OSS 117: Der Spion, der sich liebte

 
  • Deutscher Titel: OSS 117: Der Spion, der sich liebte
  • Original-Titel: OSS 117: Le Caire nid d'espions
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  • Regie: Michel Hazanavicius
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 2006
  • Darsteller:

    Jean Dujardin (Hubert Bonisseur de la Bath/OSS 117), Berenice Bejo (Larmina El Akmar Betouche), Aure Atika (Prinzessin Al Tarouk), Philippe Lefebvre (Jack Jefferson), Constantin Alexandrov (Setin), Said Amadis (Ägyptischer Minister), Laurent Bateau (Gardenborough), Francois Damiens (Raymond Pelletier), Youssef Hamid (Imam), Abdellah Moundy (Slimane), Richard Sammel (Möller), Michael Hofland (Oberst von Umsprung), Khalid Maadour (Informant), Arsene Mosca (Loktar)


Vorwort

1945 erobert Frankreichs Top-Agent OSS 117 mit seinem besten Freund und Gefährten Jack Jefferson die Konstruktionspläne der deutschen V2-Raketen. Zehn Jahre später erbeutet OSS 117 von Prinzessin Al Tarouk, der Nichte des gestürzten ägyptischen Königs Faruk, einen geheimnisvollen Umschlag. Drin ist ein Foto, das mutmasslich die Leiche von Jack Jefferson zeigt, zuletzt der OSS‘ Mann in Kairo, einem Schmelztiegel der Politik – Nasser hat gerade Faruk abgesägt, Amerikaner und Sowjets kloppen sich aus Gewohnheit, die Engländer wollen unbedingt die Kontrolle über den Suezkanal behalten, und, naja, die Franzosen würden aus Prinzip gerne mitmischen, denn ohne die Grande Nation läuft schließlich nix. Und in diesen Hexenkessel stürzt sich OSS 117, der „Islam“ bestenfalls für neumodisches Gelumpe und den Muezzin auf dem Minarett ausschließlich für eine nervige Lärmbelästigung zur Nachtzeit hält.

Der Gemeinagent übernimmt Jeffersons Tarnexistenz als Chef einer Hühnerzucht und Vorgesetzter der attraktiven Sekretärin Larmina. Die braucht er auch, um trotz kultureller Ignoranz und Unfähigkeit, einfachste kriminalistische Zusammenhänge zu erkennen, zu überleben (wider Erwarten reicht es nämlich nicht aus, Bildchen des französischen Präsidenten zu verteilen, um sich Freunde zu machen). Während OSS 117 längst unwissentlich auf wertvollen Hinweisen sitzt, entpuppen sich seine Rivalen auf dem Kairoer Markt für Fleischwaren als russische Agenten, belgische Trottel und deutsche Nazis, landet der Agent auf der Abschussliste der radikalen Geheimorganisation „Adler des Cheops“, kreuzt sich sein Weg immer wieder – durchaus des öfteren im Schlafzimmer – mit dem von Prinzessin Al Tarouk und verübt eine geheimnisvolle Kuttengestalt immer wieder Anschläge auf ihn. Zum Glück ist OSS 117 zwar ein intellektuelles Fliegengewicht, aber ein begeisterter Faustkämpfer, Entfesselungskünstler und formidabler Genickbrecher – und entdeckt seine Qualitäten als arabischer Lounge-Sänger. Aber ob das reicht, um eine ganze Schiffsladung verschwundener sowjetischer Waffen, um die sich die „falschen Hände“ förmlich prügeln, aus dem Verkehr zu ziehen und den Frieden im Nahen Osten auf Jahrhunderte zu sichern?


Inhalt

Nichts ist naheliegender, als Franchises rückwärts zu beackern… (okay, dieser Euer Doc macht sowas sogar manchmal mit TV-Serien. Die letzte „House“-Staffel in der Mitte anzufangen und quasi parallel rückwärts und vorwärts zu kucken, war ein… interessantes Erlebnis). Zum Glück gibt’s ja erst zwei neue Abenteuer des Stolzes der Grande Nation, des Superagenten OSS 117. Teil 2 hab ich ja neulich beim FFF gesehen, den ersten Teil, der ebenfalls Deutschlandpremiere beim Fantasy FilmFest feierte, habe ich dort natürlich verpasst – hat ja dann auch nur zwei Jahre gedauert, bis eine DVD in diesem Lande erschien. Zur Hintergrundgeschichte der Verfilmungen um den franzmännischen Pulp-Helden bitte ich im im letzten Satz verlinkten Review zum 2. Teil nachzulesen.

