Permissive

 
  • Original-Titel: Permissive
  •  
  • Regie: Lindsay Shonteff
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1970
  • Darsteller:

    Maggie Stride (Suzy), Gay Singleton (Fiona), Gilbert Wynne (Jimi), Alan Gorrie (Lee), Stuart Francis (Kip), Mick Travis (Mick), Onnie McIntyre (Onnie), Debbie Bowen (Lacy), Robert Daubigny (Pogo), Stuart Cowell (Rick)


Vorwort

Die junge naive Suzy kommt nach London, in der Hoffnung, bei ihrer Freundin Fiona unterkriechen zu können, bis sich etwas anderes ergibt. Was Suzy bislang nicht weiß – Fiona ist fester Bestandteil der Londoner Underground-Rock-Szene und hat’s mittlerweile sogar geschafft, sich vom Groupie-Status zur offiziellen Liebschaft des Bassisten und Leadsängers der Psychedelic-Band „Forever More“, Lee, hochzuschlafen. Landei Suzy muss erst mal stilistisch auf Vorderfrau gebracht und in die Szene eingeführt werden – auch und gerade weil sich nach jedem Gig Wohnung bzw. Hotelzimmer der Band in den Schauplatz einer Impromptu-Jam-Session mit angeschlossener Orgie verwandelt. Suzy fühlt sich da zunächst nicht sehr wohl – und Forever Mores Roadmanager Jimi, der eh schon den Überblick verloren hat, wer die Dutzenden Gestalten, die sich auf Kosten der Band amüsieren, überhaupt sein mögen, ist von ihr auch nicht grade begeistert und lehnt rundweg ab, dass Suzy die Band zu einem Auswärts-Auftritt begleitet.

Das ist insofern ein Problem, als Suzy damit ohne Bleibe dasteht. Fiona versucht, sie an ihre Freundin Lacy, Groupie einer rivalisierenden Band, zu vermitteln, doch als Suzy dem dortigen Bandchef Rick, den Lacy als rechtmäßiges Eigentum betrachtet, ein bisschen zu gut gefällt, wird sie rausgeworfen und steht auf der Straße. Zum Glück nimmt sie Pogo, ein Straßenmusiker, der sich ohne festes Quartier durchschlägt, unter seine Fittiche. Pogo ist zwar ein netter Kerl, hat aber auch nicht alle an der Waffel – zu seinen Hobbys zählt es, in Kirchen auf die Kanzel zu steigen und ungefragt pseudosozialistisch-religiöse Predigten zu halten, was begreiflicherweise zu Konfilkten mit den Bobbys führt. Dennoch wäre das ein Arrangement, das halbwegs zur Zufriedenheit aller Beteiligten funktioniert, bis Pogo eines schönen Tages unvermittelt von einem Auto totgefahren wird.

Suzy kriecht wieder bei Fiona und Forever More unter, doch sie hat sich verändert. Aus dem naiven Landei ist eine promiskuitive Schlampe geworden, die sich systematisch durch die Band vögelt. Das empfindliche Band-Gleichgewicht wird gestört, doch völlig außer Kontrolle geraten die Dinge erst, als Lee ernstliches Interesse daran entwickelt, Suzy flachzulegen…


Inhalt

Ein Gebiet, auf dem es, zumindest für mich, noch einiges zu entdecken gibt, ist das, was ich mal den britischen Underground-Film der späten 60er/frühen 70er nennen würde – ein Nährboden, auf dem Talente wie Richard Lester oder Peter Watkins gediehen. Überwiegend weitab jeder kommerziellen Veritabilität unter schwierigen, zumindest aber unterfinanzierten Umständen entstand hier eine Fülle von interessanten, wegweisenden oder zumindest kuriosen Filmen. Dieweil solche Randerscheinungen des Kinobetriebes meist vom Gutdünken wohlmeinender Nischenlabels oder zweifelhafter Veröffentlichungspolitik noch zweifelhafterer Publisher abhängen, hat sich erfreulicherweise das britische Filminstitut zur Aufgabe gemacht, auch diese „Stiefkinder“ in aufwendigen, dafür aber vergleichsweise preisgünstigen Heimvideoeditionen einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Neben Werken der erwähnen Lester oder Watkins finden sich in der „Flipside Collection“ auch frühe Filme des späteren Trashmeisters extraordinaire Andy Milligan oder, und damit kommen wir endlich zum Thema, „Permissive“, eine Arbeit des in Kanada gebürtigen Filmemachers Lindsay Shonteff.

