Ostzone – Wenn du sie hörst, ist es zu spät

 
  • Deutscher Titel: Ostzone - Wenn du sie hörst, ist es zu spät
  • Original-Titel: Ostzone
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  • Regie: René Rausch
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2016
  • Darsteller:

    Saskia Geißler (Marie Hollermann), Friederike Serr (Linda König), Simson Bubbel (Marius König), Valérie Cuénod (Anneliese Wagner), Chris Friedling (Jan), Sofia Exss (Sonja Engel), Thomas Ney (Obdachloser


Vorwort

Linda und Marius König sind ein idealistisches Sozialpädagogen-Pärchen (uh-oh. Jeder, der Sozpäds im Bekanntenkreis hat, schlägt grade seine Alarmglocke k.o.) – der Lebenstraum der elenden Gutmenschen ist ein Heim für vernachlässigte, verhältensgestörte und sonstwie problematische Problemkinder. Keine Frage, sowas hat der gemeine deutsche Spießbürger ungefähr knapp lieber in seiner Nachbarschaft als ein Asylantenheim, die Suche nach passenden Räumlichkeiten gestaltet sich also eher schwierig, zumal Sozpäds im Allgemeinen eher nicht der Spezies der Geldspeicherschwimmer angehören. So richtet sich der Königs trüber Blick gen Osten, wo Lebensraum noch billig ist, ähem.

Ein passendes Objekt in der tiefsten Zone haben die Königs auch schon gefunden und heute steht die Besichtigung an. Mit im Gepäck haben unsere verdienten Retter zarter Kinderseelen Marie Hollermann, eine ihrer persönlichen Erfolgsgeschichten – ehemaliges Heimkind aus schwierigen Verhältnissen und jetzt Mündel/Adoptivtochter/Eigentum der Königs (ehrlich, ich zermartete mir über dieses Verhältnis ein wenig das Hirn – Linda und Marius wirken nämlich nicht entscheidend älter als ihre anscheinend Schutzbefohlene). Marie steht der ganzen Geschichte inkl. Ausflug nach Pegida-Country skeptisch gegenüber und beweist beim Pinkel-Boxenstopp in einer Ostkaschemme ihr verantwortungsvolles Erwachsenenseintum, indem sie den ersten halbwegs nach Nicht-NSU-Mitglied aussehenden Ossi anbaggert. In der Hoffnung auf eine Ost-West-Wiedervereinigung intimen Zuschnitts willigt Jan ein, Marie später an der Immobilie, die natürlich landauf-landab bekannt ist und den üblichen finsteren Ruf geießt, zu treffen.

Das Objekt der Begierde ist eine ehemalige Tuberkulose-Klinik aus den 1910er Jahren, die später von den DDR-Autoritäten als psychiatrische Klinik genutzt wurde – also viel Potential für grausige Vergangenheit und ordnungsgemäße Bespukung. Zudem hat die Klinik die Ausmaße eines durchschnittlichen kommunistischen Präsidentenpalasts und befindet sich in einem allgemein erbärmlichen Zustand. Planieren und nen Parkplatz draus machen wäre meine Lösung, egal, ob man irgendwo im pommerschen Mischwald einen braucht. Linda und Marius sind allerdings der Ansicht, dass man unter Einsatz von drei-vierhundert Mannjahren Renovierung aus der Ruine noch was machen könnte (Parkplatz, sag ich doch. Ersatzweise Atomwaffentestgelände) und da Maklerin Anneliese Wagner das Gebäude auch in einer sozialpädagogenfreundlichen Preislage anbietet (geschenkt ist noch zu teuer, sag ich, und ich hab in meiner beruflichen Karriere schon versucht, Ost-Grundstücke zu verscherbeln), ist man sich schnell handelseinig und der Kaufvertrag noch vor Ort unterschrieben, Zimmer mit eher beunruhigender Dekoration (aufgehängte Puppen) be damned.
Die neuen Besitzer gehen auf Entdeckungstour, dieweil Marie und Jan zarte Bande knüpfen und die knüpft man natürlich am besten unter Vermittlung der örtlichen düsteren Legende. Die dreht sich um Sonja Engel. Deren Vater war verhinderter, da beim Versuch erschossener Republikflüchtling, und das reichte zu besten Stasizeiten natürlich locker dafür, um Sonja als potentiell staatsgefährdend in die Psycholklinik zwangseinzuweisen und dort allerhand Mumpitz mit ihr anzustellen, der ihr eine echte ordentliche Delle eingehandelt hat, und ebenso logischerweise soll Sonja nach Schließung der Klinik dort nach wie vor ihr Unwesen treiben. Linda und Marius treffen zunächst aber nicht auf eine mordende Irre, sondern einen sicherlich auch leicht geistig lädierten Obdachlosen, der sich zum Hausmeister des Areals stilisiert hat und auf eine verbal ausgesprochene Kündigung eher negativ reagiert, aber zum Schluss kommt, dass die Klinik groß genug ist, um unauffällig in einem anderen Bereich den Besen zu schwingen (und nötig hat’s die Bude allemal).

