My Father Die

 
  • Deutscher Titel: My Father Die
  • Original-Titel: My Father Die
  •  
  • Regie: Sean Brosnan
  • Land: USA
  • Jahr: 2016
  • Darsteller:

    Joe Anderson (Asher Rawlings), Candace Smith (Nana), Gary Stretch (Ivan Rawlings), Kevin Gage (Tank), Jason Kirkpatrick (Russ), John Schneider (Det. Johnson), William Mark McCollough (Sheriff Wayne), Thomas Francis Murphy (Preacher Michael), Jonathan Billings (Chess), Gabe White (junger Asher), Chester Rushing (Chester Rawling), Trina LaFarque (junge Nana), Susan McPhail (Harper Rawlings), Josh Perry (Lori)


Vorwort

Der Teenager Asher lebt mit seiner Familie in den Sümpfen des Mississippi. Eines schönen Tages nimmt ihn sein älterer Bruder Chester, den er vergöttert, zu einem Date mit dessen Freundin Nana mit – Chester hat versprochen, dass Nana als Liebesdienst auch Asher vielleicht mal ranlässt… Allerdings hat der ältere Bruder nun mal das Vorrecht, aber die traute Teenagerliebe wird vom Ivan, dem Vater der Brüder, unwirsch beendet. Weil Chester sich gegen die Schläge des Vaters zur Wehr setzt, klinkt Ivan völlig aus und prügelt ihn tot. Als Beifang bekommt auch Asher Schläge ab, die ihn ertauben lassen.

21 Jahre später… Asher lebt taubstumm mit seiner fetten, an der Glotze und speziell TV-Predigern hängenden Mama immer noch im Sumpf und frönt der Alligatorjagd. Die vom Sheriff überbrachte Nachricht, dass Ivan wegen Knastüberfüllung und leidlich guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen wird, sorgt für wenig Frohsinn, denn daran, dass der liebe Papa sich in der Fürsorge des Staates zu einem neuen, besseren Menschen umerziehen hat lassen, glaub nicht mal der Weihnachtsmann, und ganz speziell nicht Asher.

In der Tat ist Ivan wieder in der Stadt und versucht, Kontakte zu seiner alten Biker-Gang wieder zu aktivieren. Und dass er gewillt ist, ggf. auch Ärger zu machen, bemerkt Lonnie, der sich als vermeintlicher Undercover-Cop auf eine Schmusenummer an Ivan ranmachen will, und dafür ins staubige Straßenpflaster beißt. Aber was hat Ivan wirklich vor?

Asher jedenfalls will’s nicht drauf ankommen lassen, dass Papa zur Unzeit vor der Tür steht und wird proaktiv. Mit der Wolfsmaske seines toten Bruders, Sonnenbrille und abgesägter Schrotflinte sucht er Ivans alten Kumpel und Bikerkollegen Tank auf und begehrt schriftlich Auskunft über den Verbleib seines Erzeugers. Tank ist zunächst nicht redewillig, aber nachdem Asher ihm die Käsequanten wegschießt, lockert sich die Zunge und die Adresse des Motels, in dem Ivan sich eingerichtet hat, wandert in Ashers Besitz.

Dort stünde er zunächst auf verlorenem Posten, weil nicht mal Ivan so blöd ist, sich unter seinem richtigen Namen ins Gästebuch einzutragen, aber wer kommt, gerade als Asher den Motelclerk interviewt, mit einer Nutte unterm Arm, zurück? Asher nimmt seinen ganzen Mut und eine Schaufel zusammen, schlägt seinem Paps den Schädel ein und nimmt die Nutte sicherheitshalber als Zeugin gut verschnürt mit. Dennoch gelingt es der Geisel, einen Unfall mit dem Fluchtwagen zu verursachen, der Asher schwer verletzt. Er lässt die Geisel frei und schleppt sich zur einzigen möglichen Vertrauensperson… Nana.

Die hat mittlerweile einen kleinen Sohn namens Chess und verdingt sich als Webcam-Girl. Asher, der seinem Vater auch einen Haufen Cash geklaut hat, von dem niemand weiß, woher er kommt, kann bei ihr unterschlüpfen und zum ersten Mal seit Kinderzeiten erlebt er so etwas wie ein glückliches Familienleben, da Chess an ihm einen mittelgroßen Narren gefressen hat. Dennoch sind sich Asher und Nana klar, dass das kein dauerhaftes Arrangement sein kann.

