Paris by Night of the Living Dead

 
  • Deutscher Titel: Paris by Night of the Living Dead
  • Original-Titel: Paris by Night of the Living Dead
  •  
  • Regie: Gregory Morin
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    David Saracino (Richard), Karina Testa (Adrienne), Dominique Bettenfeld (Priester), Olivier Bach, Christoph Lemaire, Cyril Delavenne, Pascal Goubereau, Rurik Sallé (Zombies)


Vorwort

Inmitten einer Paris verwüstenden Zombie-Plage schließen Richard und Adrienne den Bund fürs Leben – angesichts der Gesamtsituation erweitert der diensthabende Pfaffe das Eheversprechen um die Klausel „den Partner zum Reich Gottes führen, wenn er unter den Toten umherirrt“. Recht sinnvoll, dieser Zusatz, weil Richard schon ein paar Minuten später vom wilden Zombie gebissen wird und folgerichtig selbst zum frischfleischfressenden Untoten wird (dürften interessante Flitterwochen werden). Da muss Adrienne die großkalibrigen Wummen auspacken…


Inhalt

Kurzfilme – immer wieder ein interessantes Thema. Ich bin persönlich ein großer Fan von Shorts, so ein kurzer, knackiger fünfzehnminütiger Einakter kann, von kompetenter Hand gewerkelt, mehr Punch entwickeln als so manches dreistündige Drama mit Starbesetzung. Die Problematik bei Kurzfilmen ist nur immer wieder, dass es dafür eigentlich keinen Markt mehr gibt. Gut, sie sind tauglich als Bewerbungsvideos für größere Aufgaben, aufstrebende Jungregisseure können damit auf Festivals punkten, aber eine vernünftige kommerzielle Auswertung ist kaum möglich, es sei denn, man gehört zu den Glücklichen, die’s irgendwie auf ins Fernsehen und/oder auf eine Compilation-DVD schaffen (z.B. die „Shocking Shorts“-Scheiben aus dem Hause 13th Street oder die ENDLICH, nach zig Jahren doch mal erschienene FantasyFilmFest-Kurzfilm-DVD). Und doch gibt es immer wieder einzelne Ausreißer, die’s gebacken bekommen, einen stand-alone-Release zu materialisieren, obwohl das für meine Begriffe ein aus wirtschaftlicher Sicht sehr gewagtes Unterfangen für den entsprechenden Publisher ist. Es muss schon ein großer Fan sein, der freudestrahlend 7-8 Euro für eine DVD mit einem zehnminütigen Kurzfilm (nebst drei Stunden Bonusmaterial) ausgibt, wenn er für ein paar Cent mehr die Extended Edition von „Die Rückkehr des Königs“ ins Regal stellen kann. anolis hat das Kunststück mit Staplerfahrer Klaus, den der Titelheld vermutlich persönlich palettenweise in die MediaMärkte dieser Welt gestapelt hat, einmal erfolgreich durchexerziert, und das scheint dem Label ausreichend Rückenwind gegeben zu haben, um’s mit einer „Kurzfilm-Edition“ zu probieren, in der nun auch der franzmännische Zombieshort „Paris by Night of the Living Dead“ (cleverer Titel, fraglos) erschienen ist.

