Noir

 
  • Deutscher Titel: Noir
  • Original-Titel: Noir
  •  
  • Regie: Ralf Möllenhoff
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2014
  • Darsteller:

    Lothar Baltrusch (Alek Wahning), Luke Romero Möllenhoff (Tino), Roland Riemer (Albrecht Großstädt), Esther Brüschke, Heidi Pauer, Sonja Imping, Detlef Klewer


Vorwort

Die Ehe des Künstlers Alek Wahning ist in die Brüche gegangen – nach erfolgter Trennung zieht Alek in ein abgelegenes Nest, das man wahlweise als „pittoreskes Idyll“ oder „Geisterstadt“ bezeichnen kann. Jedenfalls liegt hier der Hund begraben, und, wenn man den halbverfallenen Friedhof direkt hinter Aleks Häuschen betrachtet, wohl nicht nur der. In unmittelbarer Umgebung findet sich die Ruine eines alten Sanatoriums sowie ein Schloss. Letzteres ist im Besitz des eigenwilligen Exzentrikers Albrecht Großstädt, selbst künstlerisc h tätig, sich ein wenig seltsames Personal haltend und recht launisch – manchmal ist Großstädt regelrecht redselig, manchmal aber dem Neuankömmling feindselig-schroff gesinnt.

Nichtsdestotrotz denkt sich Alek nichts dabei, seinen blinden Sohn Tino für ein paar Tage zu beherbergen und mit ihm die Gegend zu erkunden – dabei laufen Vater und Sohn seltsamen, monströs maskierten Gestalten über den Weg. Haben die und Großstädts Eigentümlichkeit damit zu tun, dass im alten Sanatorium vor dreißig Jahren ein Massaker, dem u.a. die Kinder des Anstaltsleiters zum Opfer fielen, stattfand? Jedenfalls fühlt sich Alek gezwungen, ein neues Gemälde zu beginnen – ein rabenschwarzes Bild, das sich auf Aleks Geistestzustand auszuwirken scheint. Als Alek entdeckt, dass der neue Freund seiner Frau nicht, wie abgesprochen, Tino abgeholt hat, sondern brutal ermordet tot in seinem Haus liegt, beginnt für Alek und Sohn ein Kampf ums Überleben…


Inhalt

Zu den deutschen Indie-Filmern, deren Schaffen ich seit Jahren mehr oder weniger „begleite“, gehört Ralf Möllenhoff, der bei mir schon deswegen einen Stein im Brett hat, weil er einen völlig eigenständigen Stil entwickelt hat, der sich einen feuchten Kehricht um Trends und Klischees des teutonischen Amateur-Splatterhorrors schert. Seine Filme mögen im Vergleich zu den Werken der Roses, Ittenbachs & Cos. vergleichsweise schwer zugänglich sein, weil sie sich gern mal in Mindfuck-Territorien vorwagen, für die den meisten Indie-Filmern entweder der Mut oder (meistens) das Talent fehlt (denkt an Strip Mind und verfällt in Fötusstellung).

Ich würde nicht behaupten, dass Möllenhoffs vorherige Werke (ich beziehe mich auf Nerves und Lifeless, Zombie War Games mag ich als Neubearbeitung eines „Klassikers“ nicht zählen) hundertprozentig gelungen waren, aber sie machten eben deutlich, dass er eine ziemlich genaue Vorstellung davon hat, wie seine Filem aussehen sollen und dieses seine Ding zieht er konsequent durch (ein gutes Auge für exzellente Locations kommt hinzu).

„Noir“ ist nach dem vergleichsweise aufwendigen, da in Kroatien gedrehten „Lifeless“ wieder eine etwas kleinere Produktion mit überschauberem principal cast und reduziertem Scope. Passt aber auch, weil Möllenhoffs Filme gerne mit klaustrophobischen Elementen spielen (gerade „Lifeless“ nahm ja den scope der Location durch die extrem „aufdringliche“ Kamera wieder bewusst raus). Seinem primären modus operandi ist Möllenhoff aber treu geblieben – ein gestandener Erwachsener (was mich schon mal ganz grundsätzlich freut) gerät ohne eigenes Verschulden in eine schier ausweglose alptraumhafte Situation, in der die Grenzen zwischen Realität und Wahnvorstellung verschwimmen, bei dem Protagonist und Zuschauer oft genug vor die Frage gestellt werden, was „wahr“ ist und was sich „nur“ im Kopf des Protagonisten abspielt – Möllenhoff erzählt seine Geschichten prinzipiell immer aus der Perspektive der Hauptfigur, so dass der das plot device des „unreliable narrators“ hier immer greift.