Shonteff hatte sich mit den Low-Budget-Horrorfilmen „Devil Doll“ und „Curse of the Voodoo“ einen ersten Namen gemacht und mit dem James-Bond-Abklatsch „Unser Mann vom Secret Service“ und „Sumuru, die Tochter des Satans“ zumindest den Sprung ins semi-seriöse Fach geschafft. Angesichts dieser Vita verwundert es ein wenig, dass er 1970 dann einen kleinen, extrem preisgünstig produzierten, dreckigen Rock’n’Roll-Film (nach einem Script von Jeremy Craig Dryden, mit dem Shonteff schon 1966 für das Drama „Blätter im Wind“ zusammengearbeitet hatte) in Angriff nahm…

„Permissive“ kann man als das britische Gegenstück zu Erwin C. Dietrichs großartigem Ich, ein Groupie sehen. Beide Filme versuchen einen Blick auf die Schattenseiten der Sex-and-drugs-and-rock’n‘-roll-Subkultur zu werfen – wohingegen sich der Steeger-Film allerdings, auch dank seiner Entstehungsumstände (wie Dietrich sich erinnerte, kursierten am Set ja derart viel Drogen, dass der angeheuerte Regisseur Jack Hill gar nichts kohärentes zu Wege brachte und Dietrich selbst das Projekt „retten“ musste) als bizarr-spekulative Exploitation spielt, ist „Permissive“ sowas wie der ernste große Bruder, der bei allen Schauwerten sexueller Ausschweifungen bestrebt ist, ein realistisches Bild der Szene zu entwerfen. Wie auch „Ich, ein Groupie“ bedient sich „Permissive“ dabei einer real existierenden Band – wo bei Dietrich die deutsche Rock-Legende Birth Control vor der Kamera reüssierte, hielt sich Shonteff an die schottische Protoprog-Truppe Forever More, die um 1970 rum zwei wenig beachtete Alben herausbrachte (Musikinteressierte können mittlerweile recht problemlos eine CD-Neuauflage beider Platten bei den einschlägigen Händlern erwerben).

Plotmäßig reißt „Permissive“ keine Bäume aus – der Film erzählt zwar eine Geschichte und zerfällt nicht nur in einzelne kleine Episödchen, aber das Rad wird nicht neu erfunden. Die Story der naiven Landpomeranze, die in der Großstadt mehr oder weniger unter die Räder kommt, ist ein Klassiker, aber sie funktioniert halt meistens. In „Permissive“ zerlegen Shonteff und Dryden diese Geschichte in drei recht klar abgrenzbare „Kapitel“ – die Ankunft Suzys und den „Kulturschock“, den sie erlebt, als sie in die freizügige Groupie- und Rock-Subkultur eintaucht, und ihre Schwierigkeiten, sich diesem neuen Umfeld anzupassen zum Ersten, die Phase des vermeintlich unbeschwerten „Glücks“, wenn sie mit Pogo, zwar ohne Obdach, aber in „good spirits“ durch London streift, und nach dem Schlüsselerlebnis von Pogos Unfalltod, ihre Wandlung in die amoralische, essentielle „Bitch“, die erkannt zu haben glaubt, dass man mit Nettigkeit und Zurückhaltung allein auch in einer freigeistigen Subkultur nicht weiter kommt und nur noch für ihre eigene, persönliche (sexuelle) Befriedigung lebt, und auch enge Freundschaften mit lässiger Handbewegung wegwischt. Es ist eine bemerkenswerte Umkehrung der Rollenverhältnisse, als sich im „Showdown“ erweist, dass nun Fiona das naive „Dummchen“ ist, das tatsächlich an die „wahre Liebe“ glaubt und völlig aus dem Ruder läuft, als ihr aufgeht, dass ihre Beziehung zu Lee nur von ihr als etwas wichtiges und richtiges eingeschätzt wurde, dieweil Lee nur solange mit Fiona zusammen sein wollte, bis sich was besseres/attraktiveres ergibt.