Dummerweise hat Asher eine Grundregel beim erfolgreichen Morden vergessen – sich davon zu überzeugen, dass die Leiche auch wirklich tot ist. Ivan wenigstens ist es nicht – und wenn er bis jetzt nicht vor hatte, alles und jeden umzubringen, der etwas mit seiner Einknastung zu tun hat, dann jetzt…


Inhalt

Ich war sehr sehr sehr skeptisch, als ich „My Father Die“ in den DVD-Player schob. So ziemlich das erste, was mir auf dem Cover entgegensprang, war das „SXSW“-Festival-Laurel – und ich hab oft genug darüber geschrieben, wie sehr mir Filme auf den Keks gehen, die dort oder in Sundance laufen und gefeiert werden und dann als vermeintliche Genrefilme das FantasyFilmFest heimsuchen – FestivalPorn ist meine Bezeichnung dafür, Filme ohne kommerzielles Potential, denen nichts ferner liegt, als ihr Publikum unterhalten zu wollen, sondern nur als Sprungbrett für ihre Regisseure und Produzenten dienen sollen. „My Father Die“ schien dem Cover und dem Klappentext genau die Sorte Film zu sein, coming-of-age-Drama im Schafspelz eines Thrillers, und, naja, dass ich den Streifen für 2 Euro bei KiK auf’m Grabbeltisch fand, stimmte mich auch nicht unbedingt optimistisch (warum ich das Ding dann trotzdem gekauft habe? Weil ich wohl doch eine masochistische Ader habe und einfach beim Filmkucken nicht glücklich sein will).

Der Vorspann stimmte mich dann schon ein wenig fröhlicher – einige bekannte Namen aus der zweiten bis dritten Reihe, die vielleicht nicht FILMSTAR blöken, aber im Allgemeinen für zumindest solide Performances bürgen, und der Name Pierce Brosnan unter den Produzenten. Warum James Bond Geld für einen Indie-Film ausgibt? Nun, weil sein eigener Sohnemann Sean für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnet. Sean Brosnan versucht sich schon seit einiger Zeit als Schauspieler (auch wenn das bislang völlig an mir vorbeigegangen war) und mit „My Father Die“ legt er nun seinen ersten Spielfilm als Regisseur vor (und pflegt offensichtlich ein etwas besseres Verhältnis zu seinem Erzeuger als sein hiesiger Protagonist).

Nichtdestotrotz scheint der Film zunächst alle Punkte auf meiner Befürchungs-Checkliste ankreuzen zu wollen… das traute Brüderpaar, das sich gemeinsam an diese neue Sache Sex ranmachen will, fotografiert in s/w, als Location die abgewrackteste Ecke des Mississippi-Deltas, wo ein Trailerpark-Wohnsitz schon ziemlich etepetete rüberkommt, bedeutungsschwangere Dialoge („wo ich hingehe, gehst du auch hin!“), alles erlesen depressiv und jedenfalls bestens geeignet, ein Szenario aufzubauen, in dem sich nicht nur der etwaige Protagonist, sondern auch der Zuschauer freudig die Pulsadern aufschlitzt, um dem Elend zu entkommen. Aber, so freut es mich ehrlich es sagen zu können, nachdem der Film in diesem Auftakt etabliert hat, was er etablieren wollte, kriegt er die Kurve zum kraftvollen Action-Thriller-Drama, das den Anspruch nicht in der Regentonne versenkt, aber auch nicht vergisst, dass vor der Leinwand bzw. dem Bildschirm ein Publikum sitzt, das sich nicht nur am Elend der Unterprivilegierten ergötzen, sondern auch einen unterhaltsamen Film dabei geboten bekommen will.