Man kann an die Aufgabenstellung „Kurzfilm“ ja unterschiedlich herangehen – entweder man erzählt eine knappe, pointierte, aber vollständige Geschichte, präsentiert einen Ausriß aus einem „größeren“ Rahmen oder entscheidet sich quasi für einen Schnelldurchlauf eines Abendfüllers. „Paris by Night of the Living Dead“, erdacht von David Neiss, versucht’s primär mit der letzten Variante – ein „Großer Apokalyptischer Zombiefilm“, eingedampft auf knapp 9 Minuten. Dramaturgisch ist das selbstverständlich Nonsens – wir erfahren nichts über die Charaktere (dass die beiden Jungvermählten so inniglich verliebt sind, muss man halt einfach glauben), nichts über das Wie & Warum der Zombieplage, und mit Ausnahme der kurzen Hochzeitssequenz zum Beginn wird auch konsequent auf Dialoge verzichtet (Richard und Adrienne müssen, wenn ich richtig mitgezählt habe, je dreimal „ich verspreche es“ sagen. Ist zumindest mal ein recht einfach auswendig zu lernender Text, da träumt so mancher Schauspieler ‚von). Aber Gregory Morin hatte auch nicht vor, eine „Geschichte“ zu erzählen. Wie sich aus dem umfangreichen Begleitmaterial ergibt, ist Morins großer Traum eine live-action-Manga-Verfilmung. Das heißt jetzt nicht, dass Morin Tentakel-Rape einbaut (wäre in einem Zombiefilm auch irgendwie komisch), aber sein Hauptaugenmerk liegt darauf, das wenige an Plot, das er hat, rasant, actionreich, lustig und ein wenig sexy abzuspulen.

In der Hinsicht kann man ihm bescheinigen – ja, das hat ziemlich gut geklappt. Man muss eben nur unter der Voraussetzung an den Film gehen, dass man anstelle einer Story im Wortsinn nur die Highlight-Action-Set-Pieces eines leicht humoristisch angehauchten Zombiereißers zu sehen bekommt, aber in der Hinsicht ist „Paris by Night…“ ein echter Hinkucker. Professionelles Stuntwork, sowohl was Kampfszenen als auch Motorradstunts angeht, saftige und exzellent gewerkelte Splatter- und Goreeinlagen, die der FSK-18-Freigabe alle Ehre machen, eine massiv zombiearschtretende Hauptdarstellerin, ein fantastischer, überwiegend absolut Blockbuster-tauglicher Kino-Look – nur, was den beabsichtigten Humor angeht, muss man (wenn man zumindest ungefähr so wie ich gepolt ist und nicht jede „haha, da ist der Kopf explodiert“-Szene automatisch lustig findet) ein paar Abstriche machen.

Am Augenfälligsten ist sicherlich der schon erwähnte Look – mit der Macht von Kollega Computer haben Morin und seine Effekt-Mannen (letztlich Freelancer, die für umme arbeiteten, nachdem die ursprünglich beauftragten FX-Studios *während* der Produktion das Handtuch warfen, als ihnen die Erleuchtung kam, das man mit einem Kurzfilm nicht wirklich Asche machen kann) tatsächlich einen extrem überzeugenden postapokalyptischen Look hinbekommen – angemessen düster-gräulich, auf eine wirklich kinematische Art und Weise (wenn ich das mit dem sicherlich wesentlich teureren Briten-Schlonz Devil’s Playground vergleiche, der versuchte, ein apokalyptisches London zu zeigen und das sowas von überhaupt nicht hinbekam, kommen mir die Freudentränen). Erfreulicherweise nehmen sich Morin & Co. auch die Zeit, ein paar berühmte Pariser Sehenswürdigkeiten virtuell zu Klump zu schlagen. Nur bei „Sacre Coeur“, der pittoresken Kirche auf dem Montmartre, haben sie Skrupel… die wird nur in einer – leider auch effekttechnisch leicht missglückten Szene – bis zur Kirchturmspitz mit Blut besploddert. It’s a silly scene and not really funny. Von der Sacre-Coeur-Szene und ein-zwei nicht ganz gelungenen Greenscreen-Aufnahmen der motorradfahrenden Helden sind die CGI vielleicht nicht auf „Transformers“-Niveau, aber deutlich besser, als das, was man gemeinhin in Filmen dieser Kragenweite zu sehen bekommt. Es sieht, ich wiederhole mich, wirklich nach *FILM* aus – ich denke, das kommt auch auf den anliegenden Screenshots ganz gut raus. Man sieht, man kann auch als chronisch klammer Independent-Filmemacher hervorragenden Nutzen aus CGI ziehen (sofern man Leute an der Angel hat, die willens sind, ein solches Projekt nicht aus Gewinnerzielungsabsicht, sondern als Showcase für ihre Fähigkeiten zu werten) – praktisch jeder Frame dieses Films wurde digital nachbearbeitet und das zahlt sich aus.

