Nicotina

 
  • Deutscher Titel: Nicotina
  • Original-Titel: Nicotina
  •  
  • Regie: Hugo Rodriguez
  • Land: Mexiko
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Diego Luna (Lolo), Marta Belaustegui (Andrea), Lucas Crespi (Nene), Jesús Ochoa (Tomson), Rafael Inclán (Goyo), Rosa María Bianchi (Carmen), Daniel Gímenez Cacho (Beto), Carmen Madrid (Clara), Norman Sotelongo (Svoboda), Eugenio Montessoro (Carlos), José María Yazpik (Joaquin)


Vorwort

Lolo ist ein 1A-Gütesiegel-Computernerd, wie er im Bilderbuche steht (und dazu noch heftiger Raucher). Seine Computerfähigkeiten und sein Willen, selbige auch zu illegalen Zwecken hackertechnisch einzusetzen, bringen ihm mal wieder einen Job ein – für Nene und dessen Komplizen Tomson soll er, im höheren Auftrag der Russenmafia, Zugangscodes für Schweizer Bankkonten knacken und auf CD brennen. Soweit, so kein Problem für den cleveren Lolo, die Schwierigkeiten macht er sich schon selbst – er bespannt nämlich mit den neusten technischen Methoden seine attraktive Nachbarin Andrea, die er abgöttisch verehrt. Nur stösst sowas nur selten auf Gegenliebe, und als Andrea durch eine Verkettung unglücklicher Umstände herausfindet, dass Lolo in ihrer Wohnung Kameras installiert und das Telefon angezapft hat (u.a.), geht sie ab wie’n Zäpfchen und demoliert Lolos Bude. Und das, sprichwörtlich Sekunden bevor Nene zwecks Abholung der CD klingelt. Der verwirrte Lolo greift sich denn auch prompt die falsche unbeschriftete Scheibe und wird von Nene auch noch abkommandiert, dem Deal persönlich beizuwohnen. Dabei geht dann natürlich auch alles schief – Resultat: ein toter Russe, sein Chef Svoboda mit ’ner Kugel im Bauch und den als Prämie ausgesetzten Diamanten auf der Flucht, Nene, ebenfalls angeschossen, und Tomson tierisch sauer, da sie vermuten, die Russen hätten sie linken wollen. Svoboda flieht in einen Friseursalon, Nene wird zwecks Versorgung seiner Wunden in einer Apotheke abgeliefert. Und damit fängt der ganze Ärger erst an…


Inhalt

Okay, eigentlich geht mir, wie ich mir an dieser Stelle schon einige Male von der Leber geschrieben hab, das im Gefolge von „Pulp Fiction“ und Epigonen entstandene Subgenre des schwarzhumorigen Gangsterthrillers mittlerweile ziemlich auf den Senkel, was daran liegt, dass sich eine Vielzahl minderbemittelt talentierter Regisseure und Drehbuchautoren mit eher übersichtlichem Erfolg daran versucht haben. Ich hatte daher relativ wenig Hoffnung, dass ausgerechnet ein Produkt der von mir, ähm, verehrten mexikanischen Filmindustrie es schaffen könnte, mich auch nur einigermaßen leidlich unterhalten zu können. Boy, was I wrong (again, würden manche wohl sagen)…