Was für mich erfreulicherweise bedeutet, dass ich mich heute relativ kurz fassen kann – natürlich verfolgt „Der Spion, der sich liebte“ (ein ausgesprochen treffender deutscher Titel) im Grunde die gleiche Formel wie das Sequel, mit dem Unterschied, dass Michel Hazanavicius‘ erster Agentenfilm sich noch vergleichsweise „straight“ spielt. Ja, natürlich ist auch „Der Spion, der sich liebte“ eine Komödie, sanfte Parodie und Hommage auf das 60er-Eurospy-Genre, im Vergleich zur Fortsetzung aber noch relativ zurückhaltend und erheblich weniger auf Gags und Kalauer hin inszeniert, sondern wesentlich stärker versucht, „look’n’feel“ der alten europäischen Agentenklamotten zu emulieren. Das äußert sich nicht nur in der ausgesprochen authentischen Machart mit ihren Stock-Footage-Einsätzen und den bewährt-schäbigen 60er-Rückprojektionen (z.B. für Autofahr-Szenen), sondern auch im Plot.

Dieweil „Lost in Rio“ zwar grundsätzlich nach den Genre-Formeln funktionierte, war die Story deutlich abgedrehter, bunter, comichafter (ich meine, das war ein Film mit freakin‘ maskierten Wrestlern als Nazi-Henchmen!), der Vorgänger bemüht eine Plotte, die bis auf einige Schlenker und Subplötchens durchaus 1:1 auch 1965 aus der Feder eines uninspirierten italienischen oder spanischen Schundologen hätte fließen können – eine verschwundene russische Waffenlieferung, um die sich diverse Geheimdienste, Geheimbünde und sonstige Umstürzler balgen; das ist straightforward, klassisch, eher noch realistischer als Krams wie „Gemini 13 – Todesstrahlen auf Cap Canaveral“ (einer der Beiträge von Oberplagiator Antonio Margheriti zum Thema). Ironischerweise wird dieser bodenständige Ansatz zu einer kleinen Schwäche des Films – „Lost in Rio“ mag den übersteigerten, parodistischen Plot gehabt haben, aber er *verfolgte* die Geschichte, sie stand im Mittelpunkt des Films, die Gags entwickelten sich „außenrum“. „Der Spion, der sich liebte“ verliert seine eigentliche Geschichte reichlich oft aus den Augen, um einen für die eigentliche Geschichte eher bedeutungslosen Subplot zu verfolgen (z.B. die Episode um Altnazis, die IN der Chefren-Pyramide ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben) oder reichlich langen Anlauf für eine Pointe zu nehmen, die nur bedingt mit der Hauptplotlinie zusammenhängt, und hat dann noch die „Frechheit“, eine deutlich geringere Gagdichte aufzuweisen als der in der Hinsicht deutlich lebhaftere zweite Teil.