Die Splattereffekte hingegen sind größtenteils praktischer Natur (es war erklärter Wille aller Beteiligten, möglichst viele FX on set zu realisieren) – beim Blutspritzen hat man digital etwas nachgeholfen (man merkt’s, aber ich hab das in größeren Filmen wesentlich übler gesehen), was auch daran lag, dass die Witterungsverhältnisse beim Dreh nicht immer mitspielten und sowohl die Drehzeit als auch die Möglichkeiten, was „live“ zu machen ist, einschränkte (das gilt auch für die Moto-Stunts, die ursprünglich breiteren Raum einnehmen sollten, und die Pyrotechnik), ansonsten ist kein Körperteil sicher, Köpfe explodieren, Bäuche werden mit der Kettensäge reihenweise aufgeschlitzt, und Gedärmausweidung (vollführt von der mir bislang unbekannten Spezies der Stealth-Zombies, die sich in einer bis auf die drei Protagonisten menschenleeren Kirche ungesehen materialisieren können – aber Logik ist das Anliegen des Films sowieso nicht), alles technisch auf gutem Niveau, ordentlich ruppig, gelegentlich auf den Lacher hin inszeniert (was, wie schon gesagt, eher der Schwachpunkt des Films, der mir als rasanter, reinrassig-ernster Actionhorror ohne humoristisch gemeinte Einlagen einen Tick besser gefallen hätte – der „Staplerfahrer Klaus“-Vergleich vom Cover zieht eh nicht, das ist ’ne völlig andere Baustelle hier).

Auch die Production Values sind ordentlich – die Hochzeitsszene wurde in einer echten Kirche gedreht (unter Vorspiegelung falscher Tatsachen… dass man bei der Gelegenheit noch einem Priester die Gedärme rausreißen möchte, hat man den zuständigen Stellen lieber nicht verraten), für den Vorplatz der echten „Notre Dame“, auf dem sich eine Actionszene abspielt, hat man sogar völlig legal eine Drehgenehmigung errungen; das verleiht dem Film natürlich schon einen gewissen scope, den die durchschnittliche Amateurproduktion, die froh ist, wenn sie zehn Minuten auf’m Bahnhofsvorplatz drehen kann, bevor sie vom Wachschutz verscheucht wird, begreiflicherweise nicht bieten kann. An enthusiastisch schlurfenden und growlenden Statisten in liebevollen Zombie-Make-up mangelt’s sowieso nicht (und einen Extrapunkt verleihe ich für den kurz eingesetzten Komplett-Prosthetic-Dummy für einen dreiviertel verwesten Untoten).

Gefilmt ist das ganze Treiben dann auch erstklassig – Kameramann Francois Reumont, der bislang nur an Kurzfilmen gearbeitet hat, empfiehlt sich mit teilweise spektakulären Bildern für größere Weihen, für den fetzigen Schnitt darf sich Noimie Moreau ebenfalls eine meiner beliebten Anerkenntnistäfelchen anstecken. Regisseur Morin selbst, der sein Schaffen ganz bewusst als Gegenentwurf zum typisch französischen Arthouse-Drama-Stil versteht, versteht sich darauf, Actionszenen auf Hollywood-Niveau zu inszenieren; es bleibt natürlich abzuwarten, wie Morin sich schlagen würde, wenn er mal ein abendfüllendes Werk zu verantworten hat (allerdings gelingt ihm auch die behutsam aufgebaute Auftaktszene wunderbar), auf der Kurzstrecke macht ihm jedenfalls niemand was vor.

