Phase 7

 
  • Deutscher Titel: Phase 7
  • Original-Titel: Fase 7
  •  
  • Regie: Nicolas Goldbart
  • Land: Argentinien
  • Jahr: 2011
  • Darsteller:

    Daniel Hendler (Coco), Jazmin Stuart (Pipi), Yayo Guridi (Horacio), Federico Luppi (Zanutto), Carlos Bermejo (Guglierini), Abian Vainstein (Lange)


Vorwort

Das junge Paar Coco und Pipi, letztere im siebten Monat schwanger, lebt in einem recht neuen Appartmentgebäude – das Gebäude ist so neu, dass erst eine Handvoll Mieter eingezogen sind. In seliger Ignoranz kriegen die Jungverliebten kaum mit, dass ein tödlicher Killer-Virus grassiert, der aufmerksamere Mitbürger bereits zu Hamsterkäufen und ähnlichen Scherzen anregt. Coco und Pipi ist’s wurst – solange, bis ihr Haus aufgrund eines Krankheitsfalls bei Nachbars unter Quarantäne gestellt wird. Wie lange die dauern wird, kann ihnen niemand sagen, im Zweifelsfalle sollen die Hausbewohner halt die Notrufnummer wählen. Die ersten Tage vergehen ereignislos – doch dann bemerkt Coco, dass die Nachbarn Guglierini und Lange planen, den alten Knacker Zanutto zu überfallen, wofür sie auch Coco und den auf gleichen Etage wohnenden Berufsparanoiker Horacio – der ausgerüstet mit Gasmasken und ABC-Schutzanzügen voll in seinem Element ist – rekrutieren wollen. Horacio und Coco verweigern, also machen sich Lange und Guglierini allein ans Werk, doch Zanutto und seine Schrotflinte erwarten die potentiellen Plünderer bereits… Dieweil Horacio versucht, Coco davon zu überzeugen, dass Illuminaten, Amerikaner und sonstige Schurken mit der Seuche ihre „new world order“ durchsetzen wollen, Zanutto und seine Wumme wenig Unterschied machen, wer Freund oder Feind ist und die Vorräte langsam zur Neige gehen, ist Coco bestrebt, die Eskalation der Lage so weit wie möglich von Pipi fernzuhalten…


Inhalt

Ich stehe argentinischen Genrefilmen mit einer gewissen Grundskepsis gegenüber. Ich habe Attack of the Killer Hog und 36 Pasos gesehen und war mir nach dem äußerst zweifelhaften und unerbaulichen Konsums dieser Machwerke eigentlich sicher, mir mein Geasmturteil über die argentinische Genre-Produktion abschließend gebildet zu haben. Ofensichtlich war mein Unterbewusstsein nicht ganz überzeugt und kritzelte heimlich, während mein Restverstand grad mal nicht hinschaute, „Phase 7“ auf die FFF-Karteneinkaufsliste. Und, was soll ich sagen, ich richte jetzt nicht gerade meinen Gebetsteppich Richtung Buenos Aires aus, kaufe mir kein Evita-Peron-Poster und werde den Regisseuren der oben erwähnten Filme keine Entschuldigungstelegramme schicken, aber „Phase 7“ ist ein völlig brauchbarer Film.

