Nightmare Detective

 
  • Deutscher Titel: Nightmare Detective
  • Original-Titel: Akumu tantei
  •  
  • Regie: Shinya Tsukamoto
  • Land: Japan
  • Jahr: 2006
  • Darsteller:

    Ryuhei Matsuda (Kanemura), Hitomi (Keiko Kirishima), Masanobu Ando (Wakayima), Shinya Tsukamoto („0“), Ren Osugi, Yoshio Harada


Vorwort

In einem Appartment wird eine junge Frau übel verstümmelt (und begreiflicherweise reichlich tot) aufgefunden. Klare Sache – Selbstmord, denkt man sich im Morddezernat, lediglich die neue Kommissarin Kirishima, auf eigenen Wunsch frisch vom Schreibtischjob bei der Nationalpolizei an die Mordfront gewechselt, hat undefinierbare Zweifel. Wenig später findet sich schon die nächste Leiche an – Selbstmord, doch diesmal mit einer Augenzeugin (der bedauernswerten Ehefrau des Suizidären). Ihr Männe hat sich offensichtlich im Traum brutalst selbst gemeuchelt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Todesfällen – beide Opfer haben vor ihrem Ableben per Handy mit einer Person namens „0“ telefoniert. Kirishima vermutet, dass „0“ ursächlich verantwortlich für die Selbstmorde ist. Das Äußern einer gewagten Theorie wird natürlich gleich bestraft – Kirishima soll sich um mögliche übernatürliche Aspekte der Angelegenheit kümmern. Man empfiehlt ihr Kanemura, den „Alptraumdetektiv“ zu konsultieren. Der hat die Fähigkeit, sich in die Träume anderer Menschen einzuklinken, was im vorliegenden Fall für sinnvoll gehalten wird. Kanemura allerdings hat darauf absolut keinen Bock – seine Spezialkraft geht ihm nämlich ziemlich auf den Senkel und (bis auf mindestens eine Ausnahme) wird von ihm nur eingesetzt, um persönlichen Bekannten, die unter Alpträumen leiden, zu helfen. Als Wakayima, Kirishimas netter Kollege, „0“ unter dem Vorwand beabsichtigter Selbsttötung anruft und der geheimnisvolle „0“ auch darauf einsteigt, ahnt Kirishima Schlimmstes. Tatsächlich übernimmt „0“ die Kontrolle über Wakayimas Traum. Nicht einmal mehr Kanemura, der sich’s in letzter Sekunde anders überlegt hat, kann den Jungpolypen retten. Kirishima realisiert, dass sie selbst mit „0“ Kontakt aufnehmen muss und hofft auf Kanemuras Hilfe, dem Traummörder das Handwerk zu legen. Doch „0“ gelingt es, Kirishimas Todessehnsucht zu wecken…