Brosnan gelingt der Drahtseiltanz zwischen Drama und Spannung, wenn er deutlich macht, wie sehr die unfassbare Tat des Vaters nicht nur das Leben der Familie, sondern auch von Nana zerstört und belastet hat (wir erfahren unterwegs, dass Asher und Nana es mit einer Beziehung versucht haben, die aber nicht geklappt hat, weil Chesters Schatten immer über ihnen hing) und auch ohne seine unerwartete Rückkehr so etwas wie Normalität unmöglich einziehen konnte, aber trotzdem dabei auch die spannende Thrillerhandlung vorantreibt – vielleicht etwas forciert durch den Einbau von Detective Johnson, der mit dem örtlichen Sheriff die plötzlich aufkommende Gewaltserie untesucht, wobei Johnson durchaus als wichtiger Charakter eingeführt wird, im Filmverlauf dann aber zunehmend in den Hintergrund rückt und für die Auflösung des Dramas keine Rolle spielt, aber Brosnan drückt die richtigen Knöpfe, auch und vor allem dadurch, dass er dem zurückkehrenden Ivan zunächst mal überhaupt kein Motiv unterstellt. Warum Ivan in seine Heimat zurückkommt, ob er geläutert ist, versuchen will, eine neue Beziehung zu seiner Familie aufzubauen (er wirkt jedenfalls nüchtern, dafür, dass er im Flashback als heftiger Alki gezeichnet wird), lässt der Film offen. Klar, er nimmt Kontakt mit seinen alten Freunden auf und als ihn Lonnie irrtümlich für schwul hält, rastet er aus, aber ob er bereits zu diesem Zeitpunkt einen definierten Racheplan hat, kann man getrost bezweifeln, und dann natürlich auf die Idee kommen, dass erst Ashers prophylaktischer Feldzug gegen den Vater die Gewaltspirale wirklich auslöst.

Asher wird dabei sehr deutlich als jemand gezeigt, der durch die Bluttat seines Vaters in seiner Entwicklung gestört wurde – sowieso physisch durch die Ertaubung, aber auch mental in gewisser Weise (es ist kein Zufall, dass der – zugegeben manchmal etwas störende – voiceover-Kommentar von der Stimme seines dreizehnjährigen [oder so] Selbsts gesprochen wird). Und ebenso steuert der Film zielsicher auf den finalen Konflikt hin, in dem es keine Erlösung geben wird, sondern jeder, der daran beteiligt ist, einen verdammt hohen Preis zu zahlen hat.

Brosnan vergisst dabei nicht, die kaputte Atmosphäre der abgerissenen Siedlungen und Trailerparks im hinterletzten Sumpfland zu einem eigenständigen Charakter zu machen. Ob in diesem Umfeld überhaupt so etwas wie ein „normales“ Leben möglich ist, scheint „My Father Die“ zu verneinen. Es ist ein Leben ohne Perspektiven, ohne Auswege, in denen man sich – wie in unterschiedlichem Rahmen Ashers Mutter oder Nana – der Kirche als einzigem Stabilitätsanker hingeben kann, oder sich Suff und Randale (und dem gelegentlichen Totmachen von Alligatoren) ergibt. Es ist aber eben auch eine Welt, in der auch der Glaube nur auf Heuchelei basiert – der Priester, dessen TV-Predigten Mama Asher verfolgt und der in seinen Gottesdiensten Fake-Wunder vollbringt, und dessen Gemeinde angehört, ist unter einer SM-Maske auch Nanas bester Webcam-Kunde, um sich beim Masturbieren auch noch selbst mit einem Messer ritzend zu kasteien. Und Sheriff Wayne, der mit seinem monströsen Schnauzbart versucht, die Ordnung aufrecht zu erhalten, ist selbst einer der Bullies, die Asher verlacht haben, als der wegen seiner Taubheit nicht mehr richtig sprechen konnte (und es deswegen seit damals gelassen hat).

Keine schöne Welt, die Brosnan für seine Figuren aufbaut, und natürlich ist klar, dass die kurzen Momente des Glücks, als für eine halbe Stunde oder so Nana, Asher und Chess so etwas wie eine kleine funktionierende Familie bilden, nicht von Dauer sein können.

