OSS 117: Er selbst ist sich genug

 
  • Deutscher Titel: OSS 117: Er selbst ist sich genug
  • Original-Titel: OSS 117: Rio ne répond plus
  • Alternative Titel: OSS 117: Lost in Rio |
  • Regie: Michel Hazanavicius
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Jean Dujardin (Hubert Bonisseur de la Bath/OSS 117), Louise Monot (Dolorès Koulechov), Rüdiger Vogler (Von Zimmel), Alex Lutz (Heinrich von Zimmel), Reem Kherici (Carlotta), Pierre Bellemare (Lesignac), Ken Samuels (Bill Trumendous), Serge Hazanavicius (Staman), Laurent Capelluto (Kutner), Cirillo Luna (Hippie), Moon Dailly (Die Komtess)


Vorwort

Die Grande Nation ist mal wieder in Not und nur ihr bester Agent kann ihr helfen. Naja, eigentlich ist die Sache nicht SOOO dringend und OSS 117 wird auch nur eingeschaltet, weil er persönlich von der Gegenseite verlangt wird. Diese, also die Gegenseite, heißt Professor von Zimmel, ist ein alter Nazi, der in Brasilien haust, und gegen die schmale Gegenleistung von 50.000 neuen Francs einen Mikrofilm mit einer Liste aller französischen Nazi-Kollaborateure loswerden möchte. OSS 117, der gerade in Gstaad ein mittleres Massaker an Chinesen und hübschen Mädchen angerichtet hat, nimmt den Auftrag gerne an, wird aber an der vereinbarten Übergabestelle von maskierten Wrestlern unter Feuer genommen. Gerettet wird er vom Mossad, die den französischen Gemeinagenten gerne zu Kooperation verleiten würden. Die Israelis hätten nämlich gern von Zimmel persönlich, und zwar bevorzugt nach einer Wiederholung des Eichmann-Prozesses mit einer neckischen Schlinge um den Hals. Speziell, weil die hübsche Mossad-Agentin Dolorès dem Franzmann allerlei Honig um den Bart schmiert, lässt OSS 117 sich großzügigerweise breitschlagen. Dolorès muss aber schnell erkennen, dass der vermeintliche Große Kämpfer gegen die Barbarei ein inkompetenter Vollidiot ist – immerhin treibt das Duo von Zimmels entfremdeten Sohn auf, der als Hippie am Strand der Copacabana sein Dasein fristet. Heinrich ist gerne bereit, den bösen Papa ans Messer zu liefern, aber mehr als die Kontaktadresse eines Geschäftspartners des Vaters in Brasilia hat er nicht zu bieten. Man fliegt gen Hauptstadt, aber weil der Pilot der Chartermaschine Chinese ist und demzufolge noch eine persönliche Rechnung mit OSS 117 zu begleichen hat, kommt’s zur Bruchlandung im Busch. Nach zahlreichen Abenteuern erreichen die Helden Brasilia und schleichen sich in eine von von Zimmel ausgerichtete Kostümparty, wo der Altnazi im Kreise zahlreicher Gleichgesinnter nicht das Vierte, sondern gleich das Fünfte Reich ausruft. Kann OSS 117 wenigstens versehentlich das Schlimmste verhindern?


Inhalt

Vor zwei Jahren wurde „OSS 117: Cairo, Nest of Spies“ zum Publikumsschlager des FFF – es dauerte auch nur bis ziemlich genau JETZT, bis sich ein deutsches Label erbarmte, den Streifen dann tatsächlich kaufbar zu veröffentlichen; ein Zeitraum, den die Franzosen um Michel Hazanavicius nutzten, um schon mal das Sequel zu drehen…

Aber von Anfang an – OSS 117 ist ein Pulpromanheld aus den 60ern, einer der zahlreichen Euro-Pseudo-James-Bonds, der zwischen 1956 (ha, eat that, 007!) und 1970 satte sieben Kinoabenteuer erleben durfte (erster Film-OSS 117 war übrigens Ivan Desny!). 2006 wurde der verstaubte Charakter grundentrümpelt und für neue Abenteuer wiederbelebt; aber anstelle „ernsthafter“ Agententhriller war das Ziel, die heute zumeist nur aus Gesichtspunkten der unfreiwilligen Komik goutierbaren billigen Eurospy-Reißer zu parodieren. Das gelang zu allgemeiner Zufriedenheit und auch meßbarem kommerziellen Erfolg (sonst wäre für 2010 nicht schon der dritte Teil der neuen OSS-Serie angekündigt).