„Nicotina“ ist eindeutig einer der besten Vertreter dieses Genres, da er weniger nach den Tarantino-Filmen schlägt (was bekanntlich nicht heißt, dass ich die nicht schätze), sondern sich stilistisch und inhaltlich an Guy Ritchies fiesen Gangsterthrillerkomödien „Bube Dame König GrAS“ und „Snatch“ orientiert, und dabei noch einige Kniffe aufweist. Zunächst mal das Drehbuch – das ist, wie in den zitierten Ritchie-Filmen, wieder mal eins von der Schule, in der ein eigentlich narrensicherer simpler Plan nach allen Regeln der Kunst in die Binsen geht, als hätte der olle Murphy persönlich Hand angelegt – was schief gehen kann, geht schief, bei allen Beteiligten, jede Situation entwickelt sich zum Worst Case, Katastrophen, wohin man sieht, demzufolge dreht sich die Geschichte im Fünf-Minuten-Takt und packt zahllose Subplots als Nebenkriegsschauplätze ein, wo dann auch ordentlich die Post abgeht. Gespickt ist das ganze mit skurril-witzigen Charakteren (Tomson, der knallharte Gangster, z.B. ist militanter Nichtraucher und hat panischen Schiss vor Hunden, auch wenn die nur Westentaschenformat haben; und überhaupt, mit dem Rauchen haben’s durch die Bank beinahe alle Charaktere, wodurch sich auch der Filmtitel erklären lässt; allerdings – an Lungenkrebs stirbt in diesem Film bestimmt niemand, und das trotz geringer Überlebensquoten…), witzigen Dialogen und noch zu würdigender großer Schauspielkunst.

Der große „Kniff“ des Scripts und des darauf aufbauenden Films ist, dass sich das Geschehen quasi in Echtzeit abspielt (manchmal etwas in der Hinsicht „getürkt“, dass offensichtlich gleichzeitig stattfindende Szenen nacheinander gezeigt werden, aber wie will man’s anders machen, wenn in beiden Szenen Dialoge vorkommen?), das bürgt für Rasanz, da kann überhaupt kein Leerlauf aufkommen (wenn’s tatsächlich mal kurze Sequenzen gibt, deren Relevanz dem Zuschauer zunächst verborgen bleibt, kann man drauf wetten, dass der Film noch gewinnbringend darauf zurückkommen wird).

Es macht also schon mal das Script von ganz alleine Spaß (obwohl es sicherlich angesichts der Vorbilder nicht die personifizierte Originalität darstellt), aber Hugo Rodríguez, der bislang international noch nicht auffällig gewordene Regisseur des Streifens, packt auch noch allerhand Gimmicks in die visuelle Umsetzung – wir hätten reihenweise Splitscreen-Einstellungen, zeitgerafferte Kamerafahrten, ungewöhnliche Zooms und, ein offenbar ganz besonders persönliches „Mätzchen“ des Regisseurs, den Kunstgriff, „wichtige“ Dinge, die sich im Szenenhintergrund abspielen, sozusagen mit einer Leselupe herauszuarbeiten (man könnte meckern, dass es dem Zuschauer die Arbeit abnimmt, aber es ist witzig und wird nicht überstrapaziert). Aber auch abseits der technischen Spielereien ist der im HDTV-Format gedrehte Streifen optisch top – die Kameraführung ist auf höchstem Niveau, ebenso der Schnitt, den man sich manchmal vielleicht sogar noch ’ne Ecke schneller hätte wünschen können. Ironischerweise ist der Film am ehesten noch in seinen Actionpassagen (das sind nicht viele, eigentlich nur eine „größere“) am verbesserungsfähigsten – da könnte er noch etwas zupackender, etwas drastischer sein (an dieser Stelle ein Memo: Lasst Euch in Mexiko nicht mit nacktem Oberkörper erschießen, das können die dortigen FX-Techniker noch nicht so richtig gut). Apropos „drastisch“ – der Streifen ist keine Kunstblutorgie, wartet aber mit einen nett-derben Ruppigkeiten inklusive einer kleinen sudeligen Goreeinlage auf.

Etwas abwechslungsreicher hätte ich mir den Soundtrack gewünscht, der zwar mit einigen netten 60er-Jahre-Schlagern made in Mexico aufwartet (inklusive einer ziemlich verbotenen spanischsprachigen Version von „Fever“), da wäre aber vielleicht mehr Wirkung möglich gewesen.