Neben einem treibenden Score von Erwann Kermovant (der nun aber ein Profi ist und schon diverse TV-Serien und -Filme beschallt hat) steht Morin auch ein Trio genreerfahrener Akteure zur Verfügung, die wissen, wie sie solches Material zu spielen haben. Karina Testa und David Saracino liefen sich bereits in „Frontier(s“) über den Weg, Saracino kann neben Bit-Parts in „Die purpurnen Flüsse 2“ und Da Vinci Code auch Einsätze in diversen französischen TV-Serien wie „Venus und Apoll“ vorweisen.
Den Priester spielt mit Dominique Bettenfeld ein Charakterkopf und Jeunet-Liebling, der in allen wesentlichen Jeunet-Filmen von „Delicatessen“ bis „Mathilde – Eine große Liebe“ kurze, aber prägnante Auftritte feiern konnte.

Bildqualität: anolis präsentiert den Streifen in exzellentem anamorphen Widescreen (2.35:1), das den großartigen Look des Streifens angemessen zur Geltung bringt. Klar, aufgrund der grau-bläulichen Farbgebung wirkt der Streifen etwas kühl (was die beabsichtigte comedy-Wirkung etwas unterläuft, ein Grund mehr, warum ich einen völlig ernsten Film lieber gesehen hätte), aber Schärfewerte, Kontrast und Farben liegen allesamt im klar überdurchschnittlichen Bereich.

Tonqualität: Naja, verschiedene Tonspuren bräuchte es aufgrund von vielleicht fünfzehn Zeilen Dialog nicht wirklich, trotzdem gibt’s neben dem französisichen O-Ton (mit optionalen Untertiteln) auch eine deutsche Fassung, jeweils in Dolby 5.1. Der O-Ton jedenfalls wummst auch ordentlich rein, bleibt dabei aber immer klar und dynamisch.

Extras: Ordentliche Latte. Neben einem Audiokommentar von Regisseur Morin und ausführendem Produzent Eric Fantone, der diverse interessante Tidbits verrät (allerdings aufgrund der Zeitbeschränkung vieles nur anreißen kann), gibt es auch einen Zombie-Kommentar (der hauptsächlich aus Grunz- und Growl-Lauten, vollführt vom gleichen Kommentatorenduo besteht), eine fünfzehnminütige Featurette, in der Fantone einiges zum Produktionsprozess sagt und wir Augenzeuge der Nachvertonung der großen Zombie-Attacken im Studio werden, sowie ein ausführliches 70 Minuten langes „Zombing-of“, das alle Fragen beantworten dürfte… Eine Bildergalerie gibt’s noch oben drauf.

Fazit: Ich bin beeindruckt. „Paris by Night of the Living Dead“ wird sicherlich von der kreativen Seite her niemandem vom Hocker hauen, aber die handwerkliche, technische Umsetzung begeistert. Das Ding ist in der Form absolut große-Leinwand-tauglich und strotzt geradezu vor Selbstvertrauen seines Regisseurs, der ganz offensichtlich zeigen will, dass europäischer Horror nicht verkopft-depressiv sein muss, sondern genauso auf die Action-Kacke hauen kann wie der amerikanische oder japanische Splatterfilm (und dabei noch großartig aussieht). Meinetwegen hätte man, da wiederhole ich mich gerne, auf die humorigen Einlagen verzichten können (mal funktionieren sie, aber in der offensichtlich als „der große Lacher“ geplanten Sacre-Coeur-Szene eben nicht), aber einen derart rasanten, actiongeladenen und dabei vollprofessionellen Splatterkurzfilm habe ich noch nicht gesehen (hierzulande könnte das vielleicht am ehesten Daniel Flügger, wenn man ihm die Ressourcen an die Hand gäbe). Wer also morgen im Media Markt steht und überlegt, ob er „Quarantäne“ oder „Paris by Night of the Living Dead“ kaufen soll, sollte vielleicht dem kleinen französischen Kurzfilm eine Chance geben. Könnte sich lohnen. Und ich bin gespannt, ob jemand Morin die Chance gibt, einen Langfilm zu drehen und wie er sich dann dabei schlägt…

4/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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