Das wirklich Witzige an dem Konzept ist, dass es eigentlich überhaupt keine Arbeit erfordert – es reicht völlig aus, wenn man die Klischees der 60er Jahre quasi ironiefrei ins 21. Jahrhundert überträgt und feststellt, dass das, was 1965 „cool“ war, 2009 nur noch peinlich und lächerlich wirkt. Denn OSS 117 ist auch in seinen neuen Abenteuern das, was alle Eurospy-Helden der 60er (James Bond eingerechnet) mehr oder weniger offen waren: ein selbstgefälliges, sexistisches, rassistisches Arschloch, dem man zur „freiwilligen“ humorigen Wirkung nur noch die Unfähigkeit andichten muss und dann ganz genüsslich einen „stinknormalen“ Agentenfilmplot abarbeiten kann, der Witz entsteht dann schon allein aus dem Kontrast, dass alle anderen Filmcharaktere OSS 117 so sehen wie wir als Zuschauer selbst – als inkompetenten Widerling, der sich selbst für den Größten hält, aber ohne fremde Hilfe noch nicht mal heil im Hotel ankommen würde. Wie gesagt – das alleine wäre schon ein tragfähiges Konzept für eine Genre-Parodie, aber dabei belassen es die Macher um Hazanavicius nicht – sie schütten über ihr Werk noch ganze Kübel politischer Unkorrektheit, die Deutsche, Juden, Amis, Brasilianer, Chinesen UND Franzosen gleichermaßen beleidigt: „Lost in Rio“ is not for the easily offended (und letztendlich, die Unterschiede sind zwar fein, aber wer „OSS“ in engem zeitlichen Zusammenhang mit Black Dynamite sieht, wird’s verstehen, ist „OSS“ eigentlich keine Parodie, sondern eher eine Genre-Komödie, die weniger die Klischees des zu veralbernden Genres auf „11“ dreht als vielmehr nur den Gesamtkontext des Films ins Komödiantische zu verschieben. Ist aber eher eine Feinheit). Wer Probleme damit hat, das OSS in seiner unbeholfenen Tumbheit in die deutsche Botschaft latscht und dort, unter der Argumentation, Deutsche müssten das ja wohl wissen, eine Liste bekannter Altnazis anfordert, oder den Mossad-Agenten seinen Geldkoffer nicht überlassen will, weil „man ja weiß, Juden und Geld…“, kann sich das Geld für eine Kinokarte bzw. DVD-Anschaffung getrost schenken (denn der wird dann vermutlich auch nicht davon besänftigt, dass der Streifen mit Wonne auch eben die Franzosen verarscht… z.B., wenn OSS leichhin behauptet, die Liste französischer Kollaborateure könnte ja nicht lang sein, wo doch General de Gaulle immer sage, alle Franzosen wären im Widerstand gewesen oder er auf Dolorès Frage, wie er denn ein Land nennen würde, das militärisch regiert wird, in dem Zensur ausgeübt wird und es nur einen Fernsehsender gibt, mit stolzgeschwellter Brust „Frankreich!“ antwortet).

Bei Leibe nicht alle Gags beziehen sich auf nationale Eigenheiten (aber viele der besten – so z.B. auch OSS‘ eigener Felix Leiter, Bill Trumendous, der es weidlich ausnutzt, dass OSS kein Englisch versteht und daher den französischen Agenten permanent als „son of a bitch“, „cocksucker“ etc. beleidigt, wozu der Franzmann nur dämlich grinsen kann); manches sind wahre Meta-Gags (wenn ein Joke praktisch mit einer der ersten Filmszene vorbereitet wird, so dass jeder Zuschauer realisiert, dass wir auf diese Szene noch mal zurückkommen werden, nur um den eigentlichen Witz dann später nicht zu zeigen, sondern die Charaktere nur drüber reden zu lassen; gen Ende wird dann auch James Bond persönlich verhohnepiepelt, und zwar ganz speziell der Lazenby-Bond), andere Lacher resultieren aus Slapstick (Verfolgungsjagden mit Gehhilfen und am Tropf), Situationskomik (wenn OSS z.B. Bekanntschaft mit den Hippies, LSD und freier Liebe macht) Wortwitzen und -spielereien (die für eine spätere deutsche Fassung schwierig zu übersetzen sein dürften) – und wenn wir schon maskierte Wrestler im Cast haben, dann können wir uns darauf verlassen, dass Agent und Wrestler auch ein Match mit echten Wrestling-Moves bestreiten, dass El Santo das Auge unter der Silbermaske tränen dürfte.