Wie gesagt – vom Storytelling-Standpunkt ist das ein alter Hut, ein klassisches tragisches Liebesdreieck (bzw. zumindest Sex-Dreieck, denn bei Suzy und Lee hat die Rumvögelei ja nicht speziell was mit Liebe zu tun), doch es ist nun mal so – gewisse Narrative lassen sich problemfrei in unterschiedlichste Settings einpassen, und hier klappt das auch. Der Psychedelic-Rock-Underground ist ein ausgezeichnetes Backdrop, um die altbekannte Geschichte in ein neues Gewand zu pressen und sowohl als Story an und für sich wie auch als spezieller Blick in eine dem anno 1970 „normalen“ Kinogänger vermutlich recht fremden Subkultur zu funktionieren. Man kann sicherlich kritteln, dass Suzys Verwandlung von der mit großen staunenden Augen herumlaufenden Outsiderin in die kaltblütige Vollzeitschlampe ein bisschen übergangslos kommt, andererseits kann ein „Triggererlebnis“ wie der Tod der einzigen Bezugsperson selbstredend gravierende Persönlichkeitsveränderungen auslösen, zumal sich die Reaktionen auf ihre Verhaltensänderung (das Konkurrenzdenken innerhalb der Band, von der jeder mal „ran“ will, Fionas persönliche und menschliche Enttäuschung) schlüssig entwickeln.

Und überdies ist „Permissive“ halt auch nicht typisches Autorenkino, bei dem der Macher dem Publikum irgendeine spezielle Botschaft vor den Kopf brettern will, sondern eben auch ein Musik- und (S)Exploitationfilm – Shonteff dürfe damit zufrieden gewesen sein, dass er eine brauchbare Handlungsstruktur hatte, an der sich dramaturgisch orientieren konnte und legte es hier sicher nicht auf Feuilleton-Lobeshymnen ob des großartigen Scripts an.

Was Sex’n’drugs’n’rock’n’roll angeht – okay, 1970 mag „Permissive“ schockierend gewesen sein, vierundvierzig Jahre später wird der Streifen niemanden mehr wirklich aufregen. Die Sexszenen (zahlreich) sind zwar recht offenherzig, aber auch nichts, was man nicht im Fernsehen (wenn auch zu späterer Stunde) zeigen könnte (es sei denn, die Andeutung einer lesbischen Sexszene bringt den Herzschrittmacher zur Explosion), die Drogen beschränken sich auf (allerdings majestätische) Joints und der Rock’n’Roll… naja, Forever More sind nicht gerade die jungen Pink Floyd, um’s mal so auszudrücken, und ihr folkig angehauchter psychedelischer Proto-Prog hat in etwa das Schockpotential einer Scheibe Weißbrot – da gab’s auch anno 1970 sicherlich aufregendere Bands. Nicht, dass Forever More nicht auch ein paar nette Songs hätten (ein halbes Dutzend geben die Jungs zum Besten, teilweise on stage, teilweise als Beschallung von Montagen), aber ich hab jetzt nicht gleich direkt bei amazon die CD bestellt… Neben Forever More gibt’s Musik von Comus, einer anderen britischen Progrock-Formation, deren erstes Album „First Utterance“ in einschlägigen Kreisen Kultstatus genießt (Opeths Mikael Akerfeldt ist ein Fan und verteilt gerne mal unauffällige shout-outs auf seinen Alben), die den Score bestreiten, und Titus Groan, die auch (als die rivalisierende Band, zu deren Groupie Lacy Fiona Suzy abzuschieben versucht) ein bisschen Screentime haben.

