch ordentlich ausgestattet aus (anzunehmen, dass einige der Seeschlachten stock footage sind, der ein oder andere Shot kam mir schon bekannt vor. Kann natürlich auch im Umkehrschluss sein, dass sich spätere Filme hier bedienten), die production values können sich, was Kostüme und Sets angeht, allemal sehen lassen.

Die zwei Leads bieten auch wenig Grund zur Klage – Lisa Gastoni („Der Killer der sündigen Mädchen“, „Raumschiff Alpha“, „Mussolini – Die letzten Tage“) und Jerome Courtland, ein Amerikaner, der nach wenig distinguierter US-Karriere auch mal sein Glück in Europa probierte, es dort aber nicht lange aushielt und sein Glück als Fernsehregisseur fand (u.a. für „Falcon Crest“, „Love Boat“, „Unter der Sonne Kaliforniens“ und „Der Denver-Clan“) geben ein attraktives Pärchen ab, haben solide chemistry und fallen auch schauspielerisch nicht durch den Rost. Als Art Gaststar fungiert Walter Barnes, den wir grad erst in „Ein Halleluja für Django“ hatten, aber auch aus „Panik in der Sierra Nova/Day of the Animals“ kennen, der hier den „richtigen“ Kapitän P(r)oof spielt. Marys Opa spielt der Italo-Veteran Agostino Salvietti („Gestern, heute, morgen“, „Stadt ohne Moral“) als amüsanten comic relief.

Die DVD-Neuauflage von Star-Kino ist der Grabbeltischherkunft entsprechend räudig – immerhin noch gut genug, um den, wie gesagt, übel gecroppten Print halbwegs akzeptabel auf einigermaßen bildschirmfüllend aufblasen zu können, aber jedem drittklassigen Fernsehprint von 1975 unterlegen. Der deutsche Mono-Ton ist eben so brauchbar.

Der Film selbst ist ein launiges, kurzweiliges Piratenabenteuer mit sympathischen Hauptdarstellern, solider Action und brauchbarer Geschichte. Wer’s gerne auf altmodische Weise swashbucklen lässt, kommt auf seine Kosten.

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 4

BIER-Skala: 6


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