Inhalt

J-Horror! Da kann man als geplagter Vielseher, der keine langhaarigen Geistermädchen mehr sehen will und möchte, schon mal prophylaktisch den Fluchtmodus aktivieren. Zum Glück gibt’s aber tatsächlich noch den ein oder anderen japanischen Regisseur, der erkannt hat, dass es unter Umständen noch eine andere Geschichte als „Ringu“ oder „The Grudge“ gibt, die man verfilmen könnte. Shinya Tsukamoto genießt seit seinen beiden legendären „Tetsuo“-Filmen (Teil 2 harrt übrigens immer noch seiner Erlösung von der Beschlagnahmeliste) unter Fans des härteren Kintopps einen hervorragenden Ruf und wenn sich er berufen fühlt, den japanischen Horror vom mittlerweile schon nicht mal mehr latent gruseligen Grusel wieder zurück in Richtung handfeste härtere Gefilde zu führen, so mag das dem geneigten Genrefan recht und billig sein (speziell, wenn die DVD dem exorbitanten Preisverfall von Sunfilm-Scheiben sei dank, schon wenige Monate nach Veröffentlichung im Grabbeltisch-Preisniveau von 6 Euro aufhält).
Tsukamoto könnte man ja durchaus den „japanischen Cronenberg“ schimpfen – die Verbindung von Mensch und Maschine (bzw. die Mutation vom einen zum anderen Zustand) ist eines seiner zentralen Themen und müsste ihn eigentlich dazu qualifizieren, vom Kanadier die ein oder andere Geburtstagskarte zu erhalten. Mit „Nightmare Detective“ wendet sich Tsukamoto allerdings von seinem bisherigen Leib- und Magen-Thema weit ab und öffnet sich, auch wenn’s Tsukamoto-san möglicherweise anders sieht, ein Stück weit dem Mainstream. Trotz heftiger Splattereinlagen (dazu später mehr) ist „Nightmare Detective“ vordergründig doch deutlich zugänglicher als seine gerühmten Klassiker. Anstatt wilde Mensch-Maschinen-Mutationen zu zelebrieren, wendet sich Tsukamoto in diesem Film (der übrigens sehr liebenswürdigerweise mit einer, äh, „Hommage“ an den neumodischen japanischen Geisterhorror beginnt) einer fernöstlichen Variante des „Nightmare on Elm Street“-Themas zu, die im Gegensatz zu den kultigen amerikanischen 80er-Teenieslashern allerdings – bis auf das schon erwähnte Intro – ironiefrei daherkommt und sich weniger als Visualisierung von klassischen Teen-Angst-Syndromen versteht denn als stellenweise bissiger Kommentar zum Zustand der japanischen Gesellschaft. Wer seine Kenntnisse über die Welt nicht ausschließlich der BILD-Zeitung verdankt, wird wissen, dass Selbstmorde in Japan ein nicht zu übersehendes gesellschaftliches Problem darstellen. Neben dem „traditionellen“ Erhöhen des Suizids in einen ehrenhaften Akt der Selbstläuterung im Versagensfalle ist die Perspektivlosigkeit der Jugend ein mittlerweile dramatisches Phänomen. Ich will hier nicht unnötig ausschweifend auf ein Thema eingehen, zu dem ich bestenfalls eine unqualifizierte Meinung habe, sondern weise nur kurz darauf hin, dass in Japan berufliche Möglichkeiten noch extremer von früher schulischer „Selektion“ abhängig ist; garniert man das mit weiteren japanischen Problemen wie dem gravierenden Individualitätsverlust in Megastädten wie Tokio und globaleren Schwierigkeiten wie wirtschaftlicher Rezession (unter der auch die japanischen Konzerne leiden), wird nicht begreiflich, aber vielleicht zumindest ansatzweise erklärbar, wieso Japaner sozusagen ein „entspanntes“ Vehältnis zur Selbsttötung haben (d.h. recht schnell zum Suizid als probater Lösung akuter Probleme greifen).

Tsukamoto postuliert in „Nightmare Detective“ eine praktisch der gesamten japanischen Gesellschaft immanente „Todessehnsucht“, die sich im Unterbewusstsein verstecken mag, aber durch den geeigneten Katalysator (in diesem Falle „0“) zum Ausbruch kommt. Damit mag er möglicherweise richtig liegen, aber das macht ja noch nicht automatisch einen guten Film. Aber keine Bange – das Drehbuch macht vieles richtig, auch – und das kann schon auffallen – wenn seine Titelfigur, der „Nightmare Detective“ eben, eigentlich nur eine (wichtige) Nebenfigur ist. Hauptfigur ist eindeutig Keiko Kirishima – Schreibtischpolizistin mit dem Wunsch, an vorderster Front zu arbeiten, ohne sich sicher zu sein, dass sie das auch wirklich verkraftet, sich durchaus ihrer Attraktivität bewusst, aber nicht sicher, wie und ob sie dies einsetzen soll und sollte, und – vor allem – jung, was sie in Augen der erfahrerenen Kollegen schon mal grundsätzlich abqualifiziert (Japan ist nunmal auch heute noch eine streng hierarchische Gesellschaft) – dass ihr einziger „Verbündeter“ innerhalb der Polizei der nicht minder junge Wakayima ist, verwundert nicht. Die Figur „Kirishima“ ist untrennbar mit ihrer Darstellerin Hitomi verbunden, weswegen ich weiter unten noch ein paar Takte hierzu verlieren werde. Zurück zum Script – das Script wählt, im Gegensatz zu den Freddy-Krueger-Filmen nicht die Opfer-, sondern die Ermittler-Perspektive, lässt daher auch den Zuschauer längere Zeit im Dunklen tappen und macht sich auch nicht die Mühe, alles aufzulösen und totzuerklären (woher „0“ seine Fähigkeit bezieht, andere Menschen in deren Träumen zu manipulieren und SPOILER AHOI offensichtlich seine Lebenskraft aus dem Tod seiner Opfer bezieht, bis hin zu erstaunlichen Selbstheilungsfähigkeiten, bleibt ebenso offen wie die Herkunft von Kanemuras Kräften). Ab und zu schleicht sich ein Plothole ein (dass Handys die letzten geführten Gespräche zum immer-wieder-hören aufzeichnen, ist mir neu), aber es sind keine entscheidenden Logikprobleme, die den Plot integral betreffen. Den Figuren mag generell ein wenig die Motivation fehlen, aber allein dies kann schon ein gesellschaftlicher Kommentar im oben genannten Sinne sein. Ob sich der Film im Schlussakt wirklich einer internen Logik erschließt, darüber kann man geteilter Meinung sein – die kollidierenden Traumata der drei wesentlichen Pro- und Antagonisten im Finale scheinen mir etwas dünn zu sein als endgültige „Erklärung“, aber in der surrealen, im wahrsten Sinne des Wortes alptraumhaften Atmosphäre der letzten Rolle ist es müßig, nach stringenter Logik zu fragen.