Bei seiner Re-Location stört der Möchtegern-Hausmeister allerdings die Kreise der höchst real existierenden Sonja Engel und beißt in die morschen Holzdielen, während Marie sich gerade zu Jans bitterer Enttäuschung darüber klar wird, dass sie jetzt eigentlich doch nicht poppen will. Dass die drei Wessis und der verhinderte Ossi-Stecher nun jeweils individuell durchs Gemäuer krauchen, erleichtert die Sache für Sonja, die sich daran macht, die Reihen der Eindringlinge zu lichten…


Inhalt

Wer schon ein paar Jahre hier mitliest, weiß, dass es ein Independent-Filmteam gibt, dem ich immer ganz besonders die Stange gehalten habe – die Mitglieder der Transcendental-Gruppe, deren diverse kreative Protagonisten – Hendrik Röhrs, Lars Dreyer und René Rausch – sich hier schon verschiedentlich mit ihren Werken gefeatured und zumeist auch gefeiert fanden. Ich hatte beinahe befürchtet, ich persönlich hätte die Ambitionen der Leute dadurch gekillt, in einem von René Rausch gedrehten Kurzfilm persönlich aufgetreten zu sein (wasn? Siskel & Ebert machten sowas auch!), aber erfreulicherweise hat Meister Rausch noch nicht hingeworfen, auch wenn wir alle wissen, dass zwar die technischen Möglichkeiten für Indie-Filmer immer besser werden, aber proportional umgekehrt die Chance, mit einem Indie-Film auch vielleicht noch ’ne Mütze Geld zu verdienen, damit sich der ganze Knatsch auch irgendwie lohnt, im Internet-Zeitalter von Tag zu Tag kleiner wird. Für „Ostzone“ bemühte René denn auch das neumodische Crowdfunding, und tatsächlich gelang es, den Film zu finanzieren, fertigzustellen und sogar einen ordentlichen Vertrieb dafür zu finden, der dafür sorgt, dass Ihr, werte Leser, den Streifen auch in knapp drei Wochen, ab Reviewdatum gerechnet, beim DVD-Dealer Eures geringsten Mißtrauens erwerben könnt.

Der wilde Osten ist dabei ein patentes Thema – es wundert mich sogar ein bisschen, dass einheimische Genrefilmer aus ostdeutscher Vergangenheit und (leider auch) Gegenwart bislang so wenig Inspiration gezogen haben; es müssen ja nicht grad NVA-Zombies sein (obschon die gegenüber Nazizombies schon wieder den Vorteil gewisser Originalität haätten), aber Themen und Hooks von Action bis Horror böte die DDR wie auch der reale Horror national befreiter Zonen ja schon. „Ostzone“ nähert sich dem Thema von der Slasher-Seite an und überrascht drehbuchseitig damit, dass zwar einerseits die DDR und ihre Behörden dafür ursächlich sind, dass unsere Slasherkillerin zur fröhlichen Metzelmaid wurde, aber die eigentliche Motivation ganz woanders liegt. Ich will das nicht spoilern, aber zu Protokoll geben, dass der Twist, den „Ostzone“ in seiner Schlussphase auspackt, zum Originellsten gehört, was mir gerade im deutschen Indie-Bereich untergekommen ist.

Die Charaktere sind gut getroffen – Marius und Linda, unsere selbstlosen Sozpäds, kommen dem, was ich an freilaufenden Sozialpädagogen und ihrem Sinn für realistische Projekte im echten Leben erlebt habe, schon ziemlich nahe, bleiben aber trotzdem sympathische Figuren, aber auch so, dass wir durchaus verstehen können, dass Marie zwar einerseits gut mit ihnen zurecht kommt, sie unter der Hand aber wohl recht eindeutig für weltfremde Spinner hält (man kann ja nett sein und trotzdem mit der realen Welt auf Kriegsfuß stehen). Jan hat an Eigenschaften nicht so viel mitbekommen, aber er ist vom Protagonisten-Quartett auch der unwichtigste Bestandteil (und eine große Backstory für eine Figur, die die eigentlichen Protagonisten ja nur zufällig kennenlernen, wäre auch übertrieben). Wo der Film etwas schwächelt, ist gerade bei der Darstellung und dem Hintergrund der Killerfigur – da leidet „Ostzone“ ein wenig unter dem Indie-typischen Problem, dass das geringe Budget dem Storytelling in die Suppe spuckt, trotz der Untermalung durch s/w-Archivaufnahmen (die aber ein wenig zu alt wirken, da das, was Sonja passiert ist, in den späten 80ern passiert sein muss, es sei denn, der Film spielt nicht in der relativen Gegenwart. Aber jeder hat sein Smartphone dabei, also…). Der „tell, don’t show“-Ansatz ist zwar verständlich, aber in der entsprechenden Expositions-Szene läut „Ostzone“ mal kurz Gefahr, sich zu Tode zu labern. Das geht aber zum Glück auch wieder vorbei.
„Ostzone“ profitiert ungemein von seiner Killer-Location, der morbiden Atmosphäre des dreiviertelverfallenen Gebäudes, seiner endlos langen Korridore, wuchtigen Treppenhäuser und Hallen, die mit Schutt und Dreck nur so vollgestopft sind. Ich glaube nicht, dass irgendeine reale Person auch nur versucht wäre, die Bude zu nehmen, wenn man ihr noch hunderttausend Euro bar auf die Hand legt, aber wenn wir nur rationale Charaktere in Horrorfilmen hätten, hätten wir keine Horrorfilme. Sicher ist die Bruchbude nicht „visually appealing“, aber die gute Kameraarbeit (ein Transcendental-Trademark), die zwischen bewusst statischen establishing shots und Handkamera pendelt, holt aus dem rustikal-verfallenen Ambiente jede Menge raus.