Diese Unstimmigkeit liegt meines Erachtens hauptsächlich darin begründet, dass Hazanavicius sich hier noch nicht ganz darüber klar ist, wohin er mit dem Charakter des OSS 117 *an sich* will. Zwar ist der Agent auch hier schon ein von sich ausgesprochen überzeugter Stutzer, dessen tatsächliche kriminalistischen Fähigkeiten umgekehrt proportional zu seinen Ansichten hierüber ausgeprägt sind, aber die Figur in sich ist noch nicht völlig schlüssig; zwar ist er für offensichtliche Hinweise auf die Lösung seines Falls schon blind, erweist sich aber an anderer Stelle überraschend kompetent (so entziffert er ägyptische Hieroglyphen und spricht, obwohl er zunächst behauptet, nicht nur von arabischer Kultur keine Ahnung zu haben, sondern auf Arabisch auch nur mit fremder Hilfe bis fünf zählen zu können, fließend Arabisch und ist sogar in der Lage, zur Begeisterung des Publikums in einer Hotellounge zu singen), gleichfalls wirkt seine Ahnungslosigkeit, was fremde (sprich: nicht-französische) Kultur angeht, nicht böswillig (wie in Teil 2, wo seine aus arroganter Überheblichkeit gebildete politische Inkorrektheit nicht nur schlichter Unwissenheit entsprang), und zu guter Letzt ist seine Wirkung auf die Damenwelt im ersten Teil *tatsächlich* so überwältigend, wie er es sich im zweiten Teil nur einredet (mit Ausnahme von Larmina fahren in Kairo wirklich alle Frauen auf OSS 117 ab, speziell das Prinzesschen).
Man kann zu dem Urteil kommen, dass OSS 117 in dieser Version weniger eindimensional ist als der schlichte eingebildete, sexistische und rassistische Trottel aus „Lost in Rio“ und insofern der „interessantere“ Charakter ist, aber, und das ist für eine Komödie nun mal der ausschlaggebendere Punkt, doch der deutlich weniger *lustige*. Spaßige Nebenfiguren, die mehr oder weniger personifizierte Running Gags sind (Vorarbeiter Slimane; der englische Agent Gardenborough, der stets mit einer knapp falschen Parole versucht, mit OSS 117 Kontakt aufzunehmen und deswegen immer verprügelt wird; und ein Fez-tragender Informant der Bösen, der den Oberschurken mit minutenaktuellen Anrufen über des Agenten Aufenthalt informiert, bis es den Schurken wirklich NERVT; dito bespaßen Flashbacks, die Jeffersons und OSS‘ Freundschaft ausgesprochen homoerotisch darstellen, was beiläufig einen weiteren Mördergag vorbereitet), sorgen für Frohsinn, den der Hauptstoryfaden nicht immer gewährleistet.

Nichts zu meckern gibt’s an der optischen Gestaltung – der Streifen, obschon nicht in Kairo, sondern in Marokko gedreht, wirkt sehr authentisch, was das Lokalkolorit eingeht, seine set pieces betreiben beachtlichen Aufwand an Kulisse und Ausstattung, die Action- sprich Prügelszenen sind deutlich besser „choreographiert“ als bei den klassischen Vorbildern und für den Showdown erfreut Hanavicius des Chauvinisten Herz durch einen zünftigen Catfight zwischen den beiden leading ladies. Ein kurzes Abdriften in Horror-Ikonographie (OSS 117 wird von seinen Feinden im Nil vorübergehend im Nil entsorgt und war nicht der erste, der dort versenkt wurde) ist visuell durchaus eindrucksvoll, passt aber nicht ganz in die parodistische Stimmung. Stärker fällt allerdings ins Gewicht, dass Hanavicius die Plotte für meinen Geschmack nicht energisch genug vorantreibt – ein richtiger Spannungsbogen will sich nicht einstellen, „Der Spion, der sich liebte“ bedient sich eher eines gleichförmigen Tempos – beim Sequel hat der Maestro das für meinen Geschmack deutlich schwungvoller hinbekommen (wobei ich nicht verhehlen möchte, dass ich hier auf recht hohem Niveau jammere, nicht dass jemand diese Zeilen für einen Güteklassenverriss hält). Kameraführung, Schnitt und Musik (wobei der von OSS performte arabische Schlager ein echter showstopper ist) verdienen durchaus Lob.

An der Stelle sei angemerkt, dass ich zunächst ein wenig skeptisch war, als mir auf dem DVD-Cover „Deutsche Fassung aus der Feder und mit der Stimme von Oliver Kalkofe“ entgegenplärrte; ich befürchtete eine Gimmick-Synchro a la Erkan und Stefan sprechen Clever & Smart, was mir den Spaß an der Sache doch heftig verleidet hätte. Zu meiner Beruhigung hält Oli sich zurück und betreibt die Übersetzung, ähm, „ernsthaft“, d.h. kein zwanghaftes Erfinden eigener Gags, gelacht werden soll da, wo’s auch die Originalfassung so vorstellt – und als Synchronsprecher für OSS 117 selbst erweist sich der Kalkman durchaus als treffende Besetzung.