Was „OSS“ von einer reinen Parodie wie „Black Dynamite“ auch unterscheidet, ist die Tatsache, dass der französische Agent sich Zeit lässt – „Lost in Rio“ ist kein Film, in dem die Gags im Maschinengewehrfeuertakt rausgehauen werden; sie kommen flott und zahlreich, aber es wird ihnen genug Raum geboten, um auch zu wirken. Nicht nur vom look’n’feel, auch vom Tempo her spielt sich „Lost in Rio“ völlig in der Tradition der klassischen Eurospy-Klopper; Actionszenen wie Verfolgungsjagden, Schießereien oder Prügeleien werden dosiert eingesetzt, nicht jede Einstellung, nicht jede Dialogzeile muss unbedingt einen Gag beinhalten. Optisch orientiert sich Hazanavicius ebenfalls durchaus sklavisch an den Vorbildern – der Streifen ist quietschebunt, von Kostümen bis Kulissen; obwohl auch Stilmittel wie Rückprojektionen oder Stock Footage eingesetzt werden, wirkt der Film allerdings deutlich aufwendiger als die Klassiker – auch, weil man die Locations glänzend einsetzt (so zieht der Film z.B. exzellenten Nutzen aus den Iguazu-Wasserfällen, wenn auch in völliger Verkennung der Geographie, aber das passt ja wieder zu den alten Schinken, die sich um sowas auch nicht scherten; das Finale auf der Christus-Statue von Rio – wenn auch nicht auf der echten herumgeturnt wurde – wäre, wenn es „ernst“ gespielt würde, echt memorabel). Die mal angemessen beschwingten, dann wieder im Stile der imitierten Vorbilder auf Spannung getrimmte Musik von Ludovic Bource, dem man auch einen kleinen Cameo-Auftritt gegönnt hat, passt wie die Faust auf’s Auge.

Wie alle Eurospy-Filme schlechthin pflegt auch „OSS 117: Lost in Rio“ ein eher entspanntes Verhältnis zum Thema body count – schon die Eröffnungsszene türmt wahre Leichenberge auf, und auch wenn danach nicht mehr im Minutentakt erschossen wird, so liegt das doch alles auf der Spur der 60er-Heuler, also auch völlig unexplizit.

„OSS 117“ funktioniert aber auch trotz aller Liebe zum Detail nur, weil Jean Dujardin („Die Daltons gegen Lucky Luke“, und im anstehenden neuen „Lucky Luke“-Film zum Titelhelden und damit Til-Schweiger-Nachfolger aufgestiegen) die ideale Besetzung für den intellektuell nicht gerade übermäßig ausgestatteten, aber von sich ausgesprochen eingenommenen Agentenschinken abgibt – körperlich präsent genug, mit Gespür für das richtige komische Timing, macht er praktisch alles richtig, was man in der Rolle richtig machen kann. Darauf einen Dujardin (Ihr wusstet, der MUSSTE kommen). Louise Monot („Hell“, „MR73“) ist als in den verschärften 60er-Jahre-Klamotten ausgesprochen schnuckeliger (und dem „Helden“ in jeder Hinsicht überlegener) weiblicher Sidekick perfekt, Rüdiger Vogler („Anatomie“, „Anonyma – Eine Frau in Berlin“) versteht genug Spaß, um die Klischeerolle des Altnazis souverän auszufüllen (und eine standout-Szene hat man ihm auch gegönnt). Alex Lutz („Female Agents“) gefällt als sein entarteter Hippie-Sohn ebenso wie die französische Comediénne Reem Kherici als Nazi-Gehülfin Carlotta née Frieda. Ein Cast, der passt.

Fazit: Auch wenn ich mich vielleicht weit aus dem Fenster lehne – die neue „OSS“-Reihe ist das, was Mike Myers klamaukige „Austin Powers“-Filme gerne wären, aber aufgrund Myers Hang zu anzüglichen Zoten und dumpfem tits’n’ass-„Humor“ nie sein können: eine gleichermaßen liebe- wie stilvolle, präzise und doch immer wieder überraschende Hommage an den guten alten 60er-Agentenfilm europäischer Prägung. Auch „Lost in Rio“ funktioniert sowohl als sanfte Parodie des Genres als auch als Filmkomödie an sich – Kenntnisse der italienischen, französischen oder spanischen Eurospy-Klamotten machen den ganzen Spaß noch lustiger, sind aber nicht essentielle Voraussetzung; auch ohne „Kommissar X“, „CD07“ und wie sie alle hießen, die vor vierzig Jahren im Namen der freien Welt böse Feinde platt machten, persönlich zu kennen, wird man mit „OSS 117“ eine verdammt gute Zeit haben – und kennt man sie doch, kommt man aus dem Lachen nicht mehr raus. Ein echtes Highlight zum Festivalabschluss. Ich hoffe, es dauert nicht wieder zwei Jahre, bis die deutsche DVD erscheint…

5/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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