Nicolas Goldbart macht aus dem bekannten und beliebten Virus-/Seuche-/Krankheit-Thema eine unterhaltsamen unterhaltsamen Paraonia-Thriller mit komödiantischen Elementen, der sich weniger um das globale Schreckensszenario schert, sondern sich vielmehr damit beschäftigt, wie ein unsere kleine Gruppe damit umgeht, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein und dabei langsam, aber unaufhaltsam jegliche Form von Zusammenhalt flöten geht. Wenn man so will, ist „Phase 7“ ein Kommentar zum urbanen Zusammenleben, und durchaus einer, über den man – over-the-top-Eskapaden wie schrotflintenschwingende, Köpfe wegballernde Rentner oder Berufsparaoniker, die in ihrer Mietswohnung panzertürgesicherte Waffen- und Vorratslager angelegt haben, mal ausgenommen – durchaus nachdenken darf, speziell, wenn man in einer Mietskaserne sein Dasein fristet. Sind die Leute, mit denen man die Behausung teilt, und die man, wenn’s hoch kommt, zweimal die Woche im Treppenhaus trifft, ein „Moin“ oder „Nabend“ entgegenbrummelt und ansonsten tunlichst ignoriert, diejenigen, mit denen man eine Krise durchstehen möchte oder überhaupt könnte? Was, fragt „Phase 7“, *wissen* wir über die Menschen, die eine Wand weiter ihr Leben führen? Coco, unser unwahrscheinlicher Held, z.B., weiß eigentlich gar nichts über seine Nachbarn – er hält Horacio bestenfalls für einen harmlosen Spinner, Zanutto für einen netten alten Sack und kennt die anderen Mietparteien schon gleich gar nicht näher, kann sich also, als es Zeit wird, Partei zu ergreifen und er sich, wie’s seine Art wäre, am liebsten ganz raushalten würde (er ist konfliktscheu, nicht entschlussfreudig und in gewisser Hinsicht faul und nachlässig – so müssen er und Pipi in ihrer Bude lange Zeit unter der „Beleuchtung“ einer Schwarzlichtlampe vor sich hin vegetieren, weil er das Nachkaufen von Glühbirnen vergessen hatte und die Schwarzlichtbirne das einzige war, was sich überhaupt noch in eine Fassung drehen ließ), nur auf seine rudimentären eigenen Einschätzungen der Persönlichkeiten seiner Nachbarn verlassen. Kein Wunder, dass er sich nie ganz sicher ist, ob er mit der Wahl seines Verbündeten (die auch nicht unbedingt eine freie Entscheidung ist…) richtig liegt, denn das Horacio, der über die Situation praktisch begeistert ist, kann er doch endlich seine Ausrüstung gassi führen, rumballern und im Treppenhaus Sprengfallen anlegen (in die dann meistens Coco reintappt), auch nicht alle Steine auf der Schleuder hat, liegt auf der Hand.

Zudem hat er noch die zusätzliche Aufgabe, Pipi vor allem Unbill zu beschützen und ihr nach Möglichkeit zu verschweigen, dass vor der Wohnungstür die blanke Anarchie, das Chaos, Mord und Totschlag, herrschen – das funktioniert alles ganz prima, weil Coco eben nicht der klassische „Held“ ist, der aus einer Normalo-Slacker-Position heraus über sich hinauswächst und sein“ volles Potential“ entfaltet, sondern ist auch am Filmende immer noch der mit der ganzen Verantwortung überforderte Typ wie du und ich, der mit den anderen Überlebenden des Appartmenthauses in eine ausgesprochen ungewisse Zukunft entlassen wird. Das Kunststück des Scripts ist es, dass es die Balance zwischen präzise beobachteten Charakteren (die trotz aller zunehmenden Verzweiflung obrigkeitshörig genug sind, die Quarantäne per se nie zu hinterfragen, obwohl es nicht wirklich so aussieht, als würde sie nach den ersten paar Tagen von den Autoritäten, soweit noch vorhanden, wirklich noch überwacht…), klaustrophobischer Paranoia über tiefschwarzen Humor bis hin zur Splatter-Groteske zu finden und über weite Strecken zu halten; das Finale, in dem sich schließlich Horacio und Zanutto in der Tiefgarage zum Showdown gegenüberstehen (getreu seiner Rolle versucht Coco sich zwar einzumischen, steht aber auf vergleichsweise hilflos-verlorenem Posten), ist für meinen Geschmack etwas zu klischeehaft, bekommt aber eben für den Ansatz, die eigentliche Hauptfigur in diesem letzten Kampf auf Leben und Tod quasi an der Seitenlinie stehen zu lassen, Anerkenntnispunkte. Ich hätte mir gewünscht, dass „Phase 7“ vielleicht etwas tiefer, etwas, eh, „existentialistischer“ geht als sich einem vergleichsweise schnöden „Action“-Finale zu widmen, aber man kann nicht alles haben, erst recht, wenn ich an meine bisherigen Erfahrungen mit Genrefilmen aus dem Maradonaland erinnere… ist womöglich besser so.