Stilistisch brennt bei einem Japaner ja seltenst etwas an und Tsukamoto macht keine Ausnahme. „Nightmare Detective“ ist bildgewaltig, wenn er sein muss, zupackend und mitreißend, wenn gefordert, überragend in der Farbgebung mit reduzierter, fast schon monochrom wirkender Farbpalette, und wie in einer Traumgeschichte beinahe schon zwingend notwendig, wirft in seiner letzten halben Stunde zugunsten eines surrealen Trips Logik, Konventionen des klassischen Erzählkinos und (teilweise) Nachvollziehbarkeit über Bord. In seinem Schlussakt erinnert Tsukamotos Stil weniger an Cronenberg denn an Lynch (wobei Lynch sicherlich nicht auf bizarre Creature-FX setzen würde); die Prinzipien von Ursache und Wirkung sind dann nicht mehr wichtig, hier zählt dann imagery und Stimmung (um so erfreulicher, dass Tsukamoto seinen Figuren dann einen befriedigenden wrap-up, völlig ohne Schock-Twist, gönnt). Die ersten beiden „Angriffe“ (bei der uns als Zuschauer noch nicht klar ist, dass sie in einer Traumwelt stattfinden) sind so rasant, wuchtig und energetisch inszeniert, wie ich sie in einem Horrorfilm schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Komischerweise verlieren diese Attacken etwas an Wirkung, sobald wir *wissen*, dass wir uns im Traum des Opfers befinden (eben bei Wakayimas Ableben). Aber dennoch – vor allem der erste Kill ist von überwältigender Wucht. Typisch japanisch wechseln sich diese harten, frontalen Horror-Attacken mit ruhigen, bedächtigen (um nicht die gefürchtete Floskel aus Kitano-Reviews „meditativ“ zu verwenden) und lakonischen Dialogen auskommenden Sequenzen ab, wobei Tsukamoto stets einen gesunden Rhythmus mit natürlichem „flow“ findet.

Die fehlende Jugendfreigabe bedarf keiner Diskussion – auch wenn Tsukamoto nicht so exzessiv in Splatter- und Gore watet wie in früheren Filmen, herrscht doch an Kunstblut kein Mangel. Neben zahlreichen (technisch ausgezeichneten) Splattereinlagen darf sogar ein wenig aus dem Körper flutschendes Gedärm bewundert werden und die Creature-FX im Finale hab ich ja gerade erst erwähnt.

Ich habe es schon oben angedeutet – Kirishima kann nicht als Figur beurteilt werden, ohne die Interpretation durch das J-Pop-Starlet Hitomi ins Kalkül zu ziehen. Und die scheint zu polarisieren – manche meinen in Hitomi die große Schwäche des Films auszumachen, ich denke allerdings, sie ist perfekt. Nicht nur, dass sie sie, obwohl zweifellos ein echter Hinkucker, nicht so das klassische Japan-Cutie Marke Aya Ueta ist (Hitomis Gesicht würde ich unter positiv interessant verbuchen, nicht als „süß“), ihre teilweise „schlafwandlerisch“ gescholtene Darstellung passt m.E. perfekt zu einem Charakter, der eigentlich nicht weiss, was er will (und das ist nun mal der zentrale innere Konflikt Kirishimas, der sie für „0“ angreifbar macht). Eine „lebhaftere“ Performance würde den Charakter ruinieren. Daher: 1 rauf mit Mappe für Hitomi.