Womit wir nahtlos zu den Darstellern übergehen – Jean Dujardin, das erwähnte ich bereits im „Lost in Rio“-Review, ist der perfekte OSS 117 – eitel, selbstgefällig, überheblich, ungebildet, unangebracht nationalstolz, aber mit Dampf in den Fäusten. Das passt im Sequel, das passt auch im ersten Teil.
Gratulieren muss man Hanavicius zur Besetzung der weiblichen Hauptrollen – Bérénice Bejo („Ritter aus Leidenschaft“) und Aure Atika („Tsunami – Die Killerwelle“, „Der wilde Schlag meines Herzens“) sind nicht nur echte Hingucker (und im Falle von Bejo perfekt auf mein Beuteschema abgestimmt, ähm), sondern ziehen sich auch vom komödiantischen Timing und generell schauspielerischer Leistung her mehr als ordentlich aus der Affäre.
Was dem Film rein strukturell fehlt, ist vielleicht ein „echter“, sprich durchgängiger Gegenspieler für Dujardin. Die Rolle teilen sich Constantin Alexandrov („Der Stellvertreter“, „Gorillas im Nebel“), Richard Sammel („Phantomschmerz“, „Casino Royale“), Abdellah Moundy („Fehler nicht erlaubt“) und Philippe Lefebvre („Barracuda – Vorsicht Nachbar!“, „C’est la vie – So sind wir, so ist das Leben“) mit punktuellen Vorteilen für Sammel und Moundy.
Youssef Hamid („Mogadischu“), Khalid Maadour („La Bête“), Arsène Mosca („Asterix und Obelix bei den Olympischen Spielen“), Laurent Bateau („Hochzeiten und andere Katastrophen“) und Said Amidis („Die Husseins – Im Zentrum der Macht“) leisten in ihren kleinen bis mittelgroßen Rollen gute Arbeit (vor allem die arabischstämmigen Darsteller sind ausgesprochen überzeugend).

Bildqualität: Koch hat sich, mit der bereits erwähnten Verspätung, des Streifens angenommen und packt ihn auf DVD. Der anamorphe Bildtransfer (2.35:1) lässt keine Wünsche offen – überdurchschnittliche Schärfe und Kontrastwerte, kräftige, klare Farben, keinerlei Pixelbildung, Störungen oder Verschmutzungen.

Tonqualität: Geboten wird deutscher und französischer Ton, jeweils in Dolby Digital 5.1 (Deutsch auch dts) – die Tauglichkeit der Kalkofe-Synchro an sich habe ich bereits bescheinigt, auch von der Soundqualität an sich gibt’s keinen Grund zur Klage.

Extras: Mit dem Audiokommentar von Hazanavicius und Dujardin sowie dem Trailer ist die Scheibe vielleicht etwas mager bestückt. Persönlich nervt mich allerdings die Trailershow vor dem Hauptmenü (speziell bei Kauf-DVDs), auch wenn sie wenigstens skipable ist.

Fazit: Es erwies sich letztlich als recht ungeschickt, die OSS-Filme in umgekehrter Reihenfolge anzusehen – ohne Kenntnis von „Lost in Rio“ hätte mich „Der Spion, der sich liebte“ vermutlich umgehauen, allein aufgrund des Retro-Eurospy-Gimmicks und Hazanavicius‘ schierer Ideenfülle. „Lost in Rio“ beweist allerdings eindrucksvoll, dass man das Konzept, den Charakter und eine Vielzahl trefflicher Gags in einen flüssigeren, runderen und, ähm, „filmischeren“ Film verpacken kann, während der erste Teil doch eher eine Art Nummernrevue ist, deren größerer Storyzusammenhang vergleichsweise vage ist. Das macht „Der Spion, der sich liebte“ keineswegs zu einem schlechten Film, ganz im Gegenteil, ich empfehle ihn enthusiastisch weiter, doch ich konstatiere ebenso energisch, dass sich „Lost in Rio“ in den elitären Club der Sequels, die besser sind als ihr Vorgänger, einreiht. Aber das ist im Endeffekt eine „ist-‚Das-Imperium-schlägt-zurück‘-besser-als-‚Krieg-der-Sterne'“-Frage und sollte daher bevorzugt den Filosofen überlassen werden…

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


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