Filmisch löst Goldbart die Sache annehmbar – zu 95 % spielt „Phase 7“ (der Titel spielt übrigens auf die von Horacio ins Spiel gebrachte Illuminaten-Verschwörung an, die „Phase 7“ ist diejenige, in der das Kabal die Weltbevölkerung künstlich reduziert, um danach die neue Weltordnung aufzubauen) im Appartmentkomplex und schafft dadurch eine passende, klaustrophobische Stimmung; auch hier ist sicherlich ein gewisser sozialer Kommentar zu finden (die reichlich vollgestopfte, enge Wohnung der Helden; die gleichförmigen Korridore mit ihren verschlossenen Türen; winklinge, unübersichtliche Treppenhäuser – eben in allen Aspekten eine „Konstruktion“, die nicht darauf ausgelegt ist, dass die Hausbewohner miteinander in Kontakt treten können, sollen und wollen). Kameraarbeit und Schnitt sind solide, das Tempo des Films nicht rasant, sondern durchaus gewillt, Atempausen einzulegen und auch der Monotonie des Lebens der Eingeschlossenen Platz einzuräumen. Goldbart geht sicherlich ab und zu etwas over-the-top, sowohl was die nicht zahlreichen, aber pointiert eingesetzten blutigeren Ruppigkeiten angeht, als auch in Punkto schwarzen und grotesken Witzes – es mag dem „Realismus“ abträglich sein, sorgt aber für Aufheiterung und Auflockerung.

Die darstellerischen Leistungen sind ebenfalls in Ordnung – Daniel Hendler („Warten auf den Messias“ und Gewinner des Silbernen Bären 2004 für sein Schauspiel in „Lost Embrace“) ist ein glaubwürdiger Coco, ein ganz normaler Typ von Nebenan, mit dem man sich identifizieren kann. Jazmin Stuart („The Paranoids“) hat in der Rolle der Pipi nicht wahnsinnig viel zu tun, ist aber durchaus sympathisch (auch und manchmal gerade wenn sie mit Coco über Kreuz liegt). Yayo Guridi, der sich nur als „Yayo“ kreditieren lässt (was mich spekulieren lässt, ob er unter dem Kürzel in Argentinien eine bekannte Personality, vielleciht ein Comedian, ist, was ich aber nicht verifizieren konnte) ist als Verschwörungstheoretiker, der sich trotz aller Lebensgefahr mehr oder minder ein Bein darüber abfreut, dass er zumindest teilweise endlich einmal RECHT hat, eine Schau und als Schrotflinten-Zanutto feiern wir ein Wiedersehen mit del-Toro-Spezi Federico Luppi („Cronos“, „The Devil’s Backbone“, „Machucha, mein Freund“, „Pans Labyrinth“).

Fazit: Ich bin mit Argentiniens Filmproduktion halbwegs versöhnt – „Phase 7“ ist kein Meisterwerk, kein Meilenstein des Genrekinos, aber ein durchaus gelungener, unterhaltsamer Genrebeitrag, der aus einer ordentlichen Prämisse dank eines gelungenen Scripts, einer soliden Regie und guten Darstellern einiges rausholt und obwohl er manchmal (bewusst) etwas überdreht, ein paar valide Punkte im Hinblick auf das urbane Zusammenleben anspricht. Das reicht für gute 3 von 5 Punkten.

tl’dr-Version: Stell dir vor, es ist Weltuntergang, und du hast nur deine Nachbarn…

3/5

(c) 2011 Dr. Acula


mm
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