Filmisch fällt „Permissive“ primär durch Shonteffs extensiven Gebrauch von sekundenkurzen Flash-Forwards auf, die manchmal nur andeuten, was vielleicht eine Screenminute später passiert, manchmal aber auch weit vorgreifen (und z.B. schon praktisch in der ersten Szene das Ende anteasern) – ein wenig gewöhnungsbedürftig (speziell, wenn die Distanz zwischen Flash-Forward und tatsächlicher Szene sehr kurz ist), aber durchaus innovativ. Abgesehen davon und ein paar Versuchen, die musikalischen Sequenzen durch einen Zoom hier, einen Schwenk da, ein wenig visuell aufzupeppen, bleibt Shonteff aber in der Tat „gritty“ und ungeschliffen, hat keine Scheu davor, den Rock-Underground so zu zeigen – als Musiker mochte man damals reihenweise hübsche Hippiegirls flachlegen, aber dafür musste man trotzdem in schäbigen Kellerclubs mit Garderoben von der Größe einer Telefonzelle bespielen. Shonteffs London ist nicht das glitzenernde Touristen-London mit all seinen Sights und Sounds, sondern das der Nebenstraßen und Hinterhöfe, der versifften kleinen Freßbuden und düsteren U-Bahnhöfe – es zeigt, dass England schon vor dem Privatisierungswahn des Thatcherismus seine kaputten Ecken hatte und das gerade dort die Subkulturen aufblühen konnten (meine „Lieblingslocation“ ist der Spielplatz, auf dem Pogo und Suzy kurz campieren. Der besteht aus einem lieblos hingeknallten Karussell auf einem voll betonierten und halb vermüllten Hinterhof. Happy childhood indeed).

Auf Darstellerseite überzeugen die ansonsten nicht wirklich in bemerkenswerten Dingen aufgefallenen Maggie Stride (noch in einer Nebenrolle in der Sexklamotte „Layout for 5 Models“ tätig gewesen) als Suzy und Redhead Gay Singleton (gelegentlich im britischen Fernsehen zu sehen gewesen, u.a. in „Task Force Police“ und „Couples“) als Fiona. Besonders Stride besticht durch ungeschliffene Ungekünsteltheit. Als Road Manager Jimi amtiert Gilbert Wynne („Doctor Who: The Krotons“, „Clegg“, und immer noch mit kleinen Auftritten in Serien wie „Torchwood“ oder „Da Vinci’s Demon“ aktiv), der mich irgendwie an einen jungen, wohlgenährten Jogi Löw erinnert. Eine echte Band für tragende Rollen verpflichtet zu haben, ist zwar sehr authentisch, aber man merkt natürlich schon deutlich, dass die Forever-More-Jungs keine gelernten Schauspieler sind und sich sichtlich nicht ganz wohl fühlen, wenn sie Dinge spielen müssen, die über ihre Erfahrungen als Musiker hinausgehen. Ganz patent macht sich Robert Daubigny in seiner einzigen Filmrolle als durchgeknallter Straßenmusiker Pogo.

Bildqualität: Das BFI bringt die Flipside-Reihe in recht günstigen Dual-Format-Editionen auf BluRay und DVD heraus. Es ist durchaus erstaunlich, was man dabei aus dem über vierzig Jahre alten und bestimmt nicht besonders hochwertigen Quellmaterial herausgeholt hat – der 1.33:1-Transfer ist zwar manchmal etwas grobkörnig, aber völlig verschmutzungs- und defektfrei – wesentlich besser als zu erwarten.

Tonqualität: „Nur“ PCM-Mono-Ton, aber das ist halt auch das, womit das BFI arbeiten konnte. Ist nicht sonderlich dynamisch und speziell im Musik-Mix etwas schepprig – woher besseres Ausgangsmaterial nehmen, wenn nicht stehlen?

Extras: Neben dem Originaltrailer und einem ausführlichen, informativen Booklet bekommt der geneigte Konsument noch einen Bonusfilm („Bread“ von 1971, ein deutlich leichtgewichtigerer Film über ein paar junge Leute, die ein Festival auf die Beine stellen wollen. Mit dabei sind die britischen Bands Juicy Lucy und Crazy Mabel), Outtakes aus „Bread“ sowie der Sex-Education-Kurzfilm „And You Got A Male Assistant Please Miss“.

Fazit: Immer noch mit einer BBFC-18-Freigabe ausgestattet, ist der einstmals schockierende „Permissive“ aus heutiger Sicht sicher harmlos, nichtsdestoweniger ein charmanter Blick in die Rock-Club- und Groupie-Szene der damaligen Zeit – trotz seiner Ernsthaftigkeit schwer unterhaltsam, mit dem innovativen Flash-Forward-Gimmick auch filmtechnisch nicht ganz uninteressant und vor allem ein spannendes companion piece zum sleazig-chaotischen „Ich, ein Groupie“. Für Fans der Epoche und Jäger nach ungewöhnlichem Underground-Kino eine dicke Empfehlung!

4/5
(c) 2014 Dr. Acula


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