Wie gesagt, das Kunststück, das Brosnan gelingt, ist es, trotz dieser ziemlich düsteren Weltsicht aus „My Father Die“ weder ein sentimentales Rührstück noch ein kritikerfreundliches Depri-Drama zu machen, sondern einen spannenden und gelegentlich auch gut blutigen Revenge-Streifen, der diese Motiv sogar doppeldeutig durchspielt – zum einen rächt sich natürlich Asher für das von seinem Vater begangene Unrecht, zum anderen Ivan wiederum für den (vielleicht unbegründeten) Anschlag auf sein Leben. Brosnan hält die jeweiligen Rachegeschichten auch stets im Fokus des Films, lässt sie nicht wie Fremdkörper wirken wie z.B. im ja aus mir unerfindlichen Gründen hochgeschätzten „A Beautiful Day“, in dem sich die Gewaltausbrüche und die melodramatischen, stillen Passagen für meine Begriffe nicht recht zusammenfügen wollten (jaja, „A Beautiful Day“ beleuchtet ein wichtiges Thema, ist von einer Frau usw. usf. Geschenkt). Brosnan macht das wesentlich stimmiger, in sich schlüssiger und folgerichtiger.

Mit einer Laufzeit von 87 Minuten überdehnt Brosnan den Stoff auch nicht – man muss nicht krampfhaft, nur weil man „anspruchsvoll“ sein wird, drei Stunden für so ein Thema brauchen. Viel mehr hilft da schon die ausgezeichnete Kameraarbeit von Mark Shap, für den „My Father Die“ auch das erste richtig wichtige Betätigungsfeld darstellt, und der sowohl mit der s/w- als auch der Farbfotografie ausgezeichnete, eindrucksvolle Bilder komponiert. Ein stimmungsvoller Soundtrack mit gutem Einsatz passender, emotional wirksamer Songs unterstützt Brosnan ebenso adäquat.

Wäre aber mal wieder alles nichts wert, wären die Darsteller Kacke. Brosnan hat, wie schon erwähnt, ein Ensemble zur Verfügung, das vielleicht nicht Starpower hat, aber eben Leute, die wissen, wie man so was zu spielen hat. Allen voran natürlich Joe Anderson („The Grey“, „Across the Universe“, „The Crazies“, „Ruinen“), der in der stummen Hauptrolle mit Mimik, Gestik und Zeichensprache agieren muss und dabei voll überzeugt, jederzeit Herr der geforderten Emotionen ist und nie übertreibt.

Candace Smith („Gimme Shelter“, „End of Watch“) ist nicht nur ein Hinkucker, sondern erweist sich als exzellente Ergänzung zu Anderson mit ausgezeichneter Chemistry. Man glaubt, dass die beiden trotz ihrer grausamen gemeinsamen Vergangenheit immer noch viel füreinander empfinden.

Als Ashers wortkarger Vater brilliert Gary Stretch („Freebird“, „Alexander“, „Mega Shark vs. Crocosaurus“), Kevin Gage („Heat“, „G.I. Jane“) überzeugt ebenso als sein loyaler Kumpel Tank. John Schneider („Ein Duke kommt selten allein“, „Smallville“, „Return of the Killer Shrews“) wird als Det. Johnson gen Ende vom Script etwas vergessen, ist bis dahin aber solide. Thomas Francis Murphy („Mindhunter“, „The Walking Dead“) ist fein als masochistischer Priester, William Mark McCollough („The Gifted“) okay als Sheriff Wayne. Erwähnung sollte Josh Perry, ein Schauspieler mit Down-Syndrom sein, der hier in einer kleinen, aber interessanten Rolle eine Art Faktotum von Pater Thomas Francis Murphy gibt. In kleinen Parts sind der Regisseur selbst und der Wrestler Luke Hawx zu sehen.

Die DVD von I-ON bringt den Film in ausgezeichnetem 2.35:1-Widescreen (anamorph), übertreibt allerdings auf dem Cover schamlos die Laufzeit (104 statt 87 Minuten). Die deutsche Synchro (DD 5.1) ist okay, wenn auch nicht herausragend, O-Ton wird ebenfalls in DD 5.1 mitgeliefert. Leider ist die Scheibe vollkommen bare-bones und bringt nicht mal einen Trailer mit. Schade, hier hätte mich behind-the-scenes-Material oder ein Audiokommentar mal wirklich interessiert.

Dennoch – „My Father Die“ ist ein eindrucksvolles Spielfilmdebüt für Sean Brosnan und der Beweis, dass der Indie-Film doch noch etwas zu sagen hat und sich nicht in „navel-gazing“ erschöpft. Ein spannender, sehr gut gespielter Film, der etwas zu sagen hat – da sag ich mit Sicherheit nicht nein, sondern empfehle weiter.

© 2018 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 7


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