Nicht verhehlen möchte ich allerdings, dass ich dem Streifen in seiner Anfangsphase gern mal ein bisschen in den Hintern getreten habe – es dauert eine Weile, bis wir zum „good stuff“ kommen (bei knapp 68 Minuten Laufzeit kommt die Begegnung mit dem Hausmeister, die man als Einläuten des Horror-Parts bezeichnen könnte, nach einer guten halben Stunde). Dann aber wird’s ordentlich flott und auch spannend, wobei mir (und als bekennendem Gorehoundkritiker sei das auch mir mal erlaubt) gefallen hätte, wenn die Kills etwas mehr aus sich heraus gehen würden. Ja, ein wenig mehr Splatter wäre nicht verkehrt.
Die Schauspieler erledigen einen verdammt guten Job – besonders Simson Bubbel und Friederike Serr als Sozpäd-Pärchen möchte ich herausheben, aber auch Saskia Geißler als Marie und Chris Friedling als Jan agieren souverän und hinterlassen nicht den Eindruck typischer Indie-Amateurnasen. Bei Valerie Canoud („Marmorera“, „Himmelfahrtskommando“) stört mich ein wenig der französische Akzent… Sofia Exzss (das darf ich für ein Pseudonym halten, ja?) legt Sonja Engel mit dem ein oder anderen japanischen Geistergirl in der Ahnengalerie an, aber das passt durchaus zur Gestalt.

Lobende Erwähnung finden muss auch der Score von Torben Jan Müller.
Was sagen wir also? „Ostzone“ revolutioniert das Genre des deutschen Indie-Slashers sicher nicht, aber die verdammt gute Location mit der eingebauten unheimlichen Killer-Atmo, die cleveren Ideen des Scripts rund um die DDR-Vergangenheit und die gut aufgelegten Hauptdarsteller sprechen dafür, dem Film eine Chance zu geben. Mit den Mikrobudget-Slashern, die manch ein DVD-Publisher aus den USA oder sonstwoher importiert, wischt „Ostzone“ allemal den Boden auf.

3,5/5

(c) 2017 Dr. Acula


mm
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DMJ
DMJ
10. April 2017 19:49

-„zumal Sozpäds im Allgemeinen eher nicht der Spezies der Geldspeicherschwimmer angehören“
Weil dir bekanntlich ihre ganze Kohle für Gras, Didgeridoos und peruanische Mützen auf den Kopf hauen. So sieht’s doch aus!

-„Planieren und nen Parkplatz draus machen wäre meine Lösung“
Und zwar für jedes Problem.

-„der örtlichen düsteren Legende“
Gnihihihi… *Zähneknirsch*

-„Wer schon ein paar Jahre hier mitliest, weiß, dass es ein Independent-Filmteam gibt, dem ich immer ganz besonders die Stange gehalten habe“
Und das natürlich zu Unrecht. Wie nicht anders von dir zu erwarten.

– „Für „Ostzone“ bemühte René denn auch das neumodische Crowdfunding“
Ich hörte, ein Milestone war das Versprechen, dass du diesmal nicht mitspielst.

– “ Ich will das nicht spoilern, aber zu Protokoll geben, dass der Twist, den „Ostzone“ in seiner Schlussphase auspackt, zum Originellsten gehört, was mir gerade im deutschen Indie-Bereich untergekommen ist.“
PEST, TOD UND PEROY ÜBER DICH!!! NUN WECKE DOCH NICHT MEIN INTERESSE, DU OLM!!!

Damien Crowley
Damien Crowley
19. April 2017 14:43

„Das Objekt der Begierde ist eine ehemalige Tuberkulose-Klinik aus den 1910er Jahren, die später von den DDR-Autoritäten als psychiatrische Klinik genutzt wurde…“

– Ah, die Beelitz-Heilstätten? 😀