Die schauspielerischen Leistungen sind große Klasse. Diego Luna, mittlerweile in Hollywood angekommen und dort in Großproduktionen wie „Open Range“ und „The Terminal“, aber auch mehr oder weniger als „B“ zu klassifizierenden Filmen wie „Vampires: Los Muertos“ oder „Dirty Dancing: Havana Nights“, tätig, spielt den Lolo als quintessentiellen sympathisch-verkorksten Geek, mit dem sich so mancher Stubenhocker vielleicht sogar identifizieren kann. Lucas Crespi und Jesús Ochoa geben ein unterhaltsames sich gegenseitig nervendes Gangster-Duo ab, ebenso ideal besetzt sind die anderen wichtigen Pärchen Carmen Madrid und Daniel Gímenez Cacho („Y Tu Mama Tambien“, „Cronos“, „La Mala Educación“) als ehekriselndes Apothekerehepaar sowie Rafael Inclán und Rosa María Bianchi („Amores Perros“) als zänkisches Friseurpaar (nicht fragen, anschauen!), wobei mich besonders Inclán mit einigen ganz herzigen Gesichtsausdrücken ans Herz gewachsen ist. Insgesamt ein hervorragend aufgelegtes Ensemble, aus dem man kaum jemanden herausheben sollte.

Bildqualität: Sunfilm möchte uns diesen Film gerne verkaufen und hat daher dafür gesorgt, dass der Film in angemessener bildhafter Umsetzung auf unseren Mattscheiben erscheint. Der 1.85:1-Widescreen-Transfer, selbstredend anamorph, präsentiert sich in guter Bildqualität – frei von Defekten, Verschmutzungen oder irgendwelchen Mastering-Schludrigkeiten, in sehr guter Detail- und Kantenschärfe, exzellentem Kontrast und klaglos arbeitender Kompression, nur ein minimales Grundrauschen ist vorhanden. Und sogar meine Sunfilm-kritischen Player konnten sich mit der Disc anfreunden. Na, ist das nix?

Tonqualität: Drei Tonspuren spendiert uns Sunfilm, wie eigentlich gewohnt die deutsche Synchronfassung in Dolby 5.1 und dts und den Original-Ton in Dolby 5.1. Nicht zuletzt, weil ich schon lang kein Spanisch mehr gehört habe (nicht, dass ich die Sprache verstehen würde), hab ich mich auf die O-Ton-Fassung konzentriert. Die brilliert mit ausgezeichneter Sprachqualität, könnte aber auf der Effekt-Seite etwas kräftiger sein, der Musikmix ist vergleichsweise dezent. Optionale deutsche Untertitel werden natürlich geliefert.

Extras: Da muss ich leider meckern, denn ein paar Goodies mehr als der Originaltrailer und ein paar Texttafeln mit Informationen über Regisseur Rodríguez und die Darsteller Luna und Cacho müsste es doch geben, oder? Dazu kommt das obligatorische halbe Dutzend Trailer auf andere Sunfilm-Titel.

Fazit: „Nicotina“ ist sicher kein epochales Meisterwerk, keine Offenbarung, kein Geniestreich – dafür ist das Genre mittlerweile auch schon zu breitgetreten. Aber fraglos ist Hugo Rodríguez bitterböse schwarze Thrillerkomödie einer der erfreulicheren Genrerepräsentanten. Exzellent gespielt, optisch einwandfrei und einfallsreich, mit einer witzigen und rasanten Story versehen – wenn alles, was im Fahrwasser von Tarantino und Ritchie in die Videotheken gespült würde, so unterhaltsam wäre wie diese heiße mexikanische Filmenchilada, hätte ich dem Genre gegenüber keine so großen Vorbehalte. Speziell Freunde der oben erwähnten Guy-Ritchie-Streiche sollten reinsehen, es könnte sich lohnen. Die Sunfilm-DVD gefällt in Sachen Bild und Ton durchaus, könnte aber einen guten Schuß Extras mehr vertragen.

4/5
(c) 2004 Dr. Acula


mm
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