Ein wenig problematischer liegt die sache bei Ryuhei Matsuda („Izo“) als „Nightmare Detective“ selbst .Auch er müht sich um eine eher entfremdete Darstellung, was auch durchaus auf der Linie mit dem Charakter selbst liegt. Abgesehen davon, dass die Figur etwas „underwritten“ ist (und auch ein wenig widersprüchlich – er selbst sagt, er würde seine Fähigkeit nur für Freunde und Familie einsetzen, aber im Intro selbst geht’s eindeutig um einen „kommerziellen“ Auftrag; man hätte auch besser ausarbeiten können, wie und warum er unter seiner Fähigkeit leidet), schafft es Matsuda nicht ganz, den Sinneswandel seiner Figur adäquat umzusetzen.

Ausgezeichnet agiert Masanobu Ando („Battle Royale“) als Wakayima – ihn verbindet gute Chemistry mit Hitomi (die beiden hätten Potential für als „Ermittlerduo“ in einer Art japanischen „Akte X“). Dazu kommt Routine mit Ren Osugi („Zebraman“, „Dead or Alive“, „Sonatine“) und Yoshio Harada („Lady Snowblood 2“). Regisseur Tsukamoto selbst als „0“, der immer wieder auch als Schauspieler unterwegs ist („Dead or Alive 2“) agiert überzeugend genug, um nicht in die Gefilde eines Eitelkeiten-Auftritts a la Shylaman in „Lady in the Water“ zu verfallen, die Figur bräuchte aber vielleicht ein wenig mehr bedrohliche Screen-Präsenz. Aber das ist minor nitpicking.

Bildqualität: Sunfilm präsentiert den Film in anamorphem 1.85:1-Widescreen. Schärfe- und Kontrastwerte sind sehr gut, dito die Kompression, der Print ist frei von Störungen oder Verschmutzungen, aber streckenweise auf der etwas grobkörnigen Seite (was aber auch am Ausgangsmaterial liegen kann).

Tonqualität: Deutscher und japanischer Ton wird in Dolby 5.1 geboten, die deutsche Synchro gibt’s Sunfilm-gewohnt auch in dts. Optionale deutsche Untertitel sind selbstverständlich. Die Klangqualität der DF ist sehr gut, wobei hier vor allem der bemerkenswert gute Mix der Soundeffekte hervorzuheben ist.

Extras: Neben der Möglichkeit, sich den Film mit einem „Intro“ (naja, was man so Intro nennt, dauert keine fünf Sekunden) des Regisseurs zu Gemüte zu führen, gibt’s ein gut 25-minütiges Videointerview mit dem Meister, das nicht speziell filmbezogen ist, dem man aber dennoch einiges über Tsukamoto und seine Visionen entnehmen kann. Ein Mitschnitt von einem Publikums-Q&A (offenbar bei einem FFF entstanden) von ca. 8 Minuten folgt, ebenfalls etwa 8 Minuten lang ist ein creature-FX-making-of. Eine Fotogalerie sowie 15 Minuten einer Promotion-Veranstaltung in Japan mit Statements des Regisseurs und der Stars runden das Bonus-Angebot ab.

Fazit: „Nightmare Detective“ ist nicht ganz das Meisterwerk, zu dem es von manchem Fan stilisiert wird und auch nicht die Enttäuschung, als die manche „Tetsuo“-Fans den neuen Tsukamoto sehen. Vielmehr handelt es sich um einen stilistisch glänzenden Versuch, „Traum“-Thematiken, wie wir sie aus der „Nightmare“-Reihe oder „Dreamscape“ aus Hollywood kennen, mit in der japanischen Gesellschaft verwurztelten Phänomenen zu verbinden, um bei einem surrealen bildgewaltigen Horrortrip anzukommen. „Nightmare Detective“ mag nicht perfekt sein, aber der Film bietet einige der eindrucksvollsten Horror-Sequenzen der letzten Jahre, verfügt über eine mobid-schlafwandlerische (passenderweise Alptraum-) Atmosphäre und ist vom seichten „Ringu“-J-Horror weiter weg als Hokkaido von Herrenchiemsee. Nur ob man unbedingt da auch wieder eine Serie draus machen muss (Teil 2 steht in den Startlöchern), da bin ich mir absolut nicht sicher… trotzdem: ein Tipp gerade für diejenigen, die’s mit dem Fernost-Horror eigentlich schon aufgegeben haben. Sehr sehenswert!

4/5
(c) 2012 Dr. Acula


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