Wie eigentlich immer bei Möllenhoff ist es nicht ganz einfach, in den Film hineinzufinden – bis sich die diversen vorgestellten Storyfragmente zu einem Gesamtbild zusammenfügen, dauert’s ungefähr bis Filmmitte und auch dann entwickelt sich das Prozedere etwas anders als vielleicht erwartet (ich ging davon aus, dass Tino zu einer Schlüsselfigur werden würde, weil er als Blinder für das dämonische „Schwarz“ nicht anfällig sein dürfte, aber am Ende ist er dann doch „nur“ ein Anhängsel, das Alek irgendwie mit-retten muss) und führt (SPOILER) schwarzmagisch-okkulte Elemente ein (wenn Großstädt aus den ehemaligen Irrenhäuslern per altägyptischer Magie Untote macht, die sein finsteres Werk verrichten). Das alles kulminiert nicht unbedingt in einer völlig schlüssigen Auflösung, aber Möllenhoffs Filme sind nun mal weniger auf „Handlung“ denn auf Stimmungen und Atmosphäre ausgerichtet. Und da muss man sagen, dass er einer der wenigen deutschen Indie-Regisseure ist, die „creepy“ als Grundstimmung ziemlich gut hinbekommen, eben auch, weil er vor Abstecher ins Surreale nicht zurückschreckt (wenn z.B. Aleks Freundin Maya plötzlich die Haarfarbe wechselt und zu einer Art Beschützerin mutiert) und solche Stimmungen auch filmtechnisch zu untermauern versteht.

Möllenhoff ist eh einer der letzten Enthusiasten, der seine Filme noch auf Super8 (!) dreht – das verleiht dem Film natürlich einen sehr ungeschliffenen, rauhen Look, der manchmal (wen wundert’s) an home movies erinnert, aber er nutzt die technischen und visuellen Grenzen dieses Mediums gezielt, um eine durch und durch unheimliche Atmosphäre zu erschaffen – dass er einmal mehr in heruntergekommenen Halbruinen dreht, das aber gelegentlich durch Ausflüge in die Botanik auflockert, kommt der Sache natürlich entgegen. Besonders zum Finale hin wechselt Möllenhoff immer wieder zwischen Schwarz-weiß- und Farbfotografie (ich bin mir nicht ganz sicher, ob das einen dramaturgischen Hintergrund hat und auf Perspektiven/Realitäten hinweisen soll oder einfach nur for the art’s sake ist). Die Kamera ist nicht ganz so intim-aufdringlich wie bei „Lifeless“, aber dennoch eher, naja, sagen wir mal „introvertiert“ (allerdings darf man noch mal darauf hinweisen, das passt einfach, weil wir ja ständig an der Hauptfigur „kleben“ und so mehr oder weniger „seinen“ POV miterleben). Die Nachsynchronisation ist für Indie-Verhältnisse brauchbar ausgefallen, ist aber im Vergleich zum betont räudigen Look in ihrer Sterilität ein wenig stimmungsabträglich. Dafür gefällt der minimalistische, recht effektive Score aus der Feder des Regisseurs selbst.

Wie üblich ist ein Möllenhoff-Werk keine reine Schlachtplatte, lässt aber keinen Zweifel daran, dass einige dosiert gesetzte, deftig-handgemachte Splattereffekte (aus der bewährten Werkstatt von Headhunter FX) einfach dazugehören. Es sind auch hier einfache, aber effektive Mittel (vor allem die Heckenschere durch’n Kopp ist ein Hingucker für die Splatterfans).

Die darstellerischen Leistungen sind solide. Wie gesagt bin ich Möllenhoff sehr dankbar, dass er nicht die üblichen Teenie-Blagen in den Mittelpunkt stellt, sondern gestandene Erwachsene. Lothar Baltrusch bekommt den zunhmend gepeinigten Alek ziemlich gut hin und Stammkraft Roland Riemer ist tatsächlich ein charismatischer Schurkendarsteller. Auch Regisseurs-Filius Luke Romero Möllenhoff macht seine Sache gut, ebenso Detlef Klewer als mundschutztragender Chef-Henchman „Der Gärtner“.

Mir lag zur Besprechung eine Vorab-Presse-DVD vor. Die Bildqualität ist so gut, wie man’s eben von auf DVD gebanntem Super-8-Film erwarten darf – High-End-HD-Strategen werden sich mit Grausen abwenden, aber wer seinen Horror gern schmutzig, kantig, ruppig und rau mag, wird damit zufrieden sein. Der Dialogton ist, wie erwähnt, ein wenig steril, aber dafür geht man der alten Indie-Krankheit unverständlicher Dialoge aus dem Weg. Ich schätze, dass sich auf eine Release-DVD auch die üblichen Extras wie Making-of und Trailer verirren.

Fazit: „Noir“ ist vielleicht nicht mein Liebilngs-Möllenhoff-Film (das bleibt vorerst „Nerves“), aber die Konsequenz, mit der der Meister seinen Weg kompromisslos weiterverfolgt und dabei als einer der wenigen deutschen Indie-Filmemacher eine unverwechselbare eigene Handschrift entwickelt hat, nötigt Respekt ab. „Noir“ braucht vielleicht etwas zu lange, um in die Pötte zu kommen und zu einem echten Plot zu kommen und verweigert sich einer schlüssigen Auflösung – das mag manch einen abschrecken, doch wer im deutschen Indie-Bereich eine eigenständige „Vision“ sucht, die nicht die üblichen Klischees bedient und trotzdem auch für die Splatterfreunde einiges bietet, kommt an Möllenhoff und damit auch an „Noir“ nicht vorbe

3/5
(c) 2014 